|
|
Von Helga Zepp-LaRouche
Bei der Berliner Konferenz des Schiller-Instituts am 24. Juni 2017 hielt die Vorsitzende, Helga Zepp-LaRouche, den folgenden Vortrag, der für den Abdruck leicht überarbeitet wurde; die Zwischenüberschriften wurden von der Redaktion hinzugefügt.
Der optimistische Ton, der aus der eben gehörten Musik hervorging, paßt sehr gut zu der Weltlage. Das ist vielleicht für Sie hier in Deutschland nicht ohne Weiteres erkennbar, aber ich bin sehr, sehr optimistisch, daß sich die Welt auf einem guten Weg befindet. Und das hat alles mit der Neuen Seidenstraße zu tun.
Die Neue Seidenstraße wächst mit einer unglaublich schnellen Dynamik, und sie ist dabei, sich zu einer neuen, gerechten Weltordnung zu entwickeln, auch wenn Sie davon weder in der Tagesschau gehört haben, noch in der Bild-Zeitung oder der FAZ viel, wenn überhaupt, etwas gelesen haben. Doch das heißt nicht, daß das nicht wahr ist.
Ich bin ganz froh, mit dem vielleicht wichtigsten Punkt anfangen zu können: Amerika mit Präsident Trump – und das steht mit Sicherheit gegen alles, was Sie in den deutschen Medien über Trump bisher gehört haben – arbeitet jetzt voll und ganz bei der „Belt and Road Initiative“ Chinas mit.
Ich würde einfach behaupten, daß dies auch ein bißchen unser Verdienst ist, denn ich weiß noch sehr genau, daß wir 2014, als die Belt and Road Initiative schon im Gange war – Präsident Xi Jinping hatte ja die Neue Seidenstraße 2013 in Kasachstan zur offiziellen chinesischen Politik gemacht, die damals noch „One Belt, One Road“ hieß –, zum ersten Mal klar gestellt haben, daß dies nur dann Erfolg haben könnte, wenn Amerika und China, die beiden größten Volkswirtschaften der Welt, an einem globalen Konzept zusammenarbeiten. Wir veröffentlichten damals unseren Bericht „Die Neue Seidenstraße wird zur Weltlandbrücke“, dem wir dann noch ein Kapitel hinzufügten, daß nämlich die USA mit der Neuen Seidenstraße kooperieren sollten.
Ich kann Ihnen versichern, daß damals kein Mensch geglaubt hat, daß das jemals so kommen würde. Es schien also eine vollkommen weit hergeholte Idee zu sein, aber jetzt ist es wirklich so eingetreten, und damit ist es mehr als ein Hoffnungsschimmer, daß die Welt wieder in Ordnung kommt.
Ich will Ihnen kurz berichten, was gestern neu hereingekommen ist.
Es wurde eingangs schon erwähnt, daß der chinesische Staatsrat Yang Jiechi bereits im April in Washington war, um dort das Belt and Road Forum im Mai in Beijing vorzubereiten. In der Folge davon war dann Matt Pottinger, ein hoher Offizieller aus dem State Department, als offizieller Delegierter zum Gipfel in Beijing gefahren, was schon ein Riesendurchbruch war; denn Sie erinnern sich: Trump hatte im Wahlkampf noch von Handelskrieg gesprochen und gesagt, China müsse bekämpft werden. Heute ist somit völlige Veränderung eingetreten.
Der gleiche Yang Jiechi war nun erneut in Washington und hat sich lange mit Trump getroffen, auch um das neue Treffen zwischen Xi Jinping und Trump anläßlich des G20-Gipfels in Hamburg vorzubereiten. Danach hat Trump erklärt, China und die USA würden an der Belt and Road Initiative zusammenarbeiten und auch gemeinsame Joint Ventures in Drittländern beginnen.
Gleichzeitig fand eine ganze Reihe hochrangiger Konferenzen statt. In Beijing z.B. die „Konferenz der Vorstandsvorsitzenden großer Firmen und ehemaliger hoher Regierungsmitglieder“. Dort wurde beschlossen, daß innerhalb eines Jahres entweder in den USA oder China eine sehr große Konferenz zwischen USA und China stattfinden werde, auf der die Kooperation ausführlich entwickelt werden wird. Dann fand in San Francisco eine weitere große Konferenz statt – auch mit Vorstandsvorsitzenden, Regierungsvertretern und Infrastrukturfirmen; dort wurde beschlossen, daß man beim Ausbau der Infrastruktur in Amerika, aber auch in Drittländern kooperieren werde. Und dann war in Detroit in Michigan eine Konferenz mit 3000 Teilnehmern und 600 mittelständischen Unternehmern aus Michigan, auf der der Chef von Alibaba, Jack Ma, vor dem Publikum betonte: „Wenn Sie China verpassen, verpassen Sie Ihre Zukunft.“
Das ist eine absolut richtige Einschätzung, denn da steht etwas auf der Tagesordnung, was nicht nur wirtschaftliche Kooperation ist, sondern es geht um ein vollkommen neues Paradigma der Zusammenarbeit zwischen den Nationen dieser Welt. Auch wenn das in Europa noch so gut wie gar nicht – zumindest nicht in Deutschland – angekommen ist, heißt das nicht, daß sich nicht diese Art der Beziehungen zwischen den Nationen entwickelt.
Seit Xi Jinping diese Initiative im September 2013 zur offiziellen chinesischen Politik erklärte, hat sich diese Politik in der Zwischenzeit auf der Basis einer „Win-Win-Kooperation“, womit quasi das chinesische Wirtschaftsmodell anderen Ländern zur Verfügung gestellt wird, mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit entwickelt.
