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Von Harley Schlanger
Während in New York am 28.-30. Juli eine Konferenz der Vereinten Nationen über die „Umsetzung einer Zwei-Staaten-Lösung” stattfand, erklärte der britische Premierminister Starmer in einer Krisensitzung seines Kabinetts, jetzt sei der richtige Zeitpunkt, um zu einer Zwei-Staaten-Lösung in Palästina überzugehen. Er äußerte seine Besorgnis über die „entsetzliche Lage in Gaza” und erklärte sich bereit, bei der UN-Vollversammlung, die am 9. September in New York City beginnt, Palästina als unabhängigen Staat anzuerkennen.
Starmers Ankündigung folgte auf eine ähnliche des französischen Präsidenten Macron vom 24. Juli, der geschrieben hatte: „Getreu seiner historischen Verpflichtung für einen gerechten und dauerhaften Frieden im Nahen Osten habe ich beschlossen, daß Frankreich den Staat Palästina anerkennen wird.” Diesen Schritt werde er im September vor den Vereinten Nationen offiziell bekanntgeben. Macron fuhr fort: „Heute ist es dringend notwendig, den Krieg in Gaza zu beenden und der Zivilbevölkerung Hilfe zu leisten... Das französische Volk will Frieden im Nahen Osten. Es liegt an uns Franzosen, gemeinsam mit den Israelis, den Palästinensern und unseren europäischen und internationalen Partnern zu zeigen, daß dies möglich ist.“
Vielleicht hofften beide, Macron und Starmer, niemand würde bemerken, daß ihre Reaktion auf die „dringende Lage“ der abgeriegelten, hungernden Palästinenser dem völkermörderischen Regime Israels sechs weitere Wochen Zeit gibt, um das Töten fortzusetzen. Die Reaktion von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zeigt, daß er sich durch solche leeren Worte nicht von seiner „endgültigen Lösung des Palästinenserproblems“ abbringen lassen wird. Er bekräftigte, seine Regierung werde die Aufgabe zu Ende bringen, was in den Augen eines Großteils der Welt die Fortsetzung der ethnischen Säuberung Palästinas bedeutet. Netanjahu verurteilte Starmers „Beschwichtigung ... gegen den dschihadistischen Terrorismus“ und behauptete, die Anerkennung Palästinas „belohne den monströsen Terrorismus der Hamas und bestrafe seine Opfer“, und „ein dschihadistischer Staat an der Grenze Israels heute wird morgen Großbritannien bedrohen“.
In seiner Mißachtung der Weltöffentlichkeit wird Netanjahu von der Trump-Regierung unterstützt, die sich einem Vorgehen der UN für eine Zwei-Staaten-Lösung entgegenstellt. Ein Sprecher des US-Außenministeriums äußerte sich respektlos über die Veranstaltung, das sei eine „unproduktive und unangebrachte Konferenz“ und ein „Publicity-Gag“, der „die heiklen diplomatischen Bemühungen um Beendigung des Konflikts“ behindere. Da die USA daran festhalten, Israel militärisch und finanziell zu unterstützen sowie diplomatische Deckung für den Völkermord zu liefern, werden die großspurigen Auftritte von Macron und Starmer wenig Wirkung zeigen.
Während ein Großteil der Welt schockiert ist über die brutale Vernichtung der Palästinenser in Gaza und im Westjordanland und über die öffentlich verkündete Absicht der fanatischen Anhänger des Netanjahu-Regimes, die ethnische Säuberung Palästinas zu vollenden, herrscht in Israel selbst, von wenigen Ausnahmen abgesehen, ohrenbetäubendes Schweigen. Schuld daran ist auch die strenge Medienzensur, die dafür sorgt, daß Israelis keine Bilder von hungernden Kindern sehen, die in den Armen ihrer ausgemergelten Eltern sterben, oder von israelischen Soldaten, die hungrige Palästinenser an Lebensmittel-Verteilstellen niedermähen, die sich in Schlachtfelder verwandeln. Die Regierung behauptet, derartige Bilder, die massenhaft durch die sozialen Medien gehen, seien mit Hilfe Künstlicher Intelligenz erstellte Fälschungen.
Dies wird noch verstärkt durch den Vorwurf, die Verurteilung der Greueltaten der israelischen Armee komme von „Antisemiten“ und „Hamas-Apologeten“, sowie die endlos wiederholte Litanei vom „brutalen und unprovozierten“ Angriff der Hamas am 7. Oktober. Israels rücksichtsloser Militäreinsatz, die Blockade der humanitären Hilfe für die Palästinenser und die Pläne für deren massenhafte „Umsiedlung” seien angeblich notwendig, um einen neuen Holocaust an den Juden in Israel zu verhindern.
Lange Zeit schien die große Mehrheit der israelischen Öffentlichkeit bereit, die mörderische Politik zu ignorieren, die im Namen ihrer „Sicherheit“ betrieben wird. Eine der Ausnahmen bildete der Haaretz-Kolumnist Gideon Levy als eine Stimme des Gewissens, die das Schweigen durchbrach und die Gleichgültigkeit der Bevölkerung angesichts solcher Greuel anprangerte. So wies er beispielsweise darauf hin, daß eine Kochsendung im lokalen Fernsehen hohe Einschaltquoten hatte, während nebenan Kinder in Gaza verhungerten.
Doch seitdem Ausmaß und Umfang der Morde die internationale Zensur durchbrechen, wird auch in Israel ein Wandel sichtbar. Levy, ein Veteran der israelischen Armee, der von 1978 bis 1982 Berater und Sprecher des Vorsitzenden der Arbeitspartei Schimon Peres war, hat dabei die Führung übernommen und das Tabu gebrochen, die Massenmorde der fanatischen Zionisten um Netanjahu als „Völkermord“ zu bezeichnen.
