|
|
Von Dr. Theodore Postol
Der Kernwaffenexperte Ted Postol ist überzeugt: „Es gibt nun zwei nicht erklärte Atomwaffenstaaten im Nahen Osten.“ Dr. Postol ist emeritierter Professor für Wissenschaft, Technologie und nationale Sicherheit am Massachusetts Institute of Technology und einer der weltweit führenden Experten für Atomwaffen und deren Auswirkungen. Beim wöchentlichen Treffen der Internationalen Friedenskoalition am 22. August sagte er folgendes. Die Rede wurde leicht bearbeitet aus dem Englischen übersetzt, Untertitel wurden hinzugefügt.
Ich möchte Ihnen ein wenig darüber erzählen, wie sich die Lage hinsichtlich der Verbreitung von Atomwaffen im Nahen Osten nach den Angriffen Israels und der Vereinigten Staaten auf den Iran verändert hat. Das ist eine wichtige Entwicklung.
Die Lage läßt sich einfach zusammenfassen: Es gibt jetzt zwei nicht erklärte Atomwaffenstaaten im Nahen Osten. Der eine ist bekanntlich Israel, ein nicht erklärter Atomwaffenstaat, und der andere ist jetzt der Iran. Daran besteht kein Zweifel, das möchte ich betonen. Wenn Sie an Einzelheiten interessiert sind, habe ich mehrere Briefings zu diesem Thema veröffentlicht, die ich Ihnen zur Verfügung stellen kann. Wer eine Website betreibt, kann sie auch dort veröffentlichen, wenn er mich direkt darum bittet. Darin wird erklärt, wie der Iran nun in der Lage ist, etwa zehn Atombomben mit der Sprengkraft von Hiroshima oder Nagasaki in seinem Arsenal einzusetzen.
In dem Briefing erläutere ich die technischen Möglichkeiten.1 Denn es gibt zwei entscheidende Fakten – ich betone, das sind unbestreitbare Fakten –, die zu der Schlußfolgerung führen, daß der Iran vielleicht schon eine Atommacht ist oder nach einer Entscheidung der Führung, mit der Produktion von Atomwaffen fortzufahren, in wenigen Wochen eine Atommacht sein kann.
Die Atomwaffen, die sie dann hätten, müßten nicht als nukleare Sprengkörper getestet werden; man könnte sie als Sprengkörper aus Uran-238 testen, einem nicht spaltbaren Uran-Isotop [d.h. es unterliegt nicht ohne weiteres einer Kernspaltung], um sicherzustellen, daß alle Mechanismen funktionieren. Aber wenn das Mechanische funktioniert, besteht absolut kein Zweifel daran, daß die Waffe nuklear wäre.
Tatsächlich war das auch die Situation, als die Vereinigten Staaten im August 1945 Hiroshima angriffen: Wir haben die Bombe Little Boy, mit der Hiroshima zerstört wurde, nicht einmal getestet. Sie wurde mit Uran-238 getestet, nur um sicherzustellen, daß die Mechanik funktionierte. Dann haben wir hochangereichertes Uran-235, das Waffenmaterial, verwendet, das Uran-238 ersetzt und die Bombe, die als Atomwaffe nicht getestet worden war, einfach auf Hiroshima abgeworfen. Man braucht also keinen Atomtest durchzuführen.
Nun verfügen die Iraner über Geräte, die Zentrifugen genannt werden. Diese Zentrifugen sind einfach sehr schnell rotierende Zylinder. Für Interessierte wird die Zentrifuge in dem Vortrag schematisch beschrieben. Sie dreht sich mit sehr hohen Geschwindigkeiten – 60.000 oder 70.000 Umdrehungen pro Minute. Es handelt sich um ein außerordentlich hochentwickeltes mechanisches Gerät. Wenn eine Fliege auf der Außenhülle dieser rotierenden Zentrifuge wäre, würde sie eine seitliche Kraft von einem halben Kilogramm erzeugen, die dazu führen würde, daß das Gerät wackelt und auseinanderbricht. Es muß mit äußerster Präzision konstruiert und gefertigt werden. Es handelt sich also um sehr hochentwickelte Geräte.
Die Iraner verwenden eine Kaskade, also eine Kombination solcher Geräte. In dem Vortrag habe ich die tatsächliche Konfiguration der Kaskade dargestellt, da ich diese anhand öffentlicher Daten ermittelt habe. Sie besteht aus 174 dieser Zentrifugen.
Um Ihnen eine Vorstellung davon zu geben, mit wie vielen Zentrifugen die Iraner vor dem Angriff gearbeitet haben: Sie hatten mehr als 13.000 Zentrifugen. Wir wissen nicht, ob diese 13.000 Zentrifugen alles sind, weil wir seit etwa 2021 die Produktionslinie nicht mehr überwachen können. Es könnten also noch mehr sein. Es gibt sicherlich 40-50.000 Komponenten für weitere Zentrifugen, die noch nicht zusammengebaut wurden.