Um noch einmal ins Gedächtnis zu rufen, welche ungeheure Veränderung da eingetreten ist: Ich war 1971 während der Kulturrevolution zum ersten Mal in China; damals war die Bevölkerung arm, unfroh, unglücklich. Bei der Gründung Chinas 1949 war die durchschnittliche Lebenserwartung der Chinesen 35 Jahre, das Analphabetentum betrug 80%. Nach dem Krieg gegen Japan und dem Bürgerkrieg befand sich die Bevölkerung in einer schrecklichen Situation, und während der Kulturrevolution gab es viele, viele Rückschritte. Aber vor allem nach Deng Xiaopings Wirtschaftsreformen, die sich sehr stark u.a. an Friedrich List, dem deutschen Ökonomen, und an Henry C. Carey orientierten, hat sich das entscheidend verändert.
So ist die Lebenserwartung in China heute 76 Jahre, das Analphabetentum ist fast verschwunden – es ist weniger als 4% –, und vor allem in den letzten 30 Jahren hat China das größte Wirtschaftswunder der Geschichte entwickelt, sogar mehr noch als das deutsche Wirtschaftswunder nach dem Zweiten Weltkrieg. Schon jetzt ist die Neue Seidenstraße etwa 20mal so groß wie der Marshallplan nach dem Zweiten Weltkrieg war. China hat in den letzten 30 Jahren etwa 800 Millionen Menschen aus der Armut befreit, es gibt eine wachsende Mittelschicht, die inzwischen sehr gut lebt und sehr optimistisch ist, was die Zukunft angeht.
China hat mit der Neuen Seidenstraße ein Angebot auf die Tagesordnung gesetzt, damit alle Staaten, die kooperieren wollen, dieses Modell der Selbstentwicklung in ihrem eigenen Land wiederholen können.
Das ist eine unglaubliche Perspektive. Ursprünglich ging es nur um den Ausbau der alten Seidenstraßen-Route, also von China über Ost- und Westasien bis nach Europa. Aber inzwischen gibt es sechs große Infrastrukturkorridore, z.B. die Eurasische Landbrücke, die Verbindung von China nach Europa. Auf 39 Routen fahren heute regelmäßig Züge – von Xi’an, Chengdu, Chonqing, Yiwu, Lianyungang bis nach Hamburg, Rotterdam, Madrid, Lyon, Duisburg, und das alles entwickelt sich unheimlich schnell.
Es gibt inzwischen mehr und mehr Staaten und Organisationen, die da kooperieren. Auf dem Belt and Road Summit, also dem Gipfeltreffen, das Mitte Mai die ganze Initiative als neue Weltwirtschaftsordnung zementiert hat, waren 29 Staatschefs, 110 Nationen mit ihren Regierungsvertretern und 1200 Ökonomen, Wissenschaftler und Experten zu diesem Thema anwesend. Ich selber hatte das große Privileg, dort auch eingeladen zu sein, Es war die hochrangigste Konferenz, bei der ich je teilnehmen konnte. Die Rede, z.B. von Xi Jinping – die ich Ihnen wirklich ans Herz legen möchte, selber einmal nachzulesen oder anzuhören - hat im Grunde ein vollkommen neues Modell von Beziehungen zwischen den Nationen in einer konfuzianischen Weise ausgedrückt. Dann sprachen Putin, Erdogan, der UN-Generalsekretär Guterres und viele andere.
Ich habe mit einigen Konferenzteilnehmern gesprochen, die alle das Empfinden hatten, bei der Schaffung von Geschichte teilgenommen zu haben, d.h. etwas vollkommen Neues ist am Entstehen. Es geht nicht nur um die Entwicklungskorridore in Asien – z.B. China-Zentralasien-Europa, dann China-Mongolei-Rußland, China-Pakistan, dann natürlich ein Korridor China-Bangladesh-Indien-Myanmar –, sondern inzwischen hat sich die Neue Seidenstraße auch nach Lateinamerika ausgebreitet. Viele Staaten sagen jetzt, die Zukunft für Lateinamerika ist die Kooperation mit der Neuen Seidenstraße.
Aber der vielleicht begeisterndste Unterschied ist die veränderte Stimmung in Afrika. Denn China hat dort jetzt mehrere Eisenbahnlinien gebaut, oder sie sind im Bau. Die Trasse von Dschibuti nach Addis Abeba ist schon eröffnet. Im Bau befindet sich eine Eisenbahn von Kenia nach Kongo und Tansania, die bis nach Uganda und Ruanda weitergebaut wird. Das ist Teil eines gesamtafrikanischen Eisenbahnnetzes, das in Planung ist. Verschiedene andere Teilstrecken werden modernisiert, etwa in Nigeria.
Das alles hat nach meiner Erfahrung die Stimmung unter den Afrikanern vollkommen verändert. Zum ersten Mal sehen sie, daß ein Land kommt und nicht nur schöne Reden hält über Demokratie und Menschenrechte, sondern in der Tat die Voraussetzungen schafft, daß Unterentwicklung und Armut überwunden werden können. Einige der afrikanischen Staaten haben das selbstbewußte Ziel, sehr bald entwickelt zu sein, also den Zustand, der vom Kolonialismus übrig geblieben ist, endgültig zu überwinden.
