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Neue Solidarität
Nr. 44, 31. Oktober 2024

Blockfreie Politik statt Ost-West-Konflikt

Tun Dato Seri Dr. Mahathir bin Mohamad war 22 Jahre lang Premierminister von Malaysia, von 1981 bis 2003 und dann erneut von 2018 bis 2020. Er war 2003 auch internationaler Generalsekretär der Blockfreien-Bewegung und hatte in seiner langen Karriere in Malaysia viele Positionen in der Regierung und im öffentlichen Leben inne. Der EIR-Redakteur Michael Billington sprach am 6. Oktober mit Dr. Mahathir, der EIR schon 1999 und 2014 Interviews gegeben hatte, über die globale Kriegsgefahr, die wachsenden Spannungen in Ostasien, die Notwendigkeit eines neuen globalen Finanzsystems, die Perspektive der BRICS und den Wiederaufstieg der Blockfreien-Bewegung.

   (Leicht gekürzte Übersetzung aus dem Englischen, das Video des Interviews finden Sie im Youtube-Kanal des Schiller-Instituts)

Michael Billington: (…) Dieses Interview findet in einer Zeit statt, die vielleicht die größte Gefahr in der jüngeren Geschichte, vielleicht sogar in der gesamten Menschheitsgeschichte darstellt, weil wir uns rasch auf einen Krieg zwischen Atommächten zubewegen, der alles Leben auf der Erde zerstören könnte. Die Vereinigten Staaten haben offen erklärt, daß sie Rußland „schwächen“ oder sogar „zerstören“ wollen, und Präsident Putin hat auf die Drohung der USA und der NATO, der Ukraine den Einsatz von Langstreckenraketen der NATO tief in russisches Gebiet zu gestatten, mit der Warnung reagiert, Rußland würde dies als Angriff der NATO ansehen und entsprechend antworten.

Sie haben ebenso wie wir von EIR gewarnt, daß die Welt auf eine so katastrophale Krise zusteuert, und jetzt sind wir an dem Punkt angelangt. Im Juni sagten Sie der japanischen Nachrichtenagentur Nikkei: „Wir steuern möglicherweise auf einen dritten Weltkrieg zu, denn wenn man Rußland zu sehr unter Druck setzt und den Anschein erweckt, Rußland erobern zu wollen, dann könnte es sein, daß Rußland Atomwaffen einsetzen will. Das wäre zum Schaden der ganzen Welt.“ Wie denken Sie darüber und was muß Ihrer Meinung nach getan werden?

Dr. Mahathir bin Mohamad: Das Seltsame daran ist, daß die Westmächte und Rußland im Krieg gegen Nazi-Deutschland Partner waren. Doch unmittelbar nach der Niederlage Deutschlands gründete die Westmächte die NATO als Militärbündnis, das sich gegen ihren ehemaligen Partner Rußland richtete. Und so wuchs die Spannung. Es scheint, als bräuchten die Westmächte ständig einen Feind. So ging es auch während des Kalten Krieges weiter. Und jetzt wollen sie immer noch, daß die ehemaligen Länder des Warschauer Pakts der NATO beitreten.

Das ist eine Bedrohung für Rußland, und bekanntlich hat die Ukraine eine sehr lange Grenze mit Rußland. Rußland hat Einwände gegen den NATO-Beitritt der Ukraine erhoben. Ich sehe nicht ein, warum die Ukraine der NATO beitreten sollte; die Beziehung zu Rußland war in Ordnung und die Beziehung zum Westen war auch in Ordnung, also besteht keine Notwendigkeit, der NATO beizutreten. Aber man bestand darauf, daß die Ukraine der NATO beitreten sollte. Rußland kam dem zuvor, und jetzt herrscht Krieg zwischen Rußland und der Ukraine. Die Ukraine kann diesen Krieg nicht gewinnen, weil Rußland seine Niederlage nicht zulassen wird. So könnte eine Situation entstehen, in der jemand nachgeben muß, weil sonst der Krieg eskaliert und das westliche Bündnis gegen Rußland ins Spiel kommt. Die Haltung dahinter ist, daß der Krieg das Problem lösen würde, aber Krieg wird das Problem nicht lösen. Kriege führen zu größeren Kriegen, zu einem dritten Weltkrieg. Das ist meine Befürchtung.

