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Von Dr. Ali Rastbeen
Dr. Ali Rastbeen ist Präsident der Pariser Akademie für Geopolitik, einem Mitveranstalter der Konferenz „Der Mensch ist nicht des Menschen Wolf!“ am 12.-13. Juli 2025 in Berlin. Im Zweiten Abschnitt der Konferenz hielt er den folgenden Vortrag. (Übersetzung aus dem Französischen).
Sehr geehrte Damen und Herren,
im Namen der Pariser Akademie für Geopolitik danke ich Ihnen herzlich für Ihre Anwesenheit bei dieser internationalen Konferenz. Gemeinsam mit unseren Partnern vom Schiller-Institut und dem Ostdeutschen Kuratorium der Verbände ist es uns eine Ehre, Sie in dieser für die globale Sicherheit und Stabilität kritischen Zeit zu begrüßen. Ihre Anwesenheit zeigt, daß Sie sich verpflichtet fühlen, gemeinsam über eine gerechtere, stabilere und wirklich integrative Weltordnung nachzudenken.
Seit mehr als einem halben Jahrhundert ist der Nahe Osten Schauplatz von Konflikten von außergewöhnlicher Intensität und Dauer. Seit 1970 haben diese Konflikte etwa vier Millionen Menschen das Leben gekostet – der syrische Bürgerkrieg, der Konflikt im Jemen, die israelisch-palästinensischen Zusammenstöße, die türkischen Operationen gegen die Kurden und die wachsenden Spannungen zwischen Israel und dem Iran.
Diese Gewalt ist Teil einer polarisierten geopolitischen Konfiguration:
Zwischen diesen beiden Polen versuchen Staaten wie die Türkei, Katar und der Irak, eine relative, oft fragile Autonomie zu bewahren.
Diese Rivalität wird durch religiöse, geopolitische und ideologische Spaltungen angeheizt und durch Stellvertreterkriege verlängert, bei denen die Sicherheit der Bevölkerung auf dem Altar des Einflusses und der Vorherrschaft geopfert wird.
Doch jenseits der staatlichen Probleme wird die Region von internen Dynamiken durchzogen: gebildete Jugendliche, Bürger- und Frauenbewegungen, die sich nach Veränderung sehnen. Der Arabische Frühling und die Aufstände von 2019 haben die Regime sicherlich nicht reformiert, aber sie haben Spuren, Brüche und Räume des Widerstands hinterlassen. Dieser demokratische Geist wird jedoch durch Unterdrückung, Vetternwirtschaft und Korruption geschwächt, alles Ursachen für Exil und Verzweiflung.
Welche theoretischen und praktischen Perspektiven erlauben es uns, vor dem Hintergrund einer Umstrukturierung der internationalen Ordnung, die durch normative Fragmentierung, die Schwächung des Multilateralismus und das Wiederaufleben von Machtlogiken gekennzeichnet ist, heute über den Frieden im Nahen Osten nachzudenken?
Wenn wir uns diese Frage heute stellen, müssen wir zugeben, daß die alten Ansätze zur Konfliktbewältigung versagt haben. Es bedeutet, anzuerkennen, daß der Frieden nicht durch Militärbündnisse, sogenannte „präventive“ Bombardierungen oder Sicherheitskompromisse von oben nach unten erreicht werden kann.
Unsere Antwort muß der Geschichte und der Verantwortung angemessen sein: Frieden ist ohne Recht, ohne Gerechtigkeit, ohne die Souveränität der Völker nicht denkbar. Er kann nur existieren, wenn das Gleichgewicht der Kräfte von gemeinsamen, universellen Regeln bestimmt wird, die fair angewendet werden.
Frieden erfordert die Wiederherstellung von Vertrauen, das nicht auf Vorherrschaft, sondern auf Zusammenarbeit und gegenseitiger Anerkennung beruht.
Externe Mächte haben erheblich zur regionalen Instabilität beigetragen:
Das Abraham-Abkommen hat durch die Normalisierung der israelisch-arabischen Beziehungen die palästinensische Sache absichtlich an den Rand gedrängt und sie zu einer Anpassungsvariablen in der Logik eines Sicherheitsbündnisses gegen den Iran reduziert.
Unterdessen verblaßt das internationale Recht. Die UN-Charta wird geschwächt. Einseitige Militärinterventionen (in Serbien, Irak, Libyen, Syrien, Ukraine) haben die Legitimität der UNO geschwächt und in den Gesellschaften des globalen Südens tiefe Ressentiments geschürt.
Syrien, das um den Preis einer russischen Militärintervention stabilisiert wurde, ist zu einem Symbol für das Scheitern des Multilateralismus geworden. Und der Ukraine-Konflikt ist ein weiteres Beispiel für diesen Wandel hin zu einer multipolaren Welt, in der Regeln mit roher Gewalt konkurrieren.
Heute schweigt Europa angesichts der israelisch-amerikanischen Militäroperationen und macht sich sogar mitschuldig. Seit Oktober 2023 sind in Palästina mehr als 60.000 Menschen ums Leben gekommen.
Im Iran starben in zwölf Tagen mehr als 1.000 Menschen bei Angriffen, von denen einige auf Gefängnisse gerichtet waren, in denen europäische Staatsangehörige festgehalten wurden, und andere auf zivile nukleare Infrastrukturen, was einen Verstoß gegen das humanitäre Recht darstellt.
Diese Taten sind nicht zu rechtfertigen. Sie müssen auf das Schärfste verurteilt werden.
Der Iran hat offiziell geantwortet und sich auf die Resolution 2231 und Artikel 51 der UN-Charta berufen, um sein Recht auf Selbstverteidigung geltend zu machen. Er fordert die Anwendung von Artikel 39, damit die verantwortlichen Staaten benannt und zur Zahlung von Entschädigungen gezwungen werden können.
Es ist an der Zeit, die regionale Architektur grundlegend zu überdenken. Kein Land, keine Koalition kann den Frieden aufzwingen. Frieden wird nicht verordnet, er wird aufgebaut.
Er muß auf drei Säulen beruhen:
Multipolarität wird, wenn sie nicht von gemeinsamen Normen begleitet wird, nur zu ungeordnetem Chaos führen. Sie wird nur dann zu einer Chance für den Frieden, wenn sie das Entstehen eines kooperativen, nicht-konfliktiven Gleichgewichts ermöglicht.
Und vor allem sind es die Zivilgesellschaften, die Jugend und die Frauen des Nahen Ostens, die die Saat des Wandels tragen. Sie sind es, die den kommenden Frieden verkörpern. Aber wir müssen ihnen die Mittel geben, ihn zum Ausdruck zu bringen.
Meine Damen und Herren,
der Nahe Osten ist nicht nur ein Schlachtfeld. Er ist ein Spiegel, ein Test für die Kohärenz der internationalen Ordnung. Was dort auf dem Spiel steht, geht uns alle an: Energiesicherheit, Migration, Terrorismus, Machtrivalitäten.
Einem berühmten Satz zufolge ist der Iran ein geopolitisches Hindernis: „Kein Frieden ohne Iran.“ Aber es ist das gesamte regionale System, das neu überdacht werden muß: eine gerechte, integrative, multilaterale Architektur, die auf Souveränität und Recht beruht. Wir dürfen die Menschenrechte nicht länger ausnutzen, sondern müssen sie in ihrer Universalität verteidigen. Wir dürfen Ungerechtigkeit nicht länger dulden, sondern müssen Solidarität aufbauen.
Der Frieden im Nahen Osten ist keine Illusion. Er ist eine Notwendigkeit. Und vor allem ist er eine gemeinsame Verantwortung.
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