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Neue Solidarität
Nr. 36, 5. September 2024

Schon wieder ein deutscher Sonderweg?
Deutschland wird zur Zielscheibe im kommenden Atomkrieg!

Von Helga Zepp-LaRouche

Nachdem im Krieg um die Ukraine eine rote Linie nach der anderen überschritten worden ist und inzwischen weitreichende Waffen tief im russischen Territorium  eingesetzt werden, von denen vor kurzem noch gesagt wurde, daß sie zum Dritten Weltkrieg führen würden, befindet sich die NATO – spätestens mit dem ukrainischen Vorstoß in die Kursk-Region – voll im Krieg mit Rußland. Denn die Kursk-Operation erfolgte mit der vollen Unterstützung der NATO und der Vereinigten Staaten und deren Ausbildungsstandard, Satelliten- und Luftaufklärung, sowie Befehl- und Kontrollstrukturen auf modernstem Niveau. Während die ukrainischen Truppen an der Front im Donbaß aufgerieben werden, wurde die einzige Brigade, die auf Top-NATO-Niveau ausgebildet und ausgerüstet ist, in die Kursk-Region entsandt. Um mit den eroberten Gebieten Verhandlungsmasse bei kommenden Friedensgesprächen zu haben? Das Gegenteil ist der Fall; durch den Einmarsch ist die Verhandlungsoption vom Tisch.

Der italienische Militäranalyst Gianandrea Gaiani beschrieb das Vordringen nach Kursk als eine kleinere Neuauflage der Ardennen-Offensive der Wehrmacht, bei der die ukrainischen Truppen trotz massiver Verluste im Donbaß versuchen, mit einer auf NATO-Niveau ausgebildeten Brigade in russisches Territorium vorzustoßen. Aber in Kursk startete auch die Wehrmacht im Sommer 1943 unter dem Namen „Unternehmen Zitadelle“ die letzte große Offensive im Osten – die größte Panzerschlacht in der Geschichte. Insgesamt verloren eine Million Soldaten das Leben, die größten Verluste erlitten die sowjetischen Soldaten mit 800.000 Toten. Insgesamt verloren im Zweiten Weltkrieg 27 Millionen Sowjetbürger ihr Leben, und das ist der Grund, warum der „große vaterländische Krieg“, wie er in Rußland genannt wird, heute noch in der gesamten Bevölkerung eine lebendige Erinnerung ist. Daß bei der Kursk-Invasion heute wieder deutsche Panzer teilnehmen, dürfte in Rußland heftigste Reaktionen auslösen.

Aber noch auf andere Weise bringt sich die Geschichte in Erinnerung: Es zeichnet sich erneut ein „deutscher“ Sonderweg ab, der schon einmal die europäischen Nachbarn und die Welt erschüttert hat.

Am 20. August berichtete die New York Times, daß Präsident Biden bereits im März eine neue geheime Nuklearstrategie unterzeichnet hat, in der die US-Streitkräfte angewiesen werden, sich auf eine kommende gleichzeitige Konfrontation mit Rußland, China und Nordkorea vorzubereiten. Offensichtlich bildete diese geheime Nuklearstrategie auch die Grundlage für die Teilnahme der USA am NATO-Gipfel vom 9-11. Juli in Washington. Am Ende des NATO-Gipfel überraschte Bundeskanzler Scholz die Welt mit der Ankündigung, die USA hätten beschlossen, ab 2026 in Deutschland amerikanische Mittelstreckenraketen zu stationieren, und das sei eine „gute Entscheidung“. Wohlbemerkt: nicht etwa die NATO oder Deutschland und die USA gemeinsam hätten das gemeinsam beschlossen, sondern die USA allein, unilateral.

Nun berichtet der renommierte Sicherheitsexperte Wolfgang Richter in einer von der Friedrich-Ebert-Stiftung herausgegebenen Erklärung mit dem Titel „Stationierung von U.S. Mittelstreckenraketen in Deutschland – Konzeptioneller Hintergrund und Folgen für die europäische Sicherheit“, daß es zwar im Vorfeld des Gipfels dazu geheime bilaterale Regierungskonsultationen gegeben habe, es aber keine gemeinsame Bündnisentscheidung sei und die gemeinsame Erklärung des Gipfels dazu keine Stellung beziehe. Eine breite Befassung des Bündnisses mit der Stationierungsfrage habe offenbar nicht stattgefunden.

Anders als beim Nachrüstungsbeschluß der NATO von 1979 sei der Erklärung keine intensive Bündnisdiskussion vorangegangen, in der Deutschland seine nationalen Interessen hätte vertreten können. Damals sei die Entscheidung von vier weiteren Bündnispartnern mitgetragen worden, heute beträfe sie nur Deutschland allein, habe aber trotzdem erhebliche Auswirkungen auf die Sicherheitslage aller. Kleinere Staaten könnten sich überrollt fühlen, woraus sich politischer Sprengstoff entwickeln und das Bündnis spalten könne. Unklar sei auch, wer die Befehlsgewalt über den Einsatz der Raketen hätte, falls diese nur bei den USA lägen, hätte Deutschland sein Schicksal in einem Konfliktfall den strategischen Interessen der USA ausgeliefert.