Billington: In der Tat. Gleichzeitig zeigt Israel, daß es sich in keiner Weise an das Völkerrecht hält, es begeht einen Völkermord an den Palästinensern und versucht nun, den Iran in einen größeren Krieg zu verwickeln, wobei es wahrscheinlich erwartet, daß die USA mitmachen. Die derzeitige Regierung in Malaysia hat, wie Sie auch, die israelischen Verbrechen scharf verurteilt. Auch das kann in einem Atomkrieg enden. Wie sollte man Ihrer Meinung nach mit der Krise im Nahen Osten umgehen?

Dr. Mahathir: Israel verhält sich nur deshalb so, weil es sich der Unterstützung der USA sicher sein kann. Jeder, der sich gegen Israel stellt, kann es mit den USA zu tun bekommen, und die USA haben den israelischen Völkermord in Gaza offenbar unterstützt. Das ist sehr seltsam, denn normalerweise sprechen die USA viel über Menschenrechte und dergleichen. Aber im Hinblick auf Israel ist der Völkermord in Gaza nur möglich, weil die USA ihr Veto einlegten, um zu verhindern, daß Maßnahmen gegen Israel ergriffen werden. Deshalb werden wir weiter erleben, daß Israel sich wie eine Großmacht verhält und alle internationalen Gesetze bricht, weil die USA hinter ihm stehen. Tatsächlich sind es eigentlich die USA, die hinter dem Völkermord in Gaza stehen.

Billington: Es gibt noch einen dritten Schauplatz für einen möglichen Krieg zwischen Atommächten, nämlich Asien, weil die USA unbedingt einen Konflikt mit China heraufbeschwören wollen und fordern, daß die ASEAN (Verband Südostasiatischer Nationen) und andere asiatische Länder sich ihnen anschließen. Japan und Korea haben schon eine militärische Bindung an die Vereinigten Staaten aufgebaut, und das ASEAN-Mitglied Philippinen hat den USA erlaubt, dort Stützpunkte einzurichten, während Washington sogar gemeinsame Marinepatrouillen im Südchinesischen Meer vorschlägt, was schnell zu einem offenen militärischen Konflikt zwischen den USA und China führen würde. Wie sehen Sie das?

Dr. Mahathir: Die Beziehung zwischen China und Taiwan ist ein wenig seltsam, denn China könnte Taiwan eigentlich erobern, wenn es das wollte. Aber China findet, daß Taiwan für China nützlich ist, weil Taiwan viel in China investiert, und chinesische Touristen reisen nach Taiwan. Außerdem hat Taiwan Zugang zu Technologien, an denen China interessiert ist. China behält also den Anspruch, daß Taiwan ein Teil Chinas ist, macht aber keine Anstalten, Taiwan durch eine Invasion zu übernehmen. Man sollte es so belassen.

Leider hat die Sprecherin des US-Kongresses [Nancy Pelosi] Taiwan besucht, und sie weiß sehr gut, daß das China provoziert. Und genau das ist passiert. China wollte seine militärischen Fähigkeiten unter Beweis stellen, und Taiwan wurde nahegelegt, seine militärischen Fähigkeiten durch den Kauf von mehr Waffen aus den USA zu verbessern. So kam es plötzlich zu einer Verschärfung der Spannungen, und nun stehen wir vor einer möglichen gewaltsamen Konfrontation zwischen Taiwan und China, die auch die Vereinigten Staaten einbeziehen könnte.

Natürlich verhält sich China manchmal seltsam, etwa mit der Behauptung, das gesamte Südchinesische Meer sei ein Teil Chinas. Aber das läßt sich nicht durch einen Krieg lösen. Man kann es nur durch Verhandlungen lösen, denn wenn es zu einem Krieg kommt, wäre der Schaden für alle ASEAN-Länder und für China schrecklich.

