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Boris Johnsons globale britische Machtansprüche sind ohne den US-amerikanischen Muskel Makulatur.
Seit der Ankündigung des US-Rückzugs aus Afghanistan schäumt das britische Establishment vor Wut über Präsident Bidens Entscheidung. Abgesehen von der Afghanistan-Frage als solcher steckt hinter der Hysterie im Vereinigten Königreich die Diskreditierung von Premierminister Johnsons Strategie „Global Britain“.
Diese im März mit dem gleichnamigen Bericht Global Britain („Globales Britannien in einem Zeitalter der Konkurrenz“) angekündigte Strategie ist ein imperialistischer Plan, die „Sonderbeziehung“ zu den USA zu benutzen, um britischen Einfluß über den gesamten Globus zu verbreiten. „Unser Einfluß wird durch stärkere Allianzen und breitere Partnerschaften verstärkt werden – keine ist für die britischen Bürger wertvoller als unsere Beziehung zu den Vereinigten Staaten“, heißt es in dem Dokument. Verschiedene Sprecher des Establishments erklären, Britannien müsse Amerikas wichtigster Verbündeter bleiben, wenn es den globalen Status, den es als Empire hatte, behalten will.
Präsident Bidens jüngste Schritte haben diese Pläne aus dem Gleichgewicht gebracht. Folgerichtig hatte die britische Regierung von Anfang an deutlich gemacht, daß sie gegen Präsident Bidens Entscheidung zum Rückzug aus Afghanistan ist. Für Verteidigungsminister Ben Wallace war Präsident Trumps Abkommen mit den Taliban vom Februar 2020 ein „fauler Deal“. In einem Interview mit der Daily Mail vom 8. August verriet er, daß Großbritannien andere NATO-Länder überzeugen wollte, auch bei einem US-Abzug in dem Land zu bleiben, jedoch ohne Erfolg.
Noch schärfer ist die Kritik des Ex-Premiers Tony Blair in seinem Blog vom 21. August. Er sagt über den Rückzug: „Wir mußten es nicht tun. Wir haben uns dafür entschieden. Wir taten es im Gehorsam gegenüber einem schwachsinnigen politischen Slogan über die Beendigung der ,ewigen Kriege‘.“ Er beklagt die Folgen für Londons imperiale Pläne: „Für Großbritannien, außerhalb Europas stehend und unter dem Ende des Afghanistan-Einsatzes durch unseren größten Verbündeten mit wenig oder gar keiner Konsultation leidend…, besteht die Gefahr, daß wir in die zweite Liga der Weltmächte absteigen.“
Zur Erinnerung: Es war Blair, der 1999 in einer Rede vor dem Chicago Council of World Affairs die Ära der „endlosen Kriege“ einleitete, der die Geheimdienst-Lügen verbreitete, die US-Präsident Bush überzeugten, dem Irak den Krieg zu erklären, und der als Premierminister munter britische Truppen in Afghanistan einsetzte.
Alle großen britischen Medien berichteten über Blairs Einschätzung, die von vielen geteilt wird, die befürchten, die USA könnten einen entscheidenden Bruch mit der imperialen britischen Politik vollziehen. Die Sunday Times berichtete: „Minister warnen, Großbritannien müsse nach dem Debakel in Afghanistan seine Außenpolitik über den Haufen werfen, während sich über Amerikas Entscheidung zum Rückzug die Gemüter erhitzen.“
Sie zitiert einen ungenannten Minister, der US-Isolationismus anprangert und sagt, die Regierung müsse ihre Außen- und Verteidigungspolitik überdenken, weil Washington kein zuverlässiger Verbündeter mehr sei. „Amerika hat der Welt gerade signalisiert, daß es nicht besonders scharf darauf ist, eine globale Rolle zu spielen“, so der Minister. „Das hat enorme Auswirkungen.“ Er stellt auch interessante historische Bezüge her: „Die USA mußten mit aller Gewalt in den Ersten Weltkrieg hineingezogen werden. Im Zweiten Weltkrieg kamen sie zu spät, und jetzt werfen sie in Afghanistan die Flinte ins Korn.“
Ein weiterer Ausraster kam vom ehemaligen Kommandeur der britischen Truppen in Afghanistan, Richard Kemp, der vorschlug, Präsident Biden „wegen Verrats an den Vereinigten Staaten von Amerika und den Streitkräften der Vereinigten Staaten vor ein Kriegsgericht zu stellen“. Auch in Kontinentaleuropa wird ähnliche Kritik an der US-Politik geäußert, wenn auch nicht so offen.
Der politische Chefkommentator des Sunday Observer, Andrew Rawnsley, schrieb am 22. August, Bidens Entscheidungen zu Afghanistan hätten Johnsons „Global Britain“ als „impotent und freundlos“ entlarvt. In der Afghanistan-Frage habe Johnson weniger Einfluß auf Biden gehabt „als der Hund des Präsidenten“.
Auch der ehemalige britische Botschafter in den USA Lord Kim Darroch – der aus Washington praktisch ausgewiesen wurde, weil er Trumps Präsidentschaft untergraben wollte – befürchtet, daß der Abzug aus Afghanistan das Projekt „Globales Britannien“ unterminieren könnte. Es werde „ziemlich lange dauern, bis sich der Westen als Ganzes davon erholt hat“, sagte er der BBC, „um unseren Ruf wiederherzustellen“.
Und die Boulevardzeitung Mail on Sunday kommentierte vielsagend: „In Whitehall und in den britischen Botschaften auf der ganzen Welt stellen sich Beamte und Diplomaten darauf ein, daß Biden eine ,America First‘-Politik verfolgt, die genauso isolationistisch ist wie die seines Vorgängers“, sprich Donald Trumps Politik für die Beendigung von Regimewechselkriegen.
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