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Neue Solidarität
Nr. 38, 22. September 2010

„Die Krise kommt erst jetzt bei den Kommunen an.“

Interview. Die Stadt Zschopau, südlich von Chemnitz gelegen, ist typisch für die wirtschaftliche Situation in den Städten und Gemeinden. Seit 1989, nachdem ein Großteil der produktiven Arbeitplätze vernichtet wurde, ist die Einwohnerzahl um 35% zurückgegangen. Marcus Kührt von der BüSo Sachsen sprach mit Oberbürgermeister Klaus Baumann.

Marcus Kührt: Herr Baumann, Sie sind jetzt seit 16 Jahren Bürgermeister der schönen Stadt Zschopau. Was halten Sie von den Berichten in den Medien, daß es einen Riesenaufschwung gäbe in Deutschland, den größten seit der Wiedervereinigung? Denn die tatsächliche Lage in den Ländern, Gemeinden und Kommunen ist eigentlich eine ganz andere. Herr Baumann, können Sie zu diesem Thema vielleicht ein bißchen Aufklärung geben?

OB Klaus Baumann: Das kann ich sehr gern. Ich weiß nicht, wer solche Meldungen erfindet, daß es einen Aufschwung gibt. Die Krise kommt erst jetzt bei den Kommunen an. Also das, was da gesagt wird, ist sicherlich schöngeredet.

Wenn wir davon ausgehen, daß unsere Stadt im Jahre 2011 eine investive Schlüsselzuweisung - das bedeutet, die Mittel, die wir vom Freistaat Sachsen bekommen, um investieren zu können - von nur noch 17% gegenüber dem Jahr 2010 bekommen, und im Jahr darauf nur noch 10% des Jahres 2010, dann kann ich nicht von Aufschwung sprechen, denn das ist eindeutig ein ganz, ganz prägnanter Abschwung und bedeutet auch für die örtliche Wirtschaft: keine Aufträge aus der Kommune.

Unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen wird der Weggang der jungen Leuten nicht zu bremsen sein, denn es fehlen einfach die entsprechenden Arbeitsplatzangebote im Osten, speziell auch hier in Sachsen. Wir haben uns als Stadt selbst am Projekt Demographie des Freistaates Sachsen beteiligt und suchen hier nach Alternativen, um Jugendliche hier zu behalten. Aber es scheitert eindeutig am Angebot an Arbeitsplätzen, und demzufolge - gut, es wird sicherlich keine, das ist ein bißchen drastisch ausgedrückt, Geisterstädte geben -, aber wir werden im Anteil der älteren Bevölkerung über fünfzig, sechzig, siebzig Jahre eindeutig steigen, und das bedeutet, daß sich eine Kommune infrastrukturell damit befassen muß. Aber wenn nicht eindeutig Rahmenbedingungen geschaffen werden, die Arbeitsplätze für junge Leute hier anbieten, dann wird diese Entwicklung hier so weitergehen.

 

Kührt: Laut dem deutschen Institut für Urbanistik ist ein Rückstau von Investitionen in der Infrastruktur der Kommunen von 700 Mrd. vorhanden. Wie wirkt sich das konkret aus?

Baumann: Also die Angaben sind sicherlich korrekt, und als Kommune versucht man zwar, im kommunalen Eigentum entsprechend zu investieren, aber es gibt ja nicht nur rein kommunales Eigentum, sondern mein Hobby sind immer Straßen, und wenn ich gerade in unserem Bereich, Kreisstraßen und Staatsstraßen anschaue: die sind katastrophal, und es werden keine Mittel bereitgestellt, um an diesen Straßen in naher Zukunft irgend etwas zu tun, und sie werden von Jahr zu Jahr schlechter. Diese Straßen führen über Brücken, die sind genauso schlecht.

Also ich sag immer: Das Herzstück einer Infrastruktur eines Staates sind erstmal die Straßen, denn darauf bewegt sich alles, der gesamte Transport, und wenn die nicht in Ordnung sind, dann klappt das mit der Wirtschaft nicht, dann ist der Bürger unzufrieden, denn jeder fährt fast täglich mit den PKW über kaputte Straßen. Wenn da nichts getan wird, dann sinkt ganz einfach die Lebensqualität.

 

Kührt: Werden Straßen geschlossen werden müssen?

Baumann: Es ist durchaus möglich, daß ich in Zschopau im nächsten oder übernächsten Jahr eine Straße sperren lassen muß. So schlimm wird’s.

 

Kührt: Obwohl bereits 80% der deutschen Gesetzgebung von Brüssel bestimmt werden, will die EU-Kommission nach dem gigantischen Rettungsschirm sogar die Haushaltspolitik entscheiden. Welche Rolle spielt die EU bei den Kommunen?

Baumann: Also, ich sag es mal so, für mich als Bürgermeister einer kleinen erzgebirgischen Kleinstadt ist der gesamte Gesetzesdschungel, der aus Brüssel kommt, sowieso nicht durchschaubar. Viele betreffen mich nicht, sondern werden nur für die große Politik gemacht.

Das, was ich eigentlich nur von der EU nutzen kann, sind mögliche Fördergelder, die im kommunalen Bereich angesiedelt sind. Dort habe ich Antragsfluten zu bewältigen, die gehen bis hin zu ganzen dreibändigen Werken, die ich dann nach Brüssel schicken muß, die Bearbeitungsfrist dauert ein bis zwei Jahre. Wir als Kommunen haben von Brüssel überhaupt nichts.

 

Kührt: Die Zentralbanken Amerikas und Europas erzeugen durch ihre ungebremste Geldausweitung zur „Rettung“ der Banken eine Hyperinflation auf Weltmaßstab. Was soll man davon halten?

