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Von Ashley Tran
Ashley Tran ist Mitglied des amerikanischen Schiller-Instituts. Im vierten Abschnitt der Berliner Konferenz „Der Mensch ist nicht des Menschen Wolf!“ am 12. Und 13. Juli 2025 hielt sie den folgenden Vortrag (Übersetzung aus dem Englischen).
Zunächst möchte ich dem Schiller-Institut für die Einladung zu dieser Konferenz danken. In diesem Umfeld können ich und die Menschen, die heute hier anwesend sind, endlich aufatmen und wir selbst sein, uns frei äußern und über die Mißstände nachdenken, mit denen wir als Menschen guten Willens konfrontiert sind.
In Europa ist die politische Landschaft gegenüber Andersdenkenden, die eine andere Meinung vertreten als die Mainstream-Medien, sehr feindselig geworden. Wo in Europa kann man noch offen seinen gesunden Menschenverstand äußern? Sicherlich nicht im Bundestag oder in der Europäischen Kommission oder in dem, was Ray [McGovern] und Helga [Zepp-LaRouche] gerne als die „Koalition der Hirntoten“ bezeichnen.
Für die Pflege dieser offenen Atmosphäre müssen wir dem Dichter, Dramatiker und Philosophen Friedrich Schiller danken, dem Namensgeber dieser Organisation und Konferenz. Ohne ihn gäbe es nicht diese Organisation, die sich seinen mehr als 250 Jahren alten Ideen verschrieben hat und uns die Möglichkeit gibt, hier zu sein und seinen Geist zu beschwören.
Während wir das Glück haben, diese Gedankenfreiheit zu genießen, befindet sich der Rest Europas derzeit in einem Bann. Der sogenannte demokratisch gewählte deutsche Bundeskanzler Merz treibt die Aufrüstung Europas voran, obwohl er im Wahlkampf eine Reduzierung der Ausgaben versprochen hatte. Merz‘ jüngste Äußerungen, die Ukraine zu stärken, um nicht „Rußlands Tricks wie Verhandlungsaufrufen“ zu erliegen, erinnern an die Vorbereitungen zum Zweiten Weltkrieg und an die Dämonisierung der Sowjetunion, um einen Krieg zu provozieren.
Niemand darf Israels Vorgehen gegen die Palästinenser offen kritisieren. Das Land, das einst die künstlerische und dichterische Freiheit gepriesen hat, ist verschwunden. Wo ist Schillers Deutschland geblieben?
Friedrich Schiller weigerte sich, seinen Geist zugunsten der Kleinheit anderer verkümmern zu lassen. Als er auf dem Weg war, entweder Priester oder Militärarzt zu werden, entschied er sich mit dem Erfolg seines ersten Dramas Die Räuber im Alter von 20 Jahren, keinen dieser Wege einzuschlagen und Dichter zu werden.
In diesem Sinne paßt der Titel „Dichter der Freiheit“ sehr gut zu Schiller. Aber er handelte nicht nur aus individueller Entscheidungsfreiheit heraus, sondern aus einer moralischen Überzeugung, die seine Seele von den Fesseln der Tyrannei befreite, die sich damals in Europa zusammenbraute. Denn sein Stück, das die aristokratische Korruption zugunsten des Republikanismus anprangerte, hatte eine harte Zensurkampagne des württembergischen Herzogs Karl Eugen ausgelöst, der ihm nach dem sofortigen Erfolg der Veröffentlichung des Stücks die Veröffentlichung weiterer Werke untersagte. Um dieser Zensur zu entgehen, floh Schiller in kleinere Staaten in Deutschland und wanderte durch Frankfurt, Leipzig, Dresden und Weimar, wo er sich als Herzstück des deutschen Volkes einen Namen machte.
Ich bin dankbar für seinen Willen, sich der Poesie und dem Theater zu widmen. Nicht viele 20jährige können heute behaupten, eine so mutige Entscheidung getroffen zu haben. In diesem Moment seines Lebens bestimmte er seine Identität in der Geschichte – indem er sich seiner Liebe zur Kunst verschrieb. Er schrieb nicht nur Dramen und Gedichte, die seine lebhafte Musikalität und Beherrschung der deutschen Sprache demonstrierten, sondern auch Essays über Geschichte und die ästhetische Bildung der Seele, fantasievolle und präzise Methoden für den Entwurf von Ideenformen im Geist. Sein Geist faßte die Weite der Welt, die noch nicht vollständig entdeckt war.