Ich denke also, die USA versuchen, die ASEAN-Länder dazu zu bringen, China die Stirn zu bieten. Aber die ASEAN-Länder sind sehr schwach und nicht in der Lage, gegen China zu kämpfen. Malaysia beispielsweise möchte sich den chinesischen Markt erschließen, und das gilt auch für die anderen ASEAN-Länder. Warum sollten wir uns also gegen China stellen? Ja, China erhebt Anspruch auf Taiwan, aber sie sind nicht in Taiwan einmarschiert.

Billington: Was halten Sie von der Situation mit den Philippinen, und wie wirkt sich das auf den Rest der ASEAN aus, daß sie sich auf diese Weise mit den USA gegen China engagieren?

Dr. Mahathir: Als China noch ein ganz schwaches Land der Dritten Welt war, hat Malaysia Anspruch auf ein Atoll im Südchinesischen Meer erhoben und dort Einrichtungen gebaut. Die Philippinen taten das gleiche mit dem Commodore-Riff, aber sie haben sich zurückgezogen. Und als sie sich zurückzogen, war das Commodore-Riff unbewohnt, und die Chinesen zogen ein, nachdem sie behauptet hatten, das Südchinesische Meer gehöre ihnen. Aber selbst ein solcher Schritt kann nicht durch einen Krieg gegen China beigelegt werden. Die Philippinen sind nicht in der Lage, gegen China zu kämpfen. Und wenn die USA sich einmischen, wird es zu einem neuen Weltkrieg kommen. Daher ist es besser, wenn China und die Philippinen untereinander eine Lösung aushandeln, ohne die Vereinigten Staaten einzubeziehen.

Den neuen Imperialismus besiegen

Billington: Die Ursache dieses Augenblicks großer Gefahr ist der zunehmende Zerfall des westlichen Finanzsystems. Die Realwirtschaften der USA und der europäischen Länder, allen voran Deutschland, brechen zusammen. Deutschland war früher das industrielle Kraftzentrum Europas, jetzt ist es in einem Zustand der Deindustrialisierung. Sie standen einen Großteil Ihres Lebens im Zentrum des Kampfes gegen die Übermacht der Spekulation und der Spekulanten. In einem Interview mit meiner Ehefrau Gail im Jahr 1999 sagten Sie: „Als die Länder zum ersten Mal beschlossen, ihre Währungen freizugeben und die Wechselkurse dem Markt zu überlassen – das war damals in den 1970er Jahren –, hatte ich schon damals das Gefühl, daß die Souveränität der Länder verlorengegangen war.“ Sie wissen wahrscheinlich, daß Lyndon LaRouche, als US-Präsident Richard Nixon 1971 den Dollar vom Gold abkoppelte und die freien Wechselkurse einführte und damit das Bretton-Woods-System zerstörte, gesagt hat, das werde letztendlich zu einer Wirtschaftsdepression, einem Wirtschaftskollaps und sogar zu einem Krieg führen, vielleicht sogar einem atomaren Weltkrieg. Er schlug damals eine Rückkehr zum Bretton-Woods-System vor, aber statt dessen ging die Deregulierung des Weltfinanzsystems weiter. Ist es jetzt zu spät, um zu Bretton Woods zurückzukehren?

Dr. Mahathir: Nun, man sollte bedenken, daß der US-Dollar in Bretton Woods mit 35 Dollar je Unze Gold bewertet wurde. Heute liegt der Wert bei 2600 Dollar je Unze Gold, was bedeutet, daß der US-Dollar durch den Markt an Wert verloren hat. Er ist also kein wirklich guter Standard. Wir sollten Gold als Standard verwenden und nicht den US-Dollar. Aber wie Sie wissen, profitieren die USA von der Verwendung des Dollars für die Abwicklung des Handels zwischen Nationen. Vor allem Öl muß man in US-Dollar abrechnen, was eine Nachfrage nach Dollars schafft und somit seinen Wert erhält. Aber eigentlich hat der US-Dollar keinen echten Wert, er hat sehr stark an Wert verloren.

