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Neue Solidarität
Nr. 42, 15. Oktober 2020

Die Angst des Establishments vor dem Frieden:
Worum es im US-Wahlkampf wirklich geht

Von Harley Schlanger

Im Januar 2017, wenige Tage vor seinem Amtsantritt als Präsident, schockierte Donald Trump viele im transatlantischen „Establishment“, als er die NATO als „obsolet“, als veraltet bezeichnete. Das Problem sei, daß „sie vor vielen, vielen Jahren entworfen wurde“ und sich nicht an die neuen Realitäten angepaßt habe, mit denen er sich als Präsident befassen wolle. Insbesondere im Kampf gegen den Terrorismus sei die NATO ineffektiv, eine feindselige Haltung gegenüber Rußland untergrabe diesen Kampf, und der Westen sei in „endlosen Kriegen“ gefangen. Trump fragte und hat seitdem viele Male wieder gefragt: „Was ist falsch daran, mit Rußland Freund zu sein? Warum nicht dort zusammenarbeiten, wo wir gemeinsame Interessen haben?“

Weil er diese Fragen stellte, so wie schon zuvor im Wahlkampf, war das Establishment überzeugt, daß sein Sturz für sie eine Überlebensfrage sei. Als er erst bei den Vorwahlen das republikanische Establishment des Bush-Clans und dann bei der Präsidentschaftswahl die Clinton-Obama-Kräfte erfolgreich überrannte, war klar, daß bei einem bedeutenden Teil der Amerikaner ein Wendepunkt gegen den Status quo erreicht war. Die Geopolitik, die zu den endlosen Kriegen und den Provokationen gegen Rußland und China führte, und die neoliberale Wirtschaftspolitik, die Wenige auf Kosten der Vielen bereicherte und die ehemals produktive Wirtschaft deindustrialisierte, waren für eine kriegs- und austeritätsmüde Bevölkerung nicht mehr tragbar, und das bedeutete, daß der neue Präsident „Business as usual“ ernsthaft in Frage stellte.

Wie wir aus der stetigen Veröffentlichung von täglich mehr Dokumenten wissen, war die Reaktion auf Trumps Wahlsieg, das Märchen von der „russischen Einmischung in die Wahl“ und „Trumps Komplott mit Moskau“, dem er angeblich seinen Sieg verdanke, in die Welt zu setzen. Im Zentrum des dichten Geflechts von Lügen und Verleumdungen standen britische Geheimdienste, darunter GCHQ, MI6 und das diplomatische Korps, mit ihren Pendants in den USA, sowie die Finanzmächte der City und der Wall Street. Sie waren ernstlich bedroht durch seine Ablehnung des imperialen Paradigmas der Ära nach dem Kalten Krieg, unter dem die militärische Macht und die finanziellen Ressourcen der USA zur Verteidigung dieses zusammenbrechenden, bankrotten Imperiums eingesetzt wurden. Jüngst veröffentlichte Dokumente liefern Beweise dafür, daß Spitzenbeamte wie der ehemalige CIA-Direktor John Brennan und FBI-Chef James Comey mit Präsident Obama, Vizepräsident Biden und führenden Funktionären der Demokratischen Partei zusammenarbeiteten, um zu verhindern, daß Trump die USA aus diesen geopolitischen Zwängen herausbricht – falls nötig, indem sie seinen Sturz organisieren.

Bisher ist es ihnen gelungen, Trump einzudämmen, obwohl er und seine engsten Verbündeten einen mutigen Kampf gegen den „Militärisch-industriellen Komplex“ (MIK) führen, wie er es jetzt nennt. Nach dem Verlassen des Krankenhauses am 5. Oktober, wo er wegen einer COVID-19-Infektion medizinisch behandelt worden war, wandte er sich offensiv gegen seine Feinde, auch gegen die innerhalb seiner Regierung. In einem Telefoninterview mit Maria Bartiromo von Fox TV griff er die Demokraten und kriminelle Elemente in den Geheimdiensten an, weil sie mehr als dreieinhalb Jahre lang die konzertierte Kampagne zum Sturz seiner Regierung organisiert und vertuscht hatten. Es sei längst überfällig, daß die zuständigen Beamten gegen diejenigen vorgehen, die „das größte politische Verbrechen in der Geschichte unseres Landes“ begangen hätten. Unter anderem kritisierte er Justizminister Bill Barr, weil der die Anklage gegen die Verantwortlichen nicht vorangetrieben habe. „Man sollte diese Leute vor Gericht stellen", erklärte er, „und dazu gehört auch Obama; dazu gehört auch Biden.“