Der neue Seidenstraßen-Geist – so sprechen die Leute darüber –, der eine Win-Win-Kooperation zum Vorteil aller ermöglicht, hat auch Europa erfaßt. Z.B. sind die ost- und zentraleuropäischen Staaten, die Balkanstaaten - Griechenland, Ungarn, Slowenien, die Slowakei, Tschechien – alle sind inzwischen begeistert darüber, daß ihnen jetzt die Möglichkeit einer neuen wirtschaftlichen Zukunft offensteht.
Ebenso Italien: Ministerpräsident Gentiloni war bei dem Belt and Road Forum in Beijing, und hat das ganz klare Ziel, daß Italien und China bei der Entwicklung von Afrika zusammenarbeiten. Das liegt auf der Hand, weil Italien neben Griechenland das Land ist, das am meisten durch die Flüchtlingskrise erschüttert wurde, und Italien sieht jetzt in der Entwicklungs- und Industrialisierungspolitik Chinas einen Weg, der dazu beitragen kann, das Problem auf humane Weise zu lösen, und nicht etwa so, wie die EU das bisher geplant hat – mit Auffanglagern entlang des Mittelmeers.
Selbst Macron, der neue Präsident Frankreichs, hat eine viel, viel positivere Haltung. Er hat z.B. den ehemaligen Premierminister Raffarin zum Gipfel in Beijing geschickt. Raffarin hat dort eine sehr, sehr positive Rede über die Zusammenarbeit zwischen Frankreich und China beim Ausbau dieser Initiative gehalten.
Das gleiche gilt für Spanien. Premierminister Rajoy war auch in Beijing, und in Spanien fand gerade eine große Konferenz statt, auf der beschlossen wurde, daß Spanien nicht nur der Endpunkt der eurasischen Verbindung der Seidenstraße wird, sondern Spanien sieht sich als Brückenkopf nach Afrika und Lateinamerika. Mehrere Tiefseehäfen wie Valencia und Barcelona werden ausgebaut. Das gleiche gilt für Portugal.
In Italien ist sogar ein edler Wettstreit zwischen Nord- und Süditalien ausgebrochen, denn Gentiloni hat aus China zwar Abkommen für den Norden zurückgebracht – etwa den Ausbau der Häfen von Genua und Triest –, doch der Süden ist bisher leer ausgegangen. Daraufhin ist in Sizilien eine richtige Bewegung von Gewerkschaftern entstanden, die alle sagen: Nein, wir bestehen darauf, daß die Tiefseehäfen in Sizilien – Augusta und andere –, dringend mit einbezogen werden müssen , denn Sizilien ist eigentlich der organische Platz für Handel, der über den Suezkanal zum Weitertransport nach ganz Europa kommt.
Mit anderen Worten: Es ist eine vollkommen neue Dynamik im Gang, die mit den trockenen Worten von Frau Zypies auf dem Gipfeltreffen in Beijing überhaupt nicht erfaßt wird. Denn alles, was Frau Zypries gesagt hat, bedeutet lediglich: Wir bestehen darauf, daß die Regeln eingehalten werden, wir bestehen darauf, daß die „europäischen Standards“ respektiert werden.
Es ist einfach eine Tatsache: Die Win-Win-Kooperation – Konfrontation wird durch Kooperation ersetzt – ist der Schlüssel für die Überwindung der Geopolitik. Wenn alle Nationen gemeinsam im gegenseitigen Interesse und zu ihrer gegenseitigen Entwicklung zusammenarbeiten, dann ist das der Schlüssel für die Überwindung der Geopolitik. Die Geopolitik möchte ich einfach als ein Fossil bezeichnen, das der Menschheit nicht gemäß ist. Die Idee, daß es nationale Interessen oder Gruppeninteressen gibt, die zur Not auch mit Krieg gegen die Interessen anderer Gruppen durchgesetzt werden müssen, ist im Grunde eine oligarchische Idee, die mit Imperium zu tun hat, aber nicht mit dem natürlichen Zustand der Menschheit vereinbar ist. Es gibt leider noch einige Leute, die das nicht verstanden haben. Aber ich bin absolut überzeugt: diese Leute werden immer weniger und sie werden sich letztlich nicht durchsetzen.
Der neue Seidenstraßengeist, der jetzt die meisten Nationen dieser Welt erfaßt hat, ist einfach optimistischer, weil er einen Anpack bietet, die Probleme zu überwinden, und es wäre auch im ureigensten Interesse Deutschlands, damit voll zu kooperieren. Es gibt zwar Lippenbekenntnisse von Frau Merkel, die gesagt hat, sie unterstütze das, aber das ist trocken und dürr, und unser Finanzminister Schäuble hat bei der Verleihung des Kissinger-Preises an ihn eine Rede gehalten, worin er sagte: Wenn wir Rußland und China das Vakuum oder die Vakua überlassen, die jetzt von Amerika erzeugt wurden, dann ist das das Ende der „liberalen Weltordnung“.
Das ist in einer Hinsicht natürlich richtig, denn die liberale Weltordnung ist nun nicht so erstrebenswert, daß man sie um jeden Preis erhalten sollte. Und gegen diese liberale Weltordnung oder dieses alte System der Globalisierung, das auf neoliberalen Wirtschaftskonzepten und neokonservativen militärischen Prinzipien beruht – auf Kriegen, die geführt wurden, um Regime zu beseitigen, auf einer Wirtschaftspolitik, die zu einer Vergrößerung der Schere zwischen Reich und Arm geführt hat –, laufen fast alle Länder auf der Welt Sturm. Gegen diese liberale Weltordnung ist seit geraumer Zeit eine Revolte im Gang.
