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Neue Solidarität
Nr. 9, 27. Februar 2025

Afghanistans Transformation durch regionale Konnektivität

Von Stephan Ossenkopp

Ich möchte mich erst mal vorstellen: Stephan Ossenkopp. Ich bin Direktkandidat der Bürgerrechtsbewegung Solidarität (BüSo) im Bezirk Pankow, und meine Beobachtung ist, daß das Thema Afghanistan im deutschen Bundestagswahlkampf nur eine marginale Rolle spielt, wenn überhaupt, dann vielleicht als sicherheitspolitisches Thema. Aber angesichts der Tatsache, daß die deutsche Bundeswehr 20 Jahre lang auch im Rahmen von NATO-Einsätzen dort in Afghanistan gewesen ist, gebührt dem Land Afghanistan im Wahlkampf und überhaupt in der deutschen politischen Diskussion ein viel größerer Raum. Wie haben Milliarden von Euro ausgegeben und haben versprochen, das Land in irgendeiner Weise so zu entwickeln, daß es hinterher besser dasteht als vorher. Aber das kann man ja heute überhaupt nicht sagen. Anstatt dieses Thema produktiv anzugehen, wird das Land mit einem Bann belegt, mit einem absoluten Tabu, und jeder Kontakt mit den dortigen Regierungsstellen ist ein absolutes No-Go.

Das kann natürlich so nicht bleiben. Hier in Deutschland leben ja auch viele Deutsch-Afghanen, viele, viele Tausend. Wir haben ja auch heute einige hier, die sprechen werden, die sind gut integriert, gut vernetzt, die auch weltweit gut integriert und vernetzt sind. Und sie alle wollen, daß ihr Land aufgebaut wird. Da liegt also ein unglaubliches Potential, das wir auch ausschöpfen müssen, anstatt jetzt im Rahmen dieser Diskussion von Sicherheit und Flüchtlingen und Abschiebungen usw. alles in einen Topf zu werfen.

Die viel bessere Diskussion in diesem Zusammenhang wäre eine über die wirtschaftliche Entwicklung Afghanistans als einzig funktionierende und humanistische vertretbare Form der Verhinderung weiterer Flüchtlingsbewegungen. Das wäre auch eine angemessenere Aufarbeitung unserer 20 Jahre währenden Besatzung Afghanistans. Und deshalb haben wir von der BüSo entschieden, Afghanistan-Experten einzuladen, um über das Land zu informieren, Optionen aufzuzeigen, wie man anders über eine Lösung nachdenken kann.

Infrastruktur als das Grundgerüst für jeden weiteren Schritt

Ich möchte vor allen Dingen über das Thema „Konnektivität und Afghanistan“ sprechen. Mit Konnektivität ist gemeint: der Aufbau von Infrastruktur als das Gerüst jedes weiteren Schritts der Industrialisierung und jeder mechanisierten Landwirtschaft. Natürlich geht es dabei um Straßen, Schienenwege, es geht um städtische Infrastruktur; es geht natürlich auch um die Wasserwege, Pipelines, Stromleitungen und vieles mehr.

Ich möchte mich hier aber auf die nationale und überregionale Verkehrsinfrastruktur konzentrieren, vor allem auf Eisenbahnprojekte. Denn diese werden die Anbindung Afghanistans an die regionalen Nachbarländer beschleunigen und damit den Import und Export von Gütern drastisch ankurbeln können.

Gleichzeitig entstehen dadurch im Landesinneren potentiell Sonderwirtschaftszonen, regionale Landwirtschaftszentren und immer mehr Ausbildungsplätze für Facharbeiter in der Landwirtschaft und in der Industrie, was natürlich extrem wichtig ist, um neue Ingenieure, Fach- und Bauarbeiter zu gewinnen.

Dies wird die Grundlage sein, um hochwertige Produkte sowohl für den Verbrauch der Haushalte in Afghanistan als auch für den internationalen Handel zu produzieren.