Er ging noch weiter und nannte Außenminister Mike Pompeo – den britischen Maulwurf, der sich als loyaler Trump-Mann aufplustert – namentlich als einen weiteren Beamten, der das notwendige Vorgehen gegen den Putschversuch behindert. Die berüchtigten gelöschten E-Mails von Hillary Clinton „sind im Außenministerium, aber Mike Pompeo war nicht fähig, sie zu veröffentlichen, was eigentlich sehr traurig ist“, sagte Trump. „Aus diesem Grund bin ich nicht glücklich über ihn. Er war unfähig, sie zu veröffentlichen. Ich weiß nicht, warum. Wer Chef des Außenministeriums ist, kann sie veröffentlichen.“

Pompeo war kürzlich in London und schwelgte dort in der Gesellschaft von Anführern der berüchtigten Henry Jackson Society, darunter wichtige Anstifter des Russiagate wie der ehemalige MI6-Chef Sir Richard Dearlove. Dearlove hat wiederholt die Machenschaften seines ehemaligen Untergebenen Christopher Steele verteidigt, dessen Lügendossier gegen Trump vom FBI benutzt wurde, um Gerichtsbeschlüsse zur Bespitzelung der Trump-Kampagne zu erhalten. In London verteidigte Pompeo vehement die anglo-amerikanische „Sonderbeziehung“, die im Falle von Trumps Wiederwahl ernstlich bedroht wäre, wie das britische Oberhaus im Dezember 2018 in einem Bericht besorgt schrieb. Diese Sonderbeziehung wurde unter den Präsidenten G.W. Bush und Obama als Schlüsselinstrument zur Durchsetzung der Weltordnung nach dem Kalten Krieg verstärkt eingesetzt, um Rußland und China „einzudämmen“.

Trump setzte seine Offensive fort, indem er den Establishment-Republikanern vorwarf, gegen die Interessen des amerikanischen Volkes zu arbeiten: „Offen gesagt, die Bush-Leute, einige dieser Verlierer, die früher für Bush gearbeitet haben, sind schlimmer als die Obama-Leute.“

Die NATO-Frage taucht wieder auf

Da die Wahl in weniger als vier Wochen vor der Tür steht, eskalieren die Kräfte, die Trump um jeden Preis loswerden wollen, ihre Angriffe. In den USA werden unaufhörlich Lügen und Verleumdungen gegen Trump verbreitet – er sei Putins Marionette, er verachte die eigenen Streitkräfte, er sei ein Steuerhinterzieher und Wirtschaftskrimineller, wie es in der New York Times hieß, und er sei verbündet mit rassistischen weißen Extremisten –, um nur einige wenige Aspekte hervorzuheben. Am wichtigsten sind nach wie vor die Russiagate-Behauptungen, die zwar gründlich widerlegt sind, aber trotzdem ständig wiederholt werden, als seien sie erwiesene Wahrheit – mit dem Ziel, jeden Schritt Trumps zur Zusammenarbeit mit Rußland zu verhindern.

