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Neue Solidarität
Nr. 6, 8. Februar 2024

Biden vor Gericht wegen Beihilfe zum Völkermord

Von Daniel Platt und Alexander Hartmann

Das Center for Constitutional Rights (CCR) hat Mitglieder der US-Regierung verklagt, weil sie den Völkermord an den Palästinensern dulden.

Die Verfügung des IGH gegen den Staat Israel hat erhebliche politische Auswirkungen. Zu einer Zeit, in der die Neokonservativen verzweifelt versuchen, den wachsenden Einfluß der BRICS-Staaten einzudämmen, bringt sie die Vereinigten Staaten in Widerspruch zur Weltöffentlichkeit - und in Erklärungsnot im eigenen Land.

Während die US-Regierung in Den Haag nur moralisch wegen ihrer Rolle beim Völkermord in Gaza mit angeklagt war, saß sie vor dem US-Bezirksgericht für den Nördlichen Bezirk von Kalifornien auch ganz offiziell auf der Anklagebank. Dort wurde über eine Klage gegen Präsident Joe Biden, Außenminister Antony Blinken und Verteidigungsminister Lloyd Austin verhandelt, denen vorgeworfen wurde, den Völkermord an den Palästinensern in Gaza nicht verhindert zu haben und dadurch mitschuldig daran zu sein. 77 juristische und Menschenrechts-NGOs aus aller Welt, von Irland über Bahrain bis nach Indonesien, hatten als offizielle Unterstützer der Klage (amici curiae) des CCR einen 42seitigen Schriftsatz eingereicht. Darin kommen sie zu dem Schluß:

Ein weiteres Amicus-Schreiben wurde von Medizinern als Reaktion auf Israels systematische Zerstörung des Gesundheitssektors in Gaza eingereicht.

Auch wenn sich der zuständige Richter Jeffrey S. White bei der Anhörung am 26. Januar aus Gründen der Gewaltenteilung gezwungen sah, die Klage abzuweisen, machte er deutlich, daß er gerne anders entschieden hätte, und sagte:

Der Richter erkannte zwar an, daß „das Gericht verpflichtet ist, sich innerhalb der Grenzen seiner Zuständigkeit zu bewegen“, betonte aber: „Es ist die Pflicht jedes einzelnen, sich mit der laufenden Belagerung in Gaza auseinanderzusetzen.“

„Wer für Völkermord stimmt, muß mit Konsequenzen rechnen“

Eingereicht wurde die Klage vom Center for Constitutional Rights (Zentrum für Verfassungsrechte, CCR). Die Organisation mit Sitz in New York wurde 1966 von Arthur Kinoy, William Kunstler und anderen gegründet, um die Bürgerrechtsgesetze und andere progressive Anliegen mit Gerichtsverfahren zu unterstützen. Sie ist besonders für das Verfahren „Habib gegen Bush“ bekannt, eine erfolgreiche Klage im Jahr 2004, mit der das Recht von Gefangenen im US-Militärgefängnis Guantanamo Bay auf Kuba auf Anfechtung ihres Status vor US-Gerichten und auf Rechtsvertretung durchgesetzt wurde. Das CCR hat dort inhaftierte Personen vertreten und die Freilassung vieler Gefangener erreicht.

Katherine Gallagher, eine leitende Anwältin beim CCR, die den Völkermord-Fall vor Richter White vertrat, sagte zu der Abweisung der Klage: „Das Gericht hat bestätigt, daß die palästinensische Bevölkerung in Gaza eine Kampagne zur Ausrottung eines ganzen Volkes erduldet - Völkermord - und daß die unermüdliche Unterstützung Israels durch die Vereinigten Staaten das Töten ... und die Hungersnot ermöglicht...“

Diala Shamas, eine weitere leitende CCR-Anwältin, wird zitiert: „Um es klar zu sagen, das ist alles andere als ein Sieg für die US-Regierung. Es ist beispiellos und vernichtend, daß ein Bundesgericht quasi bestätigt hat, daß Israel einen Völkermord begeht...“

Bereits am 3. November, als der US-Kongreß gerade Präsident Bidens Antrag auf Finanzhilfe und Waffen für Israel prüfte, hatten drei juristische Bürgerrechtsorganisationen, die U.S. National Lawyers Guild, Palestine Legal und das CCR, allen Senatoren und Abgeordneten ein Mahnschreiben übermittelt, in dem sie diese vor ihrer möglichen Mitschuld am Völkermord warnen. Darin hieß es u.a.:

In einer Pressekonferenz des Außenministeriums am 6. November verlas ein Reporter diese Warnung an die Abgeordneten und fragte dann den stellvertretenden Außenamtssprecher Vedant Patel, ob etwas Ähnliches auch für die Mitarbeiter des Ministeriums gelte. Patel antwortete: „Die US-Regierung hat ein strenges Verfahren, um zu beurteilen, ob etwas einen Völkermord darstellt, und wir sind in diesem Fall nicht zu dieser Beurteilung gekommen.“

Übersetzt: Ob etwas Völkermord ist oder nicht, das entscheiden wir selbst. Aber es ist die Frage, wie lange die Weltöffentlichkeit und die Bevölkerung diese Entscheidung einer Regierung akzeptiert, deren Ansehen immer schneller dahinschwindet.

Auch die Briten betroffen

Auch britische Regierungsmitglieder könnten zur Rechenschaft gezogen werden. Der ehemalige britische Botschafter in Usbekistan, Craig Murray, schrieb auf seinem Blog dazu einen Artikel mit der Überschrift „Sunak, Cleverly und Shapps könnten wegen Völkermordes vor dem Old Bailey angeklagt werden“ (Sunak ist Premierminister, Cleverly Innenminister und Shapps Verteidigungsminister; Old Bailey ist das Krongericht für wichtige Strafverfahren.) Murray schreibt dort:

Ähnlich sieht es der norwegische Außenminister Espen Barth Eide. In einem Interview mit der linken Zeitung Klassekampen, das am 31. Januar veröffentlicht wurde, erklärte er, die vom IGH beschlossenen vorläufigen Maßnahmen seien „sehr wichtig“ und „gut begründet“ und „genau das, was Norwegen die ganze Zeit gesagt hat… Die humanitären Rechte müssen ebenso aufrechterhalten werden wie die Forderung nach mehr humanitärer Hilfe.“

Eide wies darauf hin, daß die vorläufigen Maßnahmen Konsequenzen für die Länder haben, die Israel durch Waffenexporte unterstützen. „Wir tun das nicht, und darüber bin ich froh. Aber die Länder, die das tun, sollten definitiv überdenken, ob sie indirekt Partner bei einem potentiellen Völkermord sind“, zitiert Klassekampen Eide.