Der berühmte Brexit hatte das Establishment bereits auf dem berühmten linken Fuß erwischt; die Wahl von Trump war ganz ähnlich, denn die, die von Hillary Clinton so verächtlich als die „bedauerungswürdigen“ Wähler bezeichnet wurden, haben durchgehend Trump gewählt. Im sogenannten „Rostgürtel“ Amerikas – da, wo früher einmal Industrie war, wo es einmal eine funktionierende Infrastruktur gab –, da ist nichts mehr; die Lebenserwartung sinkt in Amerika. Und wenn es irgendeinen Faktor gibt, der die Gesundheit oder Krankheit einer Ökonomie beschreibt, dann ist es der, ob die Lebenserwartung steigt oder sinkt. Und wenn in der angeblich reichsten und fortschrittlichsten oder wirtschaftsstärksten Nation der Welt die Lebenserwartung sinkt, dann ist das ein Indikator dafür, daß da etwas ganz und gar nicht in Ordnung ist.
Hierher gehört auch das Aufkommen rechter Bewegungen in Europa – in Frankreich, in Holland, in anderen Staaten –, aber auch, daß sich ein Teil der Bevölkerung nicht mehr von den Regierungen vertreten fühlt. So haben beim zweiten Wahlgang zur Nationalversammlung nur 43% der Wähler überhaupt für Macron gestimmt, das war die geringste Wahlbeteiligung in der französischen Geschichte bei einer solchen Wahl. Das spricht nicht gerade dafür, daß die Leute sich vertreten fühlen, sondern eine ganz andere Meinung haben.
Alle diese Phänomene sind schon länger im Gang, und was damit in große Frage gestellt wird, ist die unipolare Welt, wie sie einige Leute nach dem Ende der Sowjetunion meinten errichten zu können.
Unser Konzept war immer ganz anders, und deshalb nehmen wir für uns in Anspruch, daß die Seidenstraße zum Teil unser Baby ist. Ich will gar nicht sagen, daß wir die einzigen sind, die so gedacht haben, und ich habe auch keine Ahnung, ob unsere Vorschläge direkt in die chinesische Politik eingeflossen sind oder nicht. Ich weiß nur, daß wir schon 1989, als die Berliner Mauer fiel, gesagt haben: Jetzt, wo der Eiserne Vorhang oder die Mauer weg ist, können wir die Region Paris-Berlin-Wien als eine Wirtschaftsregion mit westlicher Technologie entwickeln.
Damals war die strategische Lage so: Margaret Thatcher hat ihre Kampagne gegen das Vierte Reich – also gegen die deutsche Wiedervereinigung – geführt; Mitterrand hat die Aufgabe der D-Mark als Preis für die Wiedervereinigung verlangt; die USA unter Bush senior sahen in der Aufnötigung des Euro ein opportunes Mittel, um Deutschland in die EU-Struktur einzubinden und vor allen Dingen zu verhindern, daß Deutschland eine unabhängige Politik gegenüber Rußland betreiben würde. Deshalb ist das alles damals nicht zustande gekommen.
Aber dann, als sich die Sowjetunion 1991 aufgelöst hat, haben wir unser Programm des Produktiven Dreiecks Paris-Berlin-Wien einfach verlängert und gesagt: Jetzt ist es Zeit, die europäischen und asiatischen Bevölkerungs- und Industriezentren durch Entwicklungskorridore miteinander zu verbinden.
Das war für uns ganz bewußt als Basis für eine Friedensordnung für das 21. Jahrhundert gedacht. Diesen Vorschlag haben wir damals allen Regierungen in ganz Eurasien unterbreitet.
Die chinesische Regierung hat diesen Vorschlag dann aufgegriffen und 1996 eine große Konferenz in Beijing organisiert, auf der ich als Redner eingeladen war. Schon damals hatte China die Neue Seidenstraße als Langzeitperspektive für China auf die Tagesordnung gesetzt. Allerdings kam die Entwicklung dann mit der Asienkrise 1997 ins Stocken, die zum Teil auf die Spekulationen von George Soros zurückging, der die eurasischen Währungen in einer Woche um 80% nach unten spekuliert hatte. 1998 kam es noch zum russischen Staatsbankrott, wodurch dieses Konzept weiter ins Stocken geriet.
Aber in dieser ganzen Zeit haben wir weitere Konferenzen und Seminare veranstaltet. Wenn man das alles einmal chronologisch aufzählt, kommen wir dabei auf Hunderte von Konferenzen und Seminaren auf fünf Kontinenten – nicht alle von uns hier, sondern auch von unseren Kollegen in Australien und anderswo; wir haben ja Mitstreiter auf der ganzen Welt, die das genauso vertreten haben.
Auf diesem Weg haben wir zweieinhalb Jahrzehnte lang diese Ideen vertreten, und durch die Wirtschaftsmacht Chinas ist jetzt eine materielle Gewalt dahinter entstanden, d.h. Ideen haben eine materielle Wirksamkeit erhalten.
Was war aber die Reaktion – leider – damals in Europa? Es gab zwar ein Versprechen, die NATO-Truppen niemals an die Grenzen Rußlands vorzuverlegen, wenn Rußland zustimmt, daß Deutschland wiedervereinigt wird; das kam in den innerdeutschen Gesprächen zwischen Gorbatschow und Kohl auf und wurde auch von dem damaligen US-Botschafter in Moskau, Jack Matlock, berichtet. Das war eine große Leistung der russischen Seite, vor allem wenn man bedenkt, daß Rußland bzw. die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg 27 Millionen Menschen verloren hat, und der „Große Patriotische Krieg“ ist für die Russen noch immer eine große historische Wunde. Rußland hat aber gewissermaßen die Generosität besessen, der deutschen Wiedervereinigung – immerhin war Deutschland ja der Kriegsgegner – zuzustimmen.
