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Neue Solidarität
Nr. 11, 13. März 2025

Wann wird Europa aufwachen?

Hinter dem Trugbild der demokratischen Ukraine steckt eine Diktatur

Dieser Bericht eines Korrespondenten in der Ukraine aktualisiert den Artikel „Kiews Mißachtung grundlegender Freiheiten und des Rechtsstaats muß aufhören!“, der am 20. Februar 2025 in der Neuen Solidarität 8/2025 erschien.1

Die Welt erwacht langsam und gibt die propagandistischen Klischees über die Demokratie in der Ukraine auf. Das neue Team im Weißen Haus um Präsident Trump spricht davon, daß in der Ukraine Wahlen stattfinden und die Meinungsfreiheit in den Massenmedien gewährleistet werden müssen, damit die verletzten Grundrechte der ukrainischen Bürger wiederherstellt werden. Früher oder später müssen diese Probleme angegangen werden, und wir brauchen eine ehrliche Antwort auf die Frage, was für ein Regime in der Ukraine tatsächlich herrscht. Dies ist um so dringlicher, nachdem Selenskyj erklärt hat, er wolle bis zu einem EU- und NATO-Beitritt der Ukraine Präsident bleiben, in Kriegszeiten werde es keine Wahlen geben, und Ukrainer, denen das mißfällt, sollten eine andere Staatsbürgerschaft annehmen.

Zwei weitere Grundprinzipien der Demokratie sollten ebenfalls anerkannt werden. Das erste ist, daß Oppositionsparteien ohne die Gefahr politischer Repressionen und sogar physischer Beseitigung ihrer Führung arbeiten können, und das zweite ist, daß das Justizsystem in einem Rechtsstreits die Regeln des Rechtsstaats einhält – daß Bürger und speziell Politiker, die Verfolgung und Willkür ukrainischer Behörden ausgesetzt sind, das Recht auf ein faires Verfahren haben. Formal lautet die Frage, ob die Artikel 1, 3, 8, 55 und 59 der Verfassung der Ukraine tatsächlich garantiert sind und ob die Ukraine die Verpflichtungen einhält, die sie nach internationalem Recht eingegangen ist, insbesondere die in der Europäischen Menschenrechtskonvention und dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte formulierten. Halten sich die Gerichte in der Ukraine an diese Verpflichtungen und berücksichtigen sie bei ihren Entscheidungen die Präzedenzfälle des Europäischen Gerichtshofs?

Ohne eine ehrliche und objektive Beantwortung dieser Fragen ist es unmöglich, die Probleme im Zusammenhang mit dem Übergang zum Frieden und der Zukunft der Ukraine als demokratischer Rechtsstaat zu lösen.

Ein Beispiel ist die Überprüfung des Verbots von Oppositionsparteien sowie die Schikanierung und Verfolgung von Personen – soweit sie nicht sogar inhaftiert wurden – durch Regierungsbehörden, wie den Sicherheitsdienst der Ukraine (SBU), das Justizministerium der Ukraine, die Nationale Agentur für Korruptionsprävention (NAZK) und die Staatsanwaltschaft der Ukraine.

An dieser Stelle möchte ich einen konkreten Fall ansprechen: die Schikanen gegen die Doktorin der Wirtschaftswissenschaften Natalja Witrenko, einer nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland bekannten Ökonomin, die von 1995 bis 2002 Volksabgeordnete der Ukraine (MP) war, 1999 und 2004 als Präsidentschaftskandidatin antrat und Vorsitzende der oppositionellen Progressiven Sozialistischen Partei der Ukraine (PSPU) war.

Wie kam es zum Verbot der Oppositionsparteien in der Ukraine? Zunächst beschuldigte der Nationale Sicherheits- und Verteidigungsrat (SNBO) in einem Beschluß vom 18. März 2022 – und ohne jegliches Gerichtsurteil! - zwölf Parteien „anti-ukrainischer“ Aktivitäten. Der Begriff „anti-ukrainische Aktivitäten“ ist weder im Strafgesetzbuch noch im Verwaltungsrecht der Ukraine zu finden. Dennoch wurde diese öffentliche Anschuldigung, die keine Rechtsgrundlage hat, von den Medien ständig wiederholt.

