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Von Helga Zepp-LaRouche
- Zweiter Teil -
Der Satz, den BüSo-Mitglieder in Gesprächen mit Bürgern an Infoständen mit Abstand am häufigsten zu hören bekommen, lautet: „Man kann ja doch nichts machen.“ Bei der überwältigenden Mehrheit der unteren 70% der Einkommensschichten hat sich seit langem ein Gefühl der Unfähigkeit eingestellt, auf die politischen Ereignisse in diesem Land auch nur den geringsten Einfluß nehmen zu können. Für die Demokratie genauso schlecht ist das ebenfalls weitverbreitete Gefühl, daß nur die oberen Einkommensschichten ihr Recht durchsetzen können, während der einfache Bürger niemanden hat, an den er sich wenden kann, wenn ihn die Richtung der politischen Entwicklung bedrückt.
Warum dies so ist, wurde soeben noch einmal dramatisch beleuchtet, als das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am 30. Juni ein historisch bedeutsames Urteil über das Zustimmungsgesetz zum Lissabon-Vertrag und das Begleitgesetz zur Stärkung und Ausweitung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union fällte. Damit erklärte das Gericht den Lissaboner Vertrag als ausschließlich in der von Karlsruhe formulierten Auslegung verfassungsmäßig. Danach ist die EU kein Bundesstaat, wie ihn der uneingeschränkte Lissaboner Vertrag ansonsten konstituiert hätte, sondern sie bleibt ein Staatenverbund souveräner Staaten. Ferner bezeichnete das Urteil eine Änderung des Grundgesetzes, sofern es die Artikel 1 (Unantastbarkeit der Menschenwürde) und Artikel 20 (Identität Deutschlands als demokratischer und sozialer Staat, Bundesstaatlichkeit und republikanisches Prinzip, Volk als Souverän und Rechtsstaatprinzip) betrifft oder abschwächt, als unzulässig.
Außerdem betonte das Gericht, daß die europäische Integration nicht zur Aushöhlung des demokratischen Herrschaftsprinzips in Deutschland führen darf. Diese ausdrückliche Betonung ist deshalb wichtig, weil der Absatz 4 des Artikel 20, der das Widerstandsrecht gegen jeden etabliert, der diese Identität Deutschlands ändern will, erst mit den Notstandsgesetzen von 1968 hinzugefügt wurde und nach allgemein gültiger Staatsrechtslehre nicht zu den von der sogenannten Ewigkeitsgarantie geschützten Prinzipien gehört. Da es unter Staatsrechtlern strittig ist, ob das Widerstandsrecht greift, noch bevor die Staatsordnung gefährdet ist, oder erst nach Verstößen der Staatsorgane gegen die Verfassung, ist eine solche Bekräftigung sehr nützlich.
Der skandalöse Zustand, in dem sich die Demokratie in Deutschland befindet, wurde jedoch durch einen anderen Aspekt des Urteils beleuchtet, indem es das erwähnte Begleitgesetz als verfassungswidrig bezeichnet, weil es die von der Verfassung vorgeschriebene Ausgestaltung der parlamentarischen Beteiligungsrechte nicht enthält. Mit anderen Worten: Anstatt die Rechte von Bundestag und Bundesrat gegenüber Brüssel zu stärken und auszuweiten, hatten beide Gremien 2008 diese Rechte weggegeben - und verstießen damit gegen Artikel 38 des Grundgesetzes, der die Rolle der Abgeordneten als Volksvertreter definiert. Anstatt die gesetzliche Grundlage zu schaffen, um notfalls die deutsche Bevölkerung gegen Übergriffe einer supranationalen Bürokratie zu verteidigen, übertrugen sie alle Rechte an eben diese Bürokratie! Bis auf eine Handvoll Ausnahmen hatten die Abgeordneten diesen 250 Seiten plus Erläuterungen umfassenden Vertrag, der wohl absichtlich in unverständlichstem Juristen-Deutsch verfaßt ist, gar nicht gelesen.