Das Entscheidende bei diesen Zahlen – es tut mir leid, wenn die für einige vielleicht verwirrend klingen – ist nun, daß es für den Iran sehr einfach wäre, eine dieser Kaskaden aus 174 Zentrifugen an einem geheimen Ort zu platzieren, um angereichertes Uran für eine Atombombe herzustellen.
Um Ihnen einige zusätzliche Informationen zu geben: In dem Vortrag zeige ich, daß die Grundfläche einer Kaverne, in der diese 174 Zentrifugen untergebracht werden könnten, nicht mehr als 60 Quadratmeter, also 600 Quadratfuß, betragen würde. Das entspricht in etwa einem bescheidenen Studio-Apartment. Die Energiemenge, die man für ihren Betrieb benötigen würde, würde mehrere zehn Kilowatt betragen. Mit einem kleinen Prius-Automotor und -Generator, der 150 Kilowatt erzeugt, könnte man also die Energie an diesem geheimen, kleinen Ort erzeugen, um die Zentrifugenkaskade zu betreiben.
Wenn man diese Zentrifugenkaskade zur Herstellung von 60% angereichertem Uran-235 verwenden würde, dann würde diese Kaskade dafür etwa fünfeinhalb Jahre benötigen. Die Iraner verfügen jedoch bereits über 400 Kilogramm zu 60% angereichertes Uran-235. Um waffenfähiges Uran-235 herzustellen, müßten sie diese Zentrifugenkaskade nur etwa einen Monat, vielleicht fünf Wochen lang laufen lassen, um eine Atomwaffe zu bauen – vorausgesetzt, sie haben nicht noch mehr. Das wäre nur eine einzige kleine Kaskade aus diesen 13.000 Zentrifugen, die sie vor dem Angriff in Betrieb hatten.
Mein Punkt ist einfach, daß die mechanischen und technischen Ressourcen für die Herstellung einer Atombombe vorhanden sind. Es ist unmöglich zu glauben, daß die Iraner nicht bereits genügend Zentrifugen und Kaskaden haben, um aus den 400 Kilogramm zu 60% angereichertem Uran-235 innerhalb weniger Wochen Atombomben herzustellen.
Das bedeutet, daß die Iraner, wenn sie bisher noch nichts mit diesem Material gemacht haben – es wurde nicht zerstört, also haben sie es erfolgreich entfernt und an geheime Orte gebracht –, und sie heute beschließen würden, daß sie eine Atombombe wollen, daß sie dann wahrscheinlich bis Mitte September eine Atombombe hätten. Vorausgesetzt, sie haben nicht schon mehr gemacht; das wissen wir nicht.
Diese Situation wurde durch den Angriff der USA auf die iranischen Urananreicherungsanlagen herbeigeführt, verursacht und geschaffen. Vor diesem Angriff standen die 408 Kilogramm zu 60% angereichertem Uran-235 unter der Beobachtung der Internationalen Atomenergie-Organisation. Solange diese Materialien unter der Beobachtung und Aufsicht der Internationalen Atomenergie-Organisation standen, konnten die Iraner also nichts damit anfangen. Nach dem Angriff warfen die Iraner die Internationale Atomenergiebehörde hinaus und brachten diese wertvollen Materialien – zumindest für sie wertvoll – an geheime Orte.
Wir haben also keine Ahnung, was sie mit diesen Materialien machen. Aber wir wissen, daß sie die Materialien haben, und wir wissen, daß sie alles, was sie mit den Materialien machen müssen, mit den Ressourcen tun können, die sie bereits zur Verfügung haben.
Ich vermute – ich kann es nur vermuten –, daß die Position des Iran einfach lauten wird: „Wir sagen nicht, ob wir Atomwaffen haben oder nicht“, weil sie ein Problem mit der Reaktion von Saudi-Arabien, Ägypten und der Türkei hätten, wenn sie sich als Atomwaffenstaat deklarieren würden. Aber wenn Sie in der israelischen Staatsführung wären, würden Sie darauf wetten wollen, daß es keine nukleare Vergeltungsmaßnahme des Iran gegen Sie geben würde, wenn Sie den Iran mit Atomwaffen angreifen?
Es handelt sich also um eine nukleare Pattsituation. Und das ist potentiell eine wesentlich gefährlichere Situation als das, was hätte sein können. Vor den Angriffen wußten wir, daß der Iran keine Atomwaffen baute. Das ist eine Veränderung der globalen Lage, es geht nicht nur um den Nahen Osten. Und natürlich gibt es noch andere Probleme, die darüber hinausgehen. Aber die globale Lage hat sich verschlechtert, was die Versuchung für Staaten angeht, sich atomar zu bewaffnen. Denn dieses Verhalten [die Angriffe auf den Iran] von Atommächten – in diesem Fall die USA und Israel –, signalisiert Regierungen, die über die Fähigkeit zum Bau von Atomwaffen verfügen, aber durch internationale Beobachter eingeschränkt sind, daß sie diese internationalen Beobachter vielleicht loswerden und ebenfalls nicht erklärte Atomwaffenstaaten werden wollen. Das kann sehr schwerwiegende Folgen haben.
