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Helga Zepp-LaRouche: Was ist Ihre Erklärung [für die westliche Politik]? Ich denke an die Reden, die Putin wiederholt gehalten hat, als Clinton im Jahr 2000 Moskau besuchte und als Putin 2001 vor dem Deutschen Bundestag sprach. Er sprach sogar teilweise auf Deutsch. Er zitierte deutsche Dichter und brachte eine sehr zuvorkommende Haltung gegenüber Deutschland zum Ausdruck.
Das halte ich für sehr bemerkenswert, wenn man bedenkt, welche Rolle Deutschland im Zweiten Weltkrieg gespielt hat, in dem 27 Millionen Sowjetbürger getötet wurden, was in den Köpfen der Menschen immer noch sehr, sehr wach ist, wenn sie über den Großen Vaterländischen Krieg reden. Ich fand das Verhalten der Russen in der Zeit der deutschen Wiedervereinigung und auch danach äußerst großzügig! Sie erklärten sich bereit, daß Deutschland in die NATO aufgenommen wird, wenn es keine Ausweitung der NATO nach Osten geben würde.
Was mich wirklich beschäftigt, ist die Frage: Wie können die heutigen Deutschen so nachlässig und ignorant und gleichgültig gegenüber der deutschen Geschichte sein? Wir sollten Rußland doch dankbar sein, daß wir diese friedliche Revolution hatten, die historisch gesehen eine enorme Chance war. Wir hätten eine Friedensordnung haben können, wir hätten uns in einer völlig anderen Ära der menschlichen Zivilisation bewegen können. Ich frage mich immer noch, warum die Leute – oder wenigstens manche – die Russen so sehr hassen, daß sie eher die potentielle Zerstörung der gesamten Zivilisation in Kauf nehmen, anstatt zuzugeben, daß sie falsch lagen.
Matlock: Ich denke, Sie haben in vielerlei Hinsicht recht. Ich war dabei, als unser Außenminister [James Baker] Präsident Gorbatschow und dem sowjetischen Außenminister Schewardnadse wiederholt versicherte, daß die ostdeutschen Länder einfach Teil Deutschlands werden würden, wenn sie der Vereinigung der beiden deutschen Staaten zustimmten, und zwar zu den Bedingungen, die von Westdeutschland festgelegt worden waren, nämlich die Deutsche Demokratische Republik in die westdeutsche Verfassung aufzunehmen. Die sowjetische Position war früher, daß es Verhandlungen zwischen den beiden Staaten geben müßte, aber die Ereignisse in Ostdeutschland machten das unmöglich, als bei den Wahlen im Februar 1990 die CDU die Mehrheit der Stimmen in der Deutschen Demokratischen Republik erhielt.
Jedenfalls wurde damals vereinbart, daß es nach der Wiedervereinigung Deutschlands keine ausländischen Truppen oder Atomwaffen auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik geben dürfe, auch wenn die Vereinbarungen nichts über die NATO-Erweiterung enthielten. Der amerikanische Außenminister, der deutsche Außenminister und meines Wissens auch der britische Premierminister John Major versicherten damals, daß es keine NATO-Osterweiterung geben würde. Wie Minister Baker einmal sagte, „keinen Zoll“. Er bezog sich damals auf das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik, aber das hätte natürlich auch für Osteuropa gegolten. Sie sprachen nicht über Osteuropa, weil es zu dieser Zeit noch den Warschauer Pakt gab. Es war niemals die Rede davon, daß wir die NATO erweitern würden. Die Gespräche drehten sich um Ostdeutschland.
Außerdem verbot der Vertrag jegliche ausländische Basen. Als wir später begannen, die NATO zu erweitern, hatte Präsident Putin zu der Zeit keine Einwände gegen die erste Erweiterung. Er hatte nicht einmal Einwände gegen die Erweiterung auf die drei baltischen Staaten. Als darüber diskutiert wurde, kam er nach New York und hielt eine Rede an der Columbia Universität. Ich unterrichtete damals dort und fragte ihn in einer öffentlichen Sitzung direkt, wie er zur Aufnahme der drei baltischen Staaten in die NATO stehe. Er sagte, er halte das für unnötig, aber er sei nicht dagegen, solange es dort keine ausländischen Stützpunkte gäbe.
