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Neue Solidarität
Nr. 43, 24. Oktober 2024

Die moralische Kraft der Nationen für den Frieden mobilisieren

Von Helga Zepp-LaRouche

Die folgende Rede wurde per Video auf der internationalen BRICS-Konferenz „Die BRICS: Entwicklungsstrategien und Kooperationsmechanismen in einer multipolaren Welt“ am 3. Oktober 2024 in Lima in Peru gehalten. (Übersetzung aus dem Englischen, Zwischenüberschriften hinzugefügt.)

Sehr geehrte Konferenzteilnehmer, meine Damen und Herren,

die Spannung in der Weltpolitik war in der Geschichte der Menschheit noch nie so stark wie heute: Auf der einen Seite der Völkermord, der sich vor den Augen der Weltöffentlichkeit abspielt, und die schreckliche Gefahr der möglichen Auslöschung der Menschheit in einem globalen Atomkrieg, und auf der anderen Seite die konkrete Perspektive für die Schaffung eines neuen Wirtschaftssystems, in dem die Bestrebungen der Nationen des Globalen Südens nach Entwicklung, Wohlstand und einem erfüllten Leben für alle seine Bürger bald wahr werden. Diese Spannung kennzeichnet das Ende der Epoche des Kolonialismus, die vor etwa 500 Jahren begann und nun endet – so oder so.

Wie der russische Außenminister Sergej Lawrow kürzlich sagte: Das Ausmaß der Konflikte im besetzten palästinensischen Gebiet und in der libanesisch-israelischen Grenzregion ist beispiellos und destabilisiert ganz Südwestasien und Nordafrika. Laut den beiden amerikanischen Chirurgen Dr. Mark Perlmutter und Dr. Feroze Sidhwa, die gerade aus Gaza zurückgekehrt sind, übersteigt das Ausmaß des Leidens das aller anderen Kriegsgebiete, in denen sie jemals gearbeitet haben. Die Trotzhaltung der Mächte, die die Entscheidungen der höchsten Gerichte dieser Welt nicht respektieren, fördert eine Kriegstreiberei, die darauf abzielt, den Iran und sogar die Vereinigten Staaten in den Konflikt hineinzuziehen, der sich so schnell zu einem Weltkrieg ausweiten würde.

Ebenso steht die Situation zwischen der NATO und Rußland an der Schwelle zu einem globalen Konflikt. Präsident Putin hat gerade eine vorgeschlagene Änderung der russischen Nukleardoktrin angekündigt und erstmals erklärt, daß Rußland auf einen massiven konventionellen Angriff eines nicht-nuklearen Landes mit Atomwaffen reagieren könnte, wenn dieses angreifende Land dabei von einer Atommacht unterstützt wird. Das ist die russische Reaktion auf eine lange Reihe von Provokationen aus dem Westen – angefangen bei den gebrochenen Versprechen an Staatschef Gorbatschow am Ende des Kalten Krieges, die NATO keinen Zentimeter nach Osten auszudehnen, über den vom Westen unterstützten Maidan-Putsch 2014 und die Lieferung immer leistungsfähigerer Waffen an die Ukraine bis hin zur jüngsten Drohung, der Ukraine zu erlauben, diese Waffen für Angriffe „tief in das Gebiet Rußlands hinein“ einzusetzen. Die Ankündigung der neuen russischen Nukleardoktrin könnte buchstäblich die letzte Warnung sein, bevor die Apokalypse über die Menschheit hereinbricht.

Sukarnos prophetische Worte

Die Bemühungen der BRICS-Staaten und der Länder, die eine BRICS-Mitgliedschaft anstreben, haben bereits den „Geist von Bandung“ heraufbeschworen – d.h. ein enormes Gefühl des Optimismus, daß die wirtschaftliche Unabhängigkeit endlich erreicht werden kann. Gleichzeitig ist es aber auch mehr als angebracht, daß wir uns an die Warnungen des indonesischen Präsidenten Sukarno in seiner historischen Rede auf der Bandung-Konferenz im Jahr 1955 erinnern, die für die Krise, mit der wir heute konfrontiert sind, geradezu prophetisch klingen. Sukarno sagte:

Dies waren die Worte von Präsident Sukarno. Genau das ist das Dringendste, was Sie – die Völker des Globalen Südens, die mit 7,2 Milliarden Menschen längst zur Globalen Mehrheit geworden sind, laut Chatham House 88% der Weltbevölkerung – unbedingt tun müssen. Sie müssen Ihre Stimme unmißverständlich erheben, damit die Bevölkerung des gesamten Westens, die die Politik ihrer Regierungen immer noch stillschweigend duldet, nicht umhin kann, sich der unmittelbaren Gefahr bewußt zu werden, in der wir uns alle befinden.

