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Es folgt eine bearbeitete Abschrift eines EIR-Interviews vom 17. Dezember 2024 mit der rumänischen Anwältin Elena Radu, Präsidentin der Koalition zur Verteidigung der Rechtsstaatlichkeit (CDRL). Das Gespräch führte die rumänische EIR-Korrespondentin Alexandra Bellea-Noury. Zur besseren Übersicht wurden einige Fragen gekürzt. Das Interview wurde auf Rumänisch geführt und ins Englische und Deutsche übersetzt, Zwischenüberschriften wurden hinzugefügt.
Alexandra Bellea-Noury: In Deutschland fragte ein Journalist den Sprecher des Außenministeriums nach der Entscheidung des rumänischen Verfassungsgerichts (CCR) [die Präsidentschaftswahlen vom November/Dezember für ungültig zu erklären] und erhielt die Antwort, die Entscheidung des Verfassungsgerichts müsse respektiert werden, weil Rumänien eine Demokratie sei. Können Sie erklären, welche Befugnisse der Verfassungsgerichtshof in Rumänien hat und wie der Verfassungsgerichtshof seine Kompetenzen überschritten hat, indem er die Präsidentschaftswahl vom November 2024 annullierte?
Elena Radu: Gemäß der rumänischen Verfassung und Gesetzgebung, insbesondere dem Gesetz 47/1992, das die Organisation und Arbeitsweise des Verfassungsgerichtshofs regelt, ist der Verfassungsgerichtshof nur für die Überwachung und Kontrolle des Wahlverfahrens und die Bestätigung der Ergebnisse zuständig. Der Verfassungsgerichtshof ist also nicht für die Organisation von Wahlprozessen zuständig. Das Verfahren für die Wahl des Präsidenten von Rumänien wiederum ist im Gesetz 370/2004 geregelt, welches besagt, daß der CCR befugt ist, Anträge auf Annullierung der Wahlergebnisse anzunehmen, wenn bestimmte gesetzlich festgelegte Bedingungen erfüllt sind: nur in Fällen, in denen die Abstimmung und die Wahlergebnisse durch Betrug so beeinflußt wurden, daß sich die Reihenfolge der Kandidaten änderte.
Der Verfassungsgerichtshof hat mit seinem Urteil vom 6. Dezember seine Befugnisse überschritten, weil er einen gesamten Wahlprozeß annulliert hat, der auf der Grundlage von Regierungsentscheidungen organisiert wurde. Regierungsentscheidungen können von den ordentlichen Gerichten annulliert werden, nicht vom Verfassungsgerichtshof.
Außerdem hat der Verfassungsgerichtshof in der ersten Phase am 2. Dezember ... die Ergebnisse des ersten Wahlgangs bestätigt und erklärt, daß der zweite Wahlgang stattfinden sollte... Vier Tage später änderte er seine Meinung und beschloß, den gesamten Wahlprozeß für ungültig zu erklären, jedoch ohne die erste Entscheidung, die er getroffen hatte, aufzuheben. Diese erste Entscheidung wurde da vom Zentralen Wahlbüro bereits umgesetzt; die Abstimmung im zweiten Wahlgang war in den Wahllokalen im Ausland im Gange.
Bellea-Noury: Gemeinsam mit anderen Anwälten und dem Kandidaten Călin Georgescu haben Sie eine Klage eingereicht. Erzählen Sie uns mehr darüber.
Radu: Die Entscheidungen des CCR können nicht von einem anderen Gericht analysiert und aufgehoben werden. Wir befinden uns nun in einer Situation, in der die einzige staatliche Stelle, die die Wahlergebnisse annullieren kann – nicht den gesamten Wahlprozeß, nur die Ergebnisse –, diesen Wahlprozeß annulliert hat und damit ihre gesetzlichen Befugnisse überschreitet. Wir sind in einer Situation, in der wir kein gesetzlich festgelegtes Recht auf die Anrufung eines Gerichtes haben, denn da das Zentrale Wahlbüro nicht befugt ist, eine solche Entscheidung zu treffen, konnte der Gesetzgeber dies nicht vorhersehen.