Ein zweites Angriffsziel ist China, das als Feind Amerikas und imperialer Aggressor hingestellt wird, der jetzt gestoppt werden müsse, bevor er die USA als wirtschaftliche und militärische Macht in den Schatten stellt. Trump selbst läßt sich zu antichinesischer Rhetorik hinreißen und macht China für die Verheerungen durch die COVID-Pandemie in den USA verantwortlich, um in einem opportunistischen Ausweichmanöver von seinen eigenen angeblichen Versäumnissen in der Krise abzulenken. Noch aggressiver sind mehrere seiner Regierungsmitglieder, darunter die Außen- und Verteidigungsminister Pompeo und Esper, die Kriegshetze gegen China betreiben, mit dem Menschenrechtsargument Chaos in Hongkong schüren, zu Provokationen um Taiwans „Unabhängigkeit“ anstacheln und ein „indopazifisches“ Militärbündnis gegen China anstreben. Gleichzeitig behaupten seine demokratischen Gegner, er sei gegenüber China noch zu weich!

Das dritte Angriffsziel ist Rußland, mit einer neuen Runde intensiver Attacken der imperialen Netzwerke unter Führung der EU und der NATO, die Rußlands militärische Umzingelung rücksichtsloser betreibt als auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges. Dazu gehören die Aufrüstung und Truppenverstärkungen in Osteuropa, den baltischen Staaten und Polen; die Einmischung in den Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien, wo das NATO-Mitglied Türkei den aserbaidschanischen Streitkräften in Berg-Karabach direkte Unterstützung gewährt und angesichts der Tatsache, daß russische Streitkräfte in Armenien stationiert sind, ein Stellvertreterkrieg zwischen der Türkei und Rußland droht; Unterstützung von NATO und EU für Regimewechsel in Rußlands nächster Nachbarschaft in Weißrußland und Kirgistan, mit Sanktionen und Unterstützung nichtstaatlicher Organisationen, die Unruhen schüren; und die Nawalny-Affäre, in der man trotz des Mangels an glaubwürdigen Beweisen Rußland die Schuld zuschiebt und auf neue Sanktionen drängt, besonders gegen die deutsch-russischen Beziehungen, indem Sanktionen gegen deutsche und europäische Teilnehmer der Pipeline Nord Stream 2 zielen.

Das Ende der NATO?

Die Aussicht einer Wiederwahl Trumps versetzt die atlantischen Eliten offensichtlich in Angst und Schrecken, das belegt eine Flut von Artikeln über das Schicksal der NATO, falls Trump weitere vier Jahre im Amt bleibt. In der französischen Zeitung Le Monde berichtet die ehemalige Chefredakteurin Sylvie Kauffmann, eine langjährige Parteigängerin des Establishments, in Washington sei zu hören, daß „der Blob“ vor einem Comeback stehe. „Blob“ war die von Obamas stellvertretendem Nationalen Sicherheitsberater Ben Rhodes verwendete Bezeichnung für die „Washingtoner Gemeinde außenpolitischer Experten“, der „permanenten Bürokratie", die Trump oft „den Sumpf“ nannte und nun treffend als MIK angreift. Kauffmann schreibt, diese Leute hätten angesichts von Trumps Attacken bei den Denkfabriken Zuflucht gesucht. Aber mit der Aussicht auf eine Regierung Biden gäben sie nun wieder seitenweise öffentlich Ratschläge und organisierten Dutzende von Webinaren, in denen sie vor einer zweiten Amtszeit Trumps warnen. Kauffmann fragt, was sie von einer zweiten Trump-Administration erwarten? Ihre Antwort: „Diese Experten sehen voraus, daß die USA die NATO verlassen, die Truppen aus Südkorea und Afghanistan abziehen, daß China zunehmend an Einfluß gewinnt und daß Europa ohne den amerikanischen Eckpfeiler (NATO) ins Chaos abrutscht.“

