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Neue Solidarität
Nr. 19, 8. Mai 2025

„Die europäische Politik ist historisch sehr kurzsichtig“

Botschafter Jack Matlock spricht mit Helga Zepp-LaRouche
über die strategische Krise
– Teil 2 –

Die Gründerin des Schiller-Instituts, Helga Zepp-LaRouche, sprach am 9. Mai 2025 in ihrem „Live-Dialog mit Helga Zepp-LaRouche“ eine Stunde lang mit dem früheren US-Botschafter in der Sowjetunion, Jack Matlock, über die aktuelle strategische Krise. Botschafter Matlock war Beamter des Auswärtigen Dienstes der USA und diente während der turbulenten Jahre von 1987 bis 1991, die der friedlichen Auflösung der Sowjetunion vorausgingen, als US-Botschafter in Moskau. Hier ist die Mitschrift ihres Gesprächs (Übersetzung aus dem Englischen, Zwischenüberschriften wurden von der Redaktion hinzugefügt. Den ersten Teil des Interviews finden Sie in Neue Solidarität 18/2025). Den Mitschnitt des Gesprächs mit deutscher Simultanübersetzung finden Sie im Youtube-Kanal des Schiller-Instituts

Matlock: Ich denke, Sie haben in vielerlei Hinsicht recht. Ich war dabei, als unser Außenminister [James Baker] Präsident Gorbatschow und dem sowjetischen Außenminister Schewardnadse wiederholt versicherte, daß die ostdeutschen Länder einfach Teil Deutschlands werden würden, wenn sie der Vereinigung der beiden deutschen Staaten zustimmten, und zwar zu den Bedingungen, die von Westdeutschland festgelegt worden waren, nämlich die Deutsche Demokratische Republik in die westdeutsche Verfassung aufzunehmen. Die sowjetische Position war früher, daß es Verhandlungen zwischen den beiden Staaten geben müßte, aber die Ereignisse in Ostdeutschland machten das unmöglich, als bei den Wahlen im Februar 1990 die CDU die Mehrheit der Stimmen in der Deutschen Demokratischen Republik erhielt.

Jedenfalls wurde damals vereinbart, daß es nach der Wiedervereinigung Deutschlands keine ausländischen Truppen oder Atomwaffen auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik geben dürfe, auch wenn die Vereinbarungen nichts über die NATO-Erweiterung enthielten. Der amerikanische Außenminister, der deutsche Außenminister und meines Wissens auch der britische Premierminister John Major versicherten damals, daß es keine NATO-Osterweiterung geben würde. Wie Minister Baker einmal sagte, „keinen Zoll“. Er bezog sich damals auf das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik, aber das hätte natürlich auch für Osteuropa gegolten. Sie sprachen nicht über Osteuropa, weil es zu dieser Zeit noch den Warschauer Pakt gab. Es war niemals die Rede davon, daß wir die NATO erweitern würden. Die Gespräche drehten sich um Ostdeutschland.

Außerdem verbot der Vertrag jegliche ausländische Basen. Als wir später begannen, die NATO zu erweitern, hatte Präsident Putin zu der Zeit keine Einwände gegen die erste Erweiterung. Er hatte nicht einmal Einwände gegen die Erweiterung auf die drei baltischen Staaten. Als darüber diskutiert wurde, kam er nach New York und hielt eine Rede an der Columbia Universität. Ich unterrichtete damals dort und fragte ihn in einer öffentlichen Sitzung direkt, wie er zur Aufnahme der drei baltischen Staaten in die NATO stehe. Er sagte, er halte das für unnötig, aber er sei nicht dagegen, solange es dort keine ausländischen Stützpunkte gäbe.

Wenn man sagt, daß es sich nur um eine NATO-Erweiterung handelte, wird also ignoriert, daß es sich um eine NATO-Erweiterung plus ausländische Stützpunkte handelte. Man darf nicht vergessen, daß auf den Raketenabwehrbasen, die später in Polen und Rumänien errichtet wurden, Raketen stationiert wurden, die man durch eine Änderung der Software auch offensiv einsetzen kann. Präsident Putin hat also einen guten Grund, sich dagegen zu wehren.

