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Neue Solidarität
Nr. 47, 21. November 2024

Ein neues Kapitel der Weltgeschichte:
Was schreiben wir auf die leeren Seiten?

Von Alexander Hartmann

In einem Interview mit seiner Bewegung „Our Country, Our Choice“ forderte der bekannte amerikanische Kommentator Oberst a.D. Douglas Macgregor am 8. November ein tiefgreifendes politisches Umdenken nach der US-Präsidentschaftswahl. Rußland und China seien das deutlichste Beispiel für das Scheitern der bisherigen Politik, sagte Macgregor. Es sei bloßes Gerede, daß die USA China „bestrafen“ wollen. „Wie wollen wir das anstellen, wenn Chinas Exporte in den Globalen Süden im vergangenen März Berichten zufolge 1,6 Billionen US-Dollar pro Jahr betrugen, eine Zahl, die viermal so hoch ist wie Chinas Exporte in die USA und mehr als ihre Exporte in die USA, Europa und Japan zusammen?“

Die USA hätten es sich auch zum Ziel gesetzt, Rußland zu bestrafen. Damit „sind wir verantwortlich für den Tod von mindestens 600.000 ukrainischen Soldaten und wahrscheinlich 1,2 bis 1,5 Millionen Verwundeten“ und für die Zerstörung der ukrainischen Nation, während Rußland, dessen Ziel in der Ukraine nur die Verteidigung der russischsprachigen Bevölkerung und nicht die Eroberung Osteuropas gewesen sei, davon profitiert habe.

„Die Menschen denken diese Dinge nicht zu Ende“, sagte Macgregor. „Wir müssen die ganze Idee von Sanktionen, Schikanen und Drohungen aufgeben. Wir müssen ein leeres Blatt Papier nehmen und ganz von vorne anfangen.“ Macgregor, der in Trumps erster Amtszeit kurzzeitig als leitender Berater des Verteidigungsministers tätig war, verwies auf „die sich abzeichnende Finanzkrise“ als eine Möglichkeit, die den USA dabei helfen könnte, genau das zu tun.

Macgregor hat Recht. Aber was sollen wir auf dieses leere Blatt Papier schreiben? Was ist der Inhalt der Politik, die an die Stelle von Sanktionen, Schikanen und Drohungen treten soll, einer Politik, die die Gefahr eines thermonuklearen Krieges mit Rußland und/oder China für immer beseitigt, indem sie die Ursache der Politik beseitigt, die diese Gefahr geschaffen hat?

Tatsächlich gibt es seit dem 5. November auf internationaler Ebene eine freiere Diskussion – die sich hoffentlich bald zu einem Dialog zwischen den Nationen entwickelt –, wie die aktuelle Lage der Welt wirklich aussieht und was angesichts davon zu tun ist.

So sagte der russische Ökonom Sergej Glasjew unmittelbar nach der US-Wahl: „Wie wir vorausgesagt haben, wird der hybride Weltkrieg, den die amerikanische Macht- und Finanzelite 2001 mit dem Angriff der US-Geheimdienste auf die Twin Towers in New York begonnen hat, um die Weltherrschaft zu erlangen, im nächsten Jahr mit der allgemeinen Anerkennung seiner Niederlage und dem Abschluß des Übergangs zu einer neuen Weltwirtschaftsordnung enden. Die Welt wird polyzentrisch und mit polyzentrischen Währungssystemen ausgestattet sein, die Bedeutung der nationalen Souveränität und des Völkerrechts wird wiederhergestellt werden.“

Das sind erstaunliche Aussagen, aber sie sind eine gute Herausforderung als Ausgangspunkt für eine Diskussion. So brachte Wladimir Putin im Waldai-Diskussionsklub die erfreulichere Idee in die Debatte, daß wir auf eine „polyphone“ Weltordnung, keine „polyzentrische“, zugehen (siehe Seite 4). Mitglieder und Partner des Schiller-Instituts werden darüber auf der Konferenz „Im Geiste Schillers und Beethovens werden alle Menschen Brüder!“ am 7. und 8. Dezember diskutieren, die niemand versäumen sollte.1

