|
Aus der Neuen Solidarität Nr. 19/2007
| |
Die Ursprünge des Beringstraßen-Projektes: eine Chronologie seit 1869
Der Plan für eine Eisenbahn über bzw. unter der Beringstraße geht schon auf die große Pionierzeit der Eisenbahn unter US-Präsident Abraham Lincoln zurück.
Der Gedanke, eine Bahnverbindung über die Beringstraße zu
bauen, geht auf die 60er Jahre des 19. Jh. zurück, als der amerikanische
Präsident Abraham Lincoln und sein Wirtschaftsberater Henry Carey den Bau eines
Eisenbahnnetzes quer über den ganzen Kontinent betrieben. Lincolns große Vision
einer transkontinentalen Bahnverbindung vom Atlantik bis zum Pazifik wurde
Wirklichkeit, als 1869 in Promontory Point im Staat
Utah die Streckennetze der Union Pacific und der Central Pacific miteinander
verbunden wurden. Bei der Weltausstellung 1876 zur Hundertjahrfeier der
Gründung der Vereinigten Staaten gab es zahlreiche Ausstellungen und
Gespräche über den Ausbau der Eisenbahn, an denen sich auch wichtige
ausländische Persönlichkeiten wie der große russische Wissenschaftler und
Eisenbahnbauer Dimitrij Mendelejew beteiligten. Am
Ende des Jahrhunderts halfen amerikanische Patrioten beim Bau der
Transsibirischen Eisenbahn in Rußland.
- William Gilpin (1813-1891), ein Anhänger des
Amerikanischen Systems und Verbündeter Lincolns, war davon überzeugt, daß man
alle Großstädte der Welt durch Eisenbahnen miteinander verbinden sollte, und
schlug in dem Zusammenhang den Bau einer Bahn über die Beringstraße vor. Lincoln
ernannte Gilpin 1861 zum ersten Gouverneur des Colorado-Territoriums.
- Gegen Ende des Jahrhunderts gab es in Rußland erste Pläne
für eine Bahnlinie von Jakutsk zur Beringstraße. Man
untersuchte mehrere Streckenführungen für die Verbindung von Jakutsk nach Südosten zum Ochotskischen
Meer und von dort weiter entlang der Küste über Magadan
zur Beringstraße.
- Anfang des 20. Jh. wurde Kapital für eine Transalaska-Sibirien-Gesellschaft gesammelt. Ihr Ziel war
der Bau einer Eisenbahn von Nord-Dakota (das bereits ans amerikanische
Eisenbahnnetz angeschlossen war) über Kanada bis Nome
in Alaska, nur noch 100 km von der Beringstraße entfernt. Gleichzeitig plante
man eine Verbindung von der russischen Region Tschukotka
an der Beringstraße nach Südosten zur Transsibirischen Eisenbahn.
Man brachte zunächst Geld für eine Vorstudie für dieses 9000
km lange Bahnnetz auf. Hinter dem ganzen Plan stand die Idee, New York, Moskau
und Paris zum Wohle des Weltfriedens mit der Bahn zu verbinden. Bis 1907 wollte
man 300 Mio. Dollar für die russischen und amerikanischen Landstrecken
aufbringen und machte dabei gute Fortschritte, aber dann hielten britische
Interessen das Projekt auf. Mit dem Ersten Weltkrieg mußte das Vorhaben
endgültig eingestellt werden.
- 1902 bot der französische Forscher Loicq
de Lobel der Russischen Kaiserlichen Technischen
Gesellschaft an, eine Bahnverbindung von Jakutsk zur
Beringstraße und weiter nach Alaska bis zu der dort bestehenden Bahnlinie zu
planen. Nachdem die Regierungen Rußlands und Frankreichs zugestimmt hatten,
bildete Lobel ein Komitee, um für das Projekt zu
werben, ein zweites, das mit der Amerikanischen Eisenbahnverwaltung
zusammenhing, wurde in New York gegründet. Lobel
legte im folgenden der Pariser Geographischen Gesellschaft an der Sorbonne mehrere Berichte vor.
- 1905 befürwortete Zar Nikolaus II. den Bau einer
Eisenbahnverbindung über die Beringstraße.
