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Die italienische Regierung hat Lyndon LaRouches alte Forderung aufgegriffen, die Cassa per il Mezzogiorno wiederzubeleben.
Bei der europäischen Konferenz des Schiller-Instituts am 21. und 22. Februar in Rüsselsheim gab es eine lebhafte Debatte zwischen Prof. Wilhelm Hankel aus Deutschland und einem Teilnehmer aus Italien darüber, ob Italiens Finanzen in der Krise anfälliger seien als die von Deutschland, oder umgekehrt. Hankels Argument beruhte auf der bekanntlich sehr hohen Staatsverschuldung Italiens, sein italienischer Gesprächspartner argumentierte, die geringe Verschuldung der italienischen Unternehmen und Haushalte gleiche die hohe Staatsverschuldung mehr als aus.
Lyndon LaRouche intervenierte in diese Debatte, indem er darauf hinwies, daß die eigentliche Schwäche oder Stärke einer Volkswirtschaft nicht finanziell, sondern physisch zu messen ist. Italiens Schwäche liege also in der Tatsache, daß der Süden des Landes, der Mezzogiorno - die Provinzen Abruzzen, Molise, Kampanien, Apulien, Basilicata, Kalabrien, Sizilien und Sardinien - nicht genug entwickelt seien. Nur wenn der Mezzogiorno auf das Niveau des industriell weit entwickelten italienischen Nordens angehoben werde, könne man sagen, daß Italien seine Verwundbarkeit überwunden habe.
LaRouche hat sich seit seiner ersten Beteiligung an den politischen Debatten Italiens 1976 für die industrielle Entwicklung des Mezzogiorno eingesetzt. Damals wurde Italien vom Internationalen Währungsfonds (IWF) gezwungen, die staatlichen Investitionen in die Entwicklung des Südens einzustellen und eine Freihandelspolitik zu verfolgen. Das war die Bedingung, an die der IWF-Kredit geknüpft war, den Italien damals dringend benötigte, um das starke Zahlungsbilanzdefizit auszugleichen, das sich infolge der ersten Ölkrise gebildet hatte.
In Diskussionen mit führenden Mitgliedern der Christdemokratischen Partei unterstützte LaRouche die Bemühungen zur Erhaltung der Cassa per il Mezzogiorno, jener Behörde, die 1950 nach dem Vorbild der amerikanischen Tennessee Valley Authority geschaffen worden war und die damals seit mehr als einem Jahrzehnt in Süditalien Straßen, Wasserleitungen, Eisenbahnen und Staudämme gebaut hatte.
Leider wurden die Cassa und andere Elemente der dirigistischen italienischen Politik nach der Ermordung des führenden Christdemokraten Aldo Moro 1978 immer mehr abgebaut, so daß der Abstand zwischen dem Norden und dem Süden des Landes sich immer mehr erweiterte. Und weil die italienische Regierung das Einkommen des Südens mit Steuergeldern subventioniert, führte dies zu einem ernsthaften Defizit der Staatsfinanzen.
Im Mezzogiorno leben 35,6% der italienischen Bevölkerung, aber sie erzeugen nur 23,9% des Bruttoinlandsproduktes. Pro Kopf bemessen, erzeugt die reichste Region des Nordens 37.000 Euro mehr als die ärmste Region des Südens.
Im Eurosystem wird diese Schwäche durch die Tatsache verschleiert, daß der Wert der Währungen sämtlicher Euro-Länder, einschließlich Italiens, von der deutschen Volkswirtschaft gestützt wird. Aber die Anfälligkeit der italienischen Staatsfinanzen bleibt der wichtigste potentielle Zünder einer Krise des Europäischen Währungssystems.