Auch ein Führungswechsel erforderlich

Der friedliche „Abschluß des Übergangs zu einer neuen Weltwirtschaftsordnung“, den Glasjew erhofft, könnte natürlich auch ausbleiben. Jedenfalls ist es undenkbar, daß er ohne einen grundlegenden Wandel in der politischen Führung Europas und der Vereinigten Staaten geschieht, ohne dies wird es wahrscheinlich zu einem thermonuklearen Krieg kommen. Doch solche abrupten und unerwarteten Führungswechsel treten manchmal dort auf, wo man sie am wenigsten erwartet. Wie der große Ökonom und Staatsmann Lyndon LaRouche einmal schrieb: „Wenn man vorschlägt, bestehende Regierungen zur unmittelbaren Umsetzung (einer bestimmten Politik) zu zwingen, dann muß dieses Ziel rein formal unmöglich erscheinen. Aber wenn man die Möglichkeit einer schnellen Abfolge von Zwischenschritten klar versteht, sind die Schwierigkeiten nicht so groß, wie sie auf den ersten Blick erscheinen.“ Für einen Erfolg brauchen wir ein gesamtstrategisches „anti-geopolitisches“ Denken.

Die Möglichkeit, daß die Welt einen Grad an wirtschaftlicher und diplomatischer Übereinstimmung, wenn nicht gar Einigkeit erreicht, um sich durch einen Dialog eine neue Sicherheits- und Entwicklungsarchitektur zu schaffen, ist durchaus real. Es wird jedoch nur funktionieren, wenn die Bevölkerung es durchsetzt. Die amerikanischen Wähler haben einen Anfang gemacht, indem sie eine Politik abwählten, die fast schon garantiert in den Atomkrieg führt.

Helga Zepp-LaRouche, die Gründerin des Schiller-Instituts, formulierte es in ihrem wöchentlichen Internetforum am 13. November so: „Die Herausforderung unserer Zeit für die Vereinigten Staaten und Europa ist es, mit den BRICS-Staaten bei der Entwicklung des Globalen Südens zusammenzuarbeiten.“ Die Weltbühne habe sich dramatisch verändert, seit Donald Trump vor vier Jahren das Weiße Haus verlassen hat, und die Existenz einer Globalen Mehrheit in Form der BRICS-Staaten sei eine neue strategische Realität, die „kein US-Präsident und kein Regierungschef eines Landes ignorieren kann.“

Diese Globale Mehrheit spricht für fast fünf Milliarden Menschen, die entschlossen sind, die Ära von Kolonialismus, Neokolonialismus und Ausplünderung ihrer Volkswirtschaften und ihrer Bevölkerung durch die Wall Street und die Londoner City zu beenden. Europa und die USA können und müssen eine positive Beziehung zu dieser Gruppe von Ländern unterhalten, die ausdrücklich betonen, daß sie keinen Block bilden und für eine Zusammenarbeit mit der Europäischen Union und sogar mit der NATO offen sind.

Grundlage dieser Zusammenarbeit müssen jedoch gemeinsame Anstrengungen bei großen Infrastrukturprojekten sein, wie etwa beim Megahafen Chancay in Peru, der am 14. November vom chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping und der peruanischen Präsidentin Dina Boluarte offiziell eröffnet wurde. Dieser Hafen und der Bau einer transkontinentalen Hochgeschwindigkeits-Eisenbahn von der peruanischen Pazifikküste zu den brasilianischen Atlantikhäfen (in Südamerika „Bi-ozeanischer Korridor“ genannt), sind Beispiele für Projekte, an dem sich westliche Unternehmen Seite an Seite mit China beteiligen sollten. Durch den Export von High-Tech-Investitionsgütern und anderen Produkten kann der Westen dazu beitragen, den Lebensstandard und das Qualifikationsniveau der lokalen Bevölkerung zu verbessern.