Die Transafghanische Eisenbahn

Das erste und wie ich finde, fast sogar das wichtigste große Eisenbahnprojekt ist die sogenannte Transafghanische Eisenbahn. Sie ist zwar schon lange im Gespräch gewesen, aber es gab jetzt gerade am Ende des vergangenen Jahres, 2024, ein großes Experten- und Fachleutetreffen in der usbekischen Hauptstadt Taschkent, und dort hat man eben auch über die Wirtschaftszusammenarbeit mit seinen Nachbarstaaten diskutiert.

Der usbekische Verkehrsminister, Herr Machkamow, sagte, daß er das Projekt des Transafghanischen Eisenbahnkorridors vorantreiben will, sodaß im kommenden Jahr – also in diesem Jahr – schon der erste Spatenstich getan werden kann. Es geht um fünf Jahre Bauzeit, und ich werde gleich eine Karte des Projekts zeigen.

© Jawad Niksad
© Railcop.pk (via Instagram)
Abb. 1: Impres­sio­nen von der Ibn-Sina-Konferenz

Abb. 2: Karte des Transafghanischen Eisenbahnkorridors

Das hier (Abbildung 1) sind sechs Impres­sionen von einer Ibn-Sina-Konferenz im November 2023, an der Fachleute teil­genommen haben, auch von uns vom Schiller-Institut, und hier unten in der Mitte bin auch ich. Das ist ein Roundtable, ein Runder Tisch von Verkehrs- und Infra­struk­turexperten, Leute von NGOs, Bil­dungseinrichtungen waren mit dabei. Ich will damit nur belegen, daß wir mit diesem Projekt Ibn Sina auf jeden Fall schon dabei sind.

Hier (Abbildung 2) sehen wir Afghanistan, man kann erkennen, wo die Stadt Termiz liegt, wo die Bahn beginnt – das ist im Süden von Usbekistan –, und dann wird diese Eisenbahnlinie durch Masar-i-Scharif bis nach Kabul und dann weiter bis nach Peschawar in Pakistan geleitet:

das ist der sogenannte Transafghanische Eisenbahnkorridor. Es können dann Güter von Usbekistan über afghanisches Territorium nach Pakistan transportiert werden, und die Transportzeit kann von derzeit 35 Tagen auf nur 3-5 Tage verkürzt werden. Das bedeutet natürlich, daß die Kosten für Standardcontainer massiv sinken und das Frachtvolumen massiv ansteigen kann, geschätzt auf jährlich über 10 Millionen Tonnen.

Das ist ein 650-km-Eisenbahnprojekt, das von Termiz über Masar-i-Scharif bis zur pakistanischen Grenze führt, und dann in Pakistan angebunden werden kann an eines der Prestige­projekte der Neuen Seidenstraße, der Belt and Road Initiative (BRI), nämlich den China-Pakistan-Wirtschaftskorridor, der dann an die Küsten Pakistans führt und es ermöglicht, daß Güter von dem landeingeschlossenen Afghanistan, Usbeki-

 

stan oder auch Kasachstan, das ja auch landeingeschlossen ist, bis zu den Häfen ans Arabische Meer transportiert werden können. Jedenfalls wird diese Transafghanische Eisenbahn zu völlig neuen Beziehungen zwischen Zentralasien, Afghanistan, Pakistan, aber auch Iran und China führen – Iran im Westen von Afghanistan und China im Osten von Afghanistan.

Der Iran hat beispielsweise schon seit 20 Jahren eine Strategie, die sich „Blick nach Osten“ nennt. Damit wollen sie auch die Zusammenarbeit mit Afghanistan vorantreiben und z.B. in den Bergbausektor investieren. Aber auch Länder wie Turkmenistan im Nordwesten von Afghanistan haben begonnen, als Teil dieser Infrastrukturinitiative Gaspipelines zu bauen.