Ein Werk, das ich heute aufgrund seines einzigartigen Charakters, die verschiedenen Kunstformen zu verbinden, besonders hervorheben möchte, ist seine berühmte Ode an die Freude, das Gedicht, das Beethoven zu seiner Neunten Symphonie inspirierte. Dieses musikalische Werk und Gedicht hat einen besonderen Platz in meinem Herzen, weil ich es zum ersten Mal vor zwei Jahren in Berlin im historischen Konzerthaus in Mitte gehört habe. In der bitteren Kälte des Berliner Winters konnte ich die Freude eines Silvesterabends erleben, der an die Feierlichkeiten der Deutschen nach dem Fall der Berliner Mauer erinnerte.
Während es für mich persönlich sentimentale Bedeutung hat, wiegt es schwerer in den Herzen von Menschen überall, die Ungerechtigkeit erleben. Das Gedicht, geschrieben im Jahr 1785, wurde inspiriert von der Gründung der amerikanischen Republik nach der Revolution und sollte später dazu dienen, denselben amerikanischen revolutionären Geist im europäischen Volk zu wecken. In der berühmten ersten Strophe, die zum Text des vierten Satzes von Beethovens Neunter wurde, beschwört Schiller die gewaltige Kraft der Freude als eine Kraft, die jedem Menschen innewohnt, unabhängig von Klasse, Glaubensbekenntnis oder ethnischer Zugehörigkeit:
Freude, schöner Götterfunken,
Tochter aus Elysium,
Wir betreten feuertrunken,
Himmlische, dein Heiligtum.
Deine Zauber binden wieder,
Was die Mode streng geteilt,
Alle Menschen werden Brüder,
Wo dein sanfter Flügel weilt.
Diese Kraft wird nicht aus dem Nichts heraufbeschworen oder durch eine rein sinnliche Emotion hervorgerufen, sondern entspringt der Kraft der Kunst selbst und ihrer Fähigkeit, die Vorstellungskraft des Betrachters augenblicklich zu fesseln und seine Perspektive in neue Höhen zu heben – zu einer höheren Vorstellung der eigenen Identität außerhalb der unmittelbaren Erfahrung. Der Zustand der eigenen Erfahrung bestimmt nicht mehr deine Gedanken, sondern wird Teil der unveränderlichen Natur deiner eigenen Menschlichkeit, die du entweder verloren oder im Dschungel der ständigen Reizüberflutung vergessen hast. Diese Beständigkeit, die du in dir selbst findest, sind „deine Zauber” und „deine sanften Flügel”. Aus diesen Eigenschaften wird uns bewußt, daß unsere Seele nichts anderes will, als zu den Gipfeln der „Himmlischen, dein Heiligtum” aufzusteigen. Das war die Quelle der Kraft, aus der die amerikanischen Gründerväter schöpfen mußten, um die erste Republik zu verwirklichen.
Die Brillanz von Schillers und Beethovens Beitrag zur Entwicklung der Idee einer universellen Einheit ist der Ort, an dem wir uns in den sich wandelnden, turbulenten Flutwellen der Dunkelheit wiederfinden können. In diesem Sinne sind Beethoven und Schiller gleichberechtigte Teilnehmer der Amerikanischen Revolution, genauso wie Washington, Adams, Hamilton und Franklin. Der Kampf gegen das britische Kolonialsystem war derselbe Kampf für die Nachwelt der Menschheit wie in An die Freude.
Die Deutschen erkannten das einige Jahrzehnte später, als sich über 200.000 gebürtige Deutsche in die Unionsarmee einschrieben, um im Bürgerkrieg zu kämpfen. Die amerikanische Seele wurde zur deutschen Seele, so wie die chinesische und vietnamesische Seele sich vereinigten, als sich Ho Chi Minh und Sun Yat Sen im nächsten Jahrhundert für ihre Sache auf Abraham Lincoln beriefen. „Alle Menschen werden Brüder.“
Deshalb fordere ich heute im Namen Friedrich Schillers, dessen Geist und Andenken diese Organisation zu vertreten gewählt hat, daß wir den Teil unserer Seele entwickeln müssen, der sich nach Freiheit sehnt und der in jedem von uns steckt. Auf dieselbe künstlerische Weise, wie Schiller sich der Schönheit verschrieben hat, müssen wir uns unserer Würde und Selbstbestimmung als Volk verschreiben. Die Kraft, die diese Motivation antreibt, muß die Freude sein, die uns dazu bewegt, für eine bessere Zukunft in diesem Gefüge unseres gemeinsamen Schicksals zu handeln.
Vielen Dank.
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