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Neue Solidarität
Nr. 34, 22. August 2024

Es gibt keine militärische Lösung
für den israelisch-palästinensischen Konflikt

Von Dr. Gershon Baskin

Im Rahmen des Treffens der Internationalen Friedenskoalition am 9. August 2024 hielt Dr. Gershon Baskin den folgenden Vortrag. Er ist ein ehemaliger Kolumnist für die Jerusalem Post.

Ich danke Ihnen allen. Guten Abend aus Jerusalem. Während sich die Vorträge bisher mit dem allgemeinen Bild beschäftigt haben – dem Makrobild der Unsicherheit, in der wir alle leben –, werde ich uns auf die Mikroebene des israelisch-palästinensischen Konflikts bringen: den Konflikt zwischen Israel und der Hamas.

Gleich zu Beginn möchte ich kategorisch feststellen, daß es keine militärische Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts gibt und auch nie gegeben hat. Es gibt und gab nie eine militärische Lösung für das Problem der Hamas oder anderer Organisationen, Widerstandsorganisationen oder terroristische Organisationen oder wie auch immer man sie nennen will, in der Region. Wir haben es mit einem politischen Konflikt zu tun, der auf politischem und diplomatischem Wege gelöst werden muß. Die militärischen Lösungen, auf die unsere gescheiterten Staatsführer setzen, machen die Lage nur noch komplizierter und führen zu Tragödien und Traumata, mit denen wir alle leben müssen.

Es ist wichtig zu verstehen, daß wir es heute mit zwei extrem traumatisierten Gesellschaften zu tun haben.

Aus Sicht der israelischen Juden wurden am 7. Oktober letzten Jahres durch die Greueltaten der Hamas mehr Juden an einem Ort und Zeitpunkt getötet als jemals zuvor seit dem Holocaust. Die israelische Gesellschaft hat den 7. Oktober nicht überwunden, wir stecken immer noch im 7. Oktober fest und erleben diesen Tag täglich aufs Neue. Das wird in unseren Medien noch verstärkt durch die Geschichten, die erzählt werden, und durch die Erinnerungen an das Grauen und den Terror, den die Menschen am 7. Oktober empfunden haben.

Und seit dem 7. Oktober erleben die Palästinenser in Gaza und die Palästinenser überall in Palästina und auf der ganzen Welt wieder das Trauma, das sie 1948 als Nation erlebt haben, das sie die Nakba nennen, die Katastrophe ihres Exils. Im Gazastreifen leben heute mehr als zwei Millionen Obdachlose, die aus ihren Häusern vertrieben wurden; die meisten Häuser ihnen wurden von Israel zerstört, demoliert. Ein großer Teil des Gazastreifens, schätzungsweise 90%, ist von Israel zerstört worden. In den letzten zehn Monaten wurden im Gazastreifen wahrscheinlich rund 50.000 Menschen getötet, die meisten davon Nichtkombattanten, Frauen, Kinder und ältere Menschen, die jetzt in Zelten oder auf der Straße leben. Es gibt im Gazastreifen Zehntausende neugeborene Waisen, auf die die Welt wartet ohne eine Familie, die sie unterstützt.

Das ist eine menschliche Tragödie, die sich vor unseren Augen abspielt, mit zwei Bevölkerungen, die zum jetzigen Zeitpunkt nicht in der Lage sind, logisch und kohärent über eine Zukunft nachzudenken, in der es Frieden geben könnte. Wenn es in der Vergangenheit in Israel und Palästina eine Friedensbewegung gegeben hat, dann ist es heute schwierig, sie zu finden, solange diese beiden Völker in einem Trauma leben. Wir befinden uns nicht in der Zeit nach dem Trauma, wir leben schon seit zehn Monaten in diesem Trauma mittendrin.

Je länger der Krieg und das Leid andauert, desto klarer wird eines: Je länger Israel im Gazastreifen bleibt, desto mehr wird es bewaffnete Aufstände gegen Israel geben, und israelische Soldaten werden tot nach Hause kommen. Um so mehr wird die Hamas Rekruten unter den obdachlosen Palästinensern und Jugendlichen finden, die keine andere Zukunft vor sich haben als den Kampf gegen Israels anhaltende Besatzung und Aggression.

