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Von Prof. Helena Chang
Prof. Helena Chang ist OSS-Forschungsstipendiatin und Chefredakteurin von SINOPRESS. In der vierten Sitzung der Berliner Konferenz „Der Mensch ist nicht des Menschen Wolf!“ am 12-13. Juli 2025 sagte Sie folgendes. (Übersetzung aus dem Englischen.)
Sehr geehrte Frau Helga Zepp-LaRouche, meine Damen und Herren,
menschliche Zivilisationen zeichnen sich zwar durch regionale Besonderheiten aus, sind jedoch niemals isolierte, unveränderliche Phänomene. Historische Dokumente und archäologische Studien haben gezeigt, daß es im Laufe der Zeit immer wieder zu Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Schichten alter Zivilisationen gekommen ist. Stämme, Herrscher, Königreiche und Imperien entstehen und vergehen. Sie töten und erben, töten die sogenannten Feinde, übernehmen aber oft einen Teil der kulturellen Werte und sogar Traditionen des Feindes und formen so die innere Struktur und die wesentlichen Faktoren einer neuen Zivilisation neu. Jeder, der jemals die antike Stätte Ephesus in der heutigen Türkei besucht hat, wird davon tief beeindruckt sein und ein tiefes Verständnis dafür haben.
Um diesen Punkt zu unterstreichen, möchte ich den deutschen Geographen Ferdinand von Richthofen aus dem 19. Jahrhundert erwähnen, der über die alten Handelswege durch Zentralasien schrieb. In seinem Buch China: Ergebnisse eigener Reisen und darauf gegründeter Studien (1877-1912) prägte er den Begriff „Seidenstraße”, da Seide eines der kostbaren und symbolträchtigen Güter war, die aus China nach Westen transportiert wurden.
Die alte Seidenstraße bezeichnet die Handelsroute vom chinesischen Hexi-Korridor nach Zentral- und Westasien, einschließlich Nordafrika und der östlichen Mittelmeerküste Europas. China und Rom wurden zu den östlichen und westlichen Endpunkten dieser Route. Seide, Tee und Porzellan gehörten zu den Gütern, die nach Westen transportiert wurden, gleichzeitig wurden Wolle, Gold, Silber, Gewürze und Edelsteine nach Osten gehandelt. Spätere archäologische Funde bewiesen, daß die alten Seidenstraßen in Graslandstraßen, Seewege und China-Indien-Myanmar-Straßen unterteilt werden können, was bedeutet, daß das Konzept ein größeres Gebiet von Nara in Japan im Osten bis Venedig in Italien im Westen umfaßte.
Wichtig ist, daß die alte Seidenstraße nicht nur Waren von einer Region in die andere transportierte, sondern auch Ideen, Sprachen, Religionen wie den Buddhismus und das nestorianische Christentum sowie Technologien. Zivilisationen kreuzten sich und interagierten miteinander, was zum sprachlichen, kulturellen und akademischen Austausch, sozialen und politischen Dialogen und brillanten philosophischen Gedanken führte.
Zu der weitreichenden Vernetzung der menschlichen Zivilisationen über die alte Seidenstraße hat der Oxford-Wissenschaftler Peter Frankopan in seiner Publikation The Silk Roads, A New History of the World (Bloomsbury Publishing, 2015) intensive Beobachtungen und ausführliche Darstellungen vorgenommen. Es ist ein dickes Buch, dessen Lektüre sich sehr lohnt.
Im Westen wurde die Menschheitsgeschichte in den letzten Jahrhunderten von Seefahrten und industriellen Revolutionen geprägt. Im Zuge dieser Entwicklung etablierte sich die Kolonialmacht als die wichtigste Stimme, die weltweit in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur Gehör fand und als legitim angesehen wurde. Die Konflikte der heutigen Zeit sind ein Spiegelbild dieser Weltordnung, die einen Stillstand für die harmonische und gesunde Entwicklung der menschlichen Zivilisationen bewirkt.