Ja, der gegenwärtige Krieg in der Ukraine ist eine Tragödie, vor allem für die Ukraine, aber auch für Rußland: Denn er wird für Generationen Feindschaft zwischen den beiden Ländern schaffen. Aber Tatsache ist, daß man für den Frieden in Europa eine Lösung finden muß, die nicht auf einer vollständigen Wiederherstellung der Grenzen beruht, die Hitler, Stalin und im Falle der Krim Chruschtschow geschaffen haben. Das ist, glaube ich, eine Tatsache, und warum man das in Europa und insbesondere in Deutschland nicht besser versteht, ist mir unverständlich.

Die Rolle der Briten in den globalen Konflikten

Matlock: Ich denke, Sie haben richtig diagnostiziert, daß es sich um eine Art Empire-Nostalgie handelt, die Rußland sozusagen als ewigen Feind darstellt. Es gab natürlich eine Rivalität zwischen beiden im Krimkrieg und dann eine Rivalität um die Kontrolle über Afghanistan, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht, und so weiter. Es ist wohl so, daß die Amerikaner in den Köpfen vieler Menschen zu den Vollstreckern geworden sind, die eine Art Britisches Empire wiederherstellen wollen, das von derselben Haltung inspiriert ist. Aber ich glaube nicht, daß das im Interesse der Menschen im Vereinigten Königreich ist…

Man sollte auch nicht den aggressiven Überfall auf den Irak vergessen, den die Regierung Bush junior auf der Grundlage falscher Beweise durchgeführt hat, von denen sie wußte, daß sie falsch waren, wenn man zurückblickt. Wer waren dabei unsere wichtigsten Verbündeten? Nun, die Briten.

Nochmals, ich glaube nicht, daß das wirklich im Interesse der Briten ist, aber es gibt wohl viele Emotionen und Gedanken an das alte Empire, insbesondere zu Orten wie der Krim, die im 19. Jahrhundert von den Briten angegriffen wurde.

Wußten Sie übrigens, daß der große Schriftsteller und spätere Pazifist Leo Tolstoi im Krimkrieg als russischer Artillerieoffizier an der Verteidigung der Krim teilgenommen hat? All diese Dinge, über die wir heute streiten, sind für die Russen emotional ein fester Bestandteil ihrer eigenen Geschichte.

Westeuropäer und Amerikaner sollten deshalb verstehen, daß der Ukrainekonflikt im wesentlichen ein Bürgerkrieg zwischen Ostslawen ist, in dem es darum geht, wer wo herrscht. Wie andere Bürgerkriege wird er durch die Einmischung anderer nur verschärft. Das hätte man ohne totalen Krieg lösen können, wenn man das Minsker Abkommen eingehalten hätte, aber die Unterzeichner Frankreich und Deutschland haben es gebrochen.

Jetzt hört man: „Ach, Wladimir Putin kann man nicht trauen.“ Wenn man sich anschaut, was er gesagt hat und was andere gesagt haben, würde ich sagen, daß Frankreich und Deutschland mehr Vereinbarungen gebrochen haben als er. Jeder hat Zusagen gebrochen, aber in diesem Fall handelt es sich meiner Meinung nach einen Versuch, Rußland einzudämmen und seinen Einfluß zu begrenzen. Natürlich ist es schwächer als die Vereinigten Staaten, aber Tatsache ist, daß wir – wie unser ehemaliger Verteidigungsminister sagte – mit dem Versuch, Rußland zu schwächen, die Welt eher spalten und uns und der gesamten Menschheit mehr Probleme bereiten.

Die antikolonialen Wurzeln der Vereinigten Staaten

Matlock: Ich glaube, am Ende des Kalten Krieges haben die Amerikaner und unsere westeuropäischen Verbündeten einfach eine falsche Doktrin übernommen. Es scheint so, als hätten wir diese alte sowjetische Vorstellung, daß der Kommunismus durch eine Revolution die Welt erobern würde und es daher ihre historische Pflicht wäre, Revolutionen in allen möglichen Ländern zu unterstützen, mit geringfügigen Änderungen übernommen.

