|
|
Von Harley Schlanger
Am 21. Mai bestätigte TASS, daß die russischen Streitkräfte Militärübungen nahe der ukrainischen Grenze begonnen haben, um das Laden taktischer Nuklearsprengköpfe auf Trägerraketen zu simulieren, u.a. taktische Iskander-Raketen und Kinschal-Hyperschallraketen. Nicht bestätigt wurde, ob die Übungen auch Testabschüsse umfassen.
Laut TASS sind die Übungen eine Reaktion auf „die provokativen Äußerungen westlicher Offizieller“, insbesondere das grüne Licht des britischen Außenministers Lord Cameron für die Ukraine, mit britischen Langstreckenraketen Ziele in Rußland zu treffen. Nach einem unangekündigten Treffen mit Präsident Selenskyj am 21. Mai deutete US-Außenminister Blinken an, daß die USA diesem Beispiel folgen könnten.
Derartige Drohungen aus dem Westen häufen sich, je mehr die Ukraine sich unter dem Druck einer russischen Offensive zurückziehen muß und es ihr an Waffen und Personal mangelt.
Die New York Times berichtete am 22. Mai über diese Wende. Innerhalb der Regierung tobe „eine heftige Debatte um eine Lockerung des Verbots, um der Ukraine zu erlauben, Ziele in Rußland zu treffen“. Dies werde vom Außenministerium vorangetrieben. Das jüngste vom Kongreß genehmigte Paket über 61 Mrd. US-Dollar umfaßt die Lieferung von HIMARS- und ATACMS-Raketen, die russisches Territorium erreichen können.
Diese Eskalation der Spannungen hin zum möglichen Atomkrieg wird in den westlichen Medien entweder heruntergespielt oder so umschrieben, der „verrückte“ Putin drohe mit einem Atomkrieg. Es heißt, die Aufhebung des britischen und US-Verbots von Angriffen auf Rußland sei notwendig, um die Ukraine zu „schützen“.
Einige, wie der fanatische Russenhasser Keir Giles von Chatham House, plädieren für noch provokantere Maßnahmen und behaupten, Putin bluffe nur. In einem Artikel vom 10. Mai argumentiert Giles, der Verzicht auf die Entsendung von NATO-Truppen in die Ukraine gebe Putin „die Gewißheit, daß er den Krieg fortsetzen kann, ohne sich um die möglichen Folgen zu kümmern“. Eine NATO-Eskalation sei „eine der größten Ängste des Kremls“. Giles fordert „strategische Zweideutigkeit“, d.h., daß man „dem Gegner nicht sagt, was man nicht tun wird“.
Ein weiterer Aufruf zur Eskalation kam von der ehemaligen Spitzenbeamtin des US-Außenministeriums Victoria Nuland, eine Hauptbeteiligte am Maidan-Putsch vom Februar 2014. Nuland sagte ABC am 19. Mai, Stützpunkte in Rußland, die es für Angriffe auf die Ukraine nutzt, „sollten zum Abschuß freigegeben sein“. Und am 20. Mai befürworteten 13 Kongreßabgeordnete beider Parteien in einem Schreiben Angriffe auf Ziele in Rußland. Kongreßsprecher Mike Johnson schloß sich an und brachte das typische (falsche) Argument vor, wenn Putin in der Ukraine Erfolg habe, werde er dort nicht Halt machen, was von der Denkfabrik Atlantic Council wiederholt wurde. Der Herausgeber von deren Dienst UkraineAlert, Peter Dickinson, forderte in einem hysterischen Artikel am 21. Mai ein „Ende der absurden Beschränkungen“ für Ziele in Rußland und wiederholte dieselbe Litanei: Wenn Putin „den Sieg in der Ukraine erringt, ist es lächerlich anzunehmen, daß er einfach aufhören wird“.