Am 3. Juli veranstaltete unser Medienunternehmen SINOPRESS ein Online-Gespräch zum Thema Bildung mit Madame Helga Zepp-LaRouche, an dem noch einige weitere Experten teilnahmen.1 Ich habe Ihnen einige Kopien des Transkripts mitgebracht, Sie können es gerne mitnehmen und lesen. Über die europäische Geschichte sagte Madame Helga:
„Das waren die Höhepunkte: die große klassische Periode Platons, das gewissermaßen finstere Zeitalter des Römischen Reiches und dessen Zusammenbruch, dann eine Wiederbelebung der griechischen klassischen Periode in Form der italienischen Renaissance, die das finstere Zeitalter des 14. Jahrhunderts überwunden hat. Sie schuf auch die kulturellen Grundlagen für die nächsten 600 Jahre der europäischen Geschichte. Natürlich gab es dann die deutsche klassische Periode, die ein weiterer Höhepunkt in der europäischen Geschichte war.“
Sie sagte, daß sie in der Nachkriegszeit geboren wurde, als die Schrecken der zwölf Jahre des Nationalsozialismus erst wenige Jahre zurücklagen, doch sie hatte Lehrer, die ihr die Werte von Platon, Schiller, der deutschen Klassik in der Musik von Bach, Haydn, Mozart, Beethoven, Brahms bis hin zu Schumann sowie natürlich Schiller vermittelten. Diese Werte gingen Hand in Hand mit der humanistischen Geschichte Deutschlands. Doch dann sei es zu einem negativen Paradigmenwechsel gekommen.
„1970 wurde von der OECD eine Bildungsreform durchgeführt, die bewußt darauf abzielte, das, was sie als ,Ballast von 2500 Jahren Bildung' bezeichneten, aus dem Bildungssystem zu entfernen. Kein Platon mehr, kein Dante mehr, kein Shakespeare mehr, kein Schiller mehr. Sie ersetzen diese durch Soziologie, Öffentlichkeitsarbeit und Werbung, sogenannte modernistische Wissenschaften, die meiner Meinung nach nicht sehr tiefgründig sind“, wie Madame Helga es ausdrückte.
Die Abkehr von den Klassikern hatte offensichtlich unerwünschte Auswirkungen auf die ästhetische Bildung, die notwendig ist, um die edle Vision der menschlichen Zivilisationen zu nähren. Abgesehen von den „modernistischen Wissenschaften“ vertreten auch die Medien im Westen, die angeblich Meinungsfreiheit genießen, oft voreingenommene Ansichten gegenüber dem Teil der Welt, den sie nicht ganz verstehen.
Wie Herr Ray McGovern gestern morgen sagte, gibt es seit acht Jahrzehnten keine freien Medien mehr.
In unserem Online-Austausch erzählte uns der freiberufliche Journalist Martin Sörös aus Österreich, er habe kürzlich, vor der 59. Sitzung des Menschenrechtsrats in Genf, einen Brief an das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte geschrieben, um ihnen seine Meinung über China mitzuteilen, basierend auf seinen eigenen Erfahrungen in der Autonomen Präfektur Tibet in der Provinz Sichuan, die er mehrfach besucht hatte. Aber „wie man sich vorstellen kann, fand der Brief keine Unterstützung, keine Beachtung, kein Interesse“, schrieb er.
Es ist bedauerlich, daß die westliche Welt nicht viel über diese Region weiß, sie aber dennoch leidenschaftlich kritisiert. Und leider stößt man, wenn man sich den „Global Update“ von Volker Türk, dem Hohen Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte, während der 59. Sitzung in Genf anhört, auf Sätze wie: „In Tibet gibt es anhaltende Verletzungen kultureller und anderer Rechte. Ich fordere die Freilassung aller Personen, die wegen der Ausübung ihrer Rechte inhaftiert sind, und die Angleichung der Gesetzgebung und Politik an die internationalen Menschenrechtsgesetze.“
Diese Voreingenommenheit zeugt von einer verwirrenden Unwissenheit, die wahrscheinlich durch eine einseitige Sichtweise manipuliert wurde.