Wenn man sagt, daß es sich nur um eine NATO-Erweiterung handelte, wird also ignoriert, daß es sich um eine NATO-Erweiterung plus ausländische Stützpunkte handelte. Man darf nicht vergessen, daß auf den Raketenabwehrbasen, die später in Polen und Rumänien errichtet wurden, Raketen stationiert wurden, die man durch eine Änderung der Software auch offensiv einsetzen kann. Präsident Putin hat also einen guten Grund, sich dagegen zu wehren.
Ja, der gegenwärtige Krieg in der Ukraine ist eine Tragödie, vor allem für die Ukraine, aber auch für Rußland: Denn er wird für Generationen Feindschaft zwischen den beiden Ländern schaffen. Aber Tatsache ist, daß man für den Frieden in Europa eine Lösung finden muß, die nicht auf einer vollständigen Wiederherstellung der Grenzen beruht, die Hitler, Stalin und im Falle der Krim Chruschtschow geschaffen haben. Das ist, glaube ich, eine Tatsache, und warum man das in Europa und insbesondere in Deutschland nicht besser versteht, ist mir unverständlich.
Zepp-LaRouche: Der georgische Staatschef hat gerade gesagt, er glaube, die Europäer seien jetzt ein „Tiefer Staat“ oder mindestens verwandt mit dem, was man in den Vereinigten Staaten „Deep State“ nennt. Ich glaube, das hat etwas mit Geopolitik zu tun, ich glaube, dahinter steckt das Britische Empire. Die Leute denken, das Britische Empire sei verschwunden und existiere nicht mehr. Aber ich bin überzeugt, daß es in einer anderen Form weiter existiert. Vor allem gibt es da den Commonwealth und auch die „Five Eyes“. Dann gibt es die Finanzmächte an der Wall Street und in der Londoner City, die sozusagen die Verlängerung des Britischen Empire sind, weil sie einen Großteil der Bedingungen für Kredite, Handel und so weiter kontrollieren.
Ich denke, wenn man sich die Rolle der Briten in diesem Konflikt anschaut, dann waren sie immer die Anstifter. Keir Starmer kam in der letzten Phase der Biden-Administration nach Washington und drängte Biden, Langstreckenraketen gegen russisches Territorium einzusetzen.
Wie sehen Sie die Rolle der Briten in der anglo-amerikanischen Sonderbeziehung?
Matlock: Ich denke, Sie haben richtig diagnostiziert, daß es sich um eine Art Empire-Nostalgie handelt, die Rußland sozusagen als ewigen Feind darstellt. Es gab natürlich eine Rivalität zwischen beiden im Krimkrieg und dann eine Rivalität um die Kontrolle über Afghanistan, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht, und so weiter. Es ist wohl so, daß die Amerikaner in den Köpfen vieler Menschen zu den Vollstreckern geworden sind, die eine Art Britisches Empire wiederherstellen wollen, das von derselben Haltung inspiriert ist. Aber ich glaube nicht, daß das im Interesse der Menschen im Vereinigten Königreich ist…
Man sollte auch nicht den aggressiven Überfall auf den Irak vergessen, den die Regierung Bush junior auf der Grundlage falscher Beweise durchgeführt hat, von denen sie wußte, daß sie falsch waren, wenn man zurückblickt. Wer waren dabei unsere wichtigsten Verbündeten? Nun, die Briten.
Nochmals, ich glaube nicht, daß das wirklich im Interesse der Briten ist, aber es gibt wohl viele Emotionen und Gedanken an das alte Empire, insbesondere zu Orten wie der Krim, die im 19. Jahrhundert von den Briten angegriffen wurde.