In Rußland hat man nie verstanden, warum Deutschland über diesen friedlichen Übergang nicht mehr Dankbarkeit empfunden hat. Deutschland hat dann nicht nur die Kriegspolitik von Bush senior, Bush junior und Obama unterstützt, sondern jetzt, wo es Hillary Clinton nicht ins Weiße Haus geschafft hat, spielt sich Frau Merkel als die Führerin des freien Westens auf, die diese Politik hochhalten muß. Vom russischen Standpunkt ist das ein ganz anderer Blickwinkel, den wir uns wirklich bewußt machen sollten.
Aber leider waren zu der Zeit, als die Sowjetunion sich auflöste, die Neocons mit Bush senior in Washington am Ruder, die das alte Konzept des Britischen Empires verfolgten, die Welt als unipolare Welt zu regieren. Das haben sie Stück für Stück durchzusetzen versucht – durch Farbrevolutionen gegen die Regierungen, die sich dieser unipolaren Welt nicht unterwerfen wollten, oder auch durch Interventionskriege, wie im Fall von Irak, Libyen oder Syrien. Wenn das alles Erfolg gehabt hätte, wären wahrscheinlich auch der Iran und ähnliche Regierungen inzwischen weg.
Mit der gleichen Politik wurde auch der Bankensektor dereguliert, also eine ungezügelte Spekulation eingeleitet, die dazu geführt hat, daß die Spekulanten immer reicher wurden, aber viele Leute in vielen Teilen der Welt immer ärmer – in Deutschland durch Hartz-4 und andere Mechanismen, noch mehr in Griechenland, Italien, Spanien, Portugal. In diesen Ländern ist die Wirtschaft um ein Drittel geschrumpft, der Lebensstandard und die Gesundheitsversorgung sanken ab.
Inzwischen hat sich aber eine Revolte gegen diese Form der unipolaren Politik der ungezügelten Globalisierung entwickelt, und wenn man für Globalisierung einfach nur „anglo-amerikanisches Empire“ einsetzt, dann hat man einen ungefähren Begriff davon, was aus der EU als regionaler Dependence dieser Politik geworden ist, um die Interessen der Banken und dieser Finanzinteressen durchzusetzen.
Vor und auch nach seiner Wahl hat Präsident Trump erklärt, er wolle keine Interventionskriege mehr, er wolle zum Amerikanischen System der Wirtschaft von Alexander Hamilton, Henry C. Carey und Lincoln zurückkehren, er wolle Glass-Steagall wieder einführen und er wolle das Verhältnis mit Rußland und China in Ordnung bringen. Das ist der Grund dafür, daß er gewählt wurde, und seit vier oder fünf Monaten ist er jetzt dabei, diese Politik umzusetzen.
Das ist aber auch der Grund dafür, warum vom Tag eins an das neoliberale Establishment eine unerhörte, wirklich beispiellose Feindschaft gegen Trump an den Tag gelegt hat. Selbst in Deutschland bekommt man das mit, aber was sich im Augenblick in Amerika entwickelt, ist wirklich eine Hexenjagd, wobei das Wort Hexenjagd eigentlich noch zu milde ist.
Um ein Beispiel zu geben: Die ganze Kampagne gegen Trump kommt ursprünglich aus Großbritannien. Der britische Geheimdienst hat schon 2015 davon gesprochen, daß Rußland die Wahl in Amerika manipulieren würde, und im Sommer vor einem Jahr wurde dann von Christopher Steele, einem ehemaligen MI-6-Agenten, jenes merkwürdige Dossier fabriziert. Dieses Dossier über angebliche Perversionen von Trump in Moskau war so hanebüchen, daß es selbst während des Wahlkampfs von keiner großen Zeitung aufgegriffen wurde. Nach der Wahl sind dann die Chefs der US-Geheimdienste – Clapper, Comey und Brennan – zu Trump ins Weiße Haus gegangen und haben dieses Dossier dort als „Intelligence“, als ernstzunehmende Angelegenheit vorgelegt, wonach es dann auch in die Medien gebracht wurde. Seitdem ist die Behauptung, Rußland hätte die Wahl gestohlen und deshalb müsse ein Sonderermittler – der ehemalige FBI-Chef Robert Mueller – eingesetzt werden, jeden Tag in den Nachrichten. Nur hat man leider dafür keinerlei Beweise vorlegen können. Die ganze Behauptung, daß Rußland die Wahl manipuliert und Trump damit zur Wahl verholfen hätte, ist vollkommen lächerlich.
Dann wurde die Taktik etwas geändert und gesagt, Trump habe die Justiz behindert, weil er Comey in einem Zweiergespräch angeblich gesagt hätte, er hoffe, daß die Untersuchungen gegen den Sicherheitsberater Flynn bald eingestellt würden. Mehrere Verfassungsrechtler haben sich inzwischen zu Wort gemeldet, die sagen, dieser Vorwurf sei genauso hanebüchen wie alles andere, denn es sei das Recht des Präsidenten, z.B. Leute zu begnadigen. Er könnte sogar Comey anweisen, derartige Untersuchungen einzustellen, denn als Präsident habe er das Recht, Politik zu machen.
