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Aus der Neuen Solidarität Nr. 15/2008 |
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Überall in Europa regt sich der Widerstand gegen den Lissaboner Vertrag. In zahlreichen Städten fanden am 29. März Demonstrationen gegen den Vertrag und für Volksabstimmungen darüber statt, die nur der Anfang einer intensiven Mobilisierung waren.
Mit Protestkundgebungen in etlichen europäischen Städten ging am 29. März die Kampagne gegen den Vertrag von Lissabon in eine qualitativ neue Phase über. Die größte dieser Kundgebungen fand in Wien statt, wo die Bürgerinitiative „Rettet Österreich“ etwa 10.000 Menschen in Wien mobilisierte - mehr als doppelt soviel, wie die Organisationen ursprünglich erhofft hatten. Die Demonstration marschierte von der Staatsoper im Zentrum Wiens zum Stephansdom, wo mehrere Universitätsprofessoren über die Auswirkungen des neuen EU-Vertrags sprachen.
Prof. Hans Peter Aubauer von der Universität Wien erklärte: „Dieser Vertrag wird die Demokratie in Österreich aufheben und die Freiheit der Politik im Interesse der Bürger Österreichs beenden. Entscheidungen über den zukünftigen Weg unseres Landes werden dann von Politikern getroffen werden, die demokratisch nicht legitimiert sind und nicht abgewählt werden können. Weil unsere Politiker Angst davor haben, daß wir uns nicht dafür entscheiden werden, die Demokratie aufzugeben, wollen sie das Risiko eines Referendums vermeiden. Sie schaffen unsere Demokratie ab, ohne uns zu fragen.“
Bereits am Tag zuvor hatten Mitglieder der italienischen LaRouche-Bewegung eine Kundgebung in Mailand abgehalten. Parallel zur Wiener Demonstration gab es auch in Berlin, Essen, Heidelberg, Paris, Kopenhagen und Stockholm Aktionen der LaRouche-Jugendbewegung, zusätzlich zu Aktionen anderer Initiativen über das gesamte politische Spektrum von links bis rechts. Weitere Demonstrationen sind für die nächsten Wochen geplant, zum Beispiel wird es am 7. und 8. April eine Menschenkette um das österreichische Parlamentsgebäude während der dortigen Debatte über den Lissabon-Vertrag geben.
In allen europäischen Ländern sind die Reaktionen stark und eindeutig, wird erst einmal die Bevölkerung von den erwähnten Initiativen über Einzelheiten des Vertrags informiert. Und jeden Tag werden per Internet Hunderte und Tausende von Unterschriften für ein Referendum eingeschickt beziehungsweise an Infoständen auf den Straßen gesammelt.
In Deutschland hat mittlerweile die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP) angekündigt, unmittelbar nach Ratifizierung des Vertrags durch Bundestag und Bundesrat - das wird etwa Ende Mai sein - Verfassungsklage erheben zu wollen. Die ÖDP prangert die Militarisierung der EU und die heimliche Einführung der Todesstrafe als verfassungsfeindliche Ziele des Vertrages an. Auch der Bundesparteitag der ÖDP Mitte April wird sich mit dem Thema befassen. Das wäre nach der Linkspartei und dem CSU-Bundestagsabgeordneten Gauweiler bereits die dritte Klage beim Bundesverfassungsgericht.
Die Ratifizierung durch die große Mehrheit des polnischen Parlaments am vergangenen Dienstag und durch den polnischen Senat am Tag darauf ist zwar ein schwerer Rückschlag für die Bewegung gegen den Vertrag. Aber der polnische Oberste Gerichtshof wird noch darüber zu befinden haben, ob die Erklärung, die der Ratifizierungsurkunde durch das Parlament beigefügt wurde, ausreicht, um die Souveränität Polens gegen die EU-Bürokratie zu behaupten. Das ist an sich ein Widerspruch zum Lissabon-Vertrag und verlangt im Grunde Neu- oder Nachverhandlungen - genau das aber wollen die Eurokraten vermeiden.
