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Zum Buch von Stefan Rehder „Die Todesengel - Euthanasie auf dem Vormarsch“, St. Ulrich Verlag, Augsburg, 2009.
Massenarbeitslosigkeit im Herbst, einbrechende Steuereinnahmen, eine möglicherweise verheerende Pandemie: Diese Entwicklungen werden die Bundesrepublik, ebenso wie andere Nationen, sehr bald vor die ultimative Frage stellen, ob wir uns für den Schutz der Menschen entscheiden wollen oder für die Interessen bankrotter Finanzinstitutionen - und damit für ein neues finsteres Zeitalter.
Wie weit die moralische Unterminierung der Gesellschaft fortgeschritten ist, davon legt Stefan Rehders Buch Die Todesengel - Euthanasie auf dem Vormarsch (März 2009) ein beredtes Zeugnis ab, auch wenn man nicht immer mit seiner Herangehensweise übereinstimmen muß. Vom Standpunkt des gegenwärtigen internationalen Kampfes gegen nazi-ähnliche Gesundheits“reformen“ bietet das Buch eine Fülle von Material, auf das deswegen hier auch ausführlich Bezug genommen wird.
Die Lehren aus der verhängnisvollen deutschen Geschichte haben in Deutschland bisher zwar noch weitgehend einen Schutzwall gegen Entwicklungen wie in England, den Beneluxländern oder jetzt den USA geboten.1 Wie lange der allerdings noch hält, ist fraglich. Der frühere deutsche Bundesärztekammerpräsident Karsten Vilmar warnte schon vor Jahren, die Forderung nach einem „sozialverträglichen Frühableben“ würde in Deutschland immer lauter.
Ein abschreckendes Beispiel dafür zitiert Rehder in seinem Buch: Der Bonner Strafrechtler Günther Jakobs im April 2004 hatte bei einem Symposium über „Sterbehilfe in der Industriegesellschaft“ - ebenso wie jetzt die Clique um Präsident Obama -, betont, statistisch betrachtet fielen die Hälfte der Gesundheitskosten eines Menschen in den letzten beiden Lebensjahren an, und gesagt: „Das können wir doch nicht einfach so fortschreiben.“ Jakobs sah damals die Aufhebung des Straftatbestandes „Tötung auf Verlangen“ in nicht allzuweiter Ferne. Dann brauche man eine neue gesetzliche, sich an „objektiven Mustern“ orientierende Regelung. Kämen mehrere Ärzte „objektiv“ zum Schluß, das Leben des Patienten sei fürderhin „sinnlos“, könnte auch der subjektive Wunsch des Patienten die Ärzte „nicht verpflichten, zu unterlassen, was in einem solchen Fall angezeigt sei.“ Das heißt im Klartext, so Rehder: „Der Legalisierung einer ,Tötung auf Verlangen’ muß nach Ansicht des Juristen die ,Tötung ohne Verlangen’ auf dem Fuße folgen.“
Das Buch ist vor der Neuregelung der Patientenverfügung durch den Bundestag, die bei der Abfassung ausdrücklich keine ärztliche Beratung und Aufklärung mehr vorsieht, aber Ärzte dazu gesetzlich verpflichtet, dem „Sterbewillen“ nachzukommen, erschienen. Diese Entscheidung ist fatal. Und zwar für Ärzte, Pflegepersonal und die Patienten. Wird dieses Gesetz nicht zurückgenommen und vor allem eine andere Wirtschaftspolitik betrieben, die wieder über erhöhte Einnahmen Kostendruck und Pflegenotstand aufhebt, werden sich - und zwar ganz ohne noch weitergehendere Gesetzesänderungen - vermeintlich individuelle und autonome Entscheidungen über das eigene, würdige Sterben schnell in ihr glattes Gegenteil verwandeln.