Offensichtlich ist das die Praxis auch bei anderen Gesetzen, die der Bundestag verabschiedet. So beschreibt ausgerechnet der neoliberale Friedrich Merz in einem Kommentar, warum er nicht wieder für den Bundestag kandidiert, daß es bei der Abstimmung über die Gesundheitsreform nicht ein Jota besser war. Das mehr als 500 Seiten umfassende „Konvolut“, das weder lesbar noch verständlich gewesen sei, zu welchem am Tag vor der Abstimmung noch weit über 100 Seiten Änderungsanträge dazugekommen seien, habe den Bundestag zur Abstimmung im Blindflug gezwungen. Außer ein paar Fachpolitikern hätten die meisten Abgeordneten gar nicht gewußt, worüber sie abstimmten, noch hätten sie es jemals in Erfahrung gebracht(!). Das Zustandekommen der Gesundheitsreform reflektiere eine Machtverschiebung vom Parlament hin zur Bundesregierung, die kaum noch mit den Regeln der parlamentarischen Demokratie in Übereinstimmung zu bringen sei.
Selten sei eine solche Vielzahl von insbesondere jüngeren Kolleginnen und Kollegen von der Regierung und ihren Fraktionsführungen so massiv unter Druck gesetzt worden, einzelnen Abgeordneten sei massiv mit dem Ende ihrer Karriere gedroht worden. Für viele Abgeordnete, die auf Dauer wirtschaftlich von der Politik abhängig sind, sei Anpassung zur Existenzfrage geworden. Ein Drittel der Abgeordneten seien Mitglieder der Regierung oder in regierungsnahen Parlamentsfunktionen, ein weiteres Drittel wolle so schnell wie möglich dorthin. Man müsse sich nicht wundern, wenn viele das notwendige Selbstbewußtsein gegenüber der Regierung nicht aufbringen könnten. „Bei uns hat die ,Gewaltenverschränkung’, wie das Verfassungsgericht sie nennt, dagegen ein Ausmaß angenommen, das dem Parlament in seiner ureigenen Funktion, nämlich die Regierung zu kontrollieren und die Verantwortung vor den Wählern zu tragen, schweren Schaden zugefügt. Ein solches Parlament kann objektiv seine Kernaufgabe nicht mehr wahrnehmen“, so der aus dem Bundestag scheidende Merz! Weil die Bürger das irgendwie mitgekriegt haben, ist heute die stärkste Partei die der Nichtwähler. Noch besser für die Demokratie wäre es allerdings gewesen, wenn Merz diese Bemerkungen bei einer Rede im Bundestag gemacht hätte, anstatt das jetzt zu sagen, wo er in die Industrie überwechselt, und es ihn also nichts mehr kostet.
Das sich daraus ergebende Bild sieht folgendermaßen aus: Die Regierung gestaltet die politischen Vorgaben so, wie es die Finanzinteressen gerne hätten - siehe TSI, EU-Vertrag und Privatisierung des Gesundheitswesens. Der Bundestag winkt dann entsprechende Gesetze durch, ohne sie vorher zu lesen, und die Bürger sind die Dummen, denn die Abgeordneten sehen sich erwiesenermaßen nicht als Volksvertreter. Dann können die Steuerzahler für die verzockten Milliarden aufkommen und dürfen früher sterben, wenn sie dabei arm geworden sind.
Weil unser schönes Deutschland auf diese Weise zugrunde geht, und weil wir dies nicht zulassen dürfen, deshalb kandidiere ich als Kanzlerkandidatin. Jetzt liegt es an Ihnen, den Wählern.
Wir befinden uns in einem systemischen Zusammenbruch, und dies betrifft nicht nur das Finanzsystem, die Realwirtschaft, die Politik, sondern eben auch die Kultur. Betrachtet man Deutschland von dem einzigen Standpunkt, von dem aus man es betrachten sollte, nämlich dem Standpunkt von Deutschen wie Nikolaus von Kues, Kepler, Leibniz, Bach, Mendelssohn, Lessing, Schiller, den von Humboldts, Gauß, Beethoven, Schubert, Schumann, Riemann und Einstein, dann befinden wir uns in einem finsteren Zeitalter. Unsere sogenannten Eliten sind dekadent, die Bevölkerung im allgemeinen bis auf kleine Kreise von ihren kulturellen Wurzeln weitgehend abgeschnitten, die dominierende Jugendkultur und die Realität im allgemeinen gibt den Jugendlichen unter den gegenwärtigen Bedingungen eigentlich überhaupt keine Zukunftsperspektive. Das Leben ist nicht gerade fair zu den Krisenkids; was wundert es da, wenn sie immer rüder werden.
