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Aus der Neuen Solidarität Nr. 7 vom 12. Februar 1997 |
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Transrapid. Auf der Teststrecke im Emsland kann man die deutsche Magnetschwebebahn selbst ausprobieren.
Die Besucher der Transrapid-Versuchsanlage im Emsland sehen es mit eigenen Augen: Der Transrapid startet im Hamburger Hauptbahnhof, hält noch einmal an der Peripherie in Hamburg-Moorfleet und fährt dann durch bis Schwerin. Dann geht es weiter über Holthusen, Perleberg und Spandau bis zum neuen Lehrter Stadtbahnhof im Herzen Berlins. Noch ist das allerdings "virtuelle Realität", die man nur auf der Leinwand sehen kann. Leider, denn der Transrapid ist seit sechs Jahren einsatzreif. Seit Hermann Kemper dafür 1935 das Reichspatent bekam, sind mehr als 60 Jahre ins Land gegangen. Seit 25. Juli 1996 ist das Transrapid-Gesetz in Kraft, und die Planung ist wenigstens angelaufen. Nach bisherigem Zeitplan soll die Strecke Hamburg-Berlin 2003 fertig sein, 2004 erfolgt die Abnahme, und im Jahre 2005 wird man dann endlich mit dem Transrapid fahren können.
Aber ausprobieren kann man ihn schon jetzt, und eine solche reale Probefahrt beeindruckt die von nah und fern angereisten Besucher mehr als alle virtuellen Bilder. Heute ist außer zahlreichen Bundesbürgern eine große Reisegruppe aus den benachbarten Niederlanden da, außerdem mehrere Amerikaner und eine Anzahl heftig photographierender Japanerinnen.
Es ist ein sonniger Wintertag, als wir die Versuchsanlage in Lathen besuchen. Der Himmel ist blau, und die frostklare Luft tut wohl bei unserem Rundgang am aufgeständerten Fahrweg entlang. Plötzlich ein Surren, und dann ist er auch schon vorbei, der neue weiße Transrapid. Unser Ingenieur sagt: "Jetzt hatte er 250 km/h". Kaum zu glauben, denn er war leiser als eine S-Bahn mit 80 km/h. Aber der Transrapid schwebt ja über dem Fahrweg, ohne ihn zu berühren, und ein Geräusch entsteht lediglich durch den Luftwiderstand. Der Transrapid stinkt auch nicht, weil er keine Schadstoffe emittiert. Der Energieverbrauch beträgt im Vergleich zum Flugzeug 25% und zum Auto 50% pro Fahrgastkilometer.
Der wichtigste Unterschied zu allen herkömmlichen Verkehrstechniken ist jedoch das elektromagnetische Schwebesystem, das ohne Räder auskommt und eine berührungsfreie Trag-, Führ-, Antriebs- und Bremstechnik ermöglicht. Der Motor befindet sich im Fahrweg, statt im Fahrzeug. Auf diese Weise erreicht der Transrapid eine Höchstgeschwindigkeit von 550 km/h, ohne dafür mehr Strom zu verbrauchen als der ICE oder TGV für 250 bzw. 300 km/h.
Unser Ingenieur instruiert uns vor der Probefahrt über das besondere Funktionsprinzip der deutschen Magnetschwebebahn im Unterschied zu anderen Systemen. Das Transrapid-System nutzt die Anziehungskraft zweier gegenpoliger Magnete: Der Fahrzeugmagnet befindet sich im den Fahrweg umgreifenden Teil; wenn Fahrwegmagnet und Fahrzeugmagnet sich anziehen, schwebt er. Weitere Führungsmagnete an der Seite, die mit Sensoren ausgestattet sind, sorgen für die Aufrechterhaltung eines Abstandes von 10 (+/-2) mm. Das japanische System nutzt dagegen die Abstoßungskräfte zwischen dem Supraleitermagneten des Fahrzeugs und der Aluminiumplatte des Fahrwegs. Die japanische Magnetbahn braucht keine Führungsmagnete, aber bis zum Erreichen einer bestimmten Geschwindigkeit ist sie - neben anderen Nachteilen - nach wie vor auf Räder angewiesen.
Der Transrapid hingegen schwebt sofort. Die Energie zum Anfahren und Bremsen liefert eine Batterie, die den ganzen Zug 20 Minuten in Bewegung halten könnte. Ab 175 km/h wird Strom erzeugt, ab 220 km/h wird die Batterie wieder aufgeladen.
Über die wichtigsten Funktionsprinzipien informiert, begibt sich die ganze Gesellschaft nunmehr nach draußen zum Transrapid-Bahnhof. Einmal surrt er noch an uns vorbei, nach der nächsten Runde hält er, und wir steigen ein. Die hellgraublauen Sessel sind bequem, und man hat viel mehr Platz als im ICE.