Rehder charakterisiert die Anstrengungen der Politik, die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen neu zu regeln, als „geradezu bizarr“. Die Gefahr, daß sich Patienten, ob beabsichtigt oder nicht, mittels einer Vorausverfügung „selbst entsorgten“, sei „immens und völlig real“. Vielfach seien sich die Menschen bei der frühzeitigen Abfassung von Patientenverfügungen gar nicht über Behandlungsmöglichkeiten bewußt, die bei ernsten Erkrankungen bestehen. Bei Studien habe sich außerdem gezeigt, daß die allerwenigsten Patienten dann bei einer tatsächlichen schweren Erkrankung tatsächlich wollen, daß auf effektive Behandlung verzichtet wird. Außerdem ist es eine Tatsache, daß vor allem Ärzte und Pflegepersonal davon absähen, selbst für sich Patientenverfügungen zu unterschreiben. Selbst ein so entschiedener Kämpfer für Patientenverfügungen wie der Staatsrechtler Wolfram Höfling gab an, keine Patientenverfügung verfaßt zu haben.
In einer von Rehder zitierten Studie des Onkologen Stefan Sahm, Chefarzt am Ketteler-Krankenhaus in Offenbach (veröffentlicht 2006), wurde die Akzeptanz von Patientenverfügungen in einer detaillierten Befragung von jeweils hundert Tumorpatienten, gesunden Kontrollpersonen, Pflegenden und Ärzten verglichen. Danach lehnten gesunde Menschen künstliche Ernährung, Behandlung mit Antibiotika und Schmerzmitteln, Chemotherapie, Dialyse und künstliche Beatmung jeweils deutlich öfter ab als Patienten, bei denen ein Tumor diagnostiziert wurde. Und deutlich weniger Pfleger und Ärzte besaßen eine Patientenverfügung als die Gesunden und Tumorpatienten.
Selbst prominente Befürworter des Ausbaus von Hospizen und der Palliativmedizin wehrten sich mittlerweile gegen das häufig in den Medien verbreitete Zerrbild der Intensivmedizin. Die intensivmedizinische Behandlung sei aber häufig gar nicht so „unerträglich“, wie es die Bilder darlegten, schreibt Rehder und führt dafür eine ganze Reihe von überraschenden Beispielen an. Für den medizinischen Laien sei von außen „so gut wie nie erkennbar“, ob das Lebensende eines Patienten tatsächlich „gewaltsam“ verlängert wird oder ob der „Arzt bloß seiner Pflicht nachkommt, das Leben zu bewahren und sich daher weigert, den Patienten vorzeitig aufzugeben“. Festzulegen, ob die Bedingungen, unter denen man auf weitere Behandlung verzichtet, erfüllt sind, erfordere aber eine Kompetenz, die nur der Arzt besitzt.
Rehders Einschätzung ist zuzustimmen: Patientenverfügungen haben mit „Autonomie am Lebensende“ „rein gar nichts zu tun, mit Euthanasie auf Umwegen und einem Betrag zur Sanierung des Gesundheitssystems einer alternden Gesellschaft dafür jede Menge“. Sie schafften vor allem die Möglichkeit, daß „ein von der Gesellschaft für sinnvoll erachteter Tod, der die Solidargemeinschaft entlastet statt belastet, sich als selbstgewünscht empfinden läßt und als Ausdruck der Selbstbestimmung kaschiert werden kann.“ Da aber der Mensch nirgendwo „so sehr auf die Gemeinschaft und die Solidarität seiner Mitmenschen angewiesen ist, wie zu Beginn und am Ende seines Lebens“, entpuppe sich „die nur scheinbar menschenfreundliche Rede von Selbstbestimmung und Autonomie am Lebensende als das, was sie wirklich ist: nämlich die kalte, mitleidslose Aufforderung, seine Mitmenschen möglichst wenig mit den eigenen Ängsten und Nöten zu belästigen und statt dessen zuzusehen, wie man ,autonom und selbstbestimmt’ - nun, da man der Gesellschaft nichts mehr zu geben hat, möglichst geräuschlos aus dem Leben scheidet.“
