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Neue Solidarität
Nr. 45, 7. November 2024

„Wir haben unseren Sinn für ein gemeinsames Ziel verloren“

Von Russ Dobular

Russ Dobular gehört zu den Autoren des Internetportals „Due Dissidence“, einer Plattform für bissige politische Kommentare.

In meinem Vertrag stand, ich bekäme eine Holzkiste zum Draufstehen! [scherzhafte Anspielung Dobulars an seine geringe Körpergröße].

Als ich kürzlich mit José [Vega] bei Sylvia's einen Sonntagsbrunch einnahm und wir, inmitten gerahmter Fotos von Berühmtheiten aus Harlem, Hühnchen und Waffeln aßen, kam mir eine Frage in den Sinn, die mich nach einer kürzlichen Reise nach Griechenland ernsthaft beschäftigte. Da ich den unerschütterlichen Humanismus Josés und der LaRouche-Bewegung und ebenso ihre Bewunderung für die klassische Zivilisation kenne, fragte ich ihn, wie er das damit vereinbaren kann, daß die Menschen in der Antike barbarische Sklaverei praktizierten. Er antwortete, indem er auswendig ausführlich Platon zitierte.

Ich dachte, wie seltsam es doch ist, daß dieser Kerl aus der South Bronx eines der wenigen Produkte einer klassischen Bildung in unserem Land ist. Nicht die neokonservative Art, von der man in Hillsdale spricht, oder die eigennützige, sogenannte Anti-Woke-Art, die sie an der University of Austin des zionistischen Psychopathen Barry Weiss lehren, oder was auch immer der doppelgesichtige Jordan Peterson seiner leichtgläubigen und verzweifelten Online-Fangemeinde aufschwatzen mag; sondern die echte Art. Die Art, die AOC [die Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez] nachts wach hält, wenn sie ihre vielen Begegnungen mit Jose noch einmal durchlebt, in denen er den Part ihrer verlorenen Prinzipien spielt.

Lange bevor die Analyse, warum Zivilisationen scheitern, zu einem beliebten Thema für Verlage und Online-Autoren wurde, wagte der muslimische Gelehrte Ibn Chaldun im 14. Jahrhundert in seinem Geschichtsklassiker Muqaddimah eine Vermutung. Er stellte die Hypothese auf, daß es – mehr als Reichtum, mehr als Land und mehr als das Regierungssystem – die Asabiyyah ist, die das Schicksal von Nationen und Imperien bestimmt. Das läßt sich grob als „gemeinsame Ziele“ übersetzen. Laut Chaldun liegt der Grund dafür, daß 300 Krieger einen Bergpaß gegen Zehntausende halten können, oder daß ein Bündnis mongolische Nomadenreiter die ganze zivilisierte Welt erobert, oder daß ein Haufen unerfahrener lokaler Milizen das Britische Empire auf dem Höhepunkt seiner Macht besiegt, nicht allein in materiellen Ressourcen, taktischen Vorteilen oder der sozialen Struktur. Wenn dem so wäre, würden wir immer noch unter dem grausamen Joch der britischen Küche leiden. Es ist Asabiyyah, die den Unterschied ausmacht.

Wenn Sie also fragen, warum eine Nation, die Unglaubliches erreicht hat – Dinge, die damals unmöglich schienen –, sich heute so geistig, intellektuell und moralisch bankrott fühlt, daß sie ihre Straßen und Brücken nicht mehr reparieren kann, ihre Bevölkerung nicht mehr medizinisch versorgen kann oder ihren eigenen Klientelstaat nicht mehr davon abhalten kann, einen Völkermord zu begehen. Wenn wir uns fragen, wie wir zu einem Ort werden konnten, an dem eine Prostituierte wie Ritchie Torres [Gegenkandidat von José Vega in der Bronx] überhaupt für ein Amt kandidieren kann, dann haben wir viel gewonnen. Wenn wir uns fragen, warum wir scheinbar nichts mehr richtig machen können, obwohl wir früher weit größere Herausforderungen als heute mit weit weniger Ressourcen gemeistert haben, dann lautet die Antwort, laut Ibn Chaldun, daß wir unsere Asabiyyah verloren haben: Wir haben unseren Sinn für ein gemeinsames Ziel verloren.

Ich denke, das ist beabsichtigt. Wir [Amerikaner] wurden so gründlich zersetzt und gegeneinander aufgebracht, daß viele sich reflexartig unwohl fühlen, wenn das amerikanische Experiment in irgendeiner anderen als der negativsten Weise charakterisiert wird. Einige würden sagen, diese unerbittliche Negativität sei ein notwendiges Korrektiv von zwei Jahrhunderten Cowboy-und-Indianer- und Song of the South-Verzerrungen. Das mag sein.

Aber wir haben die Ausfahrt „Ausgewogen“ auf dem Highway der revisionistischen Geschichte schon vor einiger Zeit verpaßt. Wir befinden uns nun mitten in einer Selbstgeißelung, die uns allen wehtut. Warum? Warum werden wir dazu ermutigt, uns selbst und einander zu hassen? Wer möchte, daß wir unser Selbstverständnis als „ein Volk“ verlieren? Wir sollten dieses Rätsel wie Detektive oft mit einer einfachen Frage angehen: Cui bono? Wem nützt es?

Nun, wenn man die letzten 50 Jahre damit verbracht hat, der Unterschicht Reichtum zu entziehen, und man dann, wenn ihnen das Geld ausgeht, zur Mittelschicht übergeht und die jetzt auch pleitegeht, dann wendet sich die unersättliche Gier schließlich auch gegen die obere Mittelschicht – so daß die Umstände schon bald geradezu mittelalterlich werden, mit einem Cyber-Landadel, der von der Miete und digitalen Ernte der großen Masse der ungewaschenen, arbeitenden Armen lebt.

Dann gibt es nur eine Sache, die man fürchten muß: daß Menschen gemeinsame Sache machen: Asabiyyah. Oder, wie die Linke es nennt, Solidarität.

José und Diane gehören zu den wenigen Aktivisten, die ich kenne, die nicht in die Falle getappt sind, das Land zu hassen, das sie repräsentieren möchten – und die verstehen, daß wir die schlimmsten Teile unseres Erbes niemals überwinden können, ohne das Beste in uns zu finden. Hoffnung, Optimismus, Idealismus, Erfindungsreichtum, Nächstenliebe, Selbstvertrauen, Mißtrauen gegenüber Eliten und die Bereitschaft, mit Traditionen zu brechen, um das Seltenste auf der Welt zu finden: etwas Neues unter der Sonne.

Wenn wir die häßlichsten Teile unserer Geschichte wiedergutmachen wollen, wenn wir all dem sinnlosen Schmerz, den wir einander und uns selbst zugefügt haben, einen Sinn geben wollen, dann werden wir als Amerikaner eine neue Welt mit amerikanischen Merkmalen schaffen.

Dazu brauchen wir neuartige Führungspersönlichkeiten, die uns mit unserer Vergangenheit versöhnen und die Lehren daraus ziehen kann, um eine bessere, gerechtere, ausgewogenere, humanere und wohlhabendere Zukunft zu schaffen, in der wir in Frieden mit allen Menschen leben – und endlich, endlich, auch mit uns selbst!

José und Diane sind solche Führungspersönlichkeiten. Und deshalb müssen wir alles in unserer Macht Stehende tun, um ihre Stimmen in diesem Wahlkampf und in den kommenden Jahren zu stärken.