Die gleiche Linie vertritt der berüchtigte Falke John Bolton in einem Interview zu seinem haßerfüllten Buch gegen Trump in Le Parisien. Trump entließ Bolton, weil der seine Initiativen, die USA aus Kriegen herauszuholen und neue Kriege zu verhindern, ständig sabotierte. Bolton sagte, den „Schaden“ für die nationale Sicherheit der USA nach vier Jahren Trump könnte man schnell reparieren, aber nach acht Jahren wäre das ganz anders. Trumps Entscheidungen seien eher von der Angst vor negativen Reaktionen seiner Wähler motiviert – die Trumps Vorhaben begrüßen, die Rolle der USA als „Weltpolizist“ zu beenden – als von strategischen Überlegungen. „Das war die Logik, die beim Abzug der Truppen aus Syrien, aber auch aus dem Irak, Afghanistan oder dem iranischen oder nordkoreanischen Atomprogramm vorherrschte.“ Im Falle einer Wiederwahl wäre der Schutz weg und Trump müßte keinerlei politische Rücksichten mehr nehmen.

Auf die Frage, ob Trump einen Handelskrieg gegen die EU beginnen würde, antwortete Bolton: „Die ernsteste Bedrohung betrifft die NATO. Im Juni 2018 stand er kurz vor seinem Rückzug aus dem Bündnis. Ich bin mir nicht sicher, ob die Menschen auf beiden Seiten des Atlantiks sich dessen ganz bewußt sind.“

Ein Artikel des Neokonservativen Thomas Wright von der Brookings Institution in der zum Sprachrohr für Trump-Feinde gewordenen Zeitschrift Atlantic führt diese Argumentation weiter aus: Er vergleicht die „Bedrohung“ durch einen wiedergewählten Trump in der Weltsicht eines imperialen Geopolitikers mit dem potentiellen Gang der Geschichte, wenn Präsident Franklin Roosevelt für die Wahl 1944 seinen Vizepräsidenten Henry Wallace nicht durch Harry Truman ersetzt hätte. Wäre Wallace Vizepräsident geblieben, dann wäre er nach Roosevelts Tod im April 1945 Präsident geworden. Wright schreibt, in dem Fall hätte es wahrscheinlich „keine NATO gegeben, keinen Marshall-Plan, kein Bündnis mit Japan, keine Truppenpräsenz in Übersee und keine Europäische Union“.

Für Wrights Behauptungen über den Marshall-Plan und Japan gibt es keinen Beweis, aber Wallace war ein glühender Verfechter von Roosevelts Ansicht, daß die USA das Bündnis mit der Sowjetunion aus der Kriegszeit fortsetzen könnten, um gemeinsam die kriegszerstörten Nationen wieder aufzubauen und gleichzeitig das durch den Kolonialismus – besonders den britischen – verursachte Elend auf der Südhalbkugel der Erde zu beenden. Die USA wären also nicht der „Weltpolizist“ geworden, der als Vollstrecker eines erneuerten Britischen Empire diente.

Mit Trump, schreibt er, wären wir „unseres Truman beraubt“, und schlimmer noch, wir „wären mit unserem Wallace belastet… Mit wenigen verbleibenden Zwängen und einer anfälligen Welt könnte ein wiedergewählter Trump die Geschicke des Weltgeschehens für die kommenden Jahrzehnte lenken.“ Mit dieser Schlußfolgerung drückt Wright dieselbe Befürchtung aus wie das dysfunktionale, gefährliche imperiale Establishment: daß mit Trumps Wiederwahl die anglo-amerikanische Weltordnung zu Ende ginge, die supranationale Macht dieses Establishments über die Nationen beendet würde und ihm der Reichtum, den es mit seinen brutalen Methoden angehäuft hat, genommen würde, während eine Prinzipiengemeinschaft souveräner Nationalstaaten eine neue Ära der friedlichen Entwicklung und Zusammenarbeit einleiten könnte.

Die bösartige Kampagne gegen Trump, gegen das amerikanische Volk und gegen die republikanische Verfassungsordnung, für deren Wiederherstellung es ihn gewählt hat, beruhte von Anfang an auf der Erkenntnis, daß eine Rückkehr zur Tradition der Amerikanischen Revolution unter Trump die Welt wieder auf gesunde Füße stellen würde, wenn man ihn nicht aufhält. Das ist der Ursprung des wütenden und eskalierenden Angriffs gegen ihn.