Wußten Sie übrigens, daß der große Schriftsteller und spätere Pazifist Leo Tolstoi im Krimkrieg als russischer Artillerieoffizier an der Verteidigung der Krim teilgenommen hat? All diese Dinge, über die wir heute streiten, sind für die Russen emotional ein fester Bestandteil ihrer eigenen Geschichte.
Westeuropäer und Amerikaner sollten deshalb verstehen, daß der Ukrainekonflikt im wesentlichen ein Bürgerkrieg zwischen Ostslawen ist, in dem es darum geht, wer wo herrscht. Wie andere Bürgerkriege wird er durch die Einmischung anderer nur verschärft. Das hätte man ohne totalen Krieg lösen können, wenn man das Minsker Abkommen eingehalten hätte, aber die Unterzeichner Frankreich und Deutschland haben es gebrochen.
Jetzt hört man: „Ach, Wladimir Putin kann man nicht trauen.“ Wenn man sich anschaut, was er gesagt hat und was andere gesagt haben, würde ich sagen, daß Frankreich und Deutschland mehr Vereinbarungen gebrochen haben als er. Jeder hat Zusagen gebrochen, aber in diesem Fall handelt es sich meiner Meinung nach einen Versuch, Rußland einzudämmen und seinen Einfluß zu begrenzen. Natürlich ist es schwächer als die Vereinigten Staaten, aber Tatsache ist, daß wir – wie unser ehemaliger Verteidigungsminister sagte – mit dem Versuch, Rußland zu schwächen, die Welt eher spalten und uns und der gesamten Menschheit mehr Probleme bereiten.
Zepp-LaRouche: Ich glaube, daß auch die Vereinigten Staaten in einer Krise stecken. Auf der Konferenz von Bandung, der ersten asiatisch-afrikanischen Konferenz der Bewegung der Blockfreien Staaten, sprachen die Präsidenten Sukarno und Nehru darüber, daß der Unabhängigkeitskrieg der Vereinigten Staaten der erste antikoloniale Krieg eines Landes war. Ich denke, es wäre gut, wenn die Menschen in den Vereinigten Staaten einfach mal auf ihre eigene Geschichte zurückblicken würden, um zu sehen, was die Intention der amerikanischen Republik von Benjamin Franklin und den Gründervätern war, und von John Quincy Adams, der bekanntlich sagte, es sei nicht der Zweck der Vereinigten Staaten, „im Ausland nach Ungeheuern zu suchen“. Alexander Hamilton hat das Amerikanische Wirtschaftssystem geschaffen.
Das war eine Zeit, in der viele Menschen überall auf der Welt die Amerikanische Revolution als einen Wendepunkt der Geschichte betrachteten, denn Europa wurde immer noch von Monarchien und Oligarchien beherrscht, während Amerika eine Republik sein sollte. Sie sollte dem Gemeinwohl dienen, und zwar nicht nur dem der Menschen heute, sondern auch dem zukünftiger Generationen, wie es in der Präambel der Verfassung heißt.
Und dann ist da noch die Unabhängigkeitserklärung. Als ich vor 41 Jahren das Schiller-Institut gründete, suchte ich nach einem Dokument, das als Grundlage für das Statut des Schiller-Instituts dienen könnte. Und ich fand, daß die Unabhängigkeitserklärung dem, was wir erreichen wollten, am nächsten kam. Ich habe nur sechs Wörter geändert. Zum Beispiel sagte ich „Entwicklungsländer“ statt „amerikanische Kolonien“; statt „Kolonialherr“ sagte ich „Finanzkreditsystem“ oder Finanzkontrolle des Systems. Indem ich nur fünf oder sechs Wörter änderte, machte ich es auf die ganze Welt anwendbar. Ich wollte, daß die Amerikaner sich auf ihre eigene stolze Tradition besinnen, und ich wollte, daß die Amerikaner auch sehen, daß andere Länder die gleichen Rechte haben wie sie; und daß andere Länder sehen, was der bessere Geist der Vereinigten Staaten ist.
