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Neue Solidarität
Nr. 46, 14. November 2024

Wie vom Donner gerührt

Von Scott Ritter

Scott Ritter war Waffeninspektor der Vereinten Nationen im Irak. Im Rahmen der „Konzertkundgebung“ der LaRouche-Kandidaten Diane Sare und José Vega am 26. Oktober 2024 in New York sagte er folgendes.

Vielen Dank, es ist mir eine Ehre und ein Privileg, heute hier bei Ihnen zu sein. Ich hätte nie gedacht, daß ich einmal auf eine Bühne gehen würde, nachdem ich einen Chor „gegen die Gespenster des Krieges“ gehört habe. Übrigens ist das eine gute Sache, dagegen zu sein.

Aber ich verkörpere sozusagen das, wogegen sie singen, wenn man sich meinen Lebenslauf ansieht: Ich bin die lebende Verkörperung eines Kriegsgespenstes. Das bin ich! Ich habe mein ganzes Leben lang damit gekämpft. Es ist wie eine Sucht. Und ich gebe zu, ich bin kriegssüchtig. Ich bin mit dem Krieg aufgewachsen; er war Teil meines Erwachsenenlebens. So habe ich mich so viele Jahre lang definiert. Es ist ein tief verwurzelter Teil dessen, wer ich bin, und etwas, das ich anerkennen muß, wenn ich mich mit der Welt von heute auseinandersetze.

Ich glaube sicher nicht, daß Diane [Sare] und José [Vega] mich hierher eingeladen haben, um den Krieg zu verherrlichen, ganz im Gegenteil. Aber man kann den Frieden nur schätzen, wenn man versteht, welche Folgen es hat, wenn man keinen Frieden schafft. Die Folge, wenn man keinen Frieden schafft, ist Krieg, Tod und Zerstörung.

Das Lied, das mich hierher bringen sollte, war das Lied, das ich im Kopf hatte, als ich für mein Land in den Krieg zog, es war Thunderstruck von AC/DC.1 Nichts für ungut, Leute [an den Chor gerichtet], ihr seid großartig! Aber Thunderstruck ist das Lied des Krieges. Es ist das Lied, das ich hörte, als es im September 1990 herauskam, als wir uns auf den Einsatz im Nahen Osten vorbereiteten, um Saddam Hussein für die Invasion Kuwaits zu stellen: Thunderstruck.

Als ich dem US-Zentralkommando in Riad zugeteilt wurde, bestand eine meiner Aufgaben darin, irakische SCUD-Raketen aufzuspüren. Ich ging zu den Kameraleuten, die alle Videoaufnahmen der F-15, A-10 und F-16 hatten, als sie mutmaßliche SCUD-Stellungen bombardierten. Ich schnitt sie zusammen – ich war damals ein Offizier für die Gefechtsfeldbewertung –, und ich spielte dabei Thunderstruck. Das war ziemlich cool. Denn man sieht das Video von dem Ding, und im Krieg ist es nicht wie in Hollywood, Leute. Während das Flugzeug auf das Ziel zufliegt, ist das Video etwas körnig; es ist nicht sehr scharf, die Auflösung ist nicht besonders gut. Aber dann sieht man dort unten einen weißen Klecks. Und man sagt: „Okay, das ist es.“ Dann kommt die Schußfreigabe – Bumm! Thunderstruck! Das war fantastisch. So fantastisch, daß ich es als ein Marine nicht ertragen konnte, den ganzen Krieg nur hinter einem Schreibtisch zu sitzen. Nein, ich mußte selbst da rein!

Das war meine Zeit. Das war mein Lieutenant-Dan-Moment; ihr wißt, wovon ich spreche, Forrest Gump2 – dazu bestimmt, für sein Land zu sterben. Und ich saß sicher hinter einem Schreibtisch. Ich hätte immer nur Bilder ansehen und Rock 'n' Roll hören können, und so würde der Krieg für mich vorübergehen. Aber das wollte ich nicht, ich mußte mittendrin sein, schließlich war ich ein Marine.

Also habe ich darum gebeten, mir einige dieser zerstörten Orte ansehen zu dürfen. Ich sagte, wir brauchen einen Mann vor Ort, der sich das ansieht, um zu sehen, was wir zerstören, damit wir feststellen können, ob es ein echtes Ziel ist oder nicht. Wenn es nicht echt ist, warum bombardieren wir es dann; und wenn es echt ist, wie können wir es besser bombardieren? Und sie stimmten zu. Sie stellten den Kontakt zu einem SEAL-Team her. Ihr kennt doch die SEALs? Amerikas beste Truppe, behaupten sie selbst. Als Marine werde ich ihnen das natürlich nie zugestehen.