Wir brauchen also eine internationale Währung, die auf Gold als Standard basiert. Ich denke, das würde dazu beitragen, den Austausch und Handel zwischen den Nationen zu stabilisieren. Aber natürlich kann der Handel zwischen den Nationen nur aufrechterhalten werden, wenn auf der Welt Frieden herrscht und die Beziehungen zwischen den Ländern stabil sind. Jetzt aber haben die USA Rußland provoziert und es gibt einen Krieg zwischen Rußland und der Ukraine. Außerdem versuchen sie, einen Krieg zwischen Taiwan und China zu provozieren. Und all diese Aktivitäten tragen nicht zur Stabilisierung der Welt bei. (…)

Billington: Sie sagten in dem Interview 1999 auch, daß die zunehmende Vorherrschaft der Spekulation auf den Märkten „sicherlich zu einem neuen Imperialismus führen wird, der noch schädlicher und lähmender ist als der alte“. Und Sie fügten hinzu: „Wir erleben eine neue Form von Imperialismus, bei dem die Waffe, die tatsächlich eingesetzt wird, Kapital ist – Kapital, das benutzt werden kann, um Länder so zu verarmen, daß sie um Hilfe betteln müssen. Und wenn sie betteln, dann kann man ihnen Bedingungen auferlegen.“ Seit Ihrem Kommentar im Jahr 1999 scheint sich die Lage noch verschlimmert zu haben. Was meinen Sie dazu?

Dr. Mahathir: Wie Sie wissen, stammt diese Idee eines neuen Imperialismus von Sukarno [Präsident von Indonesien 1950-67]. Er war der erste, der den Begriff „Neokolonialismus“ prägte. Dieser Begriff bezieht sich auf die Steuerung des Handels, des Handels zwischen Ländern. Malaysia beispielsweise produziert Kautschuk, aber der Markt dafür ist in London, und Malaysia profitiert nicht in vollem Umfang von der Kautschukproduktion, weil der gesamte Handel in London abgewickelt wird. Dort kann der Wert des Kautschuks erhöht oder verringert werden. Und wenn sie das tun, hat das Auswirkungen auf Malaysia.

Das gleiche gilt für die Währung. Bekanntlich heißt es, eine Währung soll aufgrund des „Marktes“ schwanken. Aber es liegt nicht wirklich am Markt, es liegt an den Devisenhändlern. Für sie lohnt es sich, Geld mit Leerverkäufen zu verdienen. Sie schaffen Geld, das sie nicht haben, und verkaufen die Währung auf dem Markt, wodurch der Wert der Währung sinkt. Und dann kaufen sie natürlich das billigere Geld, um es dem ursprünglichen Kunden zu liefern, der zu einem höheren Preis gekauft hat. Genau das ist während der Währungskrise passiert. Deshalb haben wir beschlossen, daß sie nicht mit unserer Währung handeln sollten. Wir sollten unseren Wert festlegen, nicht die Devisenhändler. Es liegt nicht am Markt, sondern an den Devisenhändlern.

Billington: Richtig. In dieser Hinsicht hatten Sie in den 90er Jahren einen berühmten Konflikt mit dem IWF, den Hedgefonds und den Devisenhändlern, die einen Finanzkrieg gegen Malaysia und andere Entwicklungsländer führten. Können Sie beschreiben, was Sie getan haben und welche Ergebnisse das hatte?

Dr. Mahathir: Wie Sie wissen, haben die Devisenhändler 1997 und 1998 die malaysische Währung abgewertet. Wir waren über das Verhalten der malaysischen Währung und speziell über die Abwertung erstaunt, bis wir herausfanden, daß die Devisenhändler dahinter steckten. Und wenn es die Devisenhändler sind, müssen wir uns nicht an die internationale Praxis halten. Wir waren der Meinung, daß wir den Devisenhandel stoppen sollten, und genau das haben wir getan. Und tatsächlich, als wir den Wechselkurs festlegten, endete der Devisenhandel, er kam vollständig zum Erliegen.

