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Neue Solidarität
Nr. 10, 10. März 2010

Wie hält sie es mit der Kasino-Wirtschaft?

Von Helga Zepp-LaRouche

Wir brauchen in Deutschland eine öffentliche Debatte um den Glass-Steagall Act. Kanzlerin Merkel muß die Gretchenfrage beantworten.

Wir befinden uns in Deutschland in einem dramatischen Dilemma: 85% der Bürger sind in Sorge, daß Deutschland in dieser existentiellen Krise ohne wirkliche Führung dasteht, und fordern laut ARD-Deutschland-Trend, daß Bundeskanzlerin Merkel die politische Richtung der Bundesregierung klarer vorgeben müsse. Was aber diese Richtung sein soll, darüber gibt es keine sachkundige Debatte. Es gibt keine Ursachenanalyse über die Gründe für die Krise und demzufolge auch keine adäquate Korrektur der Fehler, und Frau Merkel ist umgeben von Brotgelehrten und Ideologen, denen ihr selbstgezimmertes Gedankengebäude tausendmal lieber ist als die Wahrheit. 72% sind deshalb mit der Regierung unzufrieden, die damit inzwischen fast genauso schlecht dasteht wie die Obama-Administration.

Die absolute Schlüsselfrage für diesen Popularitätsverlust ist in beiden Fällen dieselbe: Der Bevölkerung reicht es, mit ansehen zu müssen, daß den Bankern und Spekulanten anscheinend ohne Ende die Steuergelder hinterhergeworfen werden, während der Lebensstandard für den größeren Teil der Menschen an allen Ecken und Enden gesenkt wird. Und aller künstlich hochgekochten Griechen-Schelte zum Trotz ahnen die meisten, daß es eigentlich nicht um die Korruption in Griechenland geht (so was gibt es in Deutschland ja überhaupt nicht!), sondern in Wirklichkeit darum, das System der Kasino-Wirtschaft zu behalten.

Seit nunmehr 31 Monaten eskaliert die Systemkrise, enorme industrielle Kapazitäten sind zerstört, enorme Beträge an Steuergeldern wurden zur „Rettung“ der Banken bzw. des Giftmülls in dieses System gepumpt, und trotzdem wächst die Liste der Staaten, die vor der Pleite stehen, sowie der Banken, bei denen sie verschuldet sind. Wenn die Kasinowirtschaft zu Lasten der Bevölkerung nicht sehr bald durch die Einführung des Glass-Steagall-Standards und der Ablösung des monetären Systems durch ein Kreditsystem beendet wird, dann werden die Streiks und Unruhen, die wir jetzt in Griechenland sehen, sich bald überall auf der Welt ausbreiten. Wir stehen vor einem Absturz der Zivilisation.

Die „Ökonomen“, die von den Globalisierungsmedien zitiert werden, tun das ihre, diesen Prozeß noch zu beschleunigen. So schlug Professor Un-Sinn vom IFO-Institut nun der griechischen Regierung vor, die Euro-Zone freiwillig zu verlassen, weil ein Verbleiben Griechenlands den Euro destabilisiere. Das Land solle sich dann an den IWF wenden (der berüchtigt ist für seine drakonischen Konditionalitäten). Was ist von der Kompetenz dieses Vorschlags oder des Professors zu halten? Nichts. Denn außer Griechenland sind auch noch Spanien, Portugal, Irland, Italien innerhalb der Euro-Zone und eine ganze Reihe von Staaten außerhalb pleite - und noch sehr viel mehr, allen voran Großbritannien und die USA. Das Einprügeln auf die Griechen soll nur den Blick dafür vernebeln, daß die für Griechenland geforderte brutale Sparpolitik für alle im Giftschrank der Regierungen bereitsteht.