Offenbar sind viele Menschen in Deutschland aufgrund des andauernden Wertewandels der Gesellschaft sehr anfällig für die Art der „Selbstentwertung“ im Krankheits- und Sterbefall, die ihnen durch die Medien mit Jugendlichkeits-, Schönheits- und Leistungswahn auf jede erdenkliche Weise eingetrichtert wurde. Der eigentliche „Wert“ des menschlichen Lebens wird immer mehr in Frage gestellt, bzw. völlig falsch definiert. Das ist auch kein Wunder, wenn diejenigen, die eigentlich die Moral hochhalten sollten, längst selbst umgekippt sind. So hat etwa die Evangelische Kirche in ihrem Eckpunktepapier zur Patientenverfügung die Tötung von schwerstbehinderten Menschen im Wachkoma durch Beendigung der Nahrungszufuhr als plausible Denkmöglichkeit diskutiert. Den 2008 veröffentlichten Zahlen einer Allensbach-Umfrage zufolge befürworten mittlerweile eine wachsende Mehrheit der Bundesbürger die „Tötung auf Verlangen“. Ca. 1800 Menschen ab 16 Jahren wurden gefragt: „Zur Zeit wird ja viel über aktive Sterbehilfe diskutiert. Das bedeutet, daß man das Leben schwerkranker Menschen, die keine Chance mehr zum Überleben haben und große Schmerzen erdulden müssen, auf deren eigenen Wunsch hin beendet. Sind Sie für oder gegen aktive Sterbehilfe?“ 58% der Befragten sagten daraufhin ja, 23% waren unentschieden und 19% lehnten ab. Der größte Teil der Befürworter kam von den 16-29jährigen (63%), während es bei den 60jährigen und noch Älteren 51% waren.
Bei dieser Umfrage gab es keinen Hinweis auf die enormen Möglichkeiten der modernen Schmerzmedizin, mittels derer bei kompetenter Anwendung heute praktisch niemand mehr unter unerträglichen Schmerzen sterben muß. Aber die Fragestellung ließ auch außer acht, wer mit welchen diagnostischen Verfahren die Entscheidung fällt, daß es „keine Chance mehr zum Überleben“ gibt. In Zeiten knapper Kassen, von Pflegenotstand, Profitdenken und quantifizierten Kosten-Nutzen-Vorgaben liegt die wirkliche Gefahr darin, daß gerade nicht mehr sorgfältigst alles abgeklärt und getan wird, um das Leben des Patienten zu retten.2
Solche Umfragen zeigen aber vor allem, wie mit angeblich objektiver „Statistik“ in einer ohnehin schon verunsicherten Bevölkerung Stimmung für „freiwillige“ soziale Akzeptanz gemacht wird. Denn wenn alle in der „Volksgemeinschaft“ so denken, wie kann dann ich mich gegen den Trend stellen??
Vor dem Hintergrund ist es wohl folgerichtig, daß angesichts der gesellschaftlich weithin propagierten „Autonomie über das eigene Leben“, also dem „Recht“, seinem eigenen Leben ein Ende zu setzen, z.B. die Angebote der Suizidpräventionsprogramme immer schwieriger aufrechtzuerhalten sind. Spenden dafür seien deutlich zurückgegangen, wie das Therapiezentrum für Suizidgefährdete (TZS) der Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf meldet. Außerdem wird Suizidalität nach den neuen ICD-Diagnosewerten der Weltgesundheitsorganisation nicht als Krankheit betrachtet, sondern unter „nicht-natürlichen Todesursachen“ geführt. Aus diesem Grund halten sich sogar die Kassen mit Beiträgen für die Prävention zurück.