Es ist ein harter interner Machtkampf ausgebrochen, wo die Gegner Trumps versuchen, ihn aus dem Weißen Haus zu entfernen. Die britische Tageszeitung The Spectator hatte sofort nach Trumps Wahl im Januar einen Artikel veröffentlicht mit der Überschrift „Mord oder Putsch oder Amtsenthebung – wie wird man Trump aus dem Weißen Haus kriegen?“ Genau das ist nach wie vor die Intention dieser neoliberalen oder neokonservativen Opposition gegen Trump. Diese Leute werden nicht nachgeben, bis sie nicht selbst besiegt sind.
Die Situation steht vollkommen auf der Kippe, aber wenn diese Entwicklung so weiter geht, besteht auch die absolute Chance, daß die Sache ein positives Ende findet.
Ich weiß nicht, wer von Ihnen in letzter Zeit einmal in Amerika war. Die USA haben zwar ohne Zweifel immer noch einen sehr hohen wirtschaftlichen Standard, was Technologie und Produktion angeht, aber sie haben jahrzehntelang Investitionen in die Infrastruktur vollkommen vernachlässigt. Die Straßen haben Schlaglöcher, in denen Sie mit einem Fiat 500 verschwinden können, und man würde es nicht einmal bemerken – Sie vielleicht schon, aber sonst niemand. Es gibt praktisch keine Schnellbahnen – lediglich zwischen Washington und Boston, wo aber nur auf 150 km eine Geschwindigkeit von 240 km/h erreicht wird.
China hat schon Ende letzten Jahres über 20.000 km Schnellbahnstrecken ausgebaut, und bis 2020 sollen alle großen Städte Chinas durch ein Schnellbahnsystem mit Geschwindigkeiten bis zu 350 km/h verbunden sein; auch Nahverkehrs- und U-Bahnen sollen so miteinander verknüpft werden, daß z.B. in der Region Beijing-Hebei-Tianjin – das sind 130 Millionen Menschen – niemand mehr als 20 Minuten Fahrtzeit zu seinem Arbeitsplatz braucht, im Gegensatz zu den vier Stunden Zeitverlust, die die Amerikaner im Schnitt haben, wenn sie von ihrem Haus zum Arbeitsplatz fahren.
In Amerika ist die Infrastruktur generell in einem katastrophalen Zustand, aber wo das nun zu einer gefährlichen Krise wird, ist New York. In New York ist die Infrastruktur im Durchschnitt über 100 Jahre alt, so daß es kein Wunder ist, daß jetzt z.B. an dem wichtigen Umsteigebahnhof Penn Station mehrere Unfälle passiert sind, wo Züge aus den Gleisen sprangen, so daß jetzt diese Gleise schnellstens repariert werden müssen, und auch zwei Tunnel unter dem Hudson, die New Jersey mit New York verbinden, müssen dringend geschlossen und saniert werden.
Das Problem dabei ist aber, daß alle vorhandenen Verkehrswege bereits vollkommen überlastet sind. Wenn man jetzt für fast ein Drittel der 1,5 bis 1,8 Millionen Menschen, die jeden Tag nach Manhattan pendeln, Ersatzstrecken finden will, so sind diese Strecken ihrerseits schon um das Dreifache höher belastet, als das, wofür sie ursprünglich gebaut waren. Das Ganze wird jetzt am 10. Juli akut werden, wenn nämlich die genannten Reparaturen beginnen sollen, was eine riesengroße Katastrophe geben wird, weil es keinen Alternativplan gibt.
In unserer ersten Broschüre von 2014 haben wir ein Gesamtkonzept vorgelegt, wie Amerika als Teil der Neuen Seidenstraße alle großen Städte des Landes durch Schnellbahnen miteinander verbinden kann. Es müssen neue Städte gebaut werden, denn es gibt in Amerika zwar die Bevölkerungszentren an der Westküste und der Ostküste, aber dazwischen gibt es viele Bundesstaaten, die ganz wenig bevölkert und eigentlich gar nicht erschlossen sind, weil die Erschließung Amerikas, die von Lincoln mit der transkontinentalen Eisenbahn in Gang gesetzt wurde, irgendwann einmal aufgehört hat. Dabei hat der Chef der China Investment Corporation, Herr Ding Xuedong, kürzlich festgestellt, daß Amerika nicht eine Billion, also 1000 Milliarden Dollar an Infrastrukturinvestitionen braucht, sondern acht Billionen – 8000 Milliarden, was wahrscheinlich eine realistische Vorstellung ist.
Wir haben den Vorschlag gemacht, daß China, das 1,4 Billionen Dollar an US-Schatzanleihen hält, die so keinerlei positive Verwendung haben, über eine Nationalbank oder eine Infrastrukturbank in den Aufbau von Infrastruktur investiert. Die China Investment Corporation hat bereits ein neues Büro in New York eröffnet, und z.B. auf der erwähnten Konferenz in San Francisco hat der Vertreter der chinesischen Seite erklärt: Ist es nicht erstaunlich, daß ein hochentwickeltes Land wie Amerika bei der Infrastruktur jetzt die Hilfe Chinas in Anspruch nimmt? Und er sagte weiter: Das ist jetzt das „new normal in our relation“, also die neue Normalität zwischen den USA und China. Die Situation hat sich vollkommen verändert, weil damit die enorme Erfahrung, die China in den letzten Jahrzehnten beim Bau von Schnellbahnen, beim Bau von Tiefseehäfen und anderer Infrastruktur gesammelt hat, jetzt im Verhältnis zwischen den USA und China positiv genutzt werden kann.