Neu- oder Nachverhandlungen könnten auch durch Tschechien und die Slowakei in Gang kommen. Das tschechische Parlament hat zwar den Vertrag in erster Lesung in der vergangenen Woche bestätigt, ratifiziert werden soll jedoch erst, nachdem das tschechische Verfassungsgericht den Vertragstext auf seine Verfassungsmäßigkeit überprüft hat. Hierzu sind sieben Eingaben gemacht worden, mit denen sich die Richter befassen müssen, und wenn sie auch nur an einem der sieben Punkte Bedenken äußern, kann der Vertrag in der jetzigen Form nicht ratifiziert werden. Es gibt bereits Stimmen, die nicht ausschließen wollen, daß die Ratifizierung in diesem Jahr nicht mehr erfolgen wird. So könnte der Lissabon-Vertrag gar nicht wie geplant am 1. Januar 2009 in Kraft treten. Das wäre vor allem deswegen peinlich, weil ausgerechnet Tschechien im ersten Halbjahr 2009 den Vorsitz der EU übernimmt. Im Falle Tschechiens ist bemerkenswert, daß einige Abgeordnete der Hauptregierungspartei ODS sich der Opposition angeschlossen haben und ähnlich wie die Kommunisten ein Referendum fordern.
In der Slowakei hat sich eine höchst interessante Situation entwickelt. Die Zustimmung zum Vertrag lag schon kurz nach dem Lissaboner EU-Gipfel Mitte Dezember eigentlich im Aufwind der Umfragen, die eine mehr als 90-prozentige Unterstützung im Parlament für den Vertrag vermeldeten. Jetzt jedoch gibt es nicht einmal mehr die erforderliche Zweidrittelmehrheit der Abgeordneten. Schuld daran ist gar nicht das Thema Lissabon-Vertrag selbst, sondern ein anderes Projekt der Regierung, die in Absprache mit der EU eine Medienliberalisierung durchboxen will. Das stößt im ganzen Land quer durch die Parteien auf heftigen Widerstand. Am vorletzten Freitag erschienen deshalb aus Protest sämtliche wichtigen Zeitungen der Slowakei mit weißen Titelblättern, und aus Protest gegen die Liberalisierungspläne hat sich im Parlament die Zahl der Parlamentsabgeordneten, die eben deshalb nun die Ratifizierung des Lissabon-Vertrags verweigern, immer mehr erhöht.
Nachverhandlungen des Vertrags könnten auch aus England gefordert werden. Derzeit wird im Oberhaus über die Ratifizierung beraten, wo eine starke Opposition vor allem unter den Konservativen besteht. Angeführt von den Lords Monckton, Lawson und Lamont, allesamt Politiker mit Funktion in Regierungen der Ära Thatcher, wird im Oberhaus die Forderung nach weitgehenden Ausnahmeregelungen vom Vertrag erhoben. (Lesen Sie hierzu auch Lord Moncktons Erklärung in dieser Ausgabe.)
Selbst wenn dies nicht zu einem Referendum führt, müßte sich doch das Unterhaus, das bereits vor vier Wochen mit allerdings nur knapper Mehrheit von 55 Prozent ratifiziert hat, erneut mit dem Vertrag befassen. Regierungschef Brown könnte zwar mit dem Mittel des Parliament Act eine neue Debatte abblocken, aber das gäbe einen schweren Verfassungskonflikt in London. Im übrigen stößt das Argument des Ratifizierungslagers, man bräuchte auf die Lords, die ja keine gewählten Vertreter seien, überhaupt nicht weiter eingehen, auf erheblichen Widerspruch in England. Denn es wird als ein perfides Argument von Leuten gesehen, die ein Lissabon-Europa mit Institutionen schaffen wollen, die erstens nicht gewählt sind und zweitens gewählte Parlamente entmachten.
Rainer Apel
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