Dieses Kapitel zeigt eindringlich die Situation bei unseren Nachbarn. Man fragt sich: Ist dies das Europa, das wir wollen? Hier ein Überblick:
Am 1. April 2002 wurde mit einem Gesetz in den Niederlanden die Tötung auf Verlangen und die Beihilfe zum Suizid gesetzlich geregelt, die zuvor schon gang und gäbe war. Es war leider kein Aprilscherz. Der Anfang lautet folgendermaßen: „Wir Beatrix, von Gottes Gnaden Königin der Niederlande, Prinzessin von Oranien-Nassau (...) lassen wissen: daß Wir, in der Erwägung, daß es wünschenswert ist, in das Strafgesetzbuch einen Strafausschließungsgrund für den Arzt aufnehmen, der unter Berücksichtigung der gesetzlich zu verankernden Sorgfaltskriterien Lebensbeendigung auf Verlangen vornimmt oder Hilfe bei der Selbsttötung leistet, und dazu gesetzliche Vorschriften für ein Melde- und Kontrollverfahren zu erlassen, nach Anhörung des Staatsrats und im Einvernehmen mit den Generalstaaten folgendes Gesetz gutheißen und billigen...“3
In den Sorgfaltskriterien heißt es, der Patient müsse seine Bitte freiwillig und nach reiflicher Überlegung gestellt haben, der Zustand des Patienten müsse aussichtslos und sein Leiden unerträglich sein.“ Nach Aufklärung müsse der Arzt dann gemeinsam mit dem Patienten zur Überzeugung gelangt sein, daß „es für dessen Situation keine andere annehmbare Lösung gibt“. Außerdem soll mindestens ein anderer Arzt konsultiert werden; es sei mit „medizinischer Sorgfalt“ vorzugehen und danach dem Leichenbeschauer der Gemeinde Meldung zu erstatten. Wenn dieser dann informiert wurde, wird die Meldung an die zuständige von fünf regionalen Kontrollkommissionen weitergeleitet. Die Mitglieder (jeweils ein Jurist, Arzt und Sachkundiger in „Ethik- und Sinnfragen“) sind von den zuständigen Ministern für 6 Jahre ernannt und sollen überprüfen, ob die Sorgfaltskriterien eingehalten wurden, was normalerweise nach Aktenlage erfolgt. Wenn nicht, geht der Fall bei Stimmenmehrheit an die Staatsanwaltschaft, die entscheidet, ob sie Anklage erhebt.
Laut Spiegel beträgt die durchschnittliche Prüfungsdauer der Kommission pro Fall vier Minuten, die Konsultation eines Kollegen bleibt häufig aus. 2005 wurden von 1993 gemeldeten Fällen von Tötung auf Verlangen und ärztlich assistiertem Suizid nur drei Fälle beanstandet, die aber nicht von der Staatsanwaltschaft verfolgt wurden. Übrigens können auch Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren einen Arzt bitten, sie zu töten oder ihnen beim Suizid zu helfen. Bei 16- und 17jährigen kann die Tötung auch ohne Einwilligung der Eltern erfolgen.
Regierungsstudien zufolge werden nur etwa die Hälfte aller Tötungen gemeldet. Damit ist die eine der angeblichen Begründungen für die Notwendigkeit des Gesetzes bereits hinfällig. Außerdem sank zwar die Zahl der gemeldeten Fälle, aber die Zahl sog. „terminaler Sedierungen“ stieg rapide. Dabei werden Patienten mit Medikamenten in tiefen Schlaf versetzt, anschließend wird die Flüssigkeits- und Nahrungsmittelzufuhr beendet. Studien aus den Jahren 1990, 1995 und 2001 zeigten, daß die Ärzte in jeweils rund 25% der Fälle auch Patienten getötet haben, die darum gar nicht gebeten hatten - da die Nächsten es „nicht mehr ertragen“ hätten oder aufgrund „der geringen Lebensqualität“ des Patienten.
Wenige Monate nach den Niederlanden verabschiedete auch das belgische Parlament am 16. Mai 2002 ein ähnliches Gesetz. Art. 15 darin schreibt vor, daß die Tötung nach den Gesetzesvorschriften statistisch als „natürlicher Tod ausgewiesen wird und in allen rechtlichen Bedingungen als ein solcher zu gelten hat.“ Psychisch Kranke können den Arzt bitten, sie zu töten. 2005 wurde das Gesetz noch weiter liberalisiert. Seitdem dürfen nicht nur Krankenhausärzte, sondern auch Hausärzte Patienten mit einem sog. „Euthanasie-Kit“ diese auf ihr Verlangen hin töten. Dazu wurden Apotheken in Belgien gesetzlich verpflichtet, Päckchen mit Barbituraten abzugeben, wenn dies aufgrund einer Verschreibung geschieht, „in der der Arzt ausdrücklich vermerkt, daß er in Übereinstimmung mit dem geltenden Gesetz handelt.“ Der Vorsitzende des belgischen Kontrollgremiums, Wim Distelmanns, fordert schon seit langem, auch Jugendlichen und Alzheimer-Patienten die Tötung auf Verlangen zu ermöglichen. Außerdem sollen Ärzte, die ihre Patienten nicht töten wollen, gezwungen werden, diese an andere Kollegen zu überweisen.