Das definiert auch die Lage für Europa vollkommen neu. Der deutsche Botschafter in Beijing, Michael Clauss, hat vorige Woche hier in Berlin eine Rede gehalten, wo er gesagt hat, die Neue Seidenstraße sei viel zu chinalastig, wir müßten jetzt eine eigene Sache entwickeln.
Aber der Zug ist schon längst abgefahren! Warum soll man jetzt etwas eigenes, gegen China gerichtetes entwickeln? Das macht überhaupt keinen Sinn und ist eigentlich nur eine alte geopolitische Idee. Vor allen Dingen ist das, was von deutscher und EU-Seite bisher angeboten wird, lediglich sogenannte angepaßte Technologie, und wenn man die Evolution dieser Terminologie kennt, dann weiß man, daß dies bedeutet: keine Technologie, keine Entwicklung. Deshalb ist das in meinen Augen ein Auslaufmodell.
Wir müssen also Deutschland dazu gewinnen, nicht ein eigenes Modell zu entwickeln, das sowieso keinerlei Chance hat, sondern es wäre das Allerwichtigste, wenn die europäischen Nationen mit Rußland, mit China, mit Indien, mit Japan, mit Amerika kooperieren, und wir wirklich eine neue Welt bauen.
Die Überwindung der Geopolitik ist die Voraussetzung dafür, daß wir uns als Gattung nicht selbst zerstören. Wir waren mit Hillary Clinton und Obama auf dem direkten Weg zum Dritten Weltkrieg, und die Neocons versuchen jetzt auch innerhalb der Republikanischen Partei, Trump immer wieder auf solche Irrwege zu führen. Zu einem Zeitpunkt, als zwischen den USA die Kooperation in Syrien mit dem sogenannten „Deconfliction“-Abkommen auf einem sehr guten Weg war – daß man sich gegenseitig informiert und keine einseitigen Militäroperationen mehr macht –, kam es zum Abschuß eines syrischen Kampfjets durch die US-Streitkräfte, was dazu führte, daß Rußland dieses Abkommen sofort unterbrochen hat. Zu solchen Störmanövern kommt es immer wieder.
Gute Kontakte haben uns gesagt, warum Trump das zugelassen hat. Er ist offenbar so unter Beschuß durch die ganzen Sonderermittlungen und anderen Operationen, die gegen ihn laufen, daß er die Entscheidungen, was in Afghanistan und Syrien passiert, zum Teil dem Pentagon überlassen hat, und das Pentagon hat dann die entsprechende Sabotage vorgenommen.
Das alles ist also noch sehr, sehr gefährlich, aber ich glaube, es stellt sich eine noch grundsätzlichere Frage, ob wir als menschliche Gattung in der Lage sind, uns vor der eigenen Auslöschung zu retten, d.h. den Schritt zu machen, daß Kriege im Zeitalter von Atomwaffen kein Mittel der Konfliktlösung mehr sein können, und daß wir uns gleichzeitig eine Form der Regierung geben, die der Menschenwürde und der menschlichen Natur entspricht.
Ich möchte hinzufügen, daß das, was sich jetzt mit der Neuen Seidenstraße entwickelt, nicht nur eine wirtschaftliche Seite, sondern auch eine kulturelle Seite hat. Es eröffnet sich die Möglichkeit, die besten Traditionen der Kultur von jeder Nation und jedem Kulturkreis zu befördern und lebendig zu machen, und dann in einem Dialog zu bewirken, daß letztlich alle Nationen die besten Resultate der anderen Kulturen kennenlernen. Das ist meines Erachtens die unbedingte Voraussetzung dafür, daß Rassismus, Vorurteile und Fremdenfeindlichkeit überwunden werden und man wirklich eine Gemeinschaft der Menschheit für eine gemeinsame Zukunft bauen kann.
Das ist es, was Xi Jinping immer wieder betont. Und das ist auch, was Putin gerade jetzt noch einmal anläßlich seiner Jahrespressekonferenz gesagt hat, daß wir ein neues Paradigma brauchen, bei dem wir die Beziehungen der Nationen, wie sie in 50 Jahren aussehen sollen, zur Grundlage nehmen.
So etwas würden Sie hier in Deutschland nie hören. Aber das ist Putin, wie er wirklich ist. Auch bei seiner Rede 2001 vor dem Deutschen Bundestag hatte Putin bereits angeboten, daß Deutschland mit Rußland kooperieren solle, um die unendlichen Reichtümer und Schätze, über die Rußland verfügt, für den allgemeinen Nutzen ganz Eurasiens zu erschließen.
Seine Rede stieß damals auf generelle Ablehnung, zumindest ist niemand auf diese positiven Vorschläge eingegangen.
Aber gerade auch nach dem Gipfel in Beijing ist die Lage ganz verändert: die entstandenen Organisationen wachsen zusammen – die Neue Seidenstraßen-Initiative, die Eurasische Wirtschaftsunion, ASEAN, die Shanghai Cooperation Organization, die 16+1-Staaten integrieren sich alle wirtschaftlich immer mehr, und deshalb besteht die Möglichkeit, daß wir auf eine vollkommen neue Ebene der Beziehungen zueinander kommen.
Ich denke, daß wir in Deutschland dazu prädestiniert sind, eine positive Rolle dabei zu spielen. Aus Gründen, die manchmal schwierig zu verstehen sind, ist Deutschland in der Welt immer noch sehr angesehen. Nehmen wir als Beispiel die deutsche Kultur. Bei meiner jüngsten Chinareise war ich vollkommen verblüfft, wie viele Chinesen Schiller, Leibniz, Furtwängler, Brahms, Schubert – also Repräsentanten der deutschen Kultur – hochhalten, bewundern und schätzen, und damit eigentlich sagen: Warum machen die Deutschen nicht dasselbe, was wir machen, nämlich eine Renaissance von Konfuzius? Die Philosophie des Konfuzius wird heute in allen Poren der chinesischen Gesellschaft lebendig gemacht. Warum machen wir Deutsche nicht das gleiche mit unserer phantastischen klassischen Kultur?