Einer der wesentlichen Gründe, warum sich Deutschland heute weitgehend als kulturelles Brachland darstellt - und in diesem Punkt stimmt mir so gut wie jeder zu -, liegt an der unglaublich banalisierenden und verblödenden Unterhaltungsindustrie für alle Altersstufen. Bei genauerer Untersuchung stellt man fest, daß hier wieder die gleichen Finanzinteressen die Strippen ziehen, gleich ob es sich um private Fernsehsender, Film- und Ton-Studios, Verlage oder soziale Netzwerke im Internet handelt. Sie funktionieren alle nach dem Prinzip „Brot und Spiele“. Durch seichte Unterhaltung werden die Konsumenten zu Massenwesen, fremdbestimmt und manipulierbar, ganz egal, ob es sich um Musikantenstadl oder Rammstein handelt.
Was also ist zu tun, wenn wir heute in einer ähnlichen Situation sind, wie sie Schiller in seinen Ästhetischen Briefen über die Lage nach der gescheiterten französischen Revolution beschreibt? Woher soll die Veränderung kommen, wenn die Politiker untertänig, die Manager korrupt, die „Künstler“ der Gegenwartskultur voller Drogen und die Massen verwildert sind?
Die Antwort ist die gleiche, die Schiller in diesen Briefen gibt: Jede Veränderung im Politischen ist nur durch die Veredlung des Einzelnen möglich, und eines der wichtigsten Medien dazu ist die klassische Kunst, und zwar die klassische Musik ebenso wie die klassische Dichtung, denn es geht darum, die Menschen wieder mit ihrem Inneren in Übereinstimmung zu bringen und sie so zu selbstbestimmten Individuen werden zu lassen. Denn für unsere Zeitgenossen ist um so wahrer, was Schiller zu allen sagte, die die Lehren aus der französischen Revolution ziehen wollten, damit ein „großer Augenblick“ nicht wieder ein „kleines Geschlecht“ finden möge: Wie kann man die Mitbürger darin bestärken, daß sie sich nicht vom Zeitgeist verschaukeln lassen?
Schiller sagt dazu im 7. Brief der Ästhetischen Briefe: „Der Ernst deiner Grundsätze wird sie von dir scheuchen, aber im Spiele ertragen sie dich noch; ihr Geschmack ist keuscher als ihr Herz, und hier mußt du den scheuen Flüchtling ergreifen. Ihre Maximen wirst du umsonst bestürmen, ihre Taten umsonst verdammen, aber an ihrem Müßiggange kannst du deine bildende Hand versuchen. Verjage die Willkür, die Frivolität, die Rohigkeit aus ihren Vergnügungen, so wirst du sie unvermerkt auch aus ihren Handlungen verbannen.“ Wir müssen also genau den umgekehrten Weg gehen, den die Finanzoligarchie im Bereich der Unterhaltung geht: Statt in der Freizeit zu verblöden und all den Dingen hinterherzujagen, die uns in Massen untergehen lassen - von Massentourismus bis Massen-Popkonzerten - müssen wir Wege finden, unseren Geist und unsere Gefühle zu bilden.
Zuvor hatte Schiller die Geisteshaltung definiert, von der aus dies geschehen muß: „Lebe mit deinem Jahrhundert, aber sei nicht sein Geschöpf. Leiste deinen Zeitgenossen, aber was sie bedürfen, nicht was sie loben... Denke sie dir, wie sie sein sollen, wenn du auf sie zu wirken hast, aber denke sie dir, wie sie sind, wenn du für sie zu handeln versucht wirst.“ Genau dieses Bild von den Deutschen, so wie sie sein sollen, nicht wie sie sind, müssen wir vor Augen haben, wenn wir einen Ausweg aus der Krise und eine Vision für die Zukunft entwerfen.
