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Neue Solidarität
Nr. 6, 8. Februar 2024

Trotz der Anordnungen des Weltgerichtshofs:
Israel verschärft die humanitäre Krise in Gaza

Von Alexander Hartmann

Am 26. Januar erließ der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag eine Verfügung, in der er feststellt, daß Südafrikas Vorwurf, Israel mache sich des Völkermordes schuldig, „plausibel“ ist. Er ordnete an, daß Israel bis zu einer vollständigen Prüfung der Vorwürfe alle derartigen Handlungen im Gazastreifen sofort einstellen muß. Der IGH forderte Israel ferner auf, dem Gerichtshof innerhalb von 30 Tagen einen Bericht über die Fortschritte bei der Erfüllung seiner Anordnungen vorzulegen (siehe Meldung in dieser Ausgabe).

Die Reaktion der britischen und amerikanischen Kontrolleure der israelischen Regierung Netanjahu bestand jedoch darin, das Verbrechen des Völkermords, dessen sie beschuldigt werden, nochmals zu verschärfen – fast so, als wollten sie die Vernichtung von 2,3 Millionen Palästinensern in Gaza noch in diesem Monat abschließen.

Noch am Tag des IGH-Urteils verbreitete die israelische Regierung die Behauptung, etwa ein Dutzend Mitarbeiter des UNRWA (Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten) seien an dem Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober beteiligt gewesen. Das Geheimdossier mit den angeblichen Beweisen für diese Vorwürfe wurde aber offenbar nur der US-Regierung vorgelegt, nicht einmal die UN-Behörden erhielten Einblick. Trotzdem reagierte das UNRWA sofort auf die Vorwürfe und entließ neun der mutmaßlich beteiligten Mitarbeiter, die restlichen Beschuldigten sind entweder tot oder wurden noch nicht identifiziert. UN-Generalsekretär Guterres kündigte weitere Ermittlungen und Strafverfahren gegen die Täter an.

US-Außenminister Blinken seinerseits tat sofort alles, um die Anschuldigungen hochzuspielen, indem er versicherte, die von Israel vorgelegten Informationen seien „hochgradig glaubwürdig“, und insgesamt 15 Länder – angeführt von den USA, Großbritannien und Deutschland – setzten sofort ihre Finanzierung des UNRWA aus, womit ein großer Teil seines Budgets wegfällt. Diese UN-Agentur ist die wichtigste Hilfseinrichtung für die Palästinenser; wenn sie nicht arbeiten kann, wird eine katastrophale Hungersnot in Gaza unausweichlich. Damit wird die Sperrung der Finanzmittel selbst zu einem Akt des Völkermords.

Wenige Tage später, am 30. Januar, kündigten die israelischen Streitkräfte (IDF) an, daß sie Tunnel der Hamas im Gazastreifen mit Meerwasser fluten werden. Das tötet nicht nur alle Menschen in den Tunneln – Hamas-Kämpfer, Zivilisten und Geiseln –, es kann auch das gesamte Gebiet für Menschen, Tiere und Pflanzen jahrzehntelang unbewohnbar machen.

Die britische Tageszeitung Guardian hatte zu dem Thema am 23. Dezember Kommentare des Hydrologie-Experten Mark Zeitoun veröffentlicht, der für die UNO in Palästina gearbeitet hat. Zeitoun ist Direktor von Geneva Water Hub und Professor am Genfer Geneva Graduate Institute. Er sagte, wenn man Meerwasser in den porösen Sandboden des Gazastreifens pumpe, werde es unweigerlich in die Grundwasserschicht sickern, von der die 2,3 Millionen Einwohner 85 Prozent ihres Wassers beziehen. „Die Flutung des Süßwasser-Aquifers mit Meerwasser würde gegen alle Normen verstoßen, die die Menschheit je entwickelt hat, darunter Umweltaspekte des humanitären Völkerrechts und der jüngsten Prinzipien zum Schutz der Umwelt in bewaffneten Konflikten, sowie gegen alle Fortschritte, die bei der Kriminalisierung von Schäden an der Natur gemacht wurden: Es wäre ein Ökozid.”

Zeitoun fuhr fort: „Es würde die Lebensbedingungen aller Menschen in Gaza zerstören. Ich sage Lebensbedingungen, weil ich glaube, daß dies eines der Elemente von Völkermord im Sinne der UN-Konvention ist, nämlich die teilweise oder vollständige physische Zerstörung der Bedingungen, die für das Leben eines Volkes notwendig sind.“

Die „regelbasierte Ordnung“ auf der Anklagebank

Tatsächlich sitzt in Den Haag nicht nur Israel auf der Anklagebank, sondern die berüchtigte anglo-amerikanische „regelbasierte Ordnung“ insgesamt, die mehr als einmal Völkermord begangen und gebilligt hat und deren fanatisches Werkzeug die Regierung Netanjahu ist. Diese sterbende Ordnung muß abgelöst werden, wenn die Menschheit und unsere Menschlichkeit überleben sollen.