- Im Oktober 1906 veranstaltete eine Kommission der russischen
Regierung für die „Große Nordroute“ Gespräche mit vier amerikanischen, einem
französischen und einem kanadischen Vertreter. Man beschloß, die Arbeit an dem
Projekt zu beschleunigen und übertrug Lobel und dem
amerikanischen Ingenieur James Waddell die Leitung.
Es wurden vorläufige technische Parameter für die Strecke festgelegt. Die New
Jersey Construction Company sollte den Bau durchführen und dafür in einem
Vertrag für 90 Jahre einen 24 km breiten Gebietsstreifen erhalten. Die Flächen
entlang der Strecke sollten schachbrettartig zwischen Rußland und dem
Konzessionär aufgeteilt werden. Die russische Regierung kündigte jedoch im März
1907 das Abkommen, weil ihr die Bedingungen zu ungünstig erschienen.
- Im April 1918 forderte der russische Revolutionsführer
Wladimir Lenin vor dem Allrussischen Exekutivkomitee,
die Eisenbahn vor allem im Norden, einschließlich der Verbindung zur
Beringstraße, beschleunigt auszubauen, um die dort lagernden Bodenschätze zu
nutzen. Der Bau von Bahnlinien von Jakutsk zu den
Häfen Ajan und Eikan und
nach Nikolajewsk am Amur und weiter zur Beringstraße
stand wieder auf der Tagesordnung.
- In der Mitte des Jahrhunderts machte Josef Stalin den Bau
der „Polarstrecke“, der nordsibirischen Bahn von Workuta
nach Anadyr, zur Chefsache.
- 1942, im Zweiten Weltkrieg, begann die Abteilung des
Pionierkorps der US-Armee in Seattle mit Studien zum Bau einer Bahnlinie von
Prince George in British Columbia, Kanada, nach Fairbanks und weiter nach
Teller im Nordwesten Alaskas. Man schätzte die Baukosten für die knapp 2300 km
lange Strecke auf 87 Mio.$ und die Kosten für
Lokomotiven und Waggons auf weitere 24 Mio.$. Ursprünglich war vorgesehen, im
Krieg Nachschub für Rußland von Teller aus mit Fähren zum tschuktschischen
Hafen Uelen zu schaffen, bis ein Tunnel unter der
Beringstraße errichtet sei. Weitere Strecken plante man von Uelen
westlich nach Egwekinot und weiter zu einem
Knotenpunkt, von dem aus der Anschluß zu einer oder beiden transrussischen
Bahnen - der Transsibirischen Eisenbahn und der Baikal-Amur-Magistrale
- erfolgen sollte. Ein Eisenbahnkorridor sollte an der Küste des Nordmeers
entlang nach Workuta führen und dort an die gerade
vollendete 1800 km lange Bahn nach Moskau anschließen.
Präsident Roosevelts Abgesandter Harry Hopkins hatte dieses
Projekt nach einer Reise nach Moskau vorgeschlagen und Roosevelt, Außenminister
Cordell Hull sowie
Roosevelts Onkel Frederic Delano darüber informiert. Delano und andere rieten
zur Finanzierung einer Machbarkeitsstudie des Pionierkorps. Nach dem Sieg der
USA über Japan bei den Midway-Inseln im Juni 1942
wurde das Projekt vertagt.
Nach dem Krieg bot Stalin Präsident Truman an, die
Verhandlungen über eine Verknüpfung der Eisenbahnnetze Rußlands und Nordamerikas
durch einen Tunnel unter der Beringstraße fortzusetzen. Truman lehnte ab. Der
Kalte Krieg verhinderte dann lange Zeit weitere Fortschritte.
- 1991 wurde die sog. „Transkontinentale“, mit vollem Namen
die Interhemisphärische Beringstraßen-Tunnel- und Eisenbahngruppe (IBSTRG), in Washington als gemeinnützige Organisation
angemeldet. Gründungsmitglieder auf US-Seite waren der Bundesstaat Alaska, der
Amerikanische Eisenbahnverband sowie mehrere große Eisenbahn-, Bau-, Beratungs-
und Rohstoffunternehmen. In Rußland entstanden eine Abteilung der IBSTRG unter dem IBSTRG-Vizepräsidenten
W.N. Rasbegin sowie ein
Koordinationsausschuß für Forschung und Entwicklung unter dem Vorsitz von
Akademiemitglied P.A. Melnikow.