Aber um das zu tun, muß man über finanzielle Stärke verfügen. Malaysia hatte riesige Ersparnisse. Als wir es taten, konnten wir nicht auf den US-Dollar zu dem Preis zugreifen, den wir für den Wechselkurs festgelegt hatten, aber wir hatten genug Dollar in unseren Ersparnissen, um die Handelsnachfrage zu decken.

Billington: Im Rahmen dieses Konflikts hielten Sie eine Rede auf einer IWF-Konferenz in Hongkong, in der Sie über das sprachen, was Sie gerade beschrieben haben. Sie beschrieben die Währungsspekulation – was sie mit dem malaysischen Ringgit machte – und erklärten, warum Sie Währungskontrollen eingeführt hatten. Das Asian Wall Street Journal (diese asiatische Ausgabe der Zeitung gibt es heute nicht mehr) veröffentlichte am Tag Ihrer berühmten Rede in Hongkong auf der Titelseite einen Artikel mit der Überschrift „LaRouche-Bericht trägt zu malaysischen Angriffen auf Soros bei“. In dem Artikel wurde behauptet, Ihr Angriff auf Soros stamme „aus einer ungewöhnlichen Quelle von Publikationen, die von Lyndon LaRouche jun. herausgegeben werden“, einem „Exzentriker“ und „Verschwörungstheoretiker“. Sie erwähnen darin nicht, was Soros über Sie gesagt hat: daß er Sie „eine Bedrohung für sein eigenes Land“ nannte und voraussagte, Ihre Politik würde Malaysia in den Ruin treiben. Ist das geschehen? Und wie sehen Sie diese Vorgänge aus heutiger Sicht?

Dr. Mahathir: Nun, wir haben versucht, herauszufinden, wer verantwortlich war, und wir fanden heraus, daß Soros beispielsweise Italien und die italienische Lira angegriffen hatte. Er wurde in Italien sogar zur Persona non grata erklärt. Er griff auch das britische Pfund an. Soros war also dafür verantwortlich, die Werte der Währungen zu verändern, und er mußte auch für die Abwertung der malaysischen Währung verantwortlich sein. Ich habe bei diesem Treffen seinen Namen erwähnt, aber er stritt es ab. Ob es wahr ist oder nicht, weiß ich nicht. Wir kamen jedenfalls zu dem Schluß, daß die Devisenhändler für die Abwertung unserer Währung verantwortlich waren und daß Maßnahmen ergriffen werden mußten, um sie daran zu hindern, mit malaysischer Währung zu handeln.

Billington: Und es hat funktioniert.

Dr. Mahathir: Ja, das tat es. Später gab sogar der IWF zu, daß das, was Malaysia getan hat, richtig war.

Die Lösung der gemeinsamen Probleme der Menschheit

Billington: Helga Zepp-LaRouche, die Ehefrau des verstorbenen Lyndon LaRouche, die jetzt das Schiller-Institut und die internationale LaRouche-Bewegung leitet, besteht darauf, daß nur eine neue Sicherheits- und Entwicklungsarchitektur für alle Nationen diesen Absturz in Krieg und wirtschaftliche Not aufhalten kann. Sie vergleicht das mit dem Westfälischen Frieden von 1648, der die Religionskriege in Europa beendete, indem er den Begriff der souveränen Nationalstaaten etablierte, in denen die Interessen jedes Landes auch die Interessen der anderen einschließen müssen. Was halten Sie davon?

Dr. Mahathir: Ich habe mich nicht eingehend mit ihren Schriften befaßt, aber ich denke, daß einiges an Substanz in dem steckt, was sie sagt. Ich denke, wir sind heutzutage mehr denn je untereinander verbunden. Was also in einem Land geschieht, wirkt sich auf alle anderen Länder der Welt aus. Einerseits ist die Welt zu einem großen Markt geworden, und man kann mit dem Handel mit der Welt einen Haufen Geld verdienen. Andererseits kann sich natürlich das, was in einem Land passiert, auf die anderen Länder der Welt auswirken. Und wenn die USA eine Entscheidung treffen, betrifft uns das.