Etliche Stimmen warnen vor dem Irrsinn dieses Ansatzes. Die Journalistin Caitlin Johnstone schrieb in einer Kolumne am 24. Mai: „Es käme uns unglaublich idiotisch vor, wenn wir aufwachen würden, um zu erfahren, daß ein Atomkrieg begonnen hat, nachdem eine Reihe von rücksichtslosen Eskalationen und unvorhersehbaren Entwicklungen zu einer raschen Abfolge von Ereignissen führte, von denen es kein Zurück mehr gibt. Aber diese Befürchtung ist zum jetzigen Zeitpunkt der Geschichte nicht unberechtigt, und wir bewegen uns viel, viel zu nahe an diesen Rand.“
Der angesehene Analyst Gilbert Doctorow teilte diese Sorge in einer Kolumne vom 22. Mai: „Die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich haben jede Vorsicht in den Wind geschlagen und eskalieren wie verrückt, um eine Katastrophe auf dem Schlachtfeld und eine Kapitulation der Ukraine zu verhindern. Die taktischen Atomwaffenübungen Moskaus sind ein Versuch, den Westen zur Vernunft zu bringen. Ob es damit Erfolg hat, ist eine offene Frage.“
Ähnlich warnte Ungarns Außenminister Peter Szijjarto: „Einige europäische Politiker wollen Soldaten in die Ukraine schicken, während andere europäische Politiker über den Einsatz von Atomwaffen fantasieren. In jedem Fall wird dies einen Weltkrieg bedeuten, und diejenigen, die sich in unmittelbarer Nähe des bewaffneten Konflikts befinden, werden dafür bezahlen müssen.“
Die Vorsitzende des Schiller-Instituts, Helga Zepp-LaRouche, erklärte am 22. Mai: „Wir stehen am Rande einer Katastrophe. Jeder denkende Mensch ist verblüfft, absolut schockiert darüber, daß das westliche Establishment völlig unfähig ist, das Ergebnis seiner Politik zu erkennen… Man sieht, daß die gesamte NATO-Politik gegenüber Rußland nicht funktioniert hat; sie ist nach hinten losgegangen..., aber man sieht keine Anzeichen von Erkenntnis oder Reflexion… Und wenn die Menschen so weit von der Realität entfernt sind, wie wir es gerade sehen, dann muß man sich wirklich Sorgen um ihre geistige Gesundheit machen.“
Zepp-LaRouches Besorgnis wird bestätigt, wenn man betrachtet, wie über fünf Jahrzehnte lang vergeblich versucht wurde, ihren verstorbenen Mann, den amerikanischen Staatsmann Lyndon LaRouche, zu diskreditieren. Seine Gegner, u.a. Henry Kissinger und dessen Verbündete in anglo-amerikanischen Geheimdiensten und Medien, warfen LaRouche vor, er sei „besessen“ vom Britischen Empire und der britischen Geopolitik, weil er das britische Establishment für die Kriege des 20. Jahrhunderts und den Kalten Krieg verantwortlich machte. Falsch sei auch seine Aussage, nach der Ermordung von Präsident Kennedy 1963 habe das US-Establishment die Rolle eines Ko-Partners der Briten übernommen, um sich dann nach dem Fall der Sowjetunion zur „einzigen Supermacht“ zu salben.
Aber ein Blick auf die jüngsten Entwicklungen, durch die ein neuer Weltkrieg droht, zeigt nicht nur, wie vorausschauend LaRouche war, sondern auch, daß die Manipulation der US-Politik durch die Oligarchen der Londoner City und die Finanzkartelle verhindert, daß Regierungen Verhandlungslösungen für Frieden suchen.
So räumte das anglophile Magazin des Council on Foreign Affairs (CFR) ein, daß Premier Boris Johnson eine Verhandlungslösung für den Ukraine-Krieg sabotierte (Foreign Affairs, 16. April 2024). Es beschreibt, wie Johnson im Mai 2022 intervenierte und Selenskyj überredete, ein Abkommen mit Moskau abzulehnen. Im Gegenzug boten die NATO-Mitglieder einen Blankoscheck zur Fortsetzung der Kämpfe.