Was wäre Ihrer Meinung nach notwendig, um diese stolze Tradition Amerikas wiederzubeleben und sich dem Griff des Britischen Empire zu entziehen?
Matlock: Ich glaube, am Ende des Kalten Krieges haben die Amerikaner und unsere westeuropäischen Verbündeten einfach eine falsche Doktrin übernommen. Es scheint so, als hätten wir diese alte sowjetische Vorstellung, daß der Kommunismus durch eine Revolution die Welt erobern würde und es daher ihre historische Pflicht wäre, Revolutionen in allen möglichen Ländern zu unterstützen, mit geringfügigen Änderungen übernommen.
Tatsache ist natürlich, daß diese Revolutionen nicht den Sozialismus hervorbrachten, den Marx beschrieben hatte. Sie haben totalitäre Systeme hervorgebracht. Aber es gab eine andere Annahme: Wenn man „sozialistisch“ war, also von der Sowjetunion beherrscht wurde, dann war man befreundet. Natürlich ging es um die sowjetische Vorherrschaft. Aber dann haben sich andere Länder wie das marxistische Jugoslawien, Albanien und China unter Mao Zedong zurückgezogen. Die Vorstellung, daß das die Zukunft der Welt wär, war also schlicht falsch.
Als die Sowjetunion zusammenbrach, sagten unsere Philosophen, das sei das Ende der Geschichte. In einer verzerrten Anlehnung an Hegel sagten sie, diesmal würden die Demokratie und der Kapitalismus die Welt erobern. Und es sei die Pflicht der Vereinigten Staaten, als führendes demokratisches und kapitalistisches Land die Demokratie in der übrigen Welt zu verbreiten.
Daran ist einiges falsch. Eine Sache, die sicher nicht stimmt, ist, daß man Freunde sein wird, nur weil man die gleiche Regierungsform hat. Ob man Freund ist oder nicht, hängt von vielen Dingen ab.
Zweitens kann ein Land keine Demokratie in einem anderen Land errichten. Wie Lincoln einmal sagte: „eine Regierung des Volkes, durch das Volk und für das Volk“. Wie kann die dann ein anderer schaffen? Wenn sich andere Länder in die Innenpolitik einmischen, schaden sie eher den Menschen, denen sie helfen wollen.
Sie haben John Quincy Adams sehr treffend zitiert, denn als er warnte und sagte: „Amerika geht nicht ins Ausland, um Ungeheuer zu vernichten“. Und in seiner sehr blumigen Sprache sagte er auch: Wenn die Vereinigten Staaten sich in die Auseinandersetzungen in Europa einmischen und die eine oder andere Seite in diesen Auseinandersetzungen unterstützen, dann wird Amerika selbst zu einem Imperium. Davor hat er gewarnt.
Jetzt haben wir einen Präsidenten, der Präsident McKinley sehr bewundert. Das war die Zeit, in der die Vereinigten Staaten offen imperialistisch wurden. Die amerikanische Außenpolitik schwankte in vielerlei Hinsicht. Aber daß wir anfingen, außerhalb Nordamerikas zu expandieren, das passierte unter McKinley. McKinley scheint Präsident Trumps Idol zu sein. Er zitiert ihn oft, und er wollte sogar den Berg in Alaska wieder in Mount McKinley umbenennen, anstatt in Denali, wie die Menschen dort ihn ursprünglich nannten. Das ist eines unserer Probleme: Es scheint, daß Trump zu einer Zeit zurückkehren will, die langfristig nicht besonders erfolgreich war.
Ich würde aber sagen, die amerikanische Politik schwankt, das war schon immer so. Sie war nie geradlinig. Ich denke, was wir erleben werden, ist in vielerlei Hinsicht ein Scheitern der gegenwärtigen Politik und sicherlich der gegenwärtigen kriegerischen Art und Weise, in der Zölle eingesetzt werden. Wir heizen die Kriege im Nahen Osten weiter an, wir liefern die Waffen für einen eindeutig völkermörderischen Krieg gegen Gaza und so weiter. Ich fürchte, es wird noch viele Dinge geben, die nicht gut ausgehen.