Der Präsident der Ukraine handelte ohne Rechtsgrundlage und außerhalb des Rahmens seiner verfassungsmäßigen Befugnisse laut Artikel 102 der Verfassung der Ukraine, und erließ ein Dekret zur Aussetzung der Tätigkeit dieser zwölf Parteien. Das Justizministerium der Ukraine wurde vom Präsidenten angewiesen, Verbotsklagen gegen diese Oppositionsparteien einzureichen. Die Massenmedien verletzten die Unschuldsvermutung und bezeichneten alle diese Parteien schon vor einem Gerichtsurteil als schuldig, wobei sie sich auf Behauptungen im Präsidialerlaß Nr. 153/2022 vom 19. März 2022 beriefen.

In einer von dieser Berichterstattung der Massenmedien geprägten Atmosphäre und unter Verletzung der internationalen Verpflichtungen und der innerstaatlichen Gesetzgebung der Ukraine wurden die Parteien von den Gerichten für schuldig befunden und ihre Tätigkeit verboten. Dies war ein grober Verstoß gegen Artikel 10 und 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention und gegen die Urteile des Europäischen Gerichtshofs!

Die Prozesse fanden von Mai bis September 2022 statt. Sie verstießen gegen die Verpflichtungen der Ukraine gemäß Artikel 6, Absatz 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention, das Recht auf ein faires Verfahren.

Um die Parteien zu verbieten, wurde das ukrainische System der gerichtlichen Instanzen geändert. Das 8. Verwaltungsberufungsgericht (in Lwiw) wurde als Gericht der ersten Instanz bestimmt, das Berufungsgericht war der Oberste Gerichtshof.

Das willkürliche Verhalten des Justizministeriums verstärkte die Verzerrung des ordnungsgemäßen Verfahrens. Beispielsweise gab das Justizministerium in seiner Klage gegen die PSPU eine rechtliche ungültige Anschrift für die Partei an und stellte der Partei keine Kopie der Klageschrift zur Verfügung. Das Gericht in Lwiw entschied, die PSPU zu verbieten, ohne auch nur einen einzigen Beweis zu prüfen.

Diese juristische Farce wurde am 27. September 2022 in der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs über die PSPU bestätigt. Der Oberste Gerichtshof wies zwar praktisch alle Anschuldigungen des Justizministeriums und des SBU zurück und gab der Berufung der PSPU teilweise statt. Doch die öffentlichen Anschuldigungen in den Massenmedien beeinflußten das Gericht, und es erhielt das Verbot der PSPU allein aufgrund der Aussagen von zwei Parteimitgliedern aufrecht, ohne Bewertung durch Sprachexperten und ohne Beweise dafür, daß diese Aussagen die in der PSPU-Satzung verabschiedete Parteipolitik widerspiegelten. Darüber hinaus erlaubte das Gericht die Anwendung des Erlasses vom März 2022 auf frühere Handlungen und Aussagen – eine rückwirkende Anwendung des Gesetzes.

Das Gericht traf keine Entscheidung über die Einsetzung einer Liquidationskommission. Dennoch stellte sich im November 2024, zwei Jahre nach dem Urteil zum Verbot der PSPU, plötzlich heraus, daß das Justizministerium Natalja Witrenko ohne ihr Wissen und ihre Zustimmung als Leiterin einer Liquidationskommission für die PSPU registriert hatte.

Diese Registrierung wurde dann von der NAZK zunehmend aggressiv für Schikanen gegen Natalja Witrenko benutzt. Die NAZK klagte Witrenko gemäß Artikel 212-21 des Kodex der Ukraine über Ordnungswidrigkeiten (KUpAP) an, weil sie keinen Finanzbericht über die Tätigkeit der PSPU vorlegte (obwohl deren Tätigkeit gerichtlich verboten war)! Kein Gesetz in der Ukraine schreibt vor, daß für eine verbotene Partei ein Bericht wie für eine aktive Partei vorgelegt werden muß.