Zu den Teilnehmern auf russischer Seite gehörten das Eisenbahnministerium, das
Ministerium für Energie und Treibstoffe, das Komitee für den Norden, das
Wirtschafts- und Finanzministerium, das Bauministerium, die Vereinigten
Energiesysteme und die Transstroi-Gesellschaft sowie
die Russische Akademie der Wissenschaften. Insgesamt waren 40 Organisationen
beteiligt.
- Ab 1992 warben Lyndon LaRouche
und Helga Zepp-LaRouche für die „Eurasische
Landbrücke“, die über Hochgeschwindigkeits- und Magnetbahnen sowie
entsprechende Entwicklungskorridore Europa mit Asien und letztendlich der
ganzen Welt verbinden sollte, um die angeschlagene Weltwirtschaft wieder
aufzubauen. Ein Teil dieses Vorschlages war, das eurasische und das
amerikanische Bahnnetz durch eine Brücke oder einen Tunnel an der Beringstraße
miteinander zu verbinden.
- 1994 veranstaltete der Amerikanische Ingenieursverband in
Fairbanks, Alaska, eine Konferenz zum Thema „Der Beringstraßen-Tunnel“. Zu den
Teilnehmern gehörten IBSTRG-Vizepräsident Rasbegin und Hal Cooper, ein
beratender Ingenieur der Firma Cooper Engineering. Am 16. April veröffentlichte
LaRouches Nachrichtenmagazin EIR
einen Artikel von Cooper, „Das Beringstraßen-Tunnel- und Eisenbahnprojekt wird
die Entwicklung am Pazifik vorantreiben“.
- Im Mai 1994 fand in Beijing ein „Internationales Symposium
über die wirtschaftliche Entwicklung der Regionen an der Eurasischen
Kontinentalbrücke“ statt, wo Helga Zepp-LaRouche eine
Rede zum Thema „Der Bau der Landbrücke über die Seidenstraße“ hielt. Nach der
Konferenz erschien die EIRNA-Studie „Die
Eurasische Landbrücke: Die neue Seidenstraße - Lokomotive weltweiter
wirtschaftlicher Entwicklung“. Sie enthielt einen Überblick über
Entwicklungspläne mit Infrastrukturkorridoren in aller Welt und eine
Darstellung der wirtschaftswissenschaftlichen Prinzipien hinter diesen Plänen.
- Im März 1998 diskutierte die russische Regierung über eine
Resolution für ausführliche Studien über Möglichkeiten einer Schienenverbindung
für unterschiedliche Spurweiten („Polytrack“).
Beteiligt waren das Eisenbahn- und das Bauministerium, das Komitee für den
Norden, die Verwaltung der Autonomen Region Tschukotka
und die Präsidenten der Unternehmen UES (Vereinigte
Energiesysteme) und Transstroj.
- Ende 2000 veröffentlichte Viktor Rasbegin
vom Moskauer Institut für Regionalverkehr eine Machbarkeitsstudie für eine
Bahnverbindung über die Beringstraße, die ergab, daß eine solche Strecke
wirtschaftlich sehr sinnvoll wäre und den Frachtverkehr zwischen dem Inneren
Asiens und dem Inneren der USA fördern würde.
- Im November 2002 fand anläßlich des 70jährigen Bestehens
der Staatlichen Sibirischen Verkehrshochschule in Nowosibirsk eine Konferenz
über die Entwicklung des Eisenbahnverkehrs in Sibirien statt, bei der auch über
das Beringstraßen-Projekt gesprochen wurde.
- Im Juli 2006 sprach IBSTRG-Präsident
George Koumal mit US-Präsident George W. Bush über
das Projekt.
Am 28. September 2006 wurde bei einer Konferenz der
russischen Bundesbehörde für den Eisenbahnverkehr (Rosheldor)
die Entscheidung getroffen, die Bahnlinie Jakutsk-Magadan
mit ihrer Verlängerung zur Beringstraße zu bauen.
Richard Freeman