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Neue Solidarität
Nr. 38, 22. September 2010

Rettet die Wehrpflicht!

Bundesverteidigungsminister zu Guttenberg arbeitet derzeit energisch darauf hin, die Bundeswehr aus einer Armee wehrpflichtiger Staatsbürger in Uniform, die im gegebenen Fall dazu aufgerufen sind, unser Land gegen Angriffe von außen zu schützen, in eine Armee von Söldnern umzuwandeln, deren Hauptaufgabe offenbar darin liegen soll, sich an fragwürdigen Militäraktionen der „internationalen Gemeinschaft“ in aller Welt zu beteiligen.

Begründet wird dies mit dem Argument, man müsse in Zeiten eines knappen Haushalts eben auch bei der Verteidigung sparen. Aber schon dieses Argument zeigt, daß gerade dies nicht der wahre Grund sein kann - denn jeder, der sich mit Militärfragen befaßt, weiß, daß Berufsarmeen deutlich teurer sind als Wehrpflichtigenarmeen. Auch wenn die Mannschaftsstärke der Bundeswehr, wie derzeit vorgesehen, um rund ein Drittel reduziert werden soll, ist davon auszugehen, daß der Steuerzahler auf diesem Weg keinen einzigen Cent sparen wird. Ein weit wirksamerer Beitrag zum Sparen in dieser Hinsicht wäre der Rückzug der Bundeswehr aus den zahlreichen Kriegsabenteuern der NATO, die in keiner Weise der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, sondern nur den (vermeintlichen) geopolitischen oder wirtschaftlichen Interessen ihrer Verbündeten dienen.

Sieht man sich das Beispiel der US-Armee an, die schon lange ohne Wehrpflichtige arbeitet, so zeigt sich ein weiterer Trend: Ein immer größerer Teil ihrer Aufgaben - z.B. im Bereich der Logistik - wurde an private Auftragsnehmer vergeben, wie z.B. die wegen ihrer Abrechnungspraktiken in die Schlagzeilen geratene damalige Halliburton-Tochter KBR. Etwa die Hälfte der im Irak eingesetzten Sicherheitskräfte waren Angehörige solch privater Söldnertruppen.

Tatsächlich wäre die US-Armee ohne die Arbeit dieser privaten Subunternehmer praktisch kampfunfähig, während sich diese „contractors“ eine goldene Nase verdienen. Ideologische Vorreiter dieser Entwicklung waren Neokonservative wie George Shultz, Felix Rohatyn oder der frühere US-Vizepräsident „Dick“ Cheney, die dabei ganz offensichtlich auch oder nur private Geschäftsinteressen verfolgten. Daß von dieser Seite ein großes Interesse an der besagten Umwandlung besteht und daher entsprechende Propaganda betrieben wird, darf nicht überraschen, wohl aber, daß unser Herr Verteidigungsminister darauf hereinfällt. Oder hat seine Familie etwa auch in diesem Bereich „investiert“?

Tatsache ist auch, daß solch eine kleine, aber „schlagkräftige“ Söldnertruppe zwar viel leichter einzusetzen wäre, wenn es darum geht, sie irgendwohin in die Welt zu schicken, im tatsächlichen Verteidigungsfall aber wohl kaum in der Lage wäre, den militärischen Schutz der Bundesrepublik gegen Angriffe von außen zu gewährleisten. § 109e des Strafgesetzbuchs lautet: „Wer ein Wehrmittel oder eine Einrichtung oder Anlage, die ganz oder vorwiegend der Landesverteidigung oder dem Schutz der Zivilbevölkerung gegen Kriegsgefahren dient, unbefugt zerstört, beschädigt, verändert, unbrauchbar macht oder beseitigt und dadurch die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, die Schlagkraft der Truppe oder Menschenleben gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“ Nach dieser Formulierung dürfte nur das Wörtchen „unbefugt“ den Herrn Verteidigungsminister vor einem Strafverfahren bewahren - es liegt beim Wähler, ihm diese Befugnis wieder zu entziehen.

Aber die Gefahr liegt nicht nur darin, daß die Bundeswehr untauglich würde für ihre eigentliche Aufgabe der Landesverteidigung, sondern auch, daß ihre innere Struktur und Ausrichtung tauglich gemacht würde für ganz andere Dinge. Militärsoziologen wie z.B. Prof. Wilfried von Bredow haben auf diesen ominösen Aspekt des militärischen „Neoprofessionalismus“ aufmerksam gemacht. In einem Aufsatz in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 18. Januar 2002 wies von Bredow auf die Gefahr hin, daß die amerikanischen Streitkräfte immer mehr zu einer Art „Black Box“ würden; die Politik habe den Willen und die Fähigkeit zur Kontrolle der Streitkräfte zunehmend verloren und überlasse dem Militär „seinen eigenen Raum“. Die US-Streitkräfte seien dabei, zu einer „liberal-freien Organisation“ zu werden, die mit Verachtung und Verbitterung auf die degenerierende Zivilgesellschaft blicke, schreibt von Bredow. Während der militärische „Professionalismus“ behauptet, unpolitisch und unparteilich zu sein, „hat sich der Neoprofessionalismus der neunziger Jahre deutlich politisiert. Das heißt, es besteht die für eine Demokratie nicht besonders günstige Aussicht, daß sich in den Streitkräften ein die Werte und Normen der zivilen Gesellschaft verachtendes Bild von ihrer eigenen Rolle verfestigt. Hat die soziale Distanz erst einmal eine gewisse Breite erreicht, wird die Reintegration von Streitkräften in die Gesellschaft immer schwieriger.“

Schon 1957 hatte Samuel Huntington, der geistige Vater des „Neoprofessionalismus“, in seinem Militär-Handbuch The Soldier and the State den militärischen Widerstand gegen Hitler (die Attentäter des 20. Juli 1944) verurteilt, weil er „der politischen Führung“ den geforderten Gehorsam verweigert habe. Sein soldatisches Ideal ist offenbar nicht das der Gründerväter der Bundesrepublik, sondern eher das der Waffen-SS.

Ist es Zufall, daß gleichzeitig mit Guttenbergs Initiative zur Abschaffung der Wehrpflicht in den Massenmedien auch eine Propagandawelle für das neue Buch von Thilo Sarrazin läuft - das offensichtlich ebenfalls in vielen Punkten von Huntington inspiriert ist? Bedenkt man, daß gerade aus dem politischen Flügel der CDU, der dem „konservativen Profil“ der Partei nachtrauert, auch schon die Forderung kam, das Grundgesetz zu ändern, um Einsätze der Bundeswehr auch im Innern zuzulassen - während die gleichen Sparapostel aus „Spargründen“ die für diese Aufgaben zuständige Polizei immer mehr ausdünnen -, dann bekommt die Idee der „Professionalisierung“ der Bundeswehr einen ganz schalen Beigeschmack, der auch den letzten Bürger überzeugen sollte, daß sie verhindert werden muß.

Alexander Hartmann

Lesen Sie hierzu bitte auch:
Medienspektakel um Sarrazin: Neuausrichtung um Lösungen oder Wut?
- Neue Solidarität 37/2010
Dossier: Neocons
- Neue Solidarität online