Luxemburg legalisierte am 18.12. 2008 als letztes Beneluxland den ärztlich assistierten Selbstmord sowie die Tötung auf Verlangen. Ärzte können nach Konsultation mit einem Kollegen unheilbar kranke Patienten straffrei töten, wenn diese das schriftlich verlangt haben. Patienten mit einer Patientenverfügung, die sich nicht mehr äußern können, dürfen straflos getötet werden, und Jugendliche ab 16 Jahre können sich mit Zustimmung der Eltern töten lassen. Kurioserweise wurde für das Inkrafttreten des Gesetzes erst noch die luxemburgische Staatsverfassung durch Premierminister Jean Claude Juncker und das Parlament dahingehend geändert, daß das Staatsoberhaupt künftig Gesetze nicht mehr billigen, sondern nur noch verkünden darf. Der Katholik Henri von Luxemburg hatte nämlich angekündigt, er werde dem Gesetz nicht zustimmen.
Rehder greift in seinem Buch berüchtigte Schocktruppen der Euthanasiebewegung, wie die schweizerischen Organisationen Dignitas und Exit, heraus. Die 1998 gegründete „Dignitas“ in der Schweiz verlangt von ihren Mitgliedern 6400 Euro für eine „Suizidbegleitung“: 2000 Euro jeweils für Vorbereitung und Durchführung, 1000 Euro für Behördenangelegenheiten nach erfolgter Tat, die Verbrennung wird mit 1130 Euro veranschlagt. Das nötige Rezept eines schweizerischen Arztes für Barbiturate kann nochmals 320 Euro kosten. In der Schweiz ist bisher „Beihilfe zum Selbstmord“, anders als „Tötung auf Verlangen“, legal, solange es nicht aus selbstsüchtigen Motiven erfolgt. Der Dignitas-Generalsekretär Ludwig Amadeus Minelli, dessen Organisation laut Rehder eine überaus fragwürdige Struktur aufweist, arbeitete vor seiner Ausbildung als Rechtsanwalt als Journalist in der Schweiz, sowie viele Jahre für den Spiegel in Hamburg.
Die etwas „billigere“ Exit-Bewegung beschränkt sich in der Regel auf Schweizer Staatsbürger, während Dignitas auch eine Anlaufstelle für Menschen aus anderen Ländern ist. Eigenen Angaben zufolge hat Exit in den vergangenen Jahren jährlich mindestens 150 Menschen beim Selbstmord „begleitet“, Tendenz steigend. Dabei litten, mindestens im Jahre 2007, ein Drittel dieser Menschen nicht an einer tödlichen Krankheit: Bei 44 von 179 Personen hieß es als Diagnose „Altersmorbidität“, bei dreizehn anderen wurden „diverse schwere Krankheiten“ angezeigt, vier Personen hatten eine „Herzerkrankung“; je ein Fall von „beginnender Demenz“ und „psychischer Krankheit“ war dabei. Seit 2004 werden Anfragen von psychisch Kranken nicht mehr „generell abgewiesen“, sondern „seriös“ geprüft. Außerdem beraten beide Organisationen bei Patientenverfügungen.