Der Wachan-Korridor

© Wikimedia Commons/Chaccard/cc-by-sa 4.0
Abb. 3: Der Wachan-Korridor im Nordosten Afghanistans

Interessanterweise haben wir erst Ende Januar von einem Projekt erfahren, daß es jetzt vorangetrieben wird (Abbildung 3). Feldstudien werden vorangetrieben für einen Wirtschaftskorridor entlang der sogenannten Wachan-Straße, das ist dieser 100 km breite und 350 km lange Korridor im Osten von Afghanistan. Jetzt sind nach Feldstudien die Bauarbeiten an dieser neuen Transitroute begonnen worden, und auch hier werden die Transit­kosten für Güter massiv gesenkt. In der Presse war zu lesen, daß der Preis für einen Container mit Pinienkernen – ein Produkt, für das Afghanistan wegen seiner Qualität besonders bekannt ist – beim Export nach China von ehemals 65.000 Dollar über den Luftweg auf nunmehr 5.000 Dollar über den Landweg sinken wird. Man kann natürlich auch eine ganze Reihe anderer afghanischer Produkte nach China exportieren, den größten Markt der Welt, aber auch Waren aus anderen Ländern, die über den Transit durch Afghanistan nach China gelangen und auf demselben Landkorridor natürlich auch in umgekehrter Richtung von China nach Afghanistan exportiert werden können, zu wesentlich günstigeren Bedingungen. Auch dieses Projekt ist sehr wichtig.

Die Afghanische Ringbahn

© Afghanisches Eisenbahnamt
Abb. 4: Eisenbahnprojekte in Afghanistan

Dann sieht man hier (Abbildung 4) eine mittelblaue oder Lapislazuli-blaue Streckenführung. Dort verläuft die sehr wichtige und sehr zentrale Ringstraße, eine vierspurige Landstraße. Aber hier will man den Bau des größten inländischen Eisenbahnnetzes vorantreiben. Das wird zwar schon seit einigen Jahren diskutiert. Aber es betrifft viele Projekte, den Wachan-Korridor, Transafghanistan, aber eben auch dieses Ringeisenbahnnetz – die Regierung in Kabul forciert derzeit deren Umsetzung. Es ist schon merk­würdig, daß die vom Westen unterstützten Vorgängerregierungen zwar auch zahl­reiche Konferenzen abgehalten und viele Arbeitspapiere zu diesen Themen erstellt haben, es aber nie wirklich zu einem Spatenstich, geschweige denn zur Vollen­dung dieser Projekte gekommen ist.

Das ändert sich jetzt gerade, und darin liegen auch die Chancen für die deutsche Industrie, für den deutschen Export, entweder direkt in Afghanistan oder über Drittländer – z.B. China, Usbekistan – an der Entwicklung dieser Projekte mitzuwirken und damit eine Win-Win-Situation, einen doppelten Nutzen zu erzielen.

Jetzt ist also dieses Eisenbahnprojekt geplant, das entlang dieser Ringstraße verläuft, von Masar-i-Scharif, das ist im Norden, dann geht es nach Westen nach Herat, und hier erfolgt dann eine Anbindung an den Iran. Dann gibt es eine weitere Strecke, die in den Süden führt, nach Kandahar, womit eine weitere Anbindung an Pakistan möglich ist. Das Projekt soll in zwei Phasen realisiert werden, Phase 1 umfaßt 657 Kilometer und Phase 2 hat etwa 811 Kilometer.

Jetzt gerade, am 8. Februar, also vor einer Woche, war in den regionalen Zeitungen zu lesen, daß eine Machbarkeitsstudie für die Eisenbahnlinie Herat-Kandahar beginnen soll. Der zuständige Minister für öffentliche Arbeiten unterzeichnete fünf Verträge im Wert von 264 Millionen Afghani mit Vertretern von fünf in- und ausländischen Unternehmen, und nach der Detailplanung sollen die Arbeiten innerhalb von acht Monaten abgeschlossen sein – dann kann der Bau dieser Eisenbahn beginnen. Es wird berichtet, daß das Islamische Emirat überhaupt den Bau eines großen Schienennetzes anstrebt, um die regionale Erreichbarkeit zu verbessern und den regionalen Transit und Transfer durch das Land zu erhöhen.

