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Von Alexander Hartmann
Drei nominell ukrainische Drohnen- und Raketenangriffe innerhalb einer Woche auf das russische Frühwarnradarsystem – der letzte am frühen Morgen des 29. Mai – haben die Welt an den Rand eines Zusammenbruchs der globalen strategischen Sicherheit und eines Atomkrieges gebracht. Die Angriffe erfüllen eine der offiziellen Bedingungen Rußlands für einen Gegenschlag mit seinen nuklearen Raketenstreitkräften. Unabhängig davon, ob die NATO-Mächte diese von der Ukraine ausgegangenen Angriffe direkt befohlen und praktisch unterstützt haben – was aus politischen wie technischen Gründen mehr als wahrscheinlich ist – oder ob sie einfach nur die in eine ausweglose Situation geratene ukrainische Führung gewähren ließen, das daraus resultierende „Spiel mit dem nuklearen Weltuntergang“ ist nun in vollem Gange.
In der Nacht vom 22. auf den 23. Mai traf ein Drohnenangriff aus der Ukraine eine der zehn russischen Frühwarn-Radaranlagen, bei Armawir im Südwesten des Landes. Am 26. Mai folgte ein zweiter Angriff auf eine Radaranlage in Orsk (bei Orenburg), ein dritter richtete sich am 29. Mai erneut gegen Armawir, wobei die letzten beiden Angriffe keine nennenswerten Schäden verursacht haben sollen.
Die Angriffe richten sich gegen Rußlands hochentwickeltes Radarnetzwerk, das es ermöglicht, anfliegende Interkontinentalraketen rechtzeitig zu erkennen und darauf zu reagieren. Führende Experten auf diesem Gebiet gehen davon aus, daß eine Blendung Rußlands an einem oder mehreren dieser Radarstandorte die Schwelle für einen Nuklearkrieg senkt, denn die verfügbare Reaktionszeit würde dadurch drastisch verkürzt, von etwa 15 Minuten nach der Entdeckung auf etwa 10 Minuten oder weniger. Damit bliebe kaum Zeit, um mit Sicherheit festzustellen, ob es sich bei einem gemeldeten Raketenbeschuß um einen Fehlalarm oder einen tatsächlichen Angriff handelt. Laut Rußlands Doktrin der nuklearen Kriegsführung wird ein Fehlalarm ignoriert, aber im zweiten Fall mit der vollen Wucht der Atomstreitkräfte reagiert.
Präsident Wladimir Putin hat deutlich gemacht, daß er solche Verrücktheiten nicht auf die leichte Schulter nimmt – und daß er davon ausgeht, daß hinter den Angriffen nicht allein ukrainische Stellen stecken, sondern „Vertreter von NATO-Staaten“. Auf seiner Pressekonferenz am 28. Mai nach seinen politischen Gesprächen in Usbekistan sprach Putin von der Zeit, in der er einmal mit NATO-Generalsekretär Stoltenberg zusammenarbeitete und dieser „nicht an Demenz litt“. Wenn Stoltenberg von der Möglichkeit spreche, „das russische Territorium mit hochpräzisen Langstreckenwaffen anzugreifen“, dann könne nur ein Narr nicht wissen, daß solche Angriffe mit „weltraumgestützten Aufklärungsinstrumenten“ und durch „hochqualifizierte Spezialisten“ der Entwicklung solcher Systeme durchgeführt werden. „…diese Aufgabe wird nicht von ukrainischen Soldaten erledigt, sondern von Vertretern der NATO-Staaten. Diese Vertreter der NATO-Staaten, insbesondere in Europa…, sollten sich also bewußt sein, womit sie spielen.“
Putin geht also davon aus, daß er gegen die NATO kämpft.
Die NATO-Führung scheint entschlossen, die Gefahren, die derartige Aktionen heraufbeschwören, zu ignorieren. Dies zeigte sich bei der dreitägigen Sitzung der Parlamentarischen Versammlung der NATO, die am 27. Mai mit einer Erklärung endete, die Stoltenbergs Vorstoß für eine nukleare Machtprobe mit Rußland unterstützt. Neben der Aufforderung an alle NATO-Staaten, „klar zu bekräftigen, daß ihr strategisches Ziel der Sieg in der Ukraine ist“, und der dringenden Forderung nach immer mehr Waffen (und schnellerer Lieferung) war die zentrale Forderung, die Beschränkungen für den Einsatz von Waffen aufzuheben, um Angriffe tiefer im russischen Territorium zu ermöglichen.
Diese Haltung der NATO ist ein ebenso dummes wie gefährliches Spiel, denn in der realen Welt kann der Westen die Waffen, die vor Ort benötigt werden, gar nicht produzieren, und die Ukraine hätte auch nicht mehr genügend Personal, um solche Waffen zu bedienen, wenn sie denn verfügbar wären. Was jetzt noch zählt, sind Drohnen, Langstreckenraketen und nuklearfähige F-16-Kampfjets als Teil einer atomaren Mutprobe, die Rußland zum Nachgeben zwingen soll.
Ein solches Spiel mit dem nuklearen Feuer gegen die mächtigste thermonukleare Macht der Welt ist der Gipfel des strategischen Wahnsinns, erst recht, da Rußland sich bereits im Krieg gegen die von der NATO bewaffneten Streitkräfte in der Ukraine befindet. Doch genau das tun Washington und London mit dem Großteil der NATO im Schlepptau – während sie behaupten, daß „Putin nur blufft“.