Medienberichte und einseitige Kontakte führen Menschen in die Irre, unter anderen auch diejenigen, die für internationale Organisationen arbeiten und in ihrer maßgeblichen Position das letzte Wort für die Welt haben. Einer unserer Referenten für den Online-Vortrag am 3. Juli, Prof. Yang Minghong von der Sichuan-Universität, ist seit einem Jahr Forscher für die Autonome Präfektur Tibet in der Provinz Sichuan. Er lädt alle ein, Sichuan zu besuchen und sich persönlich ein Bild von den tatsächlichen sozialen Verhältnissen und der Bildungssituation in den tibetischen Regionen dort zu machen.
Huntington schrieb in seinem Hauptwerk Kampf der Kulturen, die westliche Zivilisation sei in der heutigen Welt mit der Herausforderung der chinesischen und islamischen Zivilisation konfrontiert. Wie ich jedoch bereits erwähnt habe, haben Geschichte und Archäologie die Wahrheit hinter den Kriegen und Konflikten in den menschlichen Zivilisationen offenbart. Ich bin überzeugt, daß es in der Natur der menschlichen Zivilisationen liegt, miteinander zu interagieren, anstatt sich gegenseitig zu bekämpfen. Tief in ihrem Herzen sehnen sich die Menschen nach einem besseren Leben in einer friedlichen Umgebung und mit freundlicher Kommunikation. Aber wie Buddhisten seit langem beobachten, sind Gier, Wut und Unwissenheit drei giftige, Leiden verursachende Eigenschaften der menschlichen Natur, die man durch die Kultivierung der eigenen Ethik, Meditationskraft und Weisheit überwinden sollte. Dies entspricht Madame Helgas Betonung der ästhetischen Bildung unter Verwendung des von Schiller inspirierten Humboldtschen Geistes.
Veränderung ist das Wesen menschlicher Zivilisationen, die sich spiralförmig nach oben entwickeln. In diesem Zusammenhang brauchen wir eine Denkweise mit einem sich ständig wandelnden Paradigma, um die Welt voranzubringen. Wenn der Paradigmenwechsel von 1970 die menschliche Entwicklung negativ beeinflußt hat, so ist ein weiterer Paradigmenwechsel heute dringender denn je – ein Wandel hin zu positiver Veränderung, zu Frieden, zu ethischer Bildung, zu interkulturellem Dialog und letztlich zur Wiederentdeckung der edlen Vision der menschlichen Zivilisation. Wenn ich von einer „edlen Vision“ spreche, meine ich menschliche Vernunft, ästhetische Werte, gegenseitige Wertschätzung und Empathie für Mitmenschen.
Die Welt steht jedoch vor tödlichen Herausforderungen, seien es regionale Kriege, Bürgerkriege, Wirtschaftskrisen, Unwägbarkeiten im Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz, Naturkatastrophen oder die Bedrohung durch Atomwaffen. Die politischen Eliten, die sich um diplomatische Lösungen bemühen, müssen einen Paradigmenwechsel vollziehen und ihr Herz öffnen, um andere Kulturen zu erreichen und Lösungen für Probleme zu finden. Überlegenheitskomplexe funktionieren nicht. Geopolitik hilft nicht weiter – nur der Dialog zwischen den Zivilisationen. Oder vielleicht auch das gemeinsame Singen; so wie gestern abend, als Frau Feride (Gillesberg) das bekannte chinesische Volkslied Kangding Love Song aus der Region Garze sang.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ich wünsche Ihnen allen einen schönen Sommer!
Anmerkung
1. http://www.sinopress.net/?p=2521
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