Eine der aufschlußreichsten Einsichten in die Kompetenz von Professor Un-Sinn bietet sein Artikel vom 8. Februar in der Wirtschaftswoche, mit dem er auf die von Präsident Obama erlassene „Volcker-Regel“ reagierte. So nennt man die von Ex-Federal-Reserve-Chef Paul Volcker vorgeschlagene, halbherzige Reform, die den Eigenhandel der Banken etwas erschwert, aber den Namen „Glass-Steagall II“ völlig unverdient erhalten hatte. Trotzdem befand Professor Un-Sinn, dies sei „keine gute Idee“; so lautete jedenfalls der Titel seines Artikels. „Der Plan der US-Regierung, das Investmentbanking von den Geschäftsbanken zu trennen, erhöht die Krisenanfälligkeit des Bankensystems, sagt Hans-Werner Sinn“, heißt es im Vorspann. !??? Aber es kommt noch besser: daß nach der Aufhebung des Glass Steagall Act 1999 sich einige Geschäftsbanken „zaghaft“ im Investmentbanking versucht hätten und hierin eine Ursache der Finanzkrise läge, davon könne nicht die Rede sein. Eher habe dieses System, also Glass-Steagall, selbst die Krise verstärkt. Die Krise sei bekanntlich (!) dadurch ausgelöst worden, daß Lehman Brothers 2008 wider Erwarten nicht vom Staat gerettet worden sei - das habe das gegenseitige Vertrauen der Banken erschüttert, deshalb sei der Interbankmarkt zum Erliegen gekommen, die Ersparnisse der Sparer seien nicht mehr zu den Investoren geleitet worden, und als Folge sei die Realwirtschaft abgestürzt.

Diese Erklärung ist absurd.

Der Interbankmarkt ist nicht deshalb zum Erliegen gekommen, weil der Staat Lehman Brothers nicht gerettet hat. Durch die Insolvenz von Lehman Brothers und AIG - jetzt Gegenstand von Anhörungen im US-Kongreß - ist der Zustand, der schon seit dem Ausbruch der Krise Ende Juli 2007 (nicht September 2008!) offenbar geworden war, ins Rampenlicht gekommen, daß nämlich alle Banken auf mindestens dreistelligen Billionenbeträgen von unverkäuflichem Giftmüll saßen und keiner dem anderen traute, weil sie alle Insolvenz hätten anmelden müssen, wenn sie das Ausmaß des eigenen Giftmülls zugegeben hätten. Und weil jeder das über den anderen wußte, kam das Interbankgeschäft zum Erliegen.

Und der Giftmüll ist nichts anderes als das Resultat all der innovativen Finanzinstrumente, die uns „Mister Bubble“, Alan Greenspan, seit 1987 beschert hat, all die offiziellen und außerbörslichen Derivatkontrakte, der gesamte Verbriefungsmarkt, die Credit Default Swaps, etc., bei denen letztlich Schulden in Aktivposten verwandelt und Wetten auf Wetten auf Wetten abgeschlossen wurden. Eben dieses System will Professor Un-Sinn beibehalten, wenn er warnt, daß bei kommenden G-20- Verhandlungen nur ja nicht das Trennbankensystem verankert werden dürfe.

Aber lassen wir ihn noch einmal selbst zu Worte kommen. Der Aufschwung werde bis 2010 anhalten, die Weltwirtschaft sei in einer so günstigen Situation wie noch nie in der Nachkriegszeit, lautete eine seiner Prognosen, so gegenüber der Westdeutschen Zeitung am 16. März 2007, also vier Monate vor Ausbruch der Systemkrise. Am 11.12. 2006 sprach er noch gegenüber dem Spiegel vom ewigen Auf und Ab der Konjunktur.

Vielleicht liegen diese grottenschlechten Prognosen daran, daß er eigentlich gar kein Wirtschaftswissenschaftler ist, sondern als Philosoph Anhänger der Mandevilleschen These, daß das private Laster letztlich zum öffentlichen Wohl beiträgt. Jedenfalls äußerte er am 18.5.2009 gegenüber Profil, daß der Trieb des Menschen, reich werden zu wollen, die Triebkraft der wirtschaftlichen Entwicklung sei. Es gehe nur darum, diese Triebkraft richtig zu kanalisieren.

Könnte ihn nicht ein freundlicher Mitmensch darauf hinweisen, daß die Menschen keine Schweine sind, die nur zum Trog wollen, und daß die Triebkraft der wirtschaftlichen Entwicklung die kreative Fähigkeit des Menschen ist, immer wieder neue adäquate Hypothesen über die Gesetze des Universums zu machen? Und daß es die Anwendung dieses wissenschaftlichen Fortschritts in der Form neuer Technologien im Produktionsprozeß ist, die die Produktivität anhebt, was wiederum zu einem Anstieg des Lebensstandards führt, der, wenn er richtig kanalisiert wird, u.a. zu mehr Bildung, d.h. mehr Kreativität in der Bevölkerung, mehr wissenschaftlichem Fortschritt führt, usw. usf.