Das Gericht verhängte eine Geldstrafe von 5100 Griwna (ca. 115 Euro) gegen Witrenko. Derselbe Betrag kann in Zukunft für jedes Quartal festgesetzt werden. Darüber hinaus kann Witrenko, wenn das Urteil der Vorinstanz bestätigt wird, in ein Register korrupter Personen eingetragen werden, was bedeuten würde, daß ihr persönliches Eigentum und ihre Wohnung gepfändet werden und ihr untersagt wird, das Land zu verlassen oder sich politisch zu betätigen.

Die Klage der NAZK wurde beim Bezirksgericht Pechersk in Kiew eingereicht. Das Gericht informierte Natalja Witrenko nicht ordnungsgemäß über den Proeß gegen sie und entschied in ihrer Abwesenheit zugunsten der Forderungen der NAZK. Witrenko legte Berufung ein. Weder Vertreter der NAZK noch Vertreter der Staatsanwaltschaft waren bei der Verhandlung vor dem Gericht der ersten Instanz oder dem Berufungsgericht anwesend. Gemäß dem Gesetz über die Staatsanwaltschaft sowie den Artikeln 2 und 250 des KUpAP ist die Staatsanwaltschaft für die Überwachung der Rechtmäßigkeit von Handlungen staatlicher Stellen und für die Verteidigung der Bürgerrechte zuständig. Die Staatsanwaltschaft teilte dem Berufungsgericht offiziell mit, sie lehne es ab, an den Anhörungen in diesem Fall teilzunehmen. Der Richter des Berufungsgerichts Kiew stimmte dem widerwillig zu.

Gleichzeitig lehnte der Richter am 19. Februar den Antrag von Natalja Witrenko ab, die Wahl ihres Rechtsvertreters für ihre Verteidigung zu genehmigen: Wladimir Martschenko, Volksabgeordneter der Ukraine von 1990 bis 2002, Mitglied des Verfassungsausschusses des Obersten Rada der Ukraine in seiner I. und II. Sitzung (1991-1996), Erster Stellvertretender Vorsitzender der PSPU und Leiter der gemeinnützigen Menschenrechtsorganisation Kasazkij Sitsch.2 Der Richter bemängelte, Martschenko habe nur einen Abschluß in Ingenieurwesen und nicht in Jura. Aber W. Martschenko war zwölf Jahre lang, von 1990 bis 2002, als Volksabgeordneter der Ukraine mit Menschenrechtsfragen befaßt! Neben seiner hohen fachlichen Kompetenz als Gesetzgeber hat Martschenko an mehr als 50 Gerichtsverfahren auf verschiedenen Ebenen teilgenommen, von denen er die meisten gewann. Die Staatsanwaltschaft weigerte sich, ihrer Aufsichtspflicht in Bezug auf die Rechtmäßigkeit der Handlungen der NAZK nachzukommen, und der Richter hat den von Natalja Witrenko gewählten Verteidiger, Wladimir Martschenko, nicht vor Gericht zugelassen. Witrenko war gezwungen, sich selbst zu verteidigen.

Im Namen der Ukraine hat der Richter von der Europäischen Konvention anerkannte Rechte faktisch aufgehoben: das Recht auf ein faires Verfahren (Artikel 6, Abschnitt 1 der Konvention), bei dem die Beweislast beim Ankläger liegt; das Recht eines Angeklagten, seinen Standpunkt darzulegen; die Darlegung von Argumenten beider Seiten; und die Achtung der Menschenrechte. Der Richter hat den Fall ausschließlich nach den unvollständigen Normen des KUpAP – des Verwaltungsrechts – beurteilt und dabei die Normen der Verfassung der Ukraine und des Völkerrechts ignoriert. Der Richter konnte Witrenkos Argumente jedoch nicht einfach verwerfen. Für die Anhörung wurde ein dritter Termin festgesetzt, sie soll am 19. März 2025 fortgesetzt werden.

Die Situation ist im gesamten Justizsystem der Ukraine ähnlich. Ist das die Demokratie, die Europa verteidigt?


Anmerkungen

1. Kiews Mißachtung grundlegender Freiheiten und des Rechtsstaats muß aufhören!, Neue Solidarität Nr 8/2025.

2. Kasazkij Sitsch = Kosakische Hochburg.

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