Das sollte für Deutschland ganz besonders gelten! Früher haben Persönlichkeiten wie Jürgen Ponto, Hanns Martin Schleyer und Alfred Herrhausen den Bau von Kraftwerken in Afrika ins Spiel gebracht, jetzt sprechen Vertreter des Siemens-Konzerns in einem schwachen Echo davon über den Bau von Kraftwerken – nicht Windkraft oder Solar, sondern Gas- und Dampfturbinenkraftwerke und längerfristig Kernkraftwerke. Dies wäre Teil eines sechsjährigen Industrialisierungsprogramms, um bis 2030, also in nur sechs Jahren, 600 Millionen Menschen in Afrika mit Strom zu versorgen.

Dieser Vorschlag ist nur ein Element einer Rückkehr zu einer „Wirtschaft, die der Menschheit dient“. Er zeigt die Art des Denkens und der Diskussion auf, die zwischen Rußland, China, den Vereinigten Staaten, Deutschland, Indien, Japan und anderen Nationen stattfinden muß. Es weist auch den Weg zur Zusammenarbeit mit den Nationen des Globalen Südens, die zu voll entwickelten Industrienationen werden müssen und können, um endlich wirklich ihren Kolonialstatus abzulegen und ihre Unabhängigkeit zu erlangen, einige von ihnen zum ersten Mal in der Geschichte.

In Verbindung mit den Bemühungen, in Südwestasien „Schwerter zu Pflugscharen“ umzuschmieden – wie z.B. mit Lyndon LaRouches „Oasenplan“ gegen die psychotischen Forderungen des israelischen Finanzministers Bezalel Smotrich nach einer Annexion des Westjordanlandes –, können wir einen Ausweg aus der Überlebenskrise finden. Helga Zepp-LaRouche und ihre Mitarbeiter arbeiten an einem solchen Ansatz, der eine konkrete Umsetzung ihrer „Zehn Prinzipien für eine Neue Sicherheits- und Entwicklungsarchitektur“2 darstellt, die Europa, die USA und die transatlantischen Nationen für die notwendige Zusammenarbeit mit den BRICS-Plus-Staaten übernehmen können.

Die einzigen, die bei dieser amerikanischen Win-Win-Kooperation mit China, Rußland und der Globalen Mehrheit verlieren werden, sind die Spekulationsinteressen der City und der Wall Street, die Drogenmafia und der Militärisch-Finanzielle Komplex. Sie sind es, die den Planeten an den Rand eines vollständigen Finanzzusammenbruchs und an den Rand eines Atomkrieges gebracht haben.

Die neue Regierung in Amerika hat eine historische Chance. Donald Trump „könnte mit einem leeren Blatt neu anfangen“, sagte Zepp-LaRouche. „Er könnte wirklich versuchen, sein Versprechen einzulösen, die Kriege zu beenden und auf jeden Fall keine neuen anzufangen. Wie ich schon zu Beginn seiner ersten Amtszeit gesagt habe: Wenn Trump das täte, könnte er einer der großen amerikanischen Präsidenten werden. Wenn er in die andere Richtung geht, in die Konfrontation, um zu versuchen, Amerika auf Kosten des Aufstiegs Chinas oder anderer Länder ,wieder groß zu machen‘, dann sehe ich leider nur, daß sich die Welt in eine schreckliche Richtung entwickeln wird.“


Anmerkung

1. Konferenz des Schiller-Instituts, „Im Geiste Schillers und Beethovens: Alle Menschen werden Brüder“, am 7.-8. Dezember 2024. Link zur Anmeldung.

2. Helga Zepp-LaRouche, Zehn Prinzipien für eine neue internationale Sicherheits- und Entwicklungsarchitektur.

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