Und als die Aufstockung der Mittel für den Krieg im US-Kongreß festgefahren war, drängte die unpopuläre, nicht gewählte Tory-Regierung weiter auf die Finanzierung. Am 12. Januar 2024 unterzeichnete Premierminister Sunak einen zehnjährigen Sicherheitspakt mit Selenskyj, angefangen mit 3 Mrd. Dollar für dieses Jahr. Am 3. Mai wurde dies auf 3,75 Mrd. Dollar aufgestockt, als Außenminister Lord Cameron in Kiew verkündete, das Geld werde benötigt, um „Putin zurückzudrängen“. Dies sei für Großbritannien „die bestmögliche Investition“. Vor der Abreise nach Kiew kündigte Cameron die Aufhebung der Vereinbarung an, die den Einsatz britischer Raketen gegen Rußland verbietet, und sagte: „Die Ukraine hat dieses Recht.“
Unterstützt wurde er von Verteidigungsminister Shapps, der gegenüber der BBC erklärte: „Putin blufft in vielerlei Hinsicht, indem er seine gesamte Wirtschaft auf Krieg umstellt... Deshalb ist es sehr wichtig, daß der Westen nicht wankt.“ Am 19. Mai prahlte er auf Sky News: „Das Vereinigte Königreich war sehr vorausschauend in Bezug darauf, wie unsere Waffen eingesetzt werden... Andere Länder haben dies zunächst nicht getan, sind dann aber unserem Beispiel gefolgt.“ Es sei „sehr, sehr wichtig, daß die USA dem Beispiel Großbritanniens folgen“.
Unterstützt wird all dies durch Konferenzen von Empire-freundlichen Denkfabriken wie Chatham House, Atlantic Council, CFR und Carnegie Endowment. Dabei geht es auch um die Förderung der Farbenrevolution in Georgien und um Interventionen gegen die Partnerschaft zwischen Rußland und China.
Typisch ist der Ratschlag von James Nixey, Direktor des Rußland- und Eurasien-Programms von Chatham House. Er schrieb am 1. Mai, die in westlichen Banken eingefrorenen russischen Guthaben von 300 Mrd. Dollar sollten der Ukraine übergeben werden, auch wenn es illegal ist. Damit demonstrierte er die wahre Bedeutung des Begriffs „regelbasierte Ordnung“: „Die Geschichte wird den Westen nicht gut beurteilen, wenn er die Ukraine scheitern läßt, weil er nicht gegen das Völkerrecht verstoßen will.“
Wer an LaRouches Einschätzung zweifelt, daß die USA der „dumme Riese an der britischen Leine“ geworden sind, sollte die Rede lesen, die Henry Kissinger am 10. Mai 1982 im Chatham House hielt. Kissinger räumte die grundlegende Meinungsverschiedenheit zwischen Franklin Roosevelt und Winston Churchill über der Nachkriegspolitik ein – Roosevelt hatte eine antikoloniale Sicht, Churchill wollte das Empire erhalten –, und fügte dann hinzu: „Glücklicherweise hatte Großbritannien einen entscheidenden Einfluß auf Amerikas Erwachen zur Reife in den folgenden Jahren.“1
Dieser „entscheidende Einfluß“, verstärkt durch die Verbindungen zwischen anglo-amerikanischen Unternehmenskartellen, Rüstungsunternehmen, Medien, Universitäten, Geheimdiensten und Denkfabriken, stellt heute die größte Gefahr für die Menschheit dar. Ein großer Teil der Welt löst sich von der Unterwerfung unter die „regelbasierte Ordnung“ und strebt eine neue Sicherheits- und Entwicklungsarchitektur als Weg zum Frieden an. Der verzweifelte Versuch der Anglo-Amerikaner, dies zu verhindern und ihr kollabierendes Imperium zu erhalten, ist der Grund für die Atomkriegsgefahr.
Anmerkung
1. Kissingers vollständige Rede, „Reflections on a Partnership: British and American Attitudes to Postwar Foreign Policies“ (Reflektionen über eine Partnerschaft: Britische und amerikanische Haltungen gegenüber der Außenpolitik der Nachkriegszeit), kann hier nachgelesen werden: https://larouchepub.com/other/2002/2901_kissinger.html