In einem künftigen System regulierter und fairer Wirtschaftsbeziehungen zwischen souveränen Nationen hängt Italiens langfristige Beteiligung an einem solchen System von seiner Fähigkeit ab, das Problem des Mezzogiorno zu lösen. In einer Rede vor dem Finanzausschuß der italienischen Deputiertenkammer im Juni betonte LaRouche daher, daß Italien den erfolgreichen Ansatz wiederbeleben müsse, den die Cassa per il Mezzogiorno von 1950 bis in die siebziger Jahre verfolgt hatte. Einige Wochen später ist nun eine nationale Debatte über die Frage des Mezzogiorno ausgebrochen, und die Idee der Wiederbelebung der Cassa wurde von Wirtschafts- und Finanzminister Giulio Tremonti aufgegriffen.
Derzeit arbeitet die Regierung Pläne aus, um eine neue Behörde ähnlich der alten Cassa zu schaffen, die mit einem einheitlichen Ansatz für den gesamten Mezzogiorno Infrastrukturprojekte entwickeln und umsetzen soll. Überraschenderweise hat Tremontis Vorschlag mehr Unterstützung als Angriffe ausgelöst, was einen Phasenwechsel in der italienischen Politik darstellt. Das hat natürlich mit der Tatsache zu tun, daß die weltweite Krise nicht nur das Scheitern der Globalisierung demonstriert hat, sondern auch das Scheitern der Freihandelspolitik überhaupt.
So war die Situation reif für diese Idee, als am 16. Juli eine Denkfabrik namens Svimez ihren Jahresbericht über den Mezzogiorno vorlegte. Unter anderem prangerte Svimez die Tatsache an, daß die Wirtschaft in den übrigen unterentwickelten Regionen der Europäischen Union in den letzten Jahren im Durchschnitt um 3% jährlich gewachsen ist, im Mezzogiorno aber nur um 0,3%. Außerdem sind in den letzten Jahren 700.000 Italiener aus dem Süden in den Norden ausgewandert, um Arbeit zu finden.
Der Svimez-Bericht traf zeitlich zusammen mit einem Aufstand einiger süditalienischer Politiker, wie Siziliens Gouverneur Lombardo, der damit drohte, aus der Regierungsmehrheit auszuscheren und eine unabhängige „Partei des Südens“ zu gründen. All dies schuf eine Gelegenheit, die der Regierung eine politische Wende erlaubte. EIR sprach mit Nino Novacco, dem Vorsitzenden von Svimez. Novacco gehörte der Gruppe an, die 1950 die Cassa per il Mezzogiorno gegründet hatte und stimmt der Einschätzung zu, daß es sich um einen Phasenwechsel handelt. Dinge, die noch bis vor kurzem verteufelt wurden, wie der staatliche Dirigismus, werden nun als rettende Engel betrachtet, die dabei helfen können, Italiens Probleme zu lösen.
Novacco warnt, daß das Land auseinanderzubrechen droht, wenn es die Politik der Cassa per il Mezzogiorno nicht wiederbelebt. Der Grund ist einfach: Italien bewegt sich auf ein föderales System zu, d.h., immer mehr Befugnisse werden von der Bundesregierung auf die regionalen Behörden verlagert, einschließlich der Entscheidung über die Investitionspolitik. Wenn dieser Tendenz nicht durch „außerordentliche“ Maßnahmen entgegengewirkt wird, die sich auf nationaler Ebene um die Infrastruktur kümmern, drohe dies der letzte Nagel im Sarg der nationalen Einheit zu werden, sagt Novacco. Eine Wiederbelebung der Cassa per il Mezzogiorno in Form einer Behörde für „außerordentliche“ Investitionen kann die Maßnahme sein, die ein solches Auseinanderbrechen verhindert. Die Cassa per il Mezzogiorno wurde genau dazu geschaffen, solche „außerordentliche Maßnahmen“ durchzuführen, welche die regionalen und lokalen Behörden entweder aus Mangel an Geld oder aus Mangel an Übersicht nicht durchführen können.