Aber ich würde auch sagen, daß es sehr schnell zu unerwarteten Wendungen kommen kann. Als ich Präsident Reagan am Ende des Kalten Krieges beriet, konnten wir innerhalb von drei Jahren eine sehr angespannte Situation umdrehen. Ich glaube also, daß Unerwartetes passieren kann. Aber eines ist sicher: Die Vorstellung, daß es eine Zukunft gibt, in der man versucht, die Welt in Ost und West aufzuteilen und militärische Mittel einzusetzen, ist meiner Meinung nach für alle katastrophal. Je schneller wir davon wegkommen, desto besser für alle.
Zepp-LaRouche: Ich bin seit langem der Meinung, daß wir an einem Punkt in der Geschichte der Menschheit angelangt sind, an dem wir ein neues Kapitel aufschlagen müssen. Wir brauchen ein neues Paradigma, das sich ebensosehr von der Gegenwart unterscheiden muß wie die Neuzeit vom Mittelalter.
Im 14. Jahrhundert, zur Zeit des Schwarzen Todes, herrschten Aberglauben und Hexenglauben; die Peripatetiker diskutierten darüber, wie viele Engel auf einer Nadelspitze sitzen könnten. Das war alles sehr rückständig.
Dann kam die italienische Renaissance und die Neuzeit begann; die Urbanisierung spielte eine größere Rolle. Die Rolle des Individuums wurde deutlicher; Wissenschaft und Technologie trugen zur Verbesserung des Lebensstandards der Menschen bei; es gab den Buchdruck. Die heutige Zeit hat ganz andere Axiome, was das Menschenbild und die Natur des Universums betrifft.
Ich glaube, wir haben einen Punkt in der Geschichte erreicht, an dem wir wirklich über das neue Paradigma nachdenken müssen. Lassen wir den Imperialismus, den Oligarchismus und die Habgier, die wir heute erleben, hinter uns und denken wir darüber nach, was uns als Menschheit auf eine ganz andere Ebene bringt.
Denn von allen Lebewesen, die es im Universum gibt, ist der Mensch die einzige schöpferische Gattung. Wir können immer Lösungen für Probleme finden. Wir können wissenschaftliche Entdeckungen machen, die unsere Lebensweise völlig verändern und die Lebenserwartung und den Lebensstandard von immer mehr Menschen verbessern. Ich glaube, daß wir jetzt wirklich herausgefordert sind, eine Ordnung zu schaffen, die das Überleben aller Nationen auf diesem Planeten ermöglicht und dabei die Interessen jeder Nation auf diesem Planeten berücksichtigt. So wie es der Westfälische Friede zum ersten Mal getan hat. Ich glaube, daß man wirklich die Interessen aller berücksichtigen muß, denn sonst werden die Interessen von niemandem berücksichtigt.
Ich hoffe, daß einige führende Persönlichkeiten in der Welt auf die Idee kommen, ein neues Paradigma zu schaffen, eine neue Sicherheits- und Entwicklungsarchitektur, die genau das tut. Würden Sie mir freundlicherweise sagen, was Sie von einer solchen Idee halten?
Matlock: Ich denke, Sie haben Recht: Wir müssen einen Weg zu einer Weltordnung finden, die unterschiedliche Kulturen toleriert. Wir müssen erkennen, daß es, so wichtig einige Ideen der westlichen Renaissance und die Entwicklung des Völkerrechts sind, auch andere Zeiten gab. Während des finsteren Mittelalters in Westeuropa waren Byzanz und der Orient weitaus erfolgreicher. Sogar im frühen Mittelalter waren viele Aspekte der muslimischen Gesellschaft, insbesondere in Spanien, liberaler und vernünftiger als die vorherrschenden westlichen Ideen. Der Aufstieg Europas und seine zeitweilige Vormachtstellung über den Rest der Welt waren also nur vorübergehend, und sie brachten die Last eines impliziten Rassenwahns mit sich, einer Vormachtstellung über die Kolonien anderswo. Wir sehen immer noch Entwicklungen, die daraus erwachsen.