Die Tabus durchbrechen

Wer jetzt fragt, wie soll denn das alles passieren, es gibt keine diplomatische Beziehungen zu den Taliban, es gibt Sanktionen? Das stimmt alles, und das sind alles Hürden auf dem Weg zu einer Normalisierung der Beziehungen. Aber die Regierung in Kabul ist keineswegs vollkommen isoliert, sie ist es im Gegenteil immer weniger.

So hat z.B. die Russische Föderation die Taliban von der Liste terroristischer Gruppen heruntergenommen, Kasachstan hat das auch getan. Der Präsident von Kasachstan, Tokajew, sagte, daß die Anwesenheit der Taliban-Regierung in Kabul nun mal eine Tatsache ist, die man nicht hinwegdiskutieren kann, und im Juli 2024 nahm auch erstmals eine afghanische Delegation am Sankt Petersburger Wirtschaftsforum teil, einem riesigen Wirtschaftsforum in Rußland.

Im September des Jahres davor, 2023, gab es auch schon eine Akkreditierung eines chinesischen Botschafters in Kabul, und kurz danach, im Oktober 2023, hat eine Delegation aus Kabul an dem Seidenstraßen-Forum in Peking teilgenommen.

Es gibt eigentlich keinen Grund, warum Deutschland nicht diese Hürde überbrücken und zumindestens die ersten diplomatischen Kontakte mit Kabul aufbauen sollte. Auch der Ausbau der Straßeninfrastruktur ist für Deutschland eine wichtige Exportchance oder eine Chance, Memoranden zur Kooperation zu unterzeichnen.

Natürlich ist Afghanistan aufgrund seiner langjährigen Kriege, der Besatzung und der Sanktionen, der Isolation, eines der ärmsten Länder, und es ist, wie gesagt, landeingeschlossen, und diese 2200 km lange zweispurige Ringstraße ist eine der Hauptverkehrsadern. Aber man kann einen Großteil des Straßennetzes in Afghanistan modernisieren, man kann es ausbauen. Es ist sicher ein großes Unterfangen, entlegene Städte und Dörfer, ländliche Gebiete, miteinander zu vernetzen, aber das ist extrem wichtig, um entsprechend auch in den Regionen Unternehmen anzusiedeln, landwirtschaftliche Infrastruktur aufzubauen usw.

Es gab natürlich Konferenzen des Westens, die Afghanistan als Thema hatten, in Doha z.B. gab es einige UNO-Konferenzen, aber die sind eigentlich alle im Sande verlaufen, denn dort hat man es erst im Juni 2024 geschafft, überhaupt eine Taliban-Delegation mit hineinzubringen, und das wurde dann auch gleich von britischen und amerikanischen, westlichen NGOs mit großem Geschrei belegt. Das ist natürlich keine Lösung.

Die Grundlage für die eigenständige nationale Wirtschaft Afghanistans kann jetzt geschaffen werden. Es ist extrem wichtig, daß ausländische Investoren und Technologieunternehmen technologische Güter usw. dorthin liefern. Und das ist für Deutschland, das jetzt schon im dritten Jahr seiner Rezession ist, ein extrem wichtiges Unterfangen. Gerade weil sich Afghanistan in der Region sehr vernetzt, sollte das durchaus auch ein Thema sein, auch für den Wahlkampf hier.

Das sind eigentlich, wie ich denke – wenn man sich mit dem Land mal jenseits der Nachrichtensperre und des Tabus beschäftigt – doch viele gute Nachrichten, was sich dort alles tut. Und ich hoffe, daß ich mit diesen Eisenbahnprojekten, die ich gerade vorgestellt habe, vielleicht ein bißchen Licht ins Dunkel habe bringen können.

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