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Neue Solidarität
Nr. 42, 15. Oktober 2020

Kurswende zurück zum Ziel einer vollkommeneren Union

Von Dr. Joycelyn Elders

Dr. Joycelyn Elders, ehemals Surgeon General der Vereinigten Staaten, hielt in der Internetkonferenz des Schiller-Instituts am 6. September den folgenden Vortrag.

Vielen Dank für die Gelegenheit, auf den Konferenzen des Schiller-Instituts zu sprechen. Die heutige Konferenz soll sich mit einem neuen Paradigma befassen, das auf die gemeinsamen Ziele der Menschheit ausgerichtet ist.

In einem Wirbelsturm von Katastrophen erleben wir alle eine weltweite Pandemie des neuen Virus, mangelnde medizinische Vorbereitung, Mangel an Schutzausrüstung, Krankenhausbetten und medizinischem Personal, unvorbereitete Regierungen, Wirtschaftsrezessionen, Arbeitslosigkeit, eine riesige Zahl hungriger, hilfloser Menschen und Polizeibrutalität. Wir sind Zeugen von Ungleichheiten in den USA und auf der ganzen Welt, die wir seit vielen Jahren wegwünschen wollten. Wir werden das Jahr 2020 nicht so bald vergessen.

Es ist, als ob alle die Traumata der Krankheit, die uns umgibt und fast verzehrt, die Balken von unseren Augen gerissen hätten, und jetzt sehen wir mit dem Blick von 2020. Wie konnten wir diese Katastrophen nicht kommen sehen? Die Mehrheit der Menschen ist unzufrieden mit den Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten. Sie sehen jetzt mit dem Blick von 2020 in allen Bereichen, ob wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit oder Medizin.

Ganze Länder sind weitgehend lahmgelegt. Die Menschen auf der Welt sind wie auf Eis gelegt. Jetzt fragen sich alle diese Menschen in der Warteschleife: Was tun wir in dieser neuen Welt?

Was können wir also tun?

Wir haben die Vorarbeit schon geleistet, als wir alle Bereiche der Wirtschaft, sozialer Gerechtigkeit und Medizin, alle Aspekte des Lebens eines Menschen, unter die Lupe nahmen und sie als „soziale Determinanten der Gesundheit“ bezeichneten. Wir wissen, daß die Gesundheit eines Menschen mehr ist als nur ein Keim oder eine Verletzung. Vielmehr wird die Gesundheit bestimmt durch ein vernetztes System von allem, was in einer Gesellschaft ist. Wir wissen, daß die sozialen Determinanten von Gesundheit eher Fakten als eine politische Haltung sind.

Wir haben die Menschen nicht den Unterschied zwischen Glauben und Fakten gelehrt. Viele scheinen die Bedeutung der öffentlichen Gesundheit und Wohlfahrt nicht zu erkennen. Ein Mensch ist nur so gesund wie der am wenigsten gesunde und wohlhabende Mensch unter uns. Damit die öffentliche Gesundheit gut ist, müssen Gesundheitsfürsorge und Wohlstand auf alle ausgedehnt werden. Jeder Mensch in unserer Menschheit braucht die gleichen Dinge, um ganz und gesund zu sein. Die sozialen Determinanten der Gesundheit tragen diesen Bedürfnissen Rechnung.

Natürlich müssen wir uns mit der Pandemie COVID-19 befassen, an der Menschen auf der ganzen Welt sterben. Wir wenden Verfahren und Prinzipien an, die über Jahrhunderte entwickelt wurden, und wir wissen, was wir gegen diese Infektion tun müssen. Wir wissen, daß sie über die Luft übertragen wird, wir wissen, daß wir Masken tragen müssen, daß wir Abstand von anderen halten müssen, daß wir uns nicht in Gruppen versammeln dürfen, daß wir zu Hause bleiben müssen, daß wir Zoom verwenden müssen. Wir sind dabei, bessere Tests und Impfstoffe zu entwickeln, und wir lernen langsam etwas über Behandlungen und über bekannte Medikamente, die bei der Behandlung von Covid-19 wirksam sind.