Wir müssen also ständig darauf achten, was andere Länder tun, denn was auch immer sie tun, wird sich auf die eine oder andere Weise auf uns auswirken. Wenn sie beispielsweise Sanktionen gegen ein Land verhängen, leidet nicht nur dieses Land, auch andere Länder, die mit diesem Land Handel treiben, leiden darunter. Und Malaysia als Handelsnation leidet sehr, wenn Sanktionen gegen ein Land verhängt werden, auch gegen Rußland oder den Iran. Wir leiden, obwohl es nicht die Absicht war, uns für irgend etwas zu bestrafen, wir haben nichts falsch gemacht. Aber Tatsache ist, daß andere Länder den Preis zahlen müssen, wenn Sanktionen verhängt werden.

Billington: Helga hat auch „Zehn Prinzipien einer neuen internationalen Sicherheits- und Entwicklungsarchitektur“ vorgeschlagen. Sie argumentiert dabei, daß die Bevölkerung der westlichen Welt so sehr mit Banalitäten indoktriniert wurde, insbesondere seit dem Beginn der Rock-Drogen-Sex-Gegenkultur in den 1960er Jahren, daß wir Vernunft und klassische Kultur wieder einführen müssen, um diese Krise zu überwinden. Sie spricht also über die Notwendigkeit der Entwicklung aller Länder, die Notwendigkeit der Bildung für alle Menschen, der Gesundheitsversorgung für alle Menschen usw.

Aber es enthält auch als zehntes Prinzip dies: „Die Grundannahme für das neue Paradigma ist, daß der Mensch grundsätzlich gut und in der Lage ist, die Kreativität seines Geistes und die Schönheit seiner Seele unendlich zu vervollkommnen. Und daß er die fortschrittlichste geologische Kraft im Universum ist, was beweist, daß die Gesetzmäßigkeit des Geistes und die des physischen Universums in Übereinstimmung und Kohäsion stehen und daß alles Böse das Ergebnis mangelnder Entwicklung ist und daher überwunden werden kann.“ Diese Idee sei für alle großen Religionen der Welt von grundlegender Bedeutung, sei jedoch in den hedonistischen Ideologien, die heute den Westen beherrschen, verlorengegangen. Wie denken Sie darüber?

Dr. Mahathir: Wenn man sich die Welt heute ansieht, ist sie „geschrumpft“, wir sind eine sehr kleine Welt geworden. Wir sind alle Nachbarn und brauchen die Vereinten Nationen mehr denn je, um unsere Probleme zu lösen. Leider wurden die Vereinten Nationen geschaffen, um die Großmächte zu unterstützen, die vor 70 bis 80 Jahren den Krieg gewonnen haben.

Ich denke, die Welt sollte nicht durch das, was vor 70-80 Jahren passiert ist, eingeschränkt werden. Wir sollten niemandem in irgendeinem Land ein Vetorecht einräumen. Die Stimme wird jedem gleichermaßen gegeben, unabhängig davon, ob er reich oder arm ist, ob er Arbeiter oder Kapitalist ist. Jeder hat eine Stimme.

In der UNO stellen wir fest, daß fünf Länder mächtiger sind als der Rest der Welt. Jedes dieser Länder kann die 190 anderen blockieren. Das ist völlig undemokratisch. Wenn wir also eine stabilere und friedlichere Welt wollen, müssen wir diese Vetorechte abschaffen und vielleicht einige Bestimmungen der Vereinten Nationen ändern – oder sogar eine ganz neue Organisation gründen, in der niemand ein Vetorecht hat.

Es wird immer wieder über eine Art Weltregierung gesprochen. Heutzutage gibt es viele gemeinsame Probleme, die uns alle betreffen, alle Länder. Zum Beispiel betrifft der Klimawandel alle, COVID-19 betrifft alle. Wir spüren die Auswirkungen weitverbreiteter Krankheiten, einer Währungskrise usw. Jedes Land kann mit den einfacheren Verbrechen umgehen, die darin begangen werden, aber in Bezug auf internationale gemeinsame Probleme für die Welt brauchen wir eine neue Behörde mit Einfluß, die sich mit den Problemen befassen kann. Es ist zum Beispiel inakzeptabel, daß Israel offen Völkermord begehen kann und die Welt nichts dagegen unternimmt. Das zeigt, daß wir nicht verstehen, wie klein die Welt geworden ist und daß alles, was in irgendeinem Teil der Welt geschieht, auch den ganzen Rest der Welt betrifft.