Das muß ein Ende haben. Vielleicht gab es gestern Abend einen Durchbruch mit der Ankündigung des Präsidenten der Vereinigten Staaten, des Emirs von Katar und des Präsidenten von Ägypten, die Israel und die Hamas aufforderten, zu Verhandlungen zurückzukehren; sie erklärten zum ersten Mal, daß diese drei Länder, die in diesem Konflikt vermitteln, Überbrückungsvorschläge haben, die sie gerne auf den Tisch legen würden.

Es scheint aber, als stünden wir am Rande eines viel größeren Krieges in Israel, da wir nun auf Vergeltungsmaßnahmen des Irans und der Hisbollah für die Attentate warten, die Israel gerade erst letzte Woche verübt hat. Wir haben gesehen, wie schnell Israel auf die Ankündigung der drei Vermittler gestern Abend reagiert hat, daß es am 15. des Monats Spitzenunterhändler Israels entsenden wird, um [zu den Verhandlungen] zurückzukehren, und ich nehme an, daß auch die Hamas dort sein wird, um diese Verhandlungen fortzusetzen und einen Waffenstillstand anzustreben.

Wir brauchen einen Waffenstillstand für diesen Weltkrieg. Es muß ein Waffenstillstand sein, der von Dauer ist. Die Vereinbarung und der Vorschlag, der als „Netanjahu-Vorschlag“ bezeichnet wurde – was er nicht war –, der von Präsident Biden im Mai vorgelegt wurde, umfaßt drei Phasen, die Monate dauern werden, bevor wir das Ende des Krieges sehen. Aber es gibt keinen Grund, warum das so lange dauern sollte. Die ganze Sache kann in wenigen Wochen beendet werden. Dazu muß Israel sich aus dem Gazastreifen zurückziehen. Die Hamas muß die 115 verbleibenden israelischen Geiseln freilassen – die meisten von ihnen sind Zivilisten. Man geht davon aus, daß die meisten von ihnen nicht mehr am Leben sind. Darunter sind Frauen und Kinder, ältere Menschen, Kranke und Verwundete. Sie müssen freigelassen und nach Hause geschickt werden. Israel wird im Gegenzug palästinensische Gefangene freilassen.

Die Grenze zwischen dem Gazastreifen und Ägypten muß hermetisch abgeriegelt werden, denn von dort hat die Hamas in den letzten Jahren ihre Waffen und Rüstungsgüter bezogen und konnte dieses enorme Arsenal aufbauen, das seit dem 7. Oktober gegen Israel eingesetzt wird.

Es müssen Friedenstruppen in den Gazastreifen geschickt werden, die die Bevölkerung des Gazastreifens vor israelischer Aggression und die Israelis vor der Aggression der Hamas schützen. Das bedeutet, daß die Palästinenser ihre Führung umkrempeln müssen; sie brauchen eine neue Führung. Wir in Israel müssen uns unserer unverantwortlichen, gescheiterten Führung entledigen, die uns schon zu lange regiert hat. Ministerpräsident Netanjahu ist der am längsten amtierende Ministerpräsident in der Geschichte Israels, und er ist direkt verantwortlich für alles, was zum 7. Oktober geführt hat.

Seien wir ehrlich! 56 Jahre Besatzung des palästinensischen Volkes in den 1967 von Israel besetzten Gebieten können nicht weitergehen. Die Palästinenser müssen begreifen, daß es keine Freiheit, keine Befreiung und keine Würde für sie gibt, wenn Israel keine Sicherheit hat. Und die Israelis müssen verstehen, daß sie niemals Sicherheit haben werden, solange sie Palästina besetzen und den Palästinensern ihre Freiheit und Befreiung und Würde verweigern. Jeder hier braucht Sicherheit, Israelis und Palästinenser. Weder dieser Krieg noch künftige Kriege können Sicherheit schaffen.

Das ist der schlimmste israelisch-palästinensische Krieg. Juden und Araber bringen sich seit über hundert Jahren auf diesem Land gegenseitig um. Das muß jetzt der letzte Krieg sein!