Wenn man in ferne Länder reist, so ist es oft eine überraschende Erfahrung, daß das Ansehen, das Deutschland vielerorts trotz seines jetzigen desolaten Zustandes hat, sehr stark der Erinnerung an deutsche Wissenschaft und Kultur zu verdanken ist. Im Deutschland der Gegenwart hingegen ist die kreative Denkmethode, die den großen klassischen Kompositionen in Musik und Dichtung zugrunde liegt, fast vollkommen verloren gegangen. Was heute meist unter Kreativität verstanden wird, gleicht eher im besten Falle jenen zufällig vom Künstler an die Wand geworfenen Arabesken, von denen Kant irrtümlicherweise meinte, sie hätten einen höheren künstlerischen Wert als das Werk, in dem man die Absicht des Autors erkennen könne.
Wenn Deutschland sich aus seiner gegenwärtigen Krise erholen soll - und das muß es -, dann ist nichts wichtiger, als daß sich die Menschen, jung und alt und sogar die „Tweener“, mit dem Menschenbild auseinander setzen, das Schillers gesamtem Werk zugrunde lag. Dieser Dichter der Freiheit hat eine ganz besondere Bedeutung für unser Land. Denn die beste Kur gegen die Mittelmäßigkeit und Zwei-Dimensionalität der Gegenwart ist die Konfrontation mit den Ideen Schillers. Sein Ideal des Menschen war nichts weniger, als daß jeder Mensch eine schöne Seele werden soll, ein Mensch also, bei dem Leidenschaft und Pflicht, Freiheit und Notwendigkeit in eins fallen. Nur ein solcher Mensch ist innerlich frei, und der einzige, der diese Bedingung erfüllt, ist das Genie, das auf gesetzmäßige Weise die Gesetzmäßigkeit erweitert und dadurch höhere Freiheitsgrade schafft.
Und warum sollen sich nicht, zu dem Grade, wie in der Entwicklung des Universums im Sinne des russischen Wissenschaftlers Wernadskij der Anteil der Noosphäre im Verhältnis zur Biosphäre wächst, immer mehr Menschen zu Genien entwickeln? Es ist nicht nur eine Voraussetzung dafür, sondern in der Schöpfungsordnung so begründet! Genien aber entstehen nicht beim Videospiel, im chat-room oder bei der Spekulation im futures market. Sie entwickeln sich, weil sie das Glück hatten, rechtzeitig einem Menschen zu begegnen, der in ihnen den göttlichen Funken geweckt hat, und dann von einer leidenschaftlichen Liebe zur Sache der Menschheit oder zu einer tieferen Erkenntnis der Gesetze des Universums oder der Entdeckung reicherer Möglichkeit in den Gesetzen der klassischen Kunst erfüllt wurden.
Schiller hatte das große Glück, zumindest einen solchen Menschen rechtzeitig zu treffen, und das, obwohl er sehr unter der oligarchischen Umgebung und den Geflogenheiten der Militärakademie litt, in die ihn der Herzog Karl Eugen von Württemberg eingezogen hatte. Dieser Mensch war sein Philosophielehrer Jakob Friedrich Abel, dessen Rede vom 14. Dezember 1776 bei der Abschlußfeier der Herzoglichen Akademie zu Stuttgart einen Geschmack davon gibt, mit welchen Ideen er seinen berühmtesten Schüler, der bei dieser Rede im Publikum saß, konfrontierte und anregte. Der Titel der Rede lautete: „Rede über das Genie, Werden große Geister geboren oder erzogen?“
Abel entwarf in seiner flammenden Rede, in der er sich immer wieder direkt an seine jungen Zuhörer wandte, das Thema, mit dem man junge Menschen am meisten begeistern kann, das Thema der menschlichen Größe und die Frage, was notwendig ist, um sich zu einem Genie zu entwickeln. Polemisch kontrastierte er wiederholt auf der einen Seite die schwachen Köpfe, die sich nie aus ihrem Gedanken- und Tatenschlummer erheben können: „Im Genielosen schleichen alle Gedanken nur matt, nur träg dahin... im öden Kopf sind nur wenige Begriffe auf einmal, und bei der größten Gelehrsamkeit verläßt ihn nie eine drückende Armut“, ihn kennzeichnet eine „Kälte der Seele“, die „still ihren Schneckengang fortschleicht“.