Billington: Sie wissen sicher, daß die UN-Vollversammlung mit überwältigender Mehrheit dafür gestimmt hat, daß Israel die Besatzung beenden soll, nicht nur den aktuellen Völkermord, natürlich auch den Krieg, sondern auch die Besatzung, die von Anfang an illegal war. Diese Abstimmung fand in der Vollversammlung statt, aber sie hat keine Durchsetzungsbefugnis. Die meisten Menschen sind der Meinung – wie Sie bereits angedeutet haben –, daß leider die Großmächte, die davon profitieren, und speziell die USA, so etwas einfach ignorieren, und daß deshalb nichts passiert. Haben Sie dazu irgendwelche Empfehlungen?

Dr. Mahathir: Nun, in anderen Ländern, in Bosnien zum Beispiel und auch in vielen afrikanischen Ländern, entsendet die UNO eine Friedenstruppe, um die Kämpfer voneinander zu trennen. Aber im Fall von Gaza wurde keine Friedenstruppe nach Gaza geschickt, und es bleibt den Israelis überlassen, zu tun, was sie wollen. Tatsächlich hat [der israelische Premierminister] Netanjahu [US-Präsident] Biden einfach ignoriert und die Tötungen fortgesetzt, ja sogar eskaliert, als dieser einen Waffen­stillstand vorschlug. Und jetzt hat sich der Konflikt auf den Libanon ausgeweitet. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein so kleines Land wie Israel sich den Gefühlen der ganzen Welt, der Meinung der ganzen Welt widersetzen kann. Das kann nur geschehen, weil hinter Israel eine Großmacht steht, die ein Veto hat und die gesamten Vereinten Nationen hemmt. (…)

BRICS und die Bewegung der Blockfreien

Billington: Lassen Sie mich etwas weiter ausholen. Sie haben erwähnt, daß Sukarno die Frage des Neuen Imperialismus oder der neuen Form des Kolonialismus aufgeworfen hat. Wie Sie sicher wissen, berief er 1955 die sogenannte Bandung-Konferenz ein, die Asien-Afrika-Konferenz, die erste Zusammenkunft ehemaliger Kolonien, die heute Länder sind, ohne ihre Kolonialherren. Auf dieser berühmten Konferenz rief er zu dem auf, was schließlich zur sog. „Bewegung der Blockfreien Staaten“ wurde.

Dieser Geist wird in letzter Zeit von vielen wiederbelebt, u.a. auch von Malaysia, das sich an den Bemühungen zur Erneuerung der Blockfreien-Bewegung beteiligt hat. Er wird auch wiederbelebt in Form der neuen BRICS-Vereinigung und der vielen, vielen Länder des Globalen Südens, die BRICS beitreten wollen. Ihre Grundprinzipien sind den Fünf Prinzipien der friedlichen Koexistenz sehr ähnlich, die von den Ländern auf der Bandung-Konferenz angenommen wurden. Darauf weist auch Helga Zepp-LaRouche oft hin: daß Sukarnos Rede bei dieser Veranstaltung im wesentlichen ein Aufruf zu einer neuen Weltordnung war, die auf einem solchen Prinzip beruht, die Rechte aller Länder zu achten. Wie sehen Sie die Geschichte der Bewegung der Blockfreien und die aktuelle Form dieser Bewegung mit den BRICS?