Genau das haben wir uns vom Schiller-Institut von Anfang an auf die Fahnen geschrieben, und deswegen spielen die Musik, die Poesie und die Kultur bei uns immer eine absolut zentrale Rolle.
Ich denke, wir sind an einem vollkommen neuen Abschnitt der Geschichte, der bereits im Gang ist. Die Tatsache, daß diese Entwicklung hier in Deutschland noch so gut wie nicht wahrgenommen wird, heißt nicht, daß das nicht so ist. Die Mehrzahl der Menschheit geht inzwischen in eine vollkommen andere Richtung, und das ist sehr, sehr gut. Wenn wir jetzt noch über die letzten Klippen hinwegkommen, können wir uns als menschliche Gattung endlich auf die Dinge konzentrieren, die die gemeinsamen Ziele der Menschheit sind. China hat schon angekündigt, die Armut bis zum Jahr 2020 auf der ganzen Welt zu überwinden. Dann könnten wir uns den anderen wichtigen Themen zuwenden, z.B. Crashprogramme für die Entwicklung von Behandlungsmethoden für bisher unheilbare Krankheiten. Wir könnten uns auf die Frage der Energie- und Rohstoffsicherheit durch die Entwicklung der Kernfusion konzentrieren, wodurch dann auch eine Rohstoffsicherheit entsteht, weil wir durch das Verfahren der Fusionsfackel alle Abfälle in einzelne Atome zerlegen können, die dann zu neuen Rohstoffen zusammengesetzt werden. Durch die Fusion von Deuterium und Tritium und später von Helium-3, das auf dem Mond abgebaut werden kann, werden wir auch Energiesicherheit haben.
Wir können anfangen, uns mit den Gesetzen des Universums auseinanderzusetzen. Mit dem Hubble-Teleskop wurde jetzt festgestellt, daß es etwa zwei Billionen Galaxien im Universum gibt. Ich habe schon Schwierigkeiten, mir eine Galaxie richtig vorzustellen, und wenn man es jetzt mit zwei Billionen zu tun hat... Außerdem hat das Hubble-Teleskop diese wunderbaren Bilder von Nebeln und Sternenformationen geliefert, worüber wir noch ganz wenig wissen.
Wir leben in einem riesigen Universum, doch wir haben gerade einmal angefangen, einen ersten Sprung zu schaffen, die Erdoberfläche zu verlassen. Menschen waren auf dem Mond, wir haben eine Raumstation, China wird im nächsten Jahr damit anfangen, auf der erdabgewandten Seite des Mondes neue Teleskope aufzustellen, um noch besser in den Weltraum blicken zu können.
Wir befinden uns gerade einmal in der embryonalen Phase der Entwicklung der Menschheit. Und wenn wir uns mit der Raumfahrt beschäftigen, wird auch vollkommen klar, daß wir nicht in einem erdgebundenen System leben, sondern Teil des Universums sind. Die Gesetze, die im Universum gelten, haben auch für unseren Planeten eine unmittelbare Bedeutung. Sie haben in gewisser Weise eine Bedeutung, die auch zur Kreativität korrespondiert. Denn daß der menschliche Geist immer neue Erfindungen machen kann, die dann zu technologischen und wissenschaftlichen Fortschritten führen, die uns z.B. in die Lage versetzen, Weltraumforschung, Weltraumfahrt zu betreiben, heißt ja, daß es eine Korrespondenz geben muß zwischen der Kreativität des Menschen und dem Effekt, den wir im Universum haben.
Ich denke außerdem, eines der wirklich großartigen Projekte wird es sein, daß wir für das Zusammenleben der Nationen in diesem neuen Paradigma nicht nur Wirtschaftsbeziehungen haben, die das gegenseitige Interesse befördern, sondern daß wir uns auch eine neue Charta des Zusammenlebens geben müssen, etwa wie die Charta der Vereinten Nationen. Wir sollten für das neue Paradigma Prinzipien definieren, die ein friedliches Zusammenleben der Menschheit für immer möglich machen; darin muß entwickelt werden, daß die politische und die wirtschaftliche Ordnung mit den Gesetzen des physischen Universums korrespondieren müssen, und diese Prinzipien müssen als Grundlage für das Zusammenleben der Nationen dienen.
Aus diesem Prozeß wird nach meiner Vorstellung eine neue Renaissance entstehen. Als wir vorhin dieses wirklich sehr bewegende afrikanische Lied mit einer kleinen kompositorischen Veränderung hörten, wurde mir bewußt, daß in den Kulturen der Welt so viele Schätze liegen, aus denen – genau wie bei der Renaissance im 15. Jahrhundert durch die Wiederbelebung der größten Traditionen davor – im Dialog etwas Neues entstehen kann.
Ich denke also, wir sind in der sehr, sehr glücklichen Lage, in einer historischen Periode zu leben, wo ein Abschnitt, der mit Krieg, mit Armut, mit Elend verbunden war, an sein Ende kommt, und daß wir den Beginn eines neuen Zeitalters erleben, das wir mitgestalten können. Und dazu will ich Sie alle auffordern, mitzumachen.