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Von Wolfgang Effenberger
Wolfgang Effenberger ist Autor, u.a. von „The Foundations of International Law” & „Die unterschätzte Macht: Von Geo- bis Biopolitik – Oligarchen transformieren die Welt“ (2022). In der Internetkonferenz „Ein weiterer Schritt näher an der nuklearen Apokalypse: Deutschland braucht eine neue Sicherheitsarchitektur“ des Schiller-Instituts am 2. Oktober sagte er folgendes.
Danke für die Einladung, und Danke auch an meinen Vorredner und vor allem an Frau Helga Zepp-LaRouche, für ihr unermüdliches Engagement für den Frieden. Ein ganz herzliches Dankeschön.
Zu meiner Person: Wenige Wochen nach der Vertreibung meiner schlesischen Eltern wurde ich 1946 in Süd-Oldenburg geboren. Mit 18 Jahren begann ich die Ausbildung zum Pionier-Offizier bei der Bundeswehr. Nach dem Bauingenieur-Studium erhielt ich als Pionier-Hauptmann tiefere Einblicke in das von den USA vorbereitete atomare Gefechtsfeld. Im Einsatz-, sprich Kriegsfall hätte ich einen atomaren Sperrzug führen müssen. In diesem Krieg wären Deutschland und Mitteleuropa zerstört worden.
Die Erfahrungen im Kalten Krieg haben mir gezeigt: ein Krieg löst keine Probleme und muß mit allen Mitteln verhindert werden. Nach 12 Jahren studierte ich Politikwissenschaft und Mathematik, und war dann als Lehrer tätig.
Seit 2001 publiziere ich zur jüngeren deutschen Geschichte und zur US-Geopolitik. Als Zeitzeuge habe ich seit der Kubakrise bewußt miterlebt, wie Kriegspropaganda ein einseitiges Bild malt. Das konnte ich alles bei den illegalen Kriegen der USA – Vietnam, Jugoslawien, Afghanistan, Irak, Libyen und Syrien – beobachten.
Auch erinnere ich mich noch, wie John F. Kennedy nach der Kubakrise der Welt ins Gewissen redete: Eine nukleare Supermacht dürfe niemals in eine Lage gebracht werden, in der sie zwischen einer demütigenden Niederlage oder einem Atomkrieg wählen muß.
Nach der deutschen Wiedervereinigung bestand eine Chance, eine Friedensordnung für das 21. Jahrhundert zu etablieren. Diese große Chance für die Menschheit wurde durch den beispiellosen Triumphalismus des Westens verpaßt. Alle Versprechen an Michail Gorbatschow und Boris Jelzin wurden gebrochen. Und heute stehen wir am Rande eines globalen Atomkrieges, der alles Leben auf diesem Planeten auszulöschen droht.
Ende 1991 löste sich die Sowjetunion auf, und bereits Anfang 1992 entwickelte US-Vizeverteidigungsminister Paul Wolfowitz die neuen Leitlinien zur Verteidigungsplanung. Daraus entstand die Langzeitstrategie TraDoc – also Training and Doctrine Command – 525-5.1 Diese Doktrin sorgte dafür, daß die NATO nach dem Kalten Krieg als Instrument der blutigen Aggression gegen Jugoslawien, Afghanistan, Irak und Libyen eingesetzt wurde. Auch der vom Westen orchestrierte Staatsstreich in der Ukraine war eine Folge dieser Doktrin.
1999 hat sich die Bundesrepublik Deutschland erstmals nach 1945 wieder an einem Krieg – und dann noch an einem völkerrechtswidrigen Angriff – beteiligt. Nachdem die USA für diesen Krieg kein UN-Mandat bekamen, änderten sie kurzerhand die Strategie und mandatieren seither ihre Kriege selbst. Die Vereinten Nationen sind obsolet geworden. Es regiert das Faustrecht, und die regelbasierte Unordnung.
Nun unterstützt die EU mit Geld und Waffen den Krieg im Osten. Die Entwicklung, für die der sogenannte „Wertewesten“ eine starke Mitverantwortung trägt, zielt auf einen Krieg gegen Rußland und China. Schon im September 2014 setzte das Pentagon die Langzeitstrategie TraDoc 525-3-1, überschrieben „Win in a Complex World 2020-2040“ in Kraft.2 Darin wurden Heer, Marine und Luftwaffe auf die zukünftigen Konflikte eingestimmt. An erster Stelle wurde die Bedrohung durch Rußland und China genannt, dann die durch den Iran und Nordkorea und erst zum Schluß die Bedrohung durch transnationale Terroristen. Im US-Strategiepapier vom Oktober 2022 nannte US-Präsident Biden den Abbau der wachsenden multidisziplinären Bedrohung durch China an erster Stelle, gefolgt von der Bedrohung durch Rußland. Hinzu kommt der Ausschluß jedes Verzichts auf einen nuklearen Erstschlag.