Wenn die Raketen erst einmal stationiert sind, ist natürlich die ganze europäische Sicherheitsstruktur betroffen, ohne das die Bürger Italiens, der Slowakei, Frankreichs oder der Niederlande auch nur ein Wort mitzureden hätten. Und wie kann man die Souveränität Deutschlands so mit Füßen treten? Es ist unfaßbar, daß Olaf Scholz diesem neuen deutschen Sonderweg zugestimmt hat! Ohne Debatte im Bundestag, ohne Diskussion in der Öffentlichkeit!

In den zusammenfassenden Schlußfolgerungen schreibt Wolfgang Richter:

Diese Diskussion muß augenblicklich beginnen, denn angesichts der gegenwärtigen Eskalation, bei der insbesondere britische Politiker, Denkfabriken und Medien das Spiel mit dem atomaren Feuer täglich lauter propagieren, ist es keineswegs sicher, ob die strategische Krise nicht schon lange vor 2026 aus dem Ruder läuft. Die gefährlichste Selbsttäuschung ist das von den Falken verbreitete Narrativ, es gebe in der Konfrontation mit Rußland keine roten Linien. Immerhin habe man von Helmen über Leopard-Panzer bis zu Marschflugkörpern und F16 alles geliefert, ohne daß Putin seine Drohungen wahr gemacht hätte, heißt es da.

Dies übersieht, daß die „militärische Spezialoperation“ selbst schon die Antwort auf die Überschreitung mehrerer roten Linien war. Der bekannte Sicherheitsexperte Dmitri Trenin schreibt dazu:

Die ständige Eskalation des Krieges durch die NATO erhöht jedoch die Wahrscheinlichkeit, daß Moskau seine von Anfang an den Tag gelegte Zurückhaltung aufgibt und zu Schlägen gegen Ziele in den Gebieten der am aktivsten am Krieg beteiligten NATO-Staaten übergeht.“

Das betrifft natürlich eine ganze Reihe von Zielen in Deutschland. Gleichzeitig warnen russische Regierungsvertreter aber auch vor der Illusion, daß die Ausweitung des Kriegs, auch atomar, auf Europa begrenzt bliebe. Der Kreml hat deutliche Warnungen ausgesprochen, daß der Preis für die Angriffe auf Rußland der Verlust der Staatlichkeit der USA sein könnte.

Alle Experten, die nicht die NATO-Narrative vertreten, warnen, daß wir noch nie so nahe am Dritten – atomaren und damit letzten – Weltkrieg waren wie heute. Anfang der 80er Jahre, als die Mittelstreckenraketen-Krise ebenfalls die Vorwarnzeit bis zum Start der SS20- und Pershing-II-Raketen auf wenige Minuten reduziert hatte, waren viele Hunderttausende von Menschen auf der Straße, weil sie wußten, wie nahe die Welt vor der totalen Vernichtung stand. Heute, wo die Situation wesentlich gefährlicher ist, weil alle Abrüstungs- und Waffenkontrollverträge längst den Bach hinunter gegangen sind, schlafwandelt der größte Teil der Bevölkerung auf den Abgrund zu, hinter dem es nur das große Nichts gibt. Die Menschheit und alles, was sie jemals hervor gebracht hat, drohen ausgelöscht zu werden.

In den nächsten Wochen und Monaten müssen wir die Menschen aufrütteln und zu Millionen auf die Straßen gehen, um unseren Friedenswillen klar und deutlich zu bekennen. Wir müssen die Politiker an das Friedensgebot des Grundgesetzes erinnern und alle die aus dem Amt wählen, die in diesem Sinn gegen das Grundgesetz verstoßen.

Wir brauchen gleichzeitig eine umfassende inklusive nationale Debatte über die wirklichen Sicherheitsinteressen Deutschlands, die ja wohl nicht darin bestehen können, daß Deutschland im Ernstfall ausgelöscht wird.

Wir brauchen eine neue globale Sicherheits- und Entwicklungsarchitektur, die in der Tradition des Westfälischen Friedens die Interessen aller Nationen auf dieser Welt berücksichtigt.

Wir in Deutschland haben eine besondere Verantwortung, die Erfahrung zweier Weltkriege auf unseren Boden in die internationale Diskussion mit einzubringen, und aus der Tradition unserer großen humanistischen Dichter, Komponisten und Philosophen die Vision für den Frieden auf der Welt zu verwirklichen, die den Krieg als Mittel der Konfliktlösung für immer ad acta legt.

Nur Millionen von Menschen in den Straßen können den drohenden Weltkrieg verhindern!

Die NATO verstößt gegen das Friedensgebot des Grundgesetzes!

 


(Dieser Text wird bei Demonstrationen und Kundgebungen am Antikriegstag, dem 1. September 2024, als Flugblatt verteilt.)

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