Da es jedoch um Wahlrechte und das Recht auf Zugang zu einem Gericht geht, habe ich bei dem für die Rechtspflege zuständigen rumänischen Gericht einen Antrag gestellt, die Entscheidungen des Zentralen Wahlbüros, das das Urteil des Verfassungsgerichts umgesetzt hat, aufzuheben und die Regierung zu verpflichten, eine Entscheidung zur Organisation des zweiten Wahlgangs zu treffen. Diese Verpflichtung der Regierung wäre im Grunde ein Rechtsmittel gegen die Verletzung von Grundrechten…
Bellea-Noury: Am 28. November befaßte sich der Oberste Rat für Nationale Verteidigung unter dem Vorsitz von Präsident [Klaus] Iohannis mit bestimmten Geheimdienstberichten über angebliche russische Einmischung und Unregelmäßigkeiten in Georgescus Wahlkampf, die Iohannis danach freigab. Darauf basierte dann die Entscheidung des Verfassungsgerichts. Können Sie uns sagen, warum diese Geheimdienstberichte völlig amateurhaft waren?
Radu: Zunächst einmal enthalten die Geheimdienstberichte keine konkreten Angaben, sondern versuchen, Verwirrung und den Verdacht zu schüren, daß der Wahlprozeß möglicherweise beeinträchtigt worden sein könnte. Der für die Infrastruktur von Informationstechnologie und Kommunikation zuständige STS (Service for Special Telecommunications) hat bestritten, daß es in der ersten Runde zu einer Beeinträchtigung gekommen ist, die das Wahlergebnis hätte beeinflussen können.
Wenn man die Ereignisse chronologisch betrachtet und sich den Inhalt der freigegebenen Geheimdienstnotizen und die Daten ihrer Veröffentlichung ansieht, zum Beispiel eine Notiz des [Inlandsgeheimdienstes] SRI und ihren Inhalt, dann stellt man fest, daß sie erst nach der Sitzung des Obersten Rates für Nationale Verteidigung vom 28. November 2024 erstellt wurden und in Wirklichkeit ein Versuch waren, einige pro-causa-Beweise1 zu schaffen, um die Entscheidung der Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrats vom 28. November zu unterstützen. Einige Notizen existierten am 28. November eindeutig noch nicht, nämlich die SRI-Notiz vom 12. Dezember 2024 und eine andere SRI-Notiz, deren Inhalt sich auf die Anzahl der Abonnenten bezieht, die ein Telegram-Kanal am 1. Dezember 2024 hatte. Es ist klar, daß diese Notiz am 28. November noch nicht existieren konnte.
Bellea-Noury: Könnte man sagen, daß der Oberste Rat für Nationale Verteidigung erst die Entscheidung getroffen hat, Georgescu strafrechtlich zu verfolgen, und dann die Argumente dafür erfunden hat?
Radu: ... Erst als sie feststellten, daß ein Kandidat die meisten Stimmen erhalten hatte, den die Vertreter der heutigen Staatsbehörden in Rumänien mißbilligen, versuchten sie, Beweise zu finden, um den Verdacht zu erwecken, das Ergebnis wäre durch die Einmischung eines staatlichen Akteurs beeinflußt worden... Bis heute, am 17. Dezember, wurde noch kein Strafverfahren gegen irgendeine Person eingeleitet, d.h. es besteht nicht einmal ein begründeter Verdacht, daß ein rumänischer Staatsbürger etwas verbrochen hat.
Bellea-Noury: Horațiu Potra [ein privater Militärunternehmer], über den es hieß, er sei „als Georgescus Söldner auf dem Weg in die Hauptstadt, um Unruhe zu stiften“, und der vorsorglich verhaftet wurde, wurde also nicht strafrechtlich verfolgt?