Tatsache ist natürlich, daß diese Revolutionen nicht den Sozialismus hervorbrachten, den Marx beschrieben hatte. Sie haben totalitäre Systeme hervorgebracht. Aber es gab eine andere Annahme: Wenn man „sozialistisch“ war, also von der Sowjetunion beherrscht wurde, dann war man befreundet. Natürlich ging es um die sowjetische Vorherrschaft. Aber dann haben sich andere Länder wie das marxistische Jugoslawien, Albanien und China unter Mao Zedong zurückgezogen. Die Vorstellung, daß das die Zukunft der Welt wär, war also schlicht falsch.

Als die Sowjetunion zusammenbrach, sagten unsere Philosophen, das sei das Ende der Geschichte. In einer verzerrten Anlehnung an Hegel sagten sie, diesmal würden die Demokratie und der Kapitalismus die Welt erobern. Und es sei die Pflicht der Vereinigten Staaten, als führendes demokratisches und kapitalistisches Land die Demokratie in der übrigen Welt zu verbreiten.

Daran ist einiges falsch. Eine Sache, die sicher nicht stimmt, ist, daß man Freunde sein wird, nur weil man die gleiche Regierungsform hat. Ob man Freund ist oder nicht, hängt von vielen Dingen ab.

Zweitens kann ein Land keine Demokratie in einem anderen Land errichten. Wie Lincoln einmal sagte: „eine Regierung des Volkes, durch das Volk und für das Volk“. Wie kann die dann ein anderer schaffen? Wenn sich andere Länder in die Innenpolitik einmischen, schaden sie eher den Menschen, denen sie helfen wollen.

Sie haben John Quincy Adams sehr treffend zitiert, denn als er warnte und sagte: „Amerika geht nicht ins Ausland, um Ungeheuer zu vernichten“. Und in seiner sehr blumigen Sprache sagte er auch: Wenn die Vereinigten Staaten sich in die Auseinandersetzungen in Europa einmischen und die eine oder andere Seite in diesen Auseinandersetzungen unterstützen, dann wird Amerika selbst zu einem Imperium. Davor hat er gewarnt.

Jetzt haben wir einen Präsidenten, der Präsident McKinley sehr bewundert. Das war die Zeit, in der die Vereinigten Staaten offen imperialistisch wurden. Die amerikanische Außenpolitik schwankte in vielerlei Hinsicht. Aber daß wir anfingen, außerhalb Nordamerikas zu expandieren, das passierte unter McKinley. McKinley scheint Präsident Trumps Idol zu sein. Er zitiert ihn oft, und er wollte sogar den Berg in Alaska wieder in Mount McKinley umbenennen, anstatt in Denali, wie die Menschen dort ihn ursprünglich nannten. Das ist eines unserer Probleme: Es scheint, daß Trump zu einer Zeit zurückkehren will, die langfristig nicht besonders erfolgreich war.

Ich würde aber sagen, die amerikanische Politik schwankt, das war schon immer so. Sie war nie geradlinig. Ich denke, was wir erleben werden, ist in vielerlei Hinsicht ein Scheitern der gegenwärtigen Politik und sicherlich der gegenwärtigen kriegerischen Art und Weise, in der Zölle eingesetzt werden. Wir heizen die Kriege im Nahen Osten weiter an, wir liefern die Waffen für einen eindeutig völkermörderischen Krieg gegen Gaza und so weiter. Ich fürchte, es wird noch viele Dinge geben, die nicht gut ausgehen.

