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Von Alexander Hartmann
Die Feierlichkeiten zum 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs in Moskau waren nicht nur Anlaß für bewegende Gedenkfeiern für die vielen Millionen Opfer dieses Krieges, sondern auch für wichtige politische und diplomatische Gespräche. 27 Staats- und Regierungschefs trafen im Kontext der Veranstaltungen an verschiedenen Orten mit Präsident Putin zusammen. Leider trotzten nur zwei europäische Vertreter – der slowakische Ministerpräsident Fico und der serbische Präsident Vucic – dem von der selbsternannten „Führung Europas“ verordneten Boykott.
Prominentester Gast in Moskau war Chinas Präsident Xi Jinping, der vom 7.-11. Mai anläßlich seines Gipfeltreffens mit Putin zu seinem 11. Staatsbesuch in Rußland war. Beide betonten erneut, die Partnerschaft und Freundschaft zwischen ihren Ländern sei noch nie so eng gewesen, und unterzeichneten mehrere Wirtschafts- und Handelsabkommen.
In ihrer gemeinsamen Erklärung bekräftigen die beiden Präsidenten ihre Entschlossenheit, „Versuche zu unterbinden, die Geschichte zu verfälschen, den historischen Beitrag Rußlands und Chinas zum Sieg im Zweiten Weltkrieg herabzuwürdigen und zu leugnen, die Befreier zu diffamieren und Handlungen im Zusammenhang mit der Schändung oder Zerstörung von Denkmälern für die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs scharf zu verurteilen“.
Bei dem Galaempfang nach der beeindruckenden Militärparade, an der Soldaten aus vielen Gastländern teilnahmen, forderte Putin die Schaffung eines „Systems der Sicherheit und internationalen Beziehungen auf der Grundlage der Prinzipien echter Gleichheit und Achtung der gegenseitigen Interessen“.
Dagegen versammelten sich die Regierungschefs von Frankreich, Deutschland, Polen und Großbritannien am Samstag, 10. Mai, in der ukrainischen Hauptstadt – in den Fußstapfen des britischen Premierministers Boris Johnson, der im Frühjahr 2022 nach Kiew eilte, um den Istanbuler Friedensprozeß zwischen der Ukraine und Rußland zu sabotieren. Eine Teilnahme an den Moskauer Feierlichkeiten zum Kriegsende hatten sie vehement abgelehnt, obwohl die wesentliche Rolle der Sowjetunion beim Sieg über die Nazis unbestreitbar ist.
In Kiew stellten die vier dann gemeinsam Rußland ein Ultimatum: Entweder akzeptiere es ihre Forderung – die als Forderung von Präsident Selenskyj präsentiert wurde – nach einer sofortigen 30-tägigen Waffenruhe, oder es müsse mit neuen Sanktionen rechnen und könne den Frieden vergessen. Premierminister Keir Starmer drohte, Präsident Putin müsse den bedingungslosen Waffenstillstand mit anschließenden Verhandlungen akzeptieren: „Kein Wenn und Aber mehr. Keine Bedingungen und Verzögerungen mehr.“ Sonst würde die „Koalition der Willigen“ unter der Führung von Emmanuel Macron, Friedrich Merz, Donald Tusk und ihm selbst die Militärhilfe für Kiew ausweiten und die Sanktionen verschärfen, um „Rußland zurück an den Verhandlungstisch zu drängen“.
Putin antwortete noch in derselben Nacht um 2 Uhr mit dem Gegenvorschlag, die direkten Verhandlungen zwischen Rußland und der Ukraine ab Donnerstag, 15. Mai, in Istanbul wiederaufzunehmen. Putin erklärte, er habe diese Entscheidung nach seinen zahlreichen Gesprächen der vergangenen drei Tage getroffen, die „auch die Frage der Lösung des Konflikts in der Ukraine berührten. Wir sind allen unseren Gästen, unseren Freunden, dankbar für die Aufmerksamkeit, die sie diesem Konflikt widmen, und für ihre Bemühungen, diesen Konflikt zu beenden.“
Kreml-Sprecher Dmitri Peskow stellte die Verhandlungen ebenfalls in den Kontext dieser zahlreichen bilateralen Gespräche. Die in Moskau versammelten Staatsführer begrüßten Rußlands Ansatz, eine langfristige Lösung anzustreben, die den Sicherheitsinteressen beider Seiten Rechnung trägt. Zu den Befürwortern einer solchen Diplomatie gehört ein Großteil des Globalen Südens.
Auch US-Präsident Donald Trump unterstützte Putins Vorschlag nachdrücklich. Nachdem Putin direkte Verhandlungen ohne Vorbedingungen angeboten hatte, ließ Trump am Sonntag Selenskyj wissen: „Die Ukraine sollte dem sofort zustimmen.“ Trump stellte ausdrücklich klar, daß ein vorübergehender Waffenstillstand nicht vorgesehen sei, und erklärte: „Das Treffen mit Rußland und der Ukraine am Donnerstag ist sehr wichtig. Ich habe sehr darauf bestanden, daß dieses Treffen stattfindet. Ich glaube, daß dieses Treffen zu guten Ergebnissen führen kann.“
Wie zu erwarten stieß Putins Angebot bei den Vertretern der europäischen Kriegspartei auf Empörung und Widerspruch. Sie bekräftigten ihre Absicht, die Sanktionen zu verschärfen, was aber Moskau kaum beeindrucken dürfte, da keine der bisher ergriffenen Maßnahmen gewirkt hat. Im Gegenteil, die deutsche Wirtschaft liegt nicht zuletzt infolge der in den vergangenen Jahren immer weiter eskalierten Sanktionen bereits am Boden, und eine weitere Verschärfung würde diese Lage nur noch weiter verschlechtern. Dennoch erneuerte der neue Bundeskanzler Friedrich Merz am 12. Mai in Berlin seine Kriegsrhetorik. Zwar blieb er vage, was geschehen soll, wenn Putin das europäische Ultimatum nicht akzeptiert, aber er hatte schon vor der Abreise nach Kiew gewarnt, alle militärischen Optionen lägen auf dem Tisch, auch die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern.