Am 27. Juli schrieb Levy über die „verabscheuungswürdige Welle des Leugnens, die Israel erfaßt hat... Sie ist in weiten Teilen der Öffentlichkeit verbreitet und wird von fast allen Medien geteilt. Mit dem Beginn des gezielten Aushungerns gab es keine andere Alternative, als sich auf ein Leugnen zu verlegen, das nicht weniger abscheulich ist als das Leugnen des Holocaust.“
Er stellt die in Israel weit verbreitete Überzeugung in Frage, als Opfer des Holocaust seien Juden grundsätzlich von jedem Vorwurf des Völkermords ausgenommen. Das Schweigen in Israels Geschichte sei offensichtlich, und die Gewalt gegen Palästinenser sei ein Teil dieser Geschichte. Sarkastisch schreibt er: „Leugnen begleitet Israel seit den Tagen der ersten Nakba im Jahr 1948, die nie stattgefunden hat und nur in der Fantasie von Israel-Hassern existiert. Sie setzte sich während all der Jahre der Besatzung und Apartheid fort.“
Er befaßte sich auch mit der Ausrede, Unterstützung für ethnische Säuberung gebe es in der Netanjahu-Regierung nur bei den Extremisten aus der Siedlerbewegung. „Leider ist [Finanzminister] Smotrich nicht das Problem“, sagte er, bezogen auf eine der extremsten Stimmen, die die Entfernung der Palästinenser aus Israel fordern. „Das Problem ist die israelische Gesellschaft, die entweder Unterstützung leistet oder weitgehend passiv und apathisch ist. Smotrich ist das Gesicht Israels.“
Ähnlich klare Worte hatte Levy in seiner vernichtenden Kritik an einem Netanjahu-Apologeten, der in einem Podcast des Journalisten Piers Morgan am 25. Juli Stolz auf das „moralische“ Vorgehen des Regimes in Gaza bekundet hatte. Levy erklärte: „Können Sie glauben, daß ein Jude, ein Mensch, stolz sein kann auf Hunger, auf Massenmord, auf Völkermord... Ich bin sprachlos... Stolz auf das, was wir tun... Wie kann ein Mensch solche Worte aus seinem Mund bringen? Das ist nicht menschlich. Nur die Nazis haben so gesprochen, nur die Nazis waren stolz auf Massenmorde und Völkermorde.“
In seiner Haaretz-Kolumne vom 30. Juli kam er angesichts der Entschlossenheit des Regimes, weiterzumachen, auf das Thema zurück. „Es ist an der Zeit, das Grauen beim Namen zu nennen – sein voller Name ist Völkermord, die Auslöschung eines Volkes... Das hat nicht erst jetzt begonnen, sondern schon 1948“ bei dem mörderischen Angriff auf die Palästinenser, der zur „Umsiedlung“ von 750.000 Menschen aus ihren Häusern führte.
Levy ist mit seinem gerechten Zorn nicht der einzige in Israel. Am 28. Juli hielten zwei führende israelische Bürgerrechtsgruppen eine Pressekonferenz ab, um die barbarische Politik der Regierung anzuprangern. B'Tselem und die israelische Sektion von Physicians for Human Rights forderten ein Ende der Politik des Aushungerns, die sie als „ethnische Säuberung“ verurteilten. Und am 30. Juli veröffentlichte eine Gruppe von 31 prominenten Israelis eine Erklärung im Londoner Guardian, in der sie einen dauerhaften Waffenstillstand und die Aufklärung der Hungertode forderten und die internationale Gemeinschaft aufforderten, „lähmende Sanktionen“ gegen Israel zu verhängen.
In den USA forderte die größte Glaubensgemeinschaft amerikanischer Juden, die Reformbewegung, ein Ende der Tötungen und verurteilte die Blockade von Lebensmitteln und humanitärer Hilfe durch die israelische Regierung als „unentschuldbar“.
Selbst Präsident Trump reagierte nach einem Treffen mit Starmer in Schottland am 28. Juli auf diesen Stimmungswechsel. Es war eine der seltenen Ausnahmen, in der er nicht mit Netanjahu übereinstimmte, der ständig bestreitet, daß seine Politik darauf abziele, die Palästinenser auszuhungern. Trump sagte: „Das ist echte Hungersnot, ich sehe es, und das kann man nicht vortäuschen.“ Er werde Netanjahu auffordern, dafür zu sorgen, daß die Lebensmittel die Menschen erreichen, die sie brauchen. „Ich möchte sicherstellen, daß sie die Lebensmittel bekommen, jedes Gramm“, so Trump.
Leider hat Trump, so wie Macron, Starmer und Bundeskanzler Merz, deren jüngste Äußerungen ein leerer Versuch sind, sich dem Vorwurf der Mitschuld am Völkermord zu entziehen, bisher keine wirksamen Maßnahmen ergriffen, um die Tragödie noch abzuwenden. Dazu müßte die Einstellung der militärischen, finanziellen und politischen Unterstützung für Netanjahu gehören, die Bereitstellung massiver humanitärer Hilfe durch Israel, die Beendigung der Besatzung sowie die Anerkennung eines unabhängigen palästinensischen Staates, der durch Wirtschaftshilfe unterstützt wird, um den Aufbau der notwendigen Infrastruktur einschließlich LaRouches Oasenplans1 zu ermöglichen.
Anmerkung
1. Siehe: Petition: Unterstützung des LaRouche-Oasenplans für Frieden und Entwicklung in Südwestasien, Schiller-Institut.
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