Dies ist eine kurzfristige Lösung für das unmittelbare Problem. Aber die Angst, die wir empfinden, rührt nicht nur von COVID-19 her. Den meisten von uns ist klar, daß Ungleichheit und Ungerechtigkeit Menschenleben kosten, daß wir nur so gesund sind wie unsere am wenigsten gesunden Menschen. Diejenigen, die Geld haben, sind genauso verletzlich wie diejenigen, die kein Geld haben. Die höheren Kasten sind genauso krank wie die niedrigeren Kasten. Wir müssen unser Gesundheitssystem verändern, und dazu gehört auch eine Veränderung unseres Sozialsystems.

Aber ist das der richtige Zeitpunkt – mitten in einer Pandemie eine gewaltige Veränderung in Angriff zu nehmen?

Wir wissen, was getan werden muß

Die medizinische Wissenschaft kann etwas bieten, und ich denke, wir möchten der ganzen Welt bessere Gesundheits- und Wohlfahrtssysteme bieten. Wir wissen schon, was getan werden muß. Wie das erreicht werden kann, steht noch aus. Und so wie es aussieht, denken viele darüber nach, wie man einen großen Wandel herbeiführen kann.

Wir müssen entscheiden, was wir nach der Bildung als nächstes tun müssen. Wir kennen unser Ziel: eine große Veränderung in unserer Gesellschaft, um die sozialen Determinanten der Gesundheit zu einer allgemeinen Erkenntnis aller zu machen. Ich denke, wir alle wollen uns dem Aufbau des öffentlichen Gesundheitssystems zuwenden, das werden die Heere für eine gerechte Gesundheit und Wohlfahrt sein. Wir brauchen ein ganzes Heer von Menschen, um diese Veränderungen herbeizuführen. Helga LaRouche hat die Bildung des Ausschusses für die Koinzidenz von Gegensätzen gefordert. Diese Initiative wird einen internationalen Chor ins Leben rufen, der sich für die Schaffung einer Art Apollo-Projekt im Weltgesundheitswesen einsetzt, genauso plötzlich und doch so inspirierend, wie es John F. Kennedys unglaubliches Mondprojekt war.

Es ist ja auch nicht so, daß das, was wir vorschlagen, neu wäre. Mitarbeiter des öffentlichen Gesundheitswesens waren seit den 1860er Jahren in weiten Teilen der Vereinigten Staaten eine feste Größe. Wir schlagen vor, daß weltweit junge Menschen aus den Altersgruppen von High School, College und danach in einen internationalen „Gesundheitsberatungsdienst“ aufgenommen werden, der die personell unzureichend besetzten medizinischen Bedürfnisse der Regierungen weltweit ausfüllt. Wie ich bereits auf einer früheren Konferenz des Schiller-Instituts sagte, als Helga die Idee des Ausschusses zum ersten Mal vorschlug: „Wir brauchen eine ganze Reihe von Menschen – von den Gesundheitshelfern vor Ort über die unmittelbaren Vorgesetzten, über Leute mit einer gewissen medizinischen Ausbildung bis hin zu Pflegeassistenten, praktischen Ärzten und anderen, bis hin zur Ebene von hervorragenden Spezialisten. Wir leisten oft zuviel fachärztliche Behandlung und nicht genug grundlegende öffentliche Gesundheitsfürsorge, die weit mehr zur Erhaltung unserer Gesundheit beitragen würde als hundert Chirurgen.“

Die Mitarbeiter des öffentlichen Gesundheitswesens in diesen öffentlichen Gesundheitssystemen sind keine Ärzte oder Krankenschwestern. Für das Verteilen von Masken, Temperaturmessung und sogar für die Kontaktverfolgung und einige Diagnosen muß man keinen medizinischen Abschluß haben oder zwölf Jahre lang zur Schule gegangen sein. Es handelt sich um ein öffentliches Gesundheitskorps, das mit dem Ingenieurkorps der Armee und vielen anderen staatlichen Behörden zusammenarbeiten könnte. Wir brauchen Millionen von Mitarbeitern des öffentlichen Gesundheitswesens, und die Welt braucht Dutzende von Millionen.