Tatsächlich kann nichts von dem, was die Europäer der Ukraine anbieten oder als ihre eigene Aufrüstung planen, Rußland in den kommenden Jahren militärisch ernsthaft bedrohen. Sie zielen jedoch darauf ab, den Friedensprozeß zu stören und den Krieg zu verlängern. Darüber hinaus würden diese Maßnahmen den letzten Rest an wirtschaftlichen und diplomatischen Beziehungen zu Rußland ruinieren, ganz besonders für Deutschland, das in Moskau jetzt an die Spitze der Liste feindlicher Länder rückt.
Die neue Berliner Regierung scheint das bestätigen zu wollen. Außenminister Johann Wadephul, ein Bundeswehr-Reserveoffizier, ist ein führender NATO-Hardliner gegen Rußland, und Verteidigungsminister Boris Pistorius, der als einziger Minister der Ampelregierung im Amt bleibt, bekräftigte seine Entschlossenheit, Deutschland in den nächsten Jahren „kriegstüchtig“ zu machen. Pistorius verwaltet auch den 400 Mrd. €-Sonderfonds zur Aufrüstung, der im März in Kraft trat.
Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico kommentierte das Verhalten der „Koalition der Willigen“ auf einer Pressekonferenz am 11. Mai nach seinem Moskau-Besuch: „Ich bin schockiert, wenn es einen Vorschlag gibt, daß sich Russen und Ukrainer am 15. Mai in Istanbul zu direkten Gesprächen treffen können, bei denen konkrete Ergebnisse erzielt werden können, und ich dann Aussagen aus Deutschland und Frankreich höre, daß sie damit nicht einverstanden sind. Was haben sie überhaupt damit zu tun? Ist das nicht eine Angelegenheit, über die die Ukraine entscheiden muß?“
Fico warnte, wenn die westlichen Unterstützer Kiews nicht aufhören, sich einzumischen, und nicht anfangen, „grundlegende Dinge zu respektieren“, wie das Recht Rußlands und der Ukraine, eine Einigung untereinander auszuarbeiten, dann werde der Konflikt noch Jahre andauern. Er verurteilte die Einmischung des Westens, die zum Scheitern der früheren Friedensgespräche zwischen Rußland und der Ukraine im April 2022 in Istanbul führte: „Alles war bereit, die Ukraine war bereit, ein Friedensabkommen zu unterzeichnen, aber dann kamen die großen Jungs aus dem Westen und sagten Nein, wir müssen diesen Krieg nutzen, um die Russen zu schlagen.“
Fico fuhr fort: „Viele westliche Länder wollen wirklich, daß dieser Krieg weitergeht.“ Er hoffe jedoch, daß sich das ändert, sobald Rußland und die Ukraine sich zu Gesprächen zusammensetzen. „Das ist in erster Linie eine Angelegenheit zwischen der Ukraine und Rußland. Wenn sie an einer Zusammenarbeit interessiert sind, werden sie daran arbeiten.“
Die russische Regierung gab bekannt, daß ihre Delegation in Istanbul von demselben Vertreter, Wladimir Medinski, geleitet wird wie schon 2022. Und schließlich erklärte sich auch Präsident Selenskyj nach viel Theater doch noch bereit, eine Delegation nach Istanbul zu entsenden: „Trotz der relativ niedrigen Ebene der russischen Delegation möchten wir aus Respekt vor Präsident Trump, aus Respekt vor der hohen Ebene der türkischen Delegation und vor Präsident Erdogan dennoch versuchen, zumindest erste Schritte in Richtung eines Waffenstillstands zu unternehmen. Daher habe ich beschlossen, unsere Delegation jetzt nach Istanbul zu entsenden...“
Der Sonderbeauftragte des russischen Präsidenten, Kirill Dmitrijew, faßte die hoffnungsvolle Lage wie folgt zusammen: „Präsident Donald J. Trump, J.D. Vance, Steve Witkoff, Minister Marco Rubio und wichtige Verbündete Trumps haben gerade das Unmögliche möglich gemacht. Allen Widrigkeiten und heftigem Widerstand zum Trotz werden die ersten direkten Friedensgespräche zwischen Rußland und der Ukraine seit drei Jahren beginnen. Wenn sie nicht in letzter Minute noch scheitern, könnte das ein historischer Schritt in Richtung Frieden sein.“
Am Freitag, dem 16. Mai, saßen sich dann tatsächlich zum ersten Mal seit April 2022 Delegationen der Ukraine und Rußlands an einem Tisch gegenüber, um direkte Gespräche über einen Ausweg aus diesem unnötigen Konflikt zu führen. Ob sie zu einem Ergebnis kommen, wird davon abhängen, ob es gelingt, den Einfluß der europäischen Kriegspartei einzudämmen. Bislang haben sich Präsident Trump und sein Team von den Manövern der Koalition der europäischen „Möchtegerne“ nicht täuschen lassen, und die Russen haben dies eindeutig zur Kenntnis genommen.
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