Hier werde ich aufhören, weil ich weiß, daß ich ziemlich viel Zeit in Anspruch nehme, aber ich wollte das einbringen, weil Helga [Zepp-LaRouche] wirklich perfekt zusammenfaßt hat, was derzeit vor sich geht. Aber ich denke, es ist wichtig, den fortschreitenden Abstieg in eine immer gefährlichere Situation, in der wir uns derzeit befinden, zu erkennen, zuzugeben und zu erklären. Und damit höre ich auf; danke.
Helga Zepp-LaRouche: Ich habe eine ganz kurze Frage. Bislang haben die Iraner immer die Fatwa gegen den Bau von Atomwaffen betont, weil dieser gegen die Überzeugungen des islamischen Glaubens verstoßen würde. Glauben Sie, daß das durch den Angriff außer Kraft gesetzt wurde?
Postol: Nun, zunächst einmal ist es wichtig zu verstehen, daß eine Fatwa eine Erklärung ist, die Autorität hat, weil sie von einem sehr wichtigen islamischen Führer stammt, einer Person mit hohem Ansehen innerhalb der Religion. Aber sie hat nicht die Kraft eines Grundgesetzes; sie kann geändert oder unter mildernden Umständen modifiziert oder sogar aufgehoben werden.
Meine Vermutung – ich wiederhole, es ist nur eine Vermutung – ist, daß der Iran eine Strategie der „strategischen Ungewißheit” verfolgen wird, weil dies meiner Meinung nach für ihn am vorteilhaftesten ist. Er wird also vielleicht nicht sagen, daß die Fatwa nicht mehr gilt, aber es gibt Bedingungen im islamischen Recht – ich habe mich tatsächlich etwas damit beschäftigt –, die es erlauben, die Fatwa außer Kraft zu setzen. Ich vermute daher, daß es für sie am besten ist, einfach nichts über eine Änderung der Fatwa zu sagen, aber anzuerkennen, daß sich die Bedingungen geändert haben könnten, und so zu handeln, als ob die Fatwa nicht existiere. Ich finde, das ist ein wichtiges Detail, und ich bin froh, daß Sie danach gefragt haben.
Anmerkung
1. https://mlm2.listserve.net/pipermail/salon/20250718/pdfusLEvb1H3W.pdf
Wie andere Zeitungen auch leidet die Neue Solidarität unter steigenden Kosten und sinkenden Abonnentenzahlen. Angesichts dieser Entwicklung ist das Weiterbestehen unserer Zeitung – jedenfalls in der bisherigen Form – gefährdet. Damit ginge dem deutschsprachigen Raum eine wichtige Stimme der Vernunft verloren.
Wir sehen uns daher – hoffentlich nur vorübergehend – gezwungen, die Erscheinungsweise von bisher acht Seiten wöchentlich auf zwölf Seiten alle zwei Wochen umzustellen.
(Für die aktuellen Meldungen empfehlen wir als Ergänzung unsere täglich erscheinenden E.I.R. Nachrichten, die den Abonnenten per
Aufrufe zur Unterstützung unserer Zeitung im vorigen Jahr halfen uns, das Defizit zu mildern, wofür wir uns bei allen Unterstützern herzlich bedanken. Aber um das weiterbestehende strukturelle Defizit wirklich zu überwinden, brauchen wir vor allem eines: mehr Abonnenten für unsere Zeitung, was auch das beste Mittel ist, das geistige Defizit im politischen Diskurs der deutschsprachigen Welt zu bekämpfen.
Nutzen Sie unsere Zeitung als ein Instrument, dies zu erreichen! Helfen Sie uns, neue Leser zu finden, und empfehlen Sie unsere Zeitung weiter.
Man kann Abonnements auch verschenken. Manche unserer Leser haben Mehrfach-
Abonnements, damit Sie die Zeitung an Interessierte weitergeben können. Und natürlich können Sie uns auch weiterhin mit Förderabonnements und Förderbeiträgen helfen.
Bankverbindungen – Empfänger: E.I.R. GmbH, Wiesbaden
Nassauische Sparkasse Wiesbaden
IBAN: DE79 5105 0015 0114 0044 99 – BIC: NASSDE55
Postbank Frankfurt
IBAN: DE93 5001 0060 0330 0216 07 – BIC: PBNKDEFF
Stichwort: Erhaltet die Neue Solidarität