Dr. Mahathir: Die Welt ist immer noch in zwei sich gegenüberstehende Blöcke geteilt, den Osten und den Westen. Und andere Länder fühlen sich unter Druck gesetzt, sich dem einen oder anderen Block anzuschließen. Aber diese Länder wollen nicht in die Konfrontation zwischen den USA und China und Rußland verwickelt werden. Deshalb ist es wieder an der Zeit, über die Blockfreiheit nachzudenken, wie sie von Sukarno vorgeschlagen wurde. Das ist auch heute noch relevant. Wir wollen weg von dieser Konfrontation, weil sie nicht gut für uns ist. Wir wollen eine stabile Welt, in der wir durch Handel mit der ganzen Welt wachsen können.

Die Welt hingegen in zwei Teile zu teilen und dann Sanktionen zu verhängen und sogar militärische Maßnahmen zu ergreifen und all das, das ist sehr, sehr schlecht. Das sind keine Wege, um die Probleme der Welt zu lösen. Wir brauchen eine stabile Welt. Wir brauchen keine Blöcke, Ost oder West, sondern eine Welt, in der alle gleich sind. Und sie sollten alle ihre Probleme durch die Vereinten Nationen ohne das Veto lösen. Das ist es, was wir brauchen. Aber da wir die Vereinten Nationen nicht ändern konnten, haben sie die BRICS gegründet. Und auch das ist eine andere Art der Blockfreiheit.

Billington: Glauben Sie, daß Malaysia bei dem Treffen in diesem Monat BRICS beitreten wird?

Dr. Mahathir: Ja, sie haben sich dort beworben. Ich weiß nicht, welche Kriterien für einen Beitritt gelten, aber Malaysia glaubt auf jeden Fall an die Blockfreiheit.

Billington: Sehr interessant. Möchten Sie unseren Lesern und Zuschauern noch etwas anderes mit auf den Weg geben? Ich weiß, daß Sie EIR einen Großteil Ihres Lebens immer wieder verfolgt haben. Was sind Ihre heutigen Gedanken für unsere Zuschauer?

Dr. Mahathir: Ich denke, daß diese Konfrontation zwischen Ost und West aufhören sollte. Wir sollten die Welt nicht in zwei Teile teilen. Und wir sollten eine funktionsfähige UNO haben, die kein Vetorecht hat. Und natürlich muß die Welt, wenn ein Land als widerspenstig angesehen wird, wie die Israelis, Maßnahmen ergreifen, um diesem Morden ein Ende zu setzen. Sie haben bereits 42.000 Palästinenser getötet und jetzt sind weitere im Libanon lebende Palästinenser ins Visier genommen worden, und die Welt beweist im Grunde, daß sie nicht die Kraft hat, etwas dagegen zu tun. Es ist nicht angemessen, daß zivilisierte Menschen dieses Morden akzeptieren und nichts dagegen unternehmen.

Billington: Ja. Wir sind definitiv entschlossen, diese grundlegenden Probleme, mit denen die Menschheit konfrontiert ist, zu lösen. Wie ich bereits zu Beginn sagte, ist dies vielleicht der größte Moment der Gefahr, dem die Menschheit jemals ausgesetzt war, weil wir uns im Atomzeitalter befinden und einige Staatsführer so wahnsinnig sind zu glauben, daß sie Probleme durch Krieg lösen können, sogar mit Atomwaffen. Das würde das Ende der Zivilisation bedeuten. Wir schätzen es deshalb sehr, daß Sie sich weiterhin dafür einsetzen, Ihrer Stimme Gehör zu verschaffen.

Wir rufen die Bürger der USA und aller westlichen Länder auf, zu erkennen, daß ihr eigenes Schicksal davon abhängt, mit Rußland und China zusammenzuarbeiten, anstatt gegen sie Krieg zu führen, und tatsächlich die Art von weltweiter Zusammenarbeit zu erreichen, die wir für eine friedliche Welt brauchen.

Ich danke Ihnen also vielmals. Wir werden dieses Interview weit verbreiten. Viele, viele Menschen freuen sich darauf, Ihre Worte zu hören. Es ist schon lange her, daß wir die Gelegenheit hatten, so zu sprechen, aber ich kann Ihnen versichern, daß die wachsende Bewegung, die wir vertreten, dies sehr zu schätzen weiß. (…)