Offensichtlich ist die Antwort des russischen Botschafters in den Vereinigten Staaten, Anatoli Antonow, vom 5. Mai 2022 auf Fragen von Newsweek aktueller denn je:
„Die derzeitige Generation der NATO-Politiker nimmt die nukleare Bedrohung eindeutig nicht ernst. In diesem Zusammenhang möchte ich die sowjetischen und amerikanischen Führer zitieren, die den Zweiten Weltkrieg miterlebt haben und aus eigener Erfahrung wissen, was das Blut und die Qualen von Millionen von Menschen bedeuten.
Im Notizbuch von Marschall Rodion Malinowski, Verteidigungsminister der UdSSR (1957-1967), heißt es: ,Wir brauchen dringend militärische Intellektuelle. Nicht nur hochgebildete Offiziere, sondern Menschen, die eine fortgeschrittene Kultur des Herzens und des Geistes und eine humanistische Einstellung beherrschen. Die moderne Waffe von solch zerstörerischer Kraft kann nicht einem geschickten Menschen anvertraut werden, der sie nur fest im Griff hat. Um sie zu führen, braucht man einen klaren Kopf, der in der Lage ist, die Folgen vorauszusehen, und ein vernünftiges Herz – das ist ein mächtiger moralischer Instinkt.‘
John F. Kennedy, der damalige Präsident der Vereinigten Staaten, sagte nach der Karibikkrise über die Beziehungen zur UdSSR: ,Wenn wir unsere Differenzen nicht beenden können, so können wir wenigstens dazu beitragen, die Welt für die Vielfalt sicher zu machen. Denn letztlich besteht unsere grundlegendste Gemeinsamkeit darin, daß wir alle diesen kleinen Planeten bewohnen. Wir alle atmen dieselbe Luft. Wir alle sorgen uns um die Zukunft unserer Kinder. Und wir sind alle sterblich.‘“
Unmittelbar nach Bekanntwerden des Angriffs von Armawir veröffentlichte das Schiller-Institut eine Presseerklärung unter dem Titel „Warnstufe Rot“, und es startete eine weltweite Mobilisierung, um Experten, verantwortliche Stellen und die Weltöffentlichkeit aufzurütteln und so die rasche Eskalation des NATO-Rußland-Krieges in Europa zu verhindern.
Diese Mobilisierung, die von der Gründerin und Präsidentin des Schiller-Instituts, Helga Zepp-LaRouche eingeleitet wurde, erwies sich als wirksam und sie gewinnt stetig weiter an Zugkraft. Im südafrikanischen Satellitenfernsehen Loveworld News 24 erklärte Zepp-LaRouche am 27. Mai: „Wir vom Schiller-Institut haben sofort gesagt: Wir müssen das überprüfen, weil es von so unglaublicher Bedeutung ist; dazu brauchen wir Militärexperten. Wir haben etwa sieben, acht Militärexperten befragt, darunter Top-Experten des Westens wie Ted Postol, der wahrscheinlich der führende Experte für Nukleartechnologie und Raketen ist, und mehrere andere aus Frankreich und Deutschland, und sie alle haben bestätigt, daß dies ein extrem gefährlicher Schritt in Richtung Dritter Weltkrieg ist. Und wir haben eine Mitteilung veröffentlicht, um die Welt zu warnen, daß dies der Fall ist.“
Angesichts dieser Lage macht China vor, wie ein Ausweg aus der Krise zu finden ist. Dank seiner Rolle in den BRICS, seiner intensiven strategischen Zusammenarbeit mit Rußland sowie seiner Kooperation mit den arabischen Staaten bei einer gemeinsamen Entwicklungspolitik spielt das Land eine führende Rolle bei der Umsetzung eines alternativen Ansatzes.
Dabei arbeitet es eng mit Brasilien, einem weiteren BRICS-Mitglied, zusammen. Am 23. Mai wurde in Peking nach eingehenden Gesprächen zwischen Außenminister Wang Yi und Celso Amorim, dem Chefberater des brasilianischen Präsidenten, ein gemeinsamer Vorschlag für einen tragfähigen Friedensplan für die Ukraine veröffentlicht, der Sicherheit und Entwicklung aller Konfliktparteien gewährleisten soll und so einen Ausweg aus der nuklearen Hölle aufzeigt. Gemeinsam forderten sie die anderen Nationen auf, ihr Sechs-Punkte-Friedensprogramm zur Beendigung der Feindseligkeiten zwischen Rußland und der Ukraine zu unterstützen.
Der letzte der sechs Punkte mag überraschen:
„Die Aufteilung der Welt in isolierte politische oder wirtschaftliche Gruppen sollte abgelehnt werden. Beide Seiten rufen dazu auf, die internationale Zusammenarbeit in den Bereichen Energie, Währung, Finanzen, Handel, Lebensmittelsicherheit und Sicherheit kritischer Infrastrukturen, einschließlich Öl- und Gaspipelines, optischer Unterseekabel, Strom- und Energieanlagen und Glasfasernetze, zu verstärken, um die Stabilität der globalen Industrie- und Lieferketten zu schützen.“
Auch die Bundesregierung sollte sich diese Dinge zu Herzen nehmen. Es ist zwar lobenswert, wenn sie in der NATO und in der EU darauf beharrt, daß die Ukraine die von Deutschland gelieferten Waffen nicht für Angriffe tief ins russische Territorium verwenden darf, aber damit wird der Konflikt nicht gelöst. Was die Welt braucht, ist ein Ausweg aus der Hölle der thermonuklearen Konfrontation. Demonstrative Unterstützung für den chinesisch-brasilianischen Vorschlag wäre ein erster Schritt.