Die Cassa hat mit diesem Ansatz bis Anfang der siebziger Jahre hervorragendes geleistet. Dann wurde die Entscheidung getroffen, den einheitlichen Ansatz aufzugeben und die Cassa statt dessen mit der Durchführung zahlloser „gewöhnlicher Maßnahmen“ zu beauftragen, also mit dem Bau lokaler Straßen, Schulen etc. Das Zentrum der Entscheidungen verlagerte sich zu den lokalen Behörden, die „dazu tendierten und immer noch dazu tendieren, die geographischen Gegebenheiten nicht vorsätzlich zu verändern“, sagte Novacco, „sondern auf der Grundlage der Nachfrage der gegebenen Wirtschaft und Märkte.“ Das könne vielleicht in einer Lage funktionieren, wo es bereits Wachstum gebe, aber nicht im Mezzogiorno.
Schließlich verkam die Cassa zu einem Synonym für Vetternwirtschaft, bis sie 1993 im Rahmen des berüchtigten „Britannia-Putsches“, der das politische System der Nachkriegszeit beseitigte, aufgelöst wurde.
Im Namen des Freihandels wurde der Mezzogiorno sich selbst überlassen, und sogar die Chancen, die sich mit den Transeuropäischen Korridoren boten, wurden nicht gleich wahrgenommen. Diese sind nach wie vor gültig als Richtlinien für Infrastrukturkorridore, um den Mezzogiorno in das übrige Europa zu integrieren und zu einer Brücke nach Afrika zu machen. „Dieses Projekt stimmt mit LaRouches Konzept der Eurasischen Landbrücke überein“, sagte Novacco.
Bei den europäischen Korridoren handelt es sich „um den Nord-Süd-Korridor Nr. 1 von Berlin nach Palermo, was eine historische Öffnung gegenüber den Ländern Nordafrikas und vielleicht zu der Idee eines Tunnels unter der Straße von Sizilien [also zwischen Sizilien und Tunesien] darstellt“, dem Ost-West-Korridor Nr. 5 von Spanien über Lyon nach Budapest und Rußland, also eine wesentliche Öffnung nach Ost- und Nordosteuropa, und den südlichen Korridor Nr. 8, der Italien mit Albanien und Bulgarien (und umgekehrt) verbinden soll, was eine wichtige Öffnung - auch in Bezug auf Öl - zum Balkan, zur Türkei, zum Nahen Osten und der islamischen Welt darstellt“, sagte Novacco.
In diesem Kontext mache die Messina-Brücke (zwischen Sizilien und dem italienischen Festland) Sinn - die zu bauen die italienische Regierung fest entschlossen ist -, wenn sie mit Hochgeschwindigkeitsstrecken auch nach Sizilien verbunden ist. „Es ist nicht allein die Tatsache, daß man mit der Brücke schneller zum Festland kommt als mit der Fähre: Alles ändert sich!“
In dieser neuen Phase wurde der Impuls gesetzt zur Schaffung neuer Institutionen für die Entwicklung Italiens. Tremontis Mitarbeiter charakterisierten die Initiative als einen „Marshallplan“ für Süditalien und eine „Entscheidung für einen entschiedenen Bruch mit der Vergangenheit.“
Auch wenn diese Änderung der Politik klar ist - man redet zuerst über die Dinge und erst dann über das Geld - wurde die Frage des Kredits noch nicht gelöst. Tatsächlich soll diese neue Behörde die Gelder der EU verwalten, die bis 2013 bewilligt werden. Danach wird die EU eine neue Ordnung einführen, wonach eine Region erst dann als unterentwickelt gilt, wenn ihr Einkommen um mehr als 75% unter dem Durchschnitt der EU liegt. Durch die Erweiterung der EU auf 27 Mitgliedstaaten ist dieser Druchschnitt aber dramatisch gesunken, sodaß der Mezzogiorno nicht länger als „unterentwickelt“ gilt.
In nächster Zeit wird die Weltwirtschaft jedoch große Erschütterungen erleiden, und vielleicht wird es die EU im kommenden Jahr schon nicht mehr geben. Früher oder später ist eine Rückkehr zu einem umfassenden, vom Staat geschaffenen Kreditsystem unumgänglich.
Claudio Celani