Das ist eine der effizientesten wirtschaftlichen Investitionen, die überall auf der Welt getätigt werden können, insbesondere wenn Millionen arbeitslos sind. Die öffentlichen Gesundheitssysteme in jedem Land, die in ein globales öffentliches Gesundheitssystem eingebunden sind, könnten eine bessere Gesundheitsversorgung und ein besseres Wohlergehen für Hunderte von Millionen Menschen erreichen.

Die Organisation für Afrikanische Einheit hat Pläne ausgearbeitet, um viele Aspekte eines kontinentalen Gesundheitsplans anzugehen. Äthiopien und viele andere Länder haben erfolgreich eine große Zahl von Gemeinde-Gesundheitshelfern geschaffen und ganze Lehrpläne entwickelt, wie Gemeindegesundheit unterrichtet werden kann. Vieles ist getestet worden. Die globale Sorge füreinander wird der Beginn eines öffentlichen Gesundheitssystems sein, denn das ist es, was die öffentliche Gesundheit für das Wohlergehen der anderen tut. Um diese und zukünftige Pandemien zu überleben, müssen wir die gesicherte Gesundheitsversorgung für alle Menschen überall auf der Welt sichern. Wir müssen alle zusammenarbeiten, egal wie gegensätzlich wir sind - aus der ganzen Welt.

Es ist eine große Aufgabe. Die Ungleichheiten in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Wohnen, Arbeit und soziale Fehler müssen nicht nur angegangen, sondern auch beseitigt werden. Gerechtigkeit kann das Stichwort für das Jahr 2020 sein. Streben wir nach einer gerechten Welt!

Die heutige Weltgesundheitssituation ist vielleicht beängstigend, muß aber nicht unser Schicksal sein. Etwas anderes zu sagen, hieße falsch und ängstlich reden. Die Welt kann sich schnell genug vom Kurs der Spaltung abwenden, um Zigmillionen vor dem Tod zu bewahren. Um die sicher noch bevorstehenden Pandemien zu überleben, müssen wir die gesicherte Gesundheitsversorgung für alle Menschen auf der ganzen Welt sichern. Wir müssen alle zusammenarbeiten, egal wie gegensätzlich wir sind, von überall auf der Welt. Das ist es, was wir unter einem Zusammentreffen von Gegensätzen verstehen: eine höhere Allianz, die auf den Prinzipien „niemandem etwas Böses und Nächstenliebe für alle“ beruht. Das kann unser dauerhaftes Überleben und die Gesundheit der Menschheit sichern.

Vielleicht werden Kinder in Zukunft das Jahr 2020 als das Jahr der Wasserscheide betrachten und erkennen, daß das herausragende Ereignis nicht die Pandemie und die darauf folgenden Katastrophen waren, sondern, daß die Welt begann, sich zu verändern, um ein besserer Ort für die Menschheit zu werden.

Wir müssen dabei die Führung übernehmen. Dazu müssen wir lernen, was die Gemeinschaft braucht, um sicherzustellen, daß wir verstehen, was vor sich geht, so daß wir für das sorgen können, was bereitgestellt werden muß. Wir müssen alle Menschen erziehen und befähigen und unsere Jugend erziehen und befähigen, damit alle einbezogen werden können, und damit wir alle planen können, zu tun, was wir tun müssen, um etwas zu bewirken. Wir brauchen „entschlossene Kühnheit“, wie ich es nenne: die Kühnheit, hinauszugehen und die Probleme genau dort anzupacken, wo sie sind, und zu tun, was wir tun müssen, um etwas zu verändern, Wir können es tun, wir wissen wie, also laßt uns anfangen! Vielen Dank.