Die Teststrecke ist 31,5 km lang und besteht aus einem 12 km langen geraden Stück, um hohe Geschwindigkeiten zu erreichen, und zwei Wendeschleifen, die kleinere mit einem Radius von nur 1000 m. Ganz sachte, beinahe lautlos, schwebt der Transrapid los. Man spürt nur ein leichtes Vibrieren, das bei wachsender Geschwindigkeit kaum zunimmt. Man merkt die Linearbeschleunigung kaum, nach weniger als 2 km sind wir auf 180, bald 200, 250, 300 und dann über 400 km/h. Aber nichts klappert, wackelt oder wird wesentlich lauter - nur die Landschaft draußen fliegt so schnell vorbei, daß man kaum noch etwas unterscheiden kann. Als der Zug wieder 250 km/h erreicht hat, kommt es einem optisch so vor, als wären es nur 80 km/h.
Wenn man genau darauf achtet, bemerkt man doch Unterschiede im "Fahrgefühl", in der leichten Vibration des Fahrzeugs. Dies ist aber weniger von der Geschwindigkeit abhängig als vielmehr von der Art des Fahrwegs. Die Teststrecke im Emsland weist 15 verschiedene Fahrwegtypen auf: hier Spannbeton, dort Stahl, einmal ebenerdig, dann bis zu 12 m hoch aufgeständert mit verschieden breit gespreizten Stützen. Und jedesmal fühlt es sich verschieden an, obwohl das Fahrzeug den Fahrweg nie berührt. "Es ist ganz wie in der klassischen Physik", erklärt der Ingenieur: "Masse dämpft", denn am ruhigsten fährt der Transrapid über die stabilsten Betonständer.
Der Transrapid kann selbst beim Anfahren 10% Steigung überwinden, ICE und TGV schaffen dagegen nur 4%. Außerdem kann der Transrapid viel engere Kurven fahren, deswegen kann man oft auf kostspielige Brücken und Tunnel verzichten. Wie der Transrapid diese engen Kurven meistert, das erleben wir gleich: Er legt sich nämlich in die Kurve! Der Fahrweg ist geneigt, erst 9%, ein Stück weiter 12%, möglich sind sogar 16%. Bei der Neigung um 12% haben wir eine Geschwindigkeit von 213 km/h. Guckt man aus dem einen Fenster, blickt man unten auf den Boden neben die Ständerreihe, an der anderen Seite sieht man nur Himmel. Das Achterbahngefühl klingt ab bei dem beruhigenden Gedanken, daß der Transrapid nicht entgleisen kann, da das Fahrzeug den Fahrweg umgreift. Die Aufständerung verhindert auch, daß Unfälle auf Bahnübergängen oder Hindernisse auf dem Fahrweg entstehen können. Der Transrapid ist damit wesentlich sicherer als alle anderen Verkehrsmittel.
Nach 27 Minuten endet unsere Probefahrt, die Fahrgäste applaudieren. Man berichtet uns, eine anfangs äußerst skeptische SPD-Delegation aus Schleswig-Holstein sei derart Transrapid-begeistert nach Kiel zurückgekommen, daß die eher für Hüte schwärmende Ministerpräsidentin und Transrapid-Gegnerin Heide Simonis ganz pikiert war. Sie klagt gegen den Transrapid, und möchte ihn gern totsparen. Aber wenn es nicht nach ihr geht, dann fährt der Transrapid eines Tages in weniger als 60 Minuten von Hamburg nach Berlin, zu Stoßzeiten im Zehnminutentakt.
Und es wird hoffentlich nicht weitere fünf Jahre dauern, bis die nächste Transrapidstrecke beschlossen wird.
Denn der Transrapid hilft nicht nur den "Verkehrsinfarkt" zu überwinden, er schafft auch Abhilfe gegen den "Arbeitsmarktinfarkt". Viel zu bescheiden beziffert die MVP (Versuchs- und Planungsgesellschaft für Magnetbahnsysteme) die durch den Bau der Strecke Hamburg-Berlin geschaffenen Arbeitsplätze mit 10000 über fünf Jahre. Das Institut für Bahntechnik veranschlagte in einer Studie von 1991 die Arbeitsplätze direkt im Bau auf über 30000, den Beschäftigungseffekt bei den Zulieferern auf fast 120000, allerdings auf Grundlage der Produktivität in Ostdeutschland. Legt man westdeutsche Produktivität zugrunde, so kann man immer noch von rund 100000 Arbeitsplätzen ausgehen, die durch den Bau dieser einen 285 km langen Strecke Hamburg-Berlin entstehen. Im durchquerten Gebiet beträgt die Arbeitslosigkeit um die 20%. Daher sollte der Transrapid umgehend in die Überlegungen zur Bekämpfung der explodierenden Arbeitslosigkeit einbezogen werden.
Gabriele Liebig
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