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Von Anastasia Battle
Anastasia Battle ist Ko-Initiatorin der Internationalen Friedenskoalition und Chefredakteurin des Kulturmagazins Leonore des Schiller-Instituts in den USA. Im vierten Abschnitt der Berliner Konferenz „Der Mensch ist nicht des Menschen Wolf!“ am 12. Und 13. Juli 2025 hielt sie den folgenden Vortrag (Übersetzung aus dem Englischen).
In den vielen Gesprächen, die ich während meines zweiwöchigen Aufenthalts in Berlin mit Deutschen geführt habe, habe ich immer wieder die Frage gehört: „Können wir die Welt wirklich verändern?“ Es ist eine verständlicherweise zurückhaltende Frage, die eine Spannung zwischen Hoffnung und Frustration ausdrückt.
Wenn ich diesen schmerzhaften Wunsch nach einer besseren Welt in den Augen der Menschen sehe, kommt mir in den Sinn, daß dies das Land ist, das die großen klassischen Künstler Friedrich Schiller und Ludwig van Beethoven hervorgebracht hat. Denn ich glaube fest, daß die Menschen, wenn sie sich auf ihr klassisches Erbe besinnen, wieder seelische Stärke finden können und sich für das Gute einsetzen werden. Sie müssen wissen, daß Sie nicht allein sind.
In einem Artikel mit dem Titel „Die Todes-Agonie des Olymp“ beschreibt Lyndon LaRouche diesen Prozeß der Anspannung:
„Wenn man ein fürchterliches, verwirrendes Schockgefühl erlebt..., ist der unerläßliche erste Schritt zu einem fruchtbaren Seelenfrieden, daß der Betreffende die Quelle der persönlichen inneren Spannung, die dieses Schockgefühl ausgelöst hat, erfolgreich identifiziert... Mit anderen Worten, man muß sich fragen: ‚Was ist hier das Problem?‘...
Diejenigen, die am ehesten den Seelenfrieden finden können, den die gegenwärtige Krise erfordert, findet man unter denjenigen, die zumindest ein gewisses Maß an literarischer Vertrautheit mit der klassischen Tragödie haben.
Die politische Bedeutung der klassischen Tragödie im Theater liegt in der Tat darin, daß sie seit Sophokles und Aischylos eine Kunstform ist, die dem Publikum die leidenschaftlichen intellektuellen Quellen der Einsicht und die erneuerte moralische Kraft vermittelt, die es braucht, um mit solchen Schocks umgehen zu können...“
Ein eindrucksvolles Beispiel für die Verwendung von klassischem Theater und Musik ist Beethovens einzige Oper, Fidelio. Diese Oper basiert auf der wahren Geschichte des inhaftierten amerikanischen Revolutionshelden Marquis de Lafayette und seiner Frau Adrienne. Auf Anweisung des britischen Premierministers William Pitt wurde Lafayette von 1792 bis 1797 im österreichischen Gefängnis Olmütz in Einzelhaft gehalten. Doch Adrienne gab es nie auf, nach ihrem Mann zu suchen. Als sie ihn 1795 fand, blieb sie mit ihren Kindern im Gefängnis und löste damit einen solchen internationalen Aufruhr aus, daß Lafayette 1797 freikam.
Beethoven begann Fidelio zu komponieren, kurz nachdem seine Meinung über Napoleon 1804 erschüttert worden war, als Napoleon sich zum Kaiser gekrönt hatte. Bis dahin hatte Beethoven Hoffnungen in einen politischen Führer gesetzt, der aber diese Hoffnungen verriet. Wie reagiert er?
In Fidelio ist Florestan ein politischer Gefangener, der vom bösartigen Gouverneur Pizarro in Einzelhaft gehalten wird. Leonore, Florestans treue Ehefrau, kommt verkleidet als ein junger Mann namens Fidelio in das Gefängnis, um dort eine Anstellung zu finden. Sie wird eingestellt und beginnt als Gefängnisgehilfe zu arbeiten. Leonore gewinnt das Vertrauen des Kerkermeisters Rocco, der ihr von dem geheimen Kerker erzählt, in dem ein Gefangener seit zwei Jahren in Einzelhaft gehalten wird.