Diese Jungs bedienen sogenannte schnelle Angriffsfahrzeuge, mit denen sie dort rasend schnell anfahren. Ihre Aufgabe war es, Piloten zu retten. Ich wollte, daß sie mich mitnehmen, damit ich mir die Trümmer ansehen konnte. Zuerst zögerten sie, aber schließlich konnte ich sie überzeugen. Ich zog in den Krieg! Das war mein Lebenstraum! Wir haben dafür geübt, wir haben uns vorbereitet. Und in der Nacht, in der wir in Isolation waren und starten wollten, würde ich in den Krieg ziehen.

Doch dann bekamen wir einen Anruf: „Abbruch!“ Jemand hatte sich eines der Videos angesehen, die ich zur Zielauswahl verwendet hatte. Sie hatten Bilder mit höherer Auflösung, um es sich genauer anzusehen. Dieser weiße Fleck auf dem Boden, den ich inspizieren wollte, ob zu sehen, es sich um zerstörte Raketen handelte oder nicht: Es stellte sich heraus, daß es sich um ein Beduinenzelt handelte, und alles, was wir darin finden würden, war eine Familie von etwa 16 bis 20 toten Beduinen und ihren Schafen. „Thunderstruck.“

Jetzt war ich enttäuscht, aber nicht aus den Gründen, aus denen man meinen sollte, daß ich es sein sollte. Nein. „Wir haben ein paar Beduinen getötet, was soll's.“ Ich war enttäuscht, weil ich nicht in den Krieg zog! Ich saß in dieser Nacht da und starrte hinauf zu den Sternen und bemitleidete mich selbst. Neben mir saß ein australischer Verbindungsoffizier. Wir starrten beide hinauf, es war eine wunderschöne Nacht. Da waren die Sterne. Und ich begann einfach, mich selbst zu projizieren; denn ich war wirklich deprimiert. Ich war zutiefst deprimiert, weil ich nicht in den Krieg ziehen würde. Thunderstruck.

Ein besonderer Moment

Aber als ich mich so in mich selbst zurückzog, wurde mir etwas klar: „Moment mal.“ Ich ließ mich in den Himmel hineinziehen. Ihr habt doch bestimmt davon gehört, wie die amerikanischen Astronauten zum Mond flogen und auf die Erde zurückblickten und den blauen Planeten sahen? Sie waren einfach nur begeistert, sie hatten eine ganz neue Perspektive. Das nennt man den „Overview-Effekt“. Jeder, der schon einmal im Weltraum war, hat den Overview-Effekt erlitten. Ich sage „erlitten“, aber ich denke, es ist ein Segen, denn es läßt einen erkennen, wie zerbrechlich das Leben ist.

In dieser Nacht hatte ich den Overview-Effekt. Ich versetzte mich in den Himmel und erkannte, daß der Luftwaffenstützpunkt, auf dem ich war, eigentlich nur ein Teil eines großen Wüstenstücks war, das wiederum Teil eines noch größeren Wüstenstücks war; das wiederum Teil eines Segments eines Globus war, der rund war. Und je weiter ich mich entfernte, desto kleiner wurde der Globus und desto weniger bedeutsam wurde dieser Krieg. Nicht nur weniger bedeutsam, sondern irrelevant; nicht nur irrelevant, sondern völlig unnötig. Warum zum Teufel war ich so darauf fixiert, rauszugehen und irakische SCUD-Raketen zu zerstören? Das Leben bedeutete so viel mehr. So viel mehr! Ich hatte einen dieser Momente der Klarheit, in denen ich nicht mehr in den Krieg ziehen wollte. Ich wollte, daß dieser Krieg vorbei ist, ich wollte nach Hause.

Am nächsten Morgen stand ich auf, als es an meiner Arbeitsnische klopfte. Einige Typen mit langen Haaren und Schnurrbärten sagten: „Hey, sind Sie der Typ, der nach SCUDs sucht?“ Ich sagte: „Ja.“ Sie brachten mich in einen Raum und zeigten mir ein paar Videobänder. Ich sagte: „Mein Gott! Das ist ein SCUD-Täuschkörper.“ Sie antworteten: „Ja.“ Ich fragte: „Wer hat das getan?“ Sie antworteten: „Das können wir Ihnen nicht sagen, aber kommen Sie mit.“ Und sie stellten mich einer neuen Gruppe vor, die auf der Jagd nach SCUDs war.