Neben den vielen Fällen, bei denen sich in Deutschland Pflegekräfte als „Todesengel“ betätigten, geht Rehder auch auf den bizarren früheren Hamburger CDU-Justizsenator (2001-2006) Roger Kusch ein, der von Juni bis November 2008 fünf Menschen „in den Tod begleitet“ hatte, bis die Hamburger Innenbehörde einschritt. Er offerierte für 8000 Euro „Suizidbegleitung“. Der 8. Senat des Hamburger Verwaltungsgerichts entschied in einem Eilverfahren Anfang Februar 2009, Kuschs Vorgehen sei „gewerberechtlich nicht erlaubt“, „sozial unwertig, gemeinschaftsschädlich“ und „gefährdet die öffentliche Sicherheit“. Er habe sich „an jeden gewandt, der sein Leben beenden möchte und dafür Unterstützung suchte“. Ihren Erkenntnissen zufolge habe es sich in vier der fünf Fälle um alte lebensmüde, aber keineswegs todkranke Menschen gehandelt. Kusch setzt sich seit langem für eine Legalisierung der „Tötung auf Verlangen“ nach niederländischem Vorbild ein. Er arbeitete mit dem Dattelner Psychiater Johannes Spittler zusammen, einem der Erstunterzeichner des „Solidaritätsaufrufs Sterbehilfe“ 2007 für französische Kollegen, die in einer „Grauzone selbst schon sog. aktive Sterbehilfe geleistet“ hatten. Die genauere Untersuchung solcher Netzwerke mag da sicher viel Interessantes zutage fördern.3
„Formallogisch“ kann man alles beweisen und rechtfertigen, wie auch Stefan Rehder feststellt. Ein geschlossenes, fixes System schließt aber das einzigartige kreative Wesen der Menschheit und das Prinzip der Liebe a priori aus. Allein deshalb ist es der falsche Ansatz. Die Würde des Menschen ist naturrechtlich, aus sich selbst heraus begründet. Diese kann weder monetär noch sonstwie quantifiziert und „bewertet“ werden. Und wissenschaftlich beweist sich die besondere Natur des Menschen aus der historischen Erhöhung des Bevölkerungsdichtepotentials der Menschheit, im Unterschied zu jeder Tiergattung, wie es Lyndon LaRouche für die Wirtschaftswissenschaft definiert hat.
Der Schlüssel zur Lösung des Problems liegt auf einer anderen Ebene, die der Verfasser nicht anspricht: Eine Gesellschaft, die den natürlichen Impuls erstickt, sich der Verbesserung der Lebensbedingungen heutiger und kommender Generationen zu widmen, und die in praktisch allen Bereichen einem Todeskult huldigt, ist verloren. Aber eine lebensbejahende Menschheit, die wieder die Freude am Aufbau, der schöpferische Lösung großer wissenschaftlicher und künstlerischer Probleme in den Mittelpunkt stellt, die ihren Bürgern ermöglicht, ihr Potential zu entwickeln, hat eine Zukunft.
Wir müssen uns heute, in einem Jahr, in dem vielerorts der mutigen kleinen Anne Frank gedacht wird, nur dazu entscheiden, nie wieder auf das barbarische Niveau dieser dunklen Zeit zurückfallen zu wollen, und statt dessen eine gerechte neue Weltwirtschaftsordnung aufbauen, in der alle Menschen ihr Lebensrecht verwirklichen können.
Elke Fimmen
Anmerkungen
1. Umfassendes Material zu der Mobilisierung des Club of Life gegen die Todeslobby seit seiner Gründung 1982 finden Sie auf der Webseite www.club-of-life.de.
2. So äußerte eine Onkologin kürzlich im Gespräch mit der Verfasserin dieses Artikels die große Besorgnis, daß Menschen mit Patientenverfügungen nach der Entscheidung des Bundestages eine weniger sorgfältige Diagnose und Behandlung zuteil werden wird. Bereits jetzt sei dies durchaus zu beobachten. Außerdem griffe überfordertes Pflegepersonal häufig zu solch hohen Dosierungen von Schmerzmitteln, daß von den Fortschritten der Palliativmedizin nichts mehr überbliebe. Das Argument? „Der/die stirbt ja doch.“
3. Man denke nur, was beispielsweise Holland betrifft, an Prinzessin Mabel von Oranje - eine führende Repräsentantin von George Soros’ „Open Society Institute“ und des „European Council for Foreign Relations“. Soros, einer der wichtigsten Finanzspekulanten und Drogenlegalisierungsbefürworter, hat das weitverzweigte „Project Death in America“ ins Leben gerufen, das jetzt auch bei den von der Obama-Regierung geplanten Kürzungen im Gesundheitssektor eine wesentliche Rolle spielt.