Radu: ... Wenn wir uns ansehen, was nach dem 4. Dezember geschah, sehen wir, daß in Rumänien einerseits versucht wurde, die Leute einzuschüchtern. Andererseits wurde versucht, gegen Personen Strafverfahren einzuleiten, die laut den Akten tatsächlich gar nichts mit dem Kandidaten Georgescu zu tun hatten; man versuchte aber, dies in den Medien so darzustellen, daß diese Akten mit Georgescu in Verbindung gebracht würden... Selbst in den Notizen der Nachrichtendienste gibt es keinen direkten Hinweis auf den Kandidaten Georgescu oder darauf, daß der Kandidat Georgescu etwas wußte oder koordinierte! …
Bellea-Noury: Die Geheimdienstnotizen beziehen sich auf eine Kampagne in den Sozialen Medien, wie sie heutzutage jeder Kandidat durchführt.
Radu: Ja, und es ist klar, daß sie zwar von Anfang an zu dem Schluß kommen, daß gegen das rumänische Wahlgesetz verstoßen wurde, aber keine Artikel angeben, gegen die verstoßen wurde... Die Notiz des SRI ist nicht einmal eine Geheimdienstnotiz mit einer klaren Darstellung der Situation, denn – es tut mir leid – die Notizen des SRI sind so verfaßt, als hätte jemand einfach ein paar Online-Gerüchte aufgegriffen und sie auf ein Blatt Papier geschrieben. Ich glaube nicht, daß ein Geheimdienst eines Staates Papiere verfassen darf, die keine Substanz haben.
Bellea-Noury: Am 21. Dezember 2024 endet die Amtszeit von Präsident Johannis...
Radu: Gemäß der rumänischen Verfassung kann der Präsident Rumäniens eine Amtszeit von fünf Jahren haben... Die Verfassung sieht vor, daß die Amtszeit des Präsidenten nur in Ausnahmesituationen, bei Krieg oder Katastrophen, verlängert werden kann, und diese Verlängerung kann nur durch das rumänische Parlament durch ein Organgesetz erfolgen. Weder die Verfassung noch das Gesetz 47/1992 verleihen dem Verfassungsgericht Rumäniens das Recht oder die Befugnis, die Amtszeit des Präsidenten zu verlängern. In den Erwägungsgründen, die ebenso bindend sind wie die Verfügungen, erklärt das Verfassungsgericht, daß die Amtszeit des Präsidenten gemäß Artikel 83 Absatz 3 der Verfassung bis zur Vereidigung des neu gewählten Präsidenten verlängert wird. Zwei bis drei Stunden zuvor, kurz bevor diese Entscheidung getroffen und diese Gründe veröffentlicht wurden, hielt der rumänische Präsident eine Pressekonferenz ab und sagte: „Ich bleibe Präsident, bis der neu gewählte Präsident vereidigt wird, aber das wird erst passieren, nachdem das neue Parlament sein Amt angetreten hat, eine neue Regierung vereidigt wird und Neuwahlen organisiert werden.“
In der chronologischen Reihenfolge der Ereignisse sehen wir also, daß zuerst der Präsident kam und sagte: „Dieser Artikel spricht für mich“, und ein paar Stunden später sehen wir in den Erklärungen des Verfassungsgerichts genau das, was der Präsident zwei Stunden zuvor gesagt hatte – was eine Einmischung des rumänischen Präsidenten mit Hilfe der Geheimdienste in die Arbeit der Verfassungsrichter zeigt.
Bellea-Noury: Gibt es in den freigegebenen Geheimdienstberichten, auf denen die Entscheidung des Verfassungsgerichts basierte, Beweise dafür, daß Călin Georgescu von den Russen unterstützt wurde?
Radu: Keine. Der aus einem Bericht des [Auslandsgeheimdienstes] SIE entnommene Vermerk, der freigegeben wurde, liest sich wie ein Referat eines Oberschülers über potentielle Risiken für die nationale Sicherheit. Es wird nichts Konkretes geliefert. Der Beweis dafür, daß es nichts in dieser Richtung gab, ist die Tatsache, daß keiner der rumänischen Geheimdienste ... vor dem 24. November 2024 [dem Tag der ersten Wahlrunde] eine Strafanzeige erstattet hat.
Anmerkung
1. Der kausale Fehlschluß (non causa pro causa) verlagert die Ursache eines Phänomens in ein anderes, das nur scheinbar damit zusammenhängt.
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