Lange Rede, kurzer Sinn: Ich wurde zu einer anderen Basis in Saudi-Arabien geschickt, und ich ziehe wieder in den Krieg. Und ich bin wieder begeistert. „Mein Gott, ich darf in den Krieg ziehen! Ich darf es tun. Mein Lebenstraum geht in Erfüllung.“ Ich war sehr aggressiv in dieser Hinsicht – zu aggressiv. General Schwarzkopf, der Kommandeur, erfuhr, daß ich in den Westirak versetzt werden wollte, um diesen SCUD-Täuschkörper zu erbeuten und zurückzubringen. Er ließ mich verhaften. Jawohl, er ließ mich verhaften und nach Riad zurückfliegen, wo ich mich vor Gericht verantworten sollte. Die Anklage wurde fallen gelassen, weil sie erkannten, daß ich nur ein junger Marine-Captain war, der in den Krieg ziehen wollte, wie es alle jungen Marine-Captains tun.

Ich denke zurück: Ich habe wirklich hart gekämpft; ich habe mich mit den Delta-Jungs getroffen – das sind die Delta Forces, ich verrate hier ein Geheimnis. Wir hatten die Operation geplant. Ich hatte mich mit den Jungs der Taskforce 160 getroffen, das sind die Hubschrauber-Jungs. Wir hatten die gesamte Mission geplant. Wir sollten einfliegen, Delta sollte die Landezone sichern, ich sollte rausgehen, beim Festzurren helfen, es [den SCUD-Täuschkörper] unter eine MH-47 bringen, und wir wollten es wieder hinausfliegen. Wow; Thunderstruck!

Ein paar Jahre später war ich UN-Waffeninspekteur im Irak. Wir sprachen mit den Irakern, die für die SCUD-Raketen und dergleichen verantwortlich waren. Ich durfte einen General interviewen; es war eher wie ein Verhör des Generals und einiger seiner Offiziere. Sie sprachen über diese Zeit. Und ich erwähnte, daß wir tatsächlich vorhatten, eine davon zu erbeuten. Er sagte: „Wirklich! Wo?“ Ich zeigte auf die Karte. Er sagte: „Wann wollten Sie das tun?“ Ich nannte ihm das Datum. Sie holten die Dokumente heraus. Sie hatten uns in dieser Nacht eine Falle gestellt. Wären wir in dieser Nacht geflogen, wäre ich nicht hier. Ich wäre wahrscheinlich tot, weil sie auf uns gewartet haben. Es war ein Akt Gottes, den General [Schwarzkopf] so sehr gegen mich aufzubringen, daß er mich verhaftete und die Mission absagte. Aber wenn wir die Mission durchgeführt hätten, wäre ich tot, und ein Haufen anderer Amerikaner auch. Thunderstruck.

Ich denke daran zurück. War das eine göttliche Intervention? Ich weiß es nicht. Aber mir ist klar, daß dieser Moment mit dem Overview-Effekt, als ich mich zurücklehnte und die Welt betrachtete, vielleicht die Tür in mein schwarzes Herz geöffnet hat, damit jemand herabschauen und sagen kann: „Das ist eine Seele, die erlöst werden könnte. Das ist eine Seele, für die es Hoffnung gibt. Das ist eine Seele, mit der ich etwas anfangen kann.“ Also ließ er mich leben. Und seitdem versuche ich, meine dunkle Vergangenheit wieder gut zu machen. Thunderstruck.

Ich bin heute hier wegen Menschen wie Diane Sare und José Vega. Menschen wie Sie, die hier sind, um ihnen zuzuhören, sie zu unterstützen. Menschen wie Sie, die die Lieder des Friedens singen. Menschen wie wir alle, die das Leben schätzen. Wir sollten alle den Overview-Effekt erleben. Nehmen Sie sich einen Moment Zeit, lehnen Sie sich zurück, betrachten Sie die Welt von außen und verstehen Sie, wie zerbrechlich sie ist und wie überaus wichtig es ist, daß wir alle mit aller Kraft daran arbeiten, die Macht zu bewahren, mit der uns das Schicksal gesegnet hat.

Ich möchte Ihnen noch einmal dafür danken, daß Sie heute hierhergekommen sind. Danke, daß Sie Diane unterstützen, daß Sie José unterstützen. Danke, daß ihr so seid, wie ihr seid; danke, daß ihr dem Frieden dient. Thunderstruck.


Anmerkungen

1. Thunderstruck = engl. „Wie vom Donner gerührt“.

2. Lieutenant Dan Taylor ist in dem Film Forrest Gump ein Freund des Titelhelden, sie lernen sich im Vietnamkrieg kennen, wo Taylor unbedingt kämpfen will und dann beide Beine verliert.