Der evangelisch-lutherische Pastor von Bethlehem, Pfarrer Munther Isaac, dessen leidenschaftliche Weihnachtspredigt „Christus unter den Trümmern“ die Welt erschütterte (siehe Neue Solidarität 2/2024), hat die strategischen Folgen der Klage Südafrikas vor dem IGH hervorgehoben. In einem Interview mit dem wöchentlichen Podcast „Frankly Speaking“ („Offen gesagt“) von Arab News, das am 28. Januar erschien, aber bereits vor der Entscheidung des IGH am 26. Januar aufgezeichnet worden war, erläuterte Pastor Isaac die Bedeutung dessen, was Südafrika mit seiner Klage erreicht hat:

Daß das IGH-Verfahren ein Wendepunkt in der Geschichte werden kann, sieht man auch in London, der Hochburg des anglo-amerikanischen Finanzimperiums. Dort ist das aber kein Grund zur Hoffnung, sondern man fürchtet, die Vormachtstellung in der Weltordnung zu verlieren. Das zeigt ein „Expertenkommentar“, der am Vorabend der IGH-Entscheidung auf der Internetseite von Chatham House (Royal Institute for International Affairs, RIIA), der führenden außenpolitischen Denkfabrik der britischen Monarchie, erschienen ist. Dort lautet die Frage: „Wird der Krieg in Gaza zu einem Bruchpunkt für die regelbasierte internationale Ordnung?“ Der Autor, Dr. Renad Mansour, Senior Research Fellow im Nahost- und Nordafrika-Programm des Chatham House und Projektleiter der Irak-Initiative, kommt gleich zum Punkt:

Es sei nicht das erste Mal, daß „Risse und Widersprüche“ in der „regelbasierten Ordnung“ der Nachkriegszeit Heuchelei offenbarten, räumt Mansour ein. Aber jetzt schwänden der Einfluß und die Glaubwürdigkeit der USA rapide, weil sie sich zusammen mit Großbritannien und einer Handvoll Länder in der UNO gegen einen Waffenstillstand sperren und Israel mit Waffen und Geld versorgen.

Mansour legt den USA und Großbritannien nahe, ihre Strategie im israelisch-palästinensischen Konflikt zu ändern, wenn sie nicht die gesamte „regelbasierte internationale Ordnung“ verlieren wollen. Er warnt: Wenn diese internationale Ordnung „wieder einmal öffentlich versagt, indem sie sich als unfähig erweist, ein Ende des beispiellosen Blutvergießens in Gaza auszuhandeln, wird dies das Vertrauen der Welt in die Institutionen, die zum Nutzen dieser Ordnung geschaffen wurden, weiter untergraben und möglicherweise zu ihrem vollständigen Zerfall beitragen. Die westlichen Regierungen sollten über diesen historischen Moment und das, was danach kommen könnte, sehr genau nachdenken.“

Die Vorsitzende des Schiller-Instituts, Helga Zepp-LaRouche, warnte in ihrem internationalen Internetdialog am 31. Januar, die Welt bewege sich an mehreren Fronten auf einen Bruchpunkt zu. Dazu gehörten Gaza und der sich ausweitende Krieg in Südwestasien, die wachsende Protestbewegung der Bauern und breiter Bevölkerungsschichten in ganz Europa, die gefährlich explosive Stimmung um die Grenzkrise in den USA mitten im Präsidentschaftswahlkampf, und natürlich der Zusammenbruch des westlichen Finanzsystems, der die tiefere Ursache aller anderen Krisen ist.

Zepp-LaRouche betonte, die Länder des Südens würden nicht vergessen, was Israel jetzt mit Unterstützung der USA, Großbritanniens und Deutschlands tut, und es könne zu einem verheerenden Bruch zwischen Nord und Süd führen. Statt einer solchen Spaltung brauche die Menschheit aber eine Zusammenarbeit der Nationen des Nordens und des Südens, im Sinne einer gemeinsamen hochtechnologischen, physisch-ökonomischen Entwicklung, für die ihr Ehemann Lyndon LaRouche ein halbes Jahrhundert gekämpft habe. Die spekulative Schuldenblase der Wall Street und der Londoner City sei dem Untergang geweiht. Die BRICS-Plus-Staaten, die dieses Thema bei ihren Treffen im Jahr 2024 auf ihre Aktionsagenda setzen, seien die natürlichen Verbündeten der wachsenden Antikriegsbewegung und anderer Demonstranten in den Staaten des Nordens.