Baumann: Völlig falsche Entwicklung. Also ich bin auch ein Verfechter des Trennbankensystems und glasklarer Investitionen in die Wirtschaft mit günstigen Bedingungen, damit dort wirklich ein Aufschwung realisiert werden kann. Den restlichen Banken, den Investmentbanken, das Spielgeld wegnehmen, damit sie dort nicht mehr zocken können, und daß auch niemand mehr nachschießen muß: Da müssen ganz konkrete, harte Gesetze ran, und die Leute müssen ins Gefängnis gesteckt werden, das ist meine Meinung, die solche Verbrechen an der Menschheit begehen und einfach nur Gelddruckmaschinen sind. Das muß weg, und ich bin sogar bereit, zu sagen: Diese Investmentbanken müssen dann unter staatliche Kontrolle gestellt werden. Es kann nicht sein, daß ein Bankensystem die Wirtschaft einen Staates kontrolliert, denn Banker sind nicht auf das Wohl der Bürger bedacht, sondern auf ihr eigenes Wohl, auf ihre eigene Brieftasche, auf ihren eigenen Profit. Das muß konsequent bekämpft werden.

 

Kührt: Welche Bedeutung haben große Infrastrukturprojekte wie das in den USA anlaufende NAWAPA-Projekt und die Eurasische Landbrücke, wodurch nicht nur Millionen von Arbeitsplätzen, sondern ganze Biosysteme geschaffen werden?

Baumann: Ich bin dafür. Jedes Projekt, jedes Großprojekt, was Arbeitsplätze schaffen könnte und Wohlstand für die Bevölkerung, muß ganz einfach durchgeführt werden. Für mich erschließt sich momentan nur noch nicht die Möglichkeit der Finanzierung für dieses Projekt. Dort müßte sicherlich noch ein großer Kampf geführt werden, um auch die Finanzierbarkeit entsprechend durchzuorganisieren. Ansonsten sollte jedes Projekt, überall auf der Welt, was Arbeitsplatze schafft, durchgeführt werden.

Genau das gleiche könnte ich mir in Asien über diese Landbrücke vorstellen. Alles, was Arbeitsplätze schafft, ich wiederhole mich da, würde ich sehr begrüßen, nur die Finanzierung müßte gesichert werden, natürlich über die entsprechenden Regierungen der beteiligten Staaten, das ist völlig richtig.

Das würde nachhaltig und dauerhaft auch für die bisher noch nicht erschlossenen Regionen in diesem Teil der Welt - also sprich Sibirien hauptsächlich und natürlich auch anschließend Alaska - entsprechend Aufschwung bringen und natürlich in die benachbarten Regionen ausstrahlen. Es klingt gewaltig, aber es ist zu bewältigen.

Was Sachsen betrifft, bin ich der Auffassung, ob es jetzt eine Magnetschwebebahn ist oder ein anderes Verkehrssystem: Diese Erschließung muß unbedingt erfolgen, die Verkehrswege müssen noch weiter ausgebaut werden, nicht extensiv, sondern intensiv, also sprich: die vorhandenen Schienenwege, die da sind, weiter intensiv nutzen, parallele Dinge entsprechend mit auch Verlagerung von der Straße auf die Schiene, dort ist auch eine große Investition notwendig. Eine weitere Vernetzung von Bevölkerungsakkumulationen: Das ist die Zukunft, und da wird kein Weg dran vorbeiführen. Das muß auch in Sachsen passieren.

 

Kührt: Wenn die derzeitige Perspektivlosigkeit, die besonders die Jugend trifft, durch neue Möglichkeiten für gute Arbeitsplätze und einen Wirtschaftsbau abgelöst wird, welche Verbesserungen müssen dann im Bereich der Kultur unternommen werden?

Baumann: Wir müssen einfach auch über die Schule - und das ist der Appell, den ich auch an unsere Kulturminister richte - einfach über die Schule versuchen, unsere Kinder und Jugendlichen noch besser und noch mehr aufs Leben vorzubereiten und dort entsprechend Kultur mit zu integrieren. Klar, wenn ich ein Elternhaus habe, was nicht viel Geld zur Verfügung hat, dann wird das Kind, von kulturellen Angeboten sicherlich wenig haben.

 

Kührt: Die Wirtschaftskrise hat direkt Effekte auf die…

Baumann: …Natürlich, natürlich. Aber wir müssen eins versuchen, über die Dinge, die jetzt Stand der Technik sind - die Jugend sitzt vor Computern, sitzt vorm Fernseher: Dort müssen wir versuchen, sie Schritt für Schritt wieder an die Kultur heranzuführen, damit sie dann vielleicht im jungen Erwachsenalter - früher, denke ich, wird es wenig Sinn machen - im frühen Erwachsenalter schon wieder in die Richtung auch kultureller Betätigung gehen und sich auch wieder intensiv mit tiefgründiger Kultur befassen - ich will das jetzt mal so bezeichnen. Ich bin mir sicher, ich könnte jetzt ein Orgelkonzert in der Kirche machen, und lade alle Jugendlichen ein, auf freiwilliger Basis, da sind von den jugendlichen Schülern in Zschopau vielleicht nur 20 oder 30 dort, und nicht 700.

Wir müssen uns Methoden ausdenken, um dieses Annähern an unsere Kultur wieder zu fördern.

Kührt: Vielen Dank, Herr Baumann.

 


(Das Video des Interviews finden Sie auf der Internetseite der Bürgerrechtsbewegung Solidarität, www.bueso.de.)