Aber ich denke, wenn wir uns heute Sorgen über den „chinesischen Einfluß“ machen, dann sehe ich, daß dieser Einfluß durch die chinesische Wirtschaftspolitik, durch chinesische Investitionen und Verkäufe in verschiedenen Ländern entsteht. Soweit ich weiß, hat China mit Ausnahme einiger umstrittener Inseln im Südchinesischen Meer keine Militärstützpunkte außerhalb seiner Grenzen, während die USA über 80 Stützpunkte in mehr als 80 Ländern unterhalten. Von einer militärischen Bedrohung durch China zu sprechen, halte ich für lächerlich.
Natürlich hat China die Anwendung von Gewalt gegen Taiwan nicht ausgeschlossen, aber Gott bewahre, daß wir deswegen in einen Krieg geraten. Wenn es dazu käme, ist es keineswegs sicher, daß China sich nicht durchsetzen würde. Ich glaube, daß die Idee, den Export von Dingen wie hochentwickelten Chips zu verbieten, dazu führen wird, daß China die Vereinigten Staaten in einigen dieser Technologiebereiche einfach überholen wird. Ich glaube, das hat man nicht erkannt. Aber hinter vielen Dingen in den Vereinigten Staaten steckt das, was ich den Militär-Industrie-Kongreß-Komplex nenne. Scheinbar müssen wir immer irgendwelche Gegner finden, um ein immer größeres sogenanntes Verteidigungsbudget zu finanzieren – eine „Verteidigung“, die immer offensiver wird. Ich glaube nicht, daß das im Interesse des amerikanischen Volkes ist, und ich glaube nicht, daß das im Interesse der übrigen Welt ist.
Zepp-LaRouche: Herr Botschafter, es ist wirklich eine Wohltat, Ihnen zuzuhören, denn ich spreche in diesen Tagen hauptsächlich mit Europäern, und was Sie sagen, ist so viel vernünftiger und aufgeklärter. Wären Sie so freundlich, am Ende unseres Gesprächs auch eine Warnung an unsere Zuhörer auszusprechen, wenn man sieht, was Ursula von der Leyen macht und daß wir demnächst in Deutschland eine neue Regierung unter Herrn Merz haben werden? Sie wollen alle aufrüsten, sie wollen Deutschland kriegstüchtig machen. Können Sie aus Ihrer Erfahrung den Deutschen und den Europäern sagen, wie sie in diesen Fragen umdenken sollten?
Matlock: Ich glaube, daß insbesondere Deutschland, aber auch das übrige Europa, ohne die Zusammenarbeit mit Rußland und dem Osten nicht in der Lage sein wird, sein volles Potential auszuschöpfen. Rußland ist einfach zu groß, es hat so viele Ressourcen. Und natürlich hat es eine Kultur, die europäisch ist, eine der wichtigsten Kulturen für Europa. Mein Eindruck ist, daß Deutschland keinen Wohlstand haben kann, wenn es von Rußland abgeschnitten ist. Schließlich wird die gesamte Energieversorgung durch Rußland billiger. Die deutsche Industrie ist stark davon abhängig. Die jetzigen Zölle der USA, wenn sie denn bleiben, halte ich wirklich für katastrophal. So zu tun, als sei Rußland eine Bedrohung für Deutschland, halte ich für eine sehr gefährliche Illusion.
Zepp-LaRouche: Vielen Dank! Erlauben Sie mir, Ihnen meinen Dank auszusprechen und Ihnen spontan zu sagen, daß Sie ein phantastischer Mensch sind; und ich hoffe, daß Sie uns auch in Zukunft Freude bereiten werden. Vielen Dank.
Matlock: Vielen Dank für die Komplimente und für das Privileg, in Ihrer Sendung sein zu dürfen.
Zepp-LaRouche: Bis bald. Auf Wiedersehen.
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