Dann trifft Pizarro ein und erfährt, daß der Minister dem Gefängnis einen Überraschungsbesuch abstatten will. Schnell nimmt er Rocco beiseite und teilt ihm mit, er müsse den geheimen Gefangenen sofort töten und begraben, und verspricht ihm dafür reichliche Belohnung.
Leonore sagt im 1. Akt, Szene 6, als sie von dem Mord hört:
(Rezitativ)
Abscheulicher! Wo eilst du hin?
Was hast du vor in wildem Grimme?
Des Mitleids Ruf, der Menschheit Stimme –
Rührt nichts mehr deinen Tigersinn?
Doch toben auch wie Meereswogen
Dir in der Seele Zorn und Wut,
So leuchtet mir ein Farbenbogen,
Der hell auf dunkeln Wolken ruht:
Der blickt so still, so friedlich nieder,
Der spiegelt alte Zeiten wider,
Und neu besänftigt wallt mein Blut.
(Arie)
Komm, Hoffnung, laß den letzten Stern
Der Müden nicht erbleichen!
O komm, erhell' mein Ziel, sei's noch so fern,
Die Liebe, sie wird's erreichen.
Ich folg' dem innern Triebe,
Ich wanke nicht,
Mich stärkt die Pflicht
Der treuen Gattenliebe!
O du, für den ich alles trug,
Könnt ich zur Stelle dringen,
Wo Bosheit dich in Fesseln schlug,
Und süßen Trost dir bringen!
Ich folg' dem innern Triebe,
Ich wanke nicht,
Mich stärkt die Pflicht
Der treuen Gattenliebe!
Leonore, die sich über den Zustand der Gefangenen informiert hat, sorgt dafür, daß sie kurz in den Innenhof dürfen, um die Sonne zu sehen. Alle bis auf den geheimen Gefangenen dürfen heraus. Die Gefangenen singen in einem traurig-hoffnungsvollen und wunderschönen Moment (Finale 1. Akt):
Chor der Gefangenen
O welche Lust, in freier Luft
Den Atem leicht zu heben!
Nur hier, nur hier ist Leben!
Der Kerker eine Gruft.
Erster Gefangener
Wir wollen mit Vertrauen
Auf Gottes Hilfe bauen!
Die Hoffnung flüstert sanft mir zu:
Wir werden frei, wir finden Ruh.
Alle anderen
O Himmel! Rettung! Welch ein Glück!
O Freiheit! Kehrst du zurück?
Zweiter Gefangener
Sprecht leise! Haltet euch zurück!
Wir sind belauscht mit Ohr und Blick. –
Alle
Sprecht leise! Haltet euch zurück!
Wir sind belauscht mit Ohr und Blick. –
O welche Lust, in freier Luft
Den Atem leicht zu heben!
Nur hier, nur hier ist Leben.
Sprecht leise! Haltet euch zurück!
Wir sind belauscht mit Ohr und Blick. –
Ich möchte an dieser Stelle nur anmerken, daß wir im Leonore-Magazin ein Interview mit der Operntruppe Heartbeat geführt haben, die mit echten Gefangenen arbeitet und ihnen beigebracht hat, den Gefangenenchor aufzuführen. Die Reaktion der Häftlinge war ziemlich profund, und einige beschrieben in Briefen, die wir veröffentlicht haben, wie sie sich endlich als Menschen fühlten.
Der 2. Akt spielt im Kerker von Florestan, unserem geheimen Gefangenen, der ausgehungert ist und lange keinen Kontakt zu Menschen mehr hatte. In Akt 2, Szene 1 sagt er:
(Rezitativ)
Gott! Welch Dunkel hier! O grauenvolle Stille!
Öd' ist es um mich her. Nichts lebet außer mir.
O schwere Prüfung! –
Doch gerecht ist Gottes Wille!
Ich murre nicht! Das Maß der Leiden steht bei dir.