Auf der anderen Seite das Genie: „Ungezählte Empfindungen wallen durch seine Seele, Gedanken strömen auf Gedanken, Wellen schlagen auf Wellen. Diese Fruchtbarkeit des Genies ist von der größten Wichtigkeit. Eben weil die Begriffe so mannigfaltig sind, weil der Seele so viele Gegenstände der Vergleichung dastehen, ist sie zu den merkwürdigsten, sonderbarsten Verbindungen fähig. Fülle des Gefühls, Fülle und Stärke der Gedanken, Erfindung und Schöpfungsgeist, sonderbare Zusammensetzungen und Verhältnisse“ - in Abels Beschreibung des Genies ist nicht nur Schillers spätere Beschreibung des philosophischen Kopfes im Unterschied zum Brotgelehrten vorgezeichnet, sondern auch die Idee der Geistesmassen, wie sie später von Herbart und Riemann entwickelt wurde. Sich zum Genie zu entwickeln, bedeutet also das Gegenteil von „cool“ sein.
„Ohne Leidenschaft ist nie etwas Grosses, nie etwas Ruhmvolles geschehen, nie ein großer Gedanke gedacht oder eine Handlung der Menschheit würdig vollbracht worden“, sagt Abel. „Es fällt sogleich in die Augen, daß keine großen Wirkungen geschehen, keine Iliade gedacht oder kein jüngstes Gericht geschaffen werden kann, wann nicht die wesentliche Kraft der Seele, das Denkungs-, und Empfindungsvermögen einen außerordentlich hohen Grad besitzt; denn wie kann ohne große Ursache große Wirkung entstehen?“
Leidenschaft unterscheidet auch die großen Lehrer von akademischen Erbsenzählern „Welcher Unterschied zwischen dem feurigen, geistvollen Leibniz, der selbst in ödesten Gegenden der Metaphysik Anmut und Leben bringt, und dem kalten, trockenen, gedankenarmen Schüler desselben, zwischen einem Plato, der in den tiefsten Abgründen der Abstraktion noch glüht und Wollust atmet, und dem kalten armseligen Kritiker, der bei den Reizungen der himmlischen Schönheit, beim Anblick der Grazien und der Musen nichts als distinguieren und gähnen kann.
Ebenso verhält es sich mit der Helle der Begriffe. Ein Plato oder ein Leibniz, der in den tiefsten finstersten Abgründen der Metaphysik, im öden unfruchtbaren Land der Schatten, das nie ein milder Strahl besucht, nie der fernste Schimmer durchdrungen, noch sonnenglänzend steht und alles umher durch seinen Glanz erleuchtet; und ein finsterer, dumpfer Systematiker, der im Antlitz der Morgensonne nicht sieht und in trüben, dumpfen Finsternissen gleich der lichtscheuen Nachteule am liebsten wandelt - welch ein Unterschied!“
Aber auch Fleiß ist notwendig, aber nicht der Fleiß der „kalten Seele“, sondern der Fleiß, der leidenschaftlich auf das große Ziel gerichtet ist: „Das Gehirn Leibnizens ohne Übung wäre das Gehirn einer mittelmäßigen Seele geworden“, Leibniz, der nächtelang über metaphysische Begriffe sinnt, Shakespeare, der ohne Leidenschaft ein namenloser Wollhändler geblieben wäre - das sind die Beispiele von Genien, die Abel seinen Schülern vorhält, und er fragt sie: „Im Homer oder Dante, Sophokles oder Shakespeare, Homer, Euripides oder unseren neumodischen Dichtern - wo ist der göttliche Funke verborgen?“
Abel fokussierte also direkt auf die Kreativität, den göttlichen Funken bei den großen Denkern und Dichtern in der Tradition des platonischen Humanismus und der großen Tragödienschreiber. In den Zeugnissen von mehreren Mitschülern Schillers wird Schiller bis 1776 als von stillem Wesen beschrieben und ausgestattet mit einem „melancholischen Humor“. Die Konfrontation mit dem begeisternden Lehrer Abel, der ihn mit den bedeutendsten Genien der Vergangenheit vertraut machte, bedeutete einen totalen Aufschwung für Schiller und setzte seinen eigenen Genius frei. Ohne Abel hätte es wahrscheinlich niemals den großen Schiller gegeben, der uns die größten historischen Dramen geschenkt hat, die jemals in deutscher Sprache geschrieben worden sind, oder nach dem Prinzip der Durchkomponierung so vollendete philosophische Gedichte und Balladen wie Die Künstler, Das Lied von der Glocke, Das Ideal und das Leben oder Die Bürgschaft, um nur einige zu nennen. Nie wären die Begriffe des Erhabenen und der schönen Seele auf einer so hohen Ebene formuliert worden.