Diese Triebkraft der menschlichen Kreativität hat natürlich nichtlineare Effekte in der Wirtschaft. Aber so geht der Professor nicht vor, er projiziert die statistischen „Muster früherer Jahrzehnte“ auf die Zukunft. Oder noch schlimmer, er verteilt jeden Monat Fragebögen an Unternehmen u.a. des Verarbeitenden Gewerbes und des Baugewerbes, des Groß- und Einzelhandels mit der Aufforderung, daß diese Firmen dann ihre wirtschaftlichen Erwartungen für die nächsten sechs Monate mitteilen. Aus diesem kollektiven Kaffeesatzlesen erstellt er dann den sogenannten IFO-Geschäftsklimaindex. Etwas Unwissenschaftlicheres kann man sich kaum vorstellen.

Sein Allheilmittel besteht in der Forderung nach höherer Eigenkapitaleinlagen der Banken, denn wer mehr Eigenkapital einsetzen müsse, agiere vorsichtiger. Dieses Problem, die Analyse der überhöhten Risikobereitschaft, die durch zu geringes Eigenkapital verursacht wird, sei bereits ein zentrales Thema seiner Dissertation im Jahre 1977 gewesen - also zehn Jahre, bevor Greenspan seine kreativen Finanzinstrumente ins Spiel brachte, die erst die gigantischen Summen an virtuellem Kapital erzeugt haben! Nach Zahlen der Depository Trust and Clearing Corporation beträgt die Summe alleine der offenen CDS-Kontrakte heute 25 Billionen Dollar. Wenn die Banken wegen erhöhten Eigenkapitals „ vorsichtiger“ spekulierten, würde dies auch nicht viel ändern.

Schiller schreibt in seiner Schrift: Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? u.a. über den Brotgelehrten: „Seinen ganzen Fleiß wird er nach den Forderungen einrichten, die von dem künftigen Herren seines Schicksals an ihn gemacht werden, und alles getan zu haben glauben, wenn er sich fähig gemacht hat, diese Instanz nicht zu fürchten, Hat er seinen Kursus durchlaufen und das Ziel seiner Wünsche erreicht, so entläßt er seine Führerinnen - denn wozu noch weiter sie bemühen? Seine größte Angelegenheit ist jetzt, die zusammengehäuften Gedächtnisschätze zur Schau zu tragen und ja zu verhüten, daß sie in ihrem Werte nicht sinken. Jede Erweiterung seiner Brotwissenschaft beunruhigt ihn, weil sie ihm ja neue Arbeit zusendet oder die vergangene unnütz macht; jede wichtige Neuerung schreckt ihn auf, denn sie zerbricht die alte Schulform, die er sich so mühsam zu eigen machte, sie setzt ihn in Gefahr, die ganze Arbeit seines vorigen Lebens zu verlieren. Wer hat über die Reformatoren mehr geschrieen als der Haufe der Brotgelehrten? Wer hält den Fortgang nützlicher Revolutionen im Reich des Wissens mehr auf als eben diese? Jedes Licht, das durch ein glückliches Genie, in welcher Wissenschaft es sei, angezündet wird, macht ihre Dürftigkeit sichtbar; sie fechten mit Erbitterung, mit Heimtücke, mit Verzweiflung, weil sie bei dem Schulsystem, das sie verteidigen, zugleich für ihr ganzes Dasein fechten...“

Es ist vielleicht nicht fair, nur auf dem armen Professor Un-Sinn herumzuhacken, denn viele seiner Kollegen haben ähnliche Probleme. Aber die Sache, um die es geht, ist zu ernst. Wenn kein Trennbankensystem eingeführt wird, und die immer noch gigantischen Mengen an Giftmüll entsorgt werden, dann kommt es unweigerlich zur Hyperinflation. Und die allgemeine Geldentwertung der Renten, Spareinlagen und Löhne der normalen Bevölkerung wird unsere Demokratie gewiß nicht überleben. Ihr Zustand ist bereits schlecht genug.

Wir brauchen in Deutschland eine öffentliche Debatte um den Glass-Steagall Act. Frau Merkel ist gefordert.

Lesen Sie hierzu bitte auch:
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