Um das zu erreichen, müssen die Vereinigten Staaten damit aufhören, Israel zu bewaffnen, damit es diesen Krieg weiterführen kann. An der israelischen und libanesischen Küste sind jetzt amerikanische und britische Kriegsschiffe. Sie befinden sich dort in einem defensiven Modus, um Israel zu schützen, falls es wieder, wie am 14. April, von Hunderten oder Tausenden Raketen aus dem Iran sowie Drohnen und Raketen aus dem Libanon beschossen wird. Aber die Vereinigten Staaten müssen Israel sagen, daß sie Israel nicht mehr bewaffnen werden, um einen Angriffskrieg zu führen – nicht in Gaza und auch sonst nirgendwo. Es ist ein Unterschied, ob man Israel in die Lage versetzt, sich zu verteidigen, wenn es angegriffen wird, oder ob man Israel mit aggressiven Angriffswaffen ausstattet, die es gegen unsere Nachbarn einsetzt.

Es gibt eine diplomatische Lösung für den Konflikt zwischen Israel und Libanon. Es gab 2006 die Resolution 1701 des UN-Sicherheitsrats, wir müssen diese Resolution aufgreifen. Die Friedenstruppen im Libanon – die UNIFIL – müssen verstärkt und neu gestärkt werden. Sie brauchen ein Mandat, das verhindert, daß die Hisbollah sich im Südlibanon eingräbt und Israel bedroht.

Wir dürfen nicht zulassen, daß Kriege die „Lösung“ für diese Grenzkonflikte zwischen Ländern sind. Die Palästinenser verdienen eine neue Führung, die sie vertritt. Sie verdienen es, daß Wahlen abgehalten werden. Das letzte Mal, daß sie ihre Führung gewählt haben, war 2006. Sie haben heute einen 90jährigen Regierungschef im Westjordanland, der das 18. Jahr seiner vierjährigen Amtszeit absitzt und keinerlei Legitimität besitzt. Dann ist da die Hamas, die 2006 gewählt wurde, aber nie wirklich bestätigt wurde und regieren durfte, weil sie von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wurde, weil sie sich weigerte, Israel anzuerkennen oder eine gewaltlose Politik zu verfolgen.

Die Palästinenser brauchen eine Führung, wir brauchen eine Führung. Die ganze Welt braucht eine neue Führung, wir haben es in diesem Treffen gehört. Es sollte klar sein, daß es sehr unwahrscheinlich ist, daß Israelis und Palästinenser den Konflikt aus eigener Kraft beenden können. Wir haben lange auf diesen Aufruf zu einer bilateralen Lösung gewartet. Am Abend des 14. April haben wir gesehen, wie plötzlich ein regionales Verteidigungsbündnis auftauchte, das Israel half, Raketen, Flugkörper und Drohnen abzuschießen, die vom Iran auf Israel abgeschossen wurden. Diese Verteidigungslinie entstand über Nacht ohne Verhandlungen und ohne Abkommen, und das gibt uns einen Hinweis darauf, wo die Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts zu finden ist.

Wir brauchen eine regionale Lösung in dieser Nahost-Region für eine neue Architektur des Friedens und der Sicherheit und der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit bei der Bewältigung des Klimawandels und der anderen Probleme, die uns beschäftigen. Ein nicht-nuklearer Naher Osten.

Die Lösung liegt im regionalen Rahmen. Wir brauchen keine weitere Pax Americana und wollen sie auch nicht. Die Vereinigten Staaten haben sich im israelisch-palästinensischen Konflikt als die schlechtesten Vermittler aller Zeiten erwiesen. Sie sind niemals neutrale Vermittler, die beiden Seiten helfen, eine Einigung zu erzielen. Wir wissen, daß die Vereinigten Staaten immer parteiisch auf Seiten Israels sind und am Ende Druck auf die Palästinenser ausüben und uns nie helfen, eine Einigung zu erzielen.

Doch die Lösung für diesen Konflikt liegt in der Region. Wir brauchen regionale Vereinbarungen, die von den Vereinigten Staaten, der Europäischen Union, den Vereinten Nationen und anderen Ländern auf der Welt unterstützt werden. Darin liegt unsere Hoffnung, und wir müssen diesen Konflikt beenden, damit er sich nicht zu einem Weltkrieg und zu einem Atomkonflikt ausweitet. Danke, daß Sie mich eingeladen haben.

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