Warum ich all das in einem Aufsatz über die Systemkrise in Deutschland und ihre Überwindung erwähne? Weil hier der Schlüssel dazu liegt. Die sogenannte Brandtsche Bildungsreform von 1970, die im übrigen von Dr. Alexander King, dem späteren Mitbegründer und Präsidenten des Club of Rome, 1963 in seiner Eigenschaft als OECD-Vertreter in Paris ausgearbeitet wurde, hatte es sich zum Ziel gesetzt, das Erziehungssystem, das vor allem in Deutschland in der Nachkriegszeit noch wichtige Elemente des Humboldtschen Bildungssystems beinhaltete, vom „Bildungsballast“ der letzten 2500 Jahre abendländischer Geschichte zu befreien. Das ist offensichtlich weitgehend gelungen. Und genau deshalb ist es Zeit, das ganze Paradigma der letzten 40 Jahre, für das solche oligarchischen Figuren wie Alexander King, ein Mitbegründer der Ökologiebewegung und der Bildungsmisere, exemplarisch sind, aus dem Fenster zu werfen. Die Bertelsmann-Stiftung mit ihren diversen Projekten von Bildungsreform NRW II und EU-Vertrag, um nur zwei zu erwähnen, verdient in diesem Zusammenhang Erwähnung.
Als Bundeskanzlerin wäre die klassische Kultur nicht der reichen Oberschicht vorbehalten, die sich die Eintrittskarten bei den Festivals leisten kann, sie würde allen Bürgern zugänglich gemacht. Alle Kinder und Jugendliche könnten als Teil der Schule Instrumente und die Belcanto-Methode des Singens lernen. Die öffentlichen Medien würden beauftragt, der Bevölkerung klassische Kunst zu präsentieren, die nicht vom Regie-Theater und ähnlichen Bearbeitungen ruiniert wäre, selbst wenn man dafür zwischenzeitlich auf historische Aufführungen zurückgreifen müßte.
Des öfteren werde ich gefragt, wieso es kommt, daß ich mich seit nunmehr 37 Jahren für eine neue gerechte Weltwirtschaftsordnung und ein neues Bretton-Woods-System einsetze, obwohl Wahlerfolge in der Vergangenheit ausgeblieben seien. Dazu könnte ich eine ganze Menge sagen, möchte aber für den Augenblick nur zwei Momente herausgreifen. Nach dem Abitur entschloß ich mich, Journalistin zu werden. Mir hatte die Arbeit bei unserer Schüler-Zeitung Spaß gemacht, und ich war bei meinem Berufswunsch von einer, zugegeben naiven Vorstellung geleitet, daß die Bevölkerung ein Recht auf Information hätte. Während eines Volontariats bei einer Tageszeitung und einer anschließenden weiteren journalistischen Ausbildung merkte ich jedoch schnell, daß dieser Beruf so gut wie nichts mit diesem Recht zu tun hatte. Ich erhielt statt dessen einen Einblick in die Informationsselektion und den vorauseilenden Gehorsam der Kollegen, die mich gewissermaßen von der Pike auf gelehrt haben, Medienberichte nicht für bare Münze zu nehmen, sondern von ihrer Absicht her zu betrachten.