(Arie)
In des Lebens Frühlingstagen
Ist das Glück von mir geflohn!
Wahrheit wagt ich kühn zu sagen,
Und die Ketten sind mein Lohn.
Willig duld' ich alle Schmerzen,
Ende schmählich meine Bahn;
Süßer Trost in meinem Herzen:
Meine Pflicht hab' ich getan!
Und spür' ich nicht linde, sanft säuselnde Luft?
Und ist nicht mein Grab mir erhellet?
Ich seh', wie ein Engel im rosigen Duft
Sich tröstend zur Seite mir stellet,
Ein Engel, Leonoren, der Gattin, so gleich,
Der führt mich zur Freiheit ins himmlische Reich.
Florestan findet trotz seiner aussichtslosen Lage, in der er eigentlich verzweifeln müßte, die Kraft zu kämpfen, und gibt niemals auf.
Leonore wird in den Kerker mitgenommen, um bei dem Mord zu helfen. Sie sieht den Gefangenen, kann aber sein Gesicht nicht erkennen und weiß noch nicht, wen sie vor sich hat. Während sie schon das Grab aushebt, sagt Leonore:
Bei Gott! Du sollst kein Opfer sein!
Gewiß, ich löse deine Ketten,
Ich will, du Armer, dich befrein.
Leonores agapische Liebe ist unglaublich stark und gibt ihr den Mut, ihr Leben zu riskieren, um den Gefangenen zu retten, noch bevor sie weiß, daß es sich um ihren Ehemann handelt.
Schließlich findet sie heraus, daß der Gefangene in Wirklichkeit Florestan ist, doch Pizzaro steigt schon in den Kerker hinab, um den Mord zu begehen. Gerade als Pizzaro Florestan töten will, stellt sich Leonore dazwischen und sagt:
Durchbohren
Mußt du erst diese Brust;
Der Tod sei dir geschworen
Für deine Mörderlust...
Töt' erst sein Weib!
Pizzaro ist zunächst schockiert, doch er denkt, eine Frau leicht überwältigen zu können, und will beide töten. Da zieht Leonore eine Pistole und richtet sie auf Pizzaro, hält ihn auf und rettet so Florestan.
Bald ist die Ankunft des Ministers zu hören. Beethoven bringt das freudige Wiedersehen von Florestan und Leonore in die letzte Szene mit dem Minister, in der alles ans Licht kommt. Leonore nimmt Florestan die Fesseln, und die Gefangenen und das Volk singen voller Freude:
Chor
Preist mit hoher Freude Glut
Leonorens edlen Mut.
Florestan
Wer ein solches Weib
Stimm' in unsern Jubel ein!
Nie wird es zu hoch besungen,
Retterin des Gatten sein.
Leonore
Liebend ist es mir gelungen,
Dich aus Ketten zu befrein.
Liebend sei es hoch besungen–.
Florestan ist wieder mein!
Chor
Wer ein holdes Weib errungen,
Stimm' in unsern Jubel ein!
Nie wird es zu hoch besungen,
Retterin des Gatten sein.
In Schillers Schrift Die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet von 1784 heißt es:
„Die Schaubühne ist der gemeinschaftliche Kanal, in welchen von dem denkenden, bessern Teile des Volks das Licht der Weisheit herunterströmt und von da aus in milderen Strahlen durch den ganzen Staat sich verbreitet. Richtigere Begriffe, geläuterte Grundsätze, reinere Gefühle fließen von hier durch alle Adern des Volks; der Nebel der Barbarei, des finstern Aberglaubens verschwindet, die Nacht weicht dem siegenden Licht.“
Der Effekt agapischer Liebe auf unsere Mitmenschen muß der Maßstab unseres Handelns werden, um erhaben zu werden. Das ist Beethovens Antwort auf die Krise, mit der er konfrontiert war, um trotz eigener Ängste mutiges Handeln zu provozieren. Das ist die wichtigste politische Handlungsweise, die wir in der jetzigen Situation unternehmen können, und ich möchte Sie auffordern, jetzt von Beethoven die Fackel zu übernehmen.
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