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Neue Solidarität
Nr. 46, 14. November 2024

Was sind Menschenrechte im gegenwärtigen Kontext?

Von Helga Zepp-LaRouche

Helga Zepp-LaRouche eröffnete die Vortragsrunde des Berliner Menschenrechts-Seminars mit den folgenden Bemerkungen.

Es ist unmöglich, im gegenwärtigen Kontext über Menschenrechte zu sprechen, ohne zunächst die unmittelbare Gefahr für die Existenz der gesamten Menschheit anzusprechen – nämlich die Tatsache, daß die beiden regionalen Kriege, der Krieg der NATO gegen Rußland wegen der Ukraine und der Krieg in Südwestasien zwischen Israel und seinen Nachbarn einschließlich des Iran, möglicherweise zu einem globalen Atomkrieg eskalieren könnten, auf den ein nuklearer Winter folgen könnte, der alles Leben auf unserem Planeten auslöschen würde.

Die höchste Priorität für alle Menschen muß es offensichtlich sein, sich über die Ebene zu erheben, auf der diese existentielle Bedrohung entstanden ist, nämlich die Geopolitik. Sie beinhaltet die Idee, daß Nationen oder Gruppen von Nationen das Recht haben, ihre vermeintlichen Interessen mit allen Mitteln gegen andere durchzusetzen. Präsident Xi Jinpings Konzept einer Zukunftsgemeinschaft der Menschheit überwindet die Geopolitik eindeutig, da es klar besagt, daß das Eine eine höhere Ordnung darstellt als das Viele.

Jeder ernsthafte Kampf für den Schutz der Menschenrechte muß in dieser Situation daher darauf abzielen, eine neue globale Sicherheits- und Entwicklungsarchitektur zu schaffen, die die Interessen aller Nationen auf dem Planeten berücksichtigt. Diese Absicht kommt in den drei Initiativen Xis zum Ausdruck: GSI (Globale Sicherheitsinitiative), GDI (Globale Entwicklungsinitiative) und GCI (Globale Zivilisationsinitiative).

Ein abgeleiteter Aspekt der Geopolitik ist das gegensätzliche Menschenbild. Die Annahme, daß der Mensch von Natur aus gut ist und alles Böse in der Welt auf einen Mangel an Entwicklung zurückzuführen ist und daher durch Entwicklung überwunden werden kann, ist ganz unterschiedlichen Philosophien, Weltanschauungen und politischen Systemen gemeinsam. Dazu gehören die drei monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam, aber auch eine Reihe anderer Religionen und Weltanschauungen wie Hinduismus, Buddhismus, Konfuzianismus und Humanismus, aber auch Kommunismus und Sozialismus. Allen diesen Religionen, Weltanschauungen und Philosophien ist auch die Vorstellung gemeinsam, daß dieses menschliche Potential auch die moralische Pflicht impliziert, es im Laufe des Lebens nach besten Kräften zu entwickeln und zu vervollkommnen.

Alle Imperien, Oligarchien und Diktaturen basieren dagegen auf einem dem völlig entgegengesetzten Menschenbild, das ihn als von Natur aus böse betrachtet. Typische Vertreter dieser oligarchischen Auffassung finden sich unter den Denkern der englischen Aufklärung wie Thomas Hobbes mit seinem Leviathan oder John Locke.

Einer der schamlosesten Vertreter der oligarchischen Weltanschauung war sicherlich Joseph de Maistre, ein Vorläufer der Synarchie und der Konservativen Revolution, der in einer Weise argumentiert, die nicht anders ist als das, was bestimmte Neokonservative des Militärisch-Industriellen Komplexes heute sagen: „Leider beweist die Geschichte, daß der Krieg in gewissem Sinne der Normalzustand der Menschheit ist, was bedeutet, daß immer irgendwo auf der Welt Menschenblut fließen muß und daß Frieden für jede Nation nur eine Atempause ist.“

Es sollte offensichtlich sein, daß diese oligarchische Weltanschauung – die auch die unausgesprochene Grundlage all derer ist, die beispielsweise sagen, daß „Rußland militärisch besiegt werden muß“ und Diplomatie ausschließen, oder die die Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofs und des Internationalen Strafgerichtshofs bezüglich des Völkermords in Gaza ignorieren und Israel weiter Waffen liefern – als Wegbereiter für schwerste Menschenrechtsverletzungen geächtet werden sollte.

Zweifellos stellt neben dem Krieg die Armut eine enorme Menschenrechtsverletzung dar. Wenn ein Mensch sich Sorgen machen muß, ob er am nächsten Tag genug zu essen hat, hat er keine Zeit, alle Potentiale zu entwickeln, die in ihm stecken, was das einzigartige Merkmal des Menschen und damit der Maßstab aller Menschenrechte ist. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 spricht in Artikel 25 von einem angemessenen Lebensstandard, aber heute gibt es keine Forderung, die existierende Armut und Unterentwicklung zu überwinden, und es gibt keine Programme zur Überwindung der Armut in den USA, wo es 37 Millionen Arme gibt, oder in Europa, wo laut FES (Friedrich-Ebert-Stiftung) 140 Millionen von Armut bedroht sind und viele davon wirklich arm sind. In Deutschland sind 15,8% der Bevölkerung von Armut betroffen.

Kein anderes Land hat so viel für die Armutsbekämpfung getan wie China, sowohl in China selbst, wo bis Ende 2020 insgesamt 850 Millionen Menschen aus der extremen Armut befreit wurden, als auch in vielen Ländern des Globalen Südens durch die BRI (Gürtel- und Straßen-Initiative). Daher ist es offensichtlich, daß China mehr für die Verteidigung der Menschenrechte getan hat als jedes andere Land der Welt oder der Geschichte.

Diese beiden Beispiele zeigen, daß die Definition dessen, was Menschenrechte ausmacht, von der axiomatischen Grundlage abhängt, von der aus man die Frage betrachtet, und unterstreichen die Forderung des Konfuzius, daß man zunächst die Begriffe klären muß, wenn man über wichtige Fragen diskutiert.

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