Das zweite, entscheidendere Moment lag in der Erfahrung, die ich auf einer Reise auf einem Frachter nach China im Jahre 1971 machen konnte, also mitten in der Kulturrevolution, und auf der ich auch Eindrücke von einigen Ländern in Afrika und Asien gewinnen konnte. Vor allem der Anblick der Armut, die man wohl nur voll erkennen kann, wenn man nicht in Kreuzfahrtschiffen und Fünf-Sterne-Hotels unterwegs ist, sondern sieht, wie sich der Alltag für die meisten Menschen in diesen Ländern darstellt, ließ mich mit der Einsicht von dieser Reise zurückkommen, daß die Weltordnung definitiv in Ordnung gebracht werden mußte.
Als ich dann in Berlin während meines Studiums auf die Ideen und Programme von Lyndon LaRouche stieß, in denen er u. a. über die dringende Notwendigkeit sprach, die Unterentwicklung der sogenannten Dritten Welt durch Entwicklung von Infrastruktur, Industrie und Landwirtschaft zu entwickeln, beschloß ich, seine Bewegung mit aufbauen zu helfen, und habe seitdem an vielen Entwicklungsprogrammen für Afrika, Asien und Lateinamerika mitgearbeitet. Um den Wählern in Deutschland die Perspektive einer neuen gerechten Weltwirtschaftsordnung zu ermöglichen, habe ich mich 1976 als Kanzlerkandidatin mit diesem Programm beworben. Wäre ich damals gewählt worden, wäre die Welt heute in einem besseren Zustand.
Und da die Kluft zwischen Reich und Arm seitdem nicht kleiner, sondern gewaltig viel größer geworden ist, hat sich mein Engagement eher verstärkt, als daß ich mich einer Ordnung angepaßt hätte, von der ich zutiefst überzeugt bin, daß sie nicht mit den Gesetzen des Universums und der Schöpfungsordnung übereinstimmt.
Gerade wenn man sich angewöhnt hat, die Sichtweise von Denkern und Dichtern wie Nikolaus von Kues, Kepler, Leibniz und Schiller mit zu berücksichtigen, dann wird man kritisch gegenüber Trends sein, die die Gesellschaft zerstören, auch wenn sie noch so populär sind. Unglücklicherweise gibt es einige Beispiele von Zeiten in Deutschland, in denen sich die Mehrheit geirrt hat. In der großen Depression der dreißiger Jahre hat es an einer gesellschaftlichen Kraft gefehlt, die es fertig gebracht hätte, sich dem Bösen zu widersetzen und die programmatischen Lösungen für die Überwindung der Krise, die durchaus vorhanden waren - wie dem Lautenbach-Plan und dem WTB-Plan des ADGB - in gleicher Weise umzusetzen, wie Roosevelt es für die USA mit dem New Deal getan hat. Diese Kraft müssen wir heute werden.
In den kommenden Stürmen können Mehrheitsparteien über Nacht verschwinden, kleine Parteien können ebenso schnell an Einfluß gewinnen, wenn sie eine Antwort für die existentiellen Fragen der Bürger haben. Aus dem zuvor gesagten geht klar hervor, daß es dieses Mal kein kleineres Übel gibt, sondern nur ein Großes. Aber mit dem System der Globalisierung gehen auch die Annahmen den Bach hinunter, die bisher den Mehrheitstrend ausgemacht haben. Es gibt also Raum, damit Deutschland wieder das Volk der Dichter und Denker werden kann.
Dazu brauchen wir die Leidenschaft, es retten zu wollen. Wenn Sie diese Leidenschaft aufbringen können, wenn Sie nicht wollen, daß unser schönes Land in Armut und Chaos versinkt, dann helfen Sie aktiv bei meiner Kampagne mit. Unser Land braucht jetzt mehr denn je Staatsbürger, die mit mir die Verantwortung für die Politik übernehmen, damit die Demokratie in Deutschland verteidigt wird. Sie, Sie alle, werden gebraucht!
Nachwort: Albert Einstein
„Die Welt, in der wir leben, ist gefährlich, nicht durch jene, die Böses tun, sondern durch jene, die es beobachten und zuschauen.“