Wie Entwicklung finanziert werden kann

Glücklicherweise liegt der Ausweg aus dieser gegenwärtigen existentiellen Gefahr auch direkt vor uns. Präsident Sukarno hatte in derselben Rede gewarnt: „Der Kolonialismus hat auch ein modernes Gewand, in Form von wirtschaftlicher Kontrolle, intellektueller Kontrolle und sogar physischer Kontrolle durch eine kleine, aber fremde Gemeinschaft in einer Nation.“ Die BRICS-Staaten arbeiten daran, die Neue Entwicklungsbank mit Sitz in Shanghai zur „Großen Entwicklungsbank des Globalen Südens“ zu machen, wie es der brasilianische Präsident Lula da Silva ausdrückte. Diese Bank hat das Potential, zur Grundlage für ein neues Kreditsystem zu werden, das schließlich das Koordinationszentrum für ein System nationaler Banken aller souveränen Länder des Globalen Südens sein wird, welches umfangreiche, langfristige Kreditlinien zu niedrigen Zinssätzen vergibt, mit denen die Entwicklung aller Länder des Entwicklungssektors zu modernen Industrie- und Agrarstaaten finanziert werden kann.

Es gibt eine große Anstrengung, bei der Ausgestaltung der Neuen Entwicklungsbank dem ursprünglichen Vorschlag zu folgen, das IWF-Weltbank-System durch eine „Internationale Entwicklungsbank“ zu ersetzen, den der amerikanische Ökonom und Staatsmann Lyndon LaRouche erstmals 1975 vorgelegt hatte. Nach einem Treffen mit vielen führenden Vertretern des Entwicklungssektors in Bagdad im Irak veröffentlichte er eine Schrift „Wie die Internationale Entwicklungsbank arbeiten wird“, die anschließend von allen Regierungen der Blockfreien-Bewegung geprüft wurde und deren Forderungen im Abschlußkommuniqué ihres Gipfeltreffens in Colombo auf Sri Lanka formuliert wurden. In diesem Vorschlag schrieb LaRouche:

Damals kam es zu einer heftigen Gegenreaktion gegen die Anführer der Blockfreien-Bewegung, mehrere von ihnen wurden destabilisiert und gestürzt. Heute jedoch haben die BRICS-Staaten und die wachsende Zahl von Nationen, die eine Mitgliedschaft anstreben, die historische Dynamik auf ihrer Seite, um den Kolonialismus tatsächlich ein für alle Mal zu beenden und eine gerechte neue Weltwirtschaftsordnung zu schaffen, die jedem Land auf der Erde Wohlstand ermöglicht.

Die Bemühungen um die Schaffung eines neuen Wirtschaftssystems müssen Hand in Hand gehen mit der Errichtung einer neuen globalen Sicherheits- und Entwicklungsarchitektur, die die Interessen jedes einzelnen Landes berücksichtigt, um das Gift des geopolitischen Denkens ein für alle Mal zu überwinden. Das historische Vorbild dafür ist der Westfälische Frieden, der 150 Jahre Religionskriege in Europa beendete und die kriegführenden Parteien zusammenbrachte, die erkannten, daß niemand einen Sieg davontragen würde, weil alle tot wären, wenn sie die Kämpfe länger fortsetzen würden. Und wie viel mehr gilt dies heute, im Zeitalter der thermonuklearen Waffen! Aus dem Westfälischen Frieden stammt das Prinzip, daß Frieden nur möglich ist, wenn man die Interessen des „anderen“ – und nachdrücklich aller „anderen“ – berücksichtigt!

Um die Geopolitik in allen Formen zu überwinden, müssen alle internationalen Beziehungen von nun an auf den Fünf Prinzipien der friedlichen Koexistenz und der UN-Charta basieren, sowie auf einem Dialog der Zivilisationen mit dem Ziel einer Renaissance der besten Traditionen, die die gesamte Menschheit bisher hervorgebracht hat. Wenn wir das kreative Potenzial jedes Menschen auf diesem Planeten freisetzen, werden wir in der Lage sein, Oligarchie und Kolonialismus für immer zu überwinden und durch die Entwicklung aller Potentiale aller Menschen das angeborene Gute in der menschlichen Natur hervorzubringen.

Wir stehen am Scheideweg der Menschheit. Nie zuvor wurde unsere moralische Überlebensfähigkeit so auf die Probe gestellt wie jetzt. Halten wir das Prinzip der Gewaltlosigkeit in der Tradition von Mahatma Gandhi und Martin Luther King hoch, aber mobilisieren wir auch Präsident Sukarnos „moralische Gewalt für den Frieden“! Bringen wir alle das beste in uns hervor und schaffen eine wahre Zukunftsgemeinschaft der Menschheit!

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