Aber ich würde auch sagen, daß es sehr schnell zu unerwarteten Wendungen kommen kann. Als ich Präsident Reagan am Ende des Kalten Krieges beriet, konnten wir innerhalb von drei Jahren eine sehr angespannte Situation umdrehen. Ich glaube also, daß Unerwartetes passieren kann. Aber eines ist sicher: Die Vorstellung, daß es eine Zukunft gibt, in der man versucht, die Welt in Ost und West aufzuteilen und militärische Mittel einzusetzen, ist meiner Meinung nach für alle katastrophal. Je schneller wir davon wegkommen, desto besser für alle.

Andere Kulturen tolerieren

Matlock: Ich denke, Sie haben Recht: Wir müssen einen Weg zu einer Weltordnung finden, die unterschiedliche Kulturen toleriert. Wir müssen erkennen, daß es, so wichtig einige Ideen der westlichen Renaissance und die Entwicklung des Völkerrechts sind, auch andere Zeiten gab. Während des finsteren Mittelalters in Westeuropa waren Byzanz und der Orient weitaus erfolgreicher. Sogar im frühen Mittelalter waren viele Aspekte der muslimischen Gesellschaft, insbesondere in Spanien, liberaler und vernünftiger als die vorherrschenden westlichen Ideen. Der Aufstieg Europas und seine zeitweilige Vormachtstellung über den Rest der Welt waren also nur vorübergehend, und sie brachten die Last eines impliziten Rassenwahns mit sich, einer Vormachtstellung über die Kolonien anderswo. Wir sehen immer noch Entwicklungen, die daraus erwachsen.

Aber ich denke, wenn wir uns heute Sorgen über den „chinesischen Einfluß“ machen, dann sehe ich, daß dieser Einfluß durch die chinesische Wirtschaftspolitik, durch chinesische Investitionen und Verkäufe in verschiedenen Ländern entsteht. Soweit ich weiß, hat China mit Ausnahme einiger umstrittener Inseln im Südchinesischen Meer keine Militärstützpunkte außerhalb seiner Grenzen, während die USA über 80 Stützpunkte in mehr als 80 Ländern unterhalten. Von einer militärischen Bedrohung durch China zu sprechen, halte ich für lächerlich.

Natürlich hat China die Anwendung von Gewalt gegen Taiwan nicht ausgeschlossen, aber Gott bewahre, daß wir deswegen in einen Krieg geraten. Wenn es dazu käme, ist es keineswegs sicher, daß China sich nicht durchsetzen würde. Ich glaube, daß die Idee, den Export von Dingen wie hochentwickelten Chips zu verbieten, dazu führen wird, daß China die Vereinigten Staaten in einigen dieser Technologiebereiche einfach überholen wird. Ich glaube, das hat man nicht erkannt. Aber hinter vielen Dingen in den Vereinigten Staaten steckt das, was ich den Militär-Industrie-Kongreß-Komplex nenne. Scheinbar müssen wir immer irgendwelche Gegner finden, um ein immer größeres sogenanntes Verteidigungsbudget zu finanzieren – eine „Verteidigung“, die immer offensiver wird. Ich glaube nicht, daß das im Interesse des amerikanischen Volkes ist, und ich glaube nicht, daß das im Interesse der übrigen Welt ist.

Matlock: Ich glaube, daß insbesondere Deutschland, aber auch das übrige Europa, ohne die Zusammenarbeit mit Rußland und dem Osten nicht in der Lage sein wird, sein volles Potential auszuschöpfen. Rußland ist einfach zu groß, es hat so viele Ressourcen. Und natürlich hat es eine Kultur, die europäisch ist, eine der wichtigsten Kulturen für Europa. Mein Eindruck ist, daß Deutschland keinen Wohlstand haben kann, wenn es von Rußland abgeschnitten ist. Schließlich wird die gesamte Energieversorgung durch Rußland billiger. Die deutsche Industrie ist stark davon abhängig. Die jetzigen Zölle der USA, wenn sie denn bleiben, halte ich wirklich für katastrophal. So zu tun, als sei Rußland eine Bedrohung für Deutschland, halte ich für eine sehr gefährliche Illusion.

Matlock: Vielen Dank für die Komplimente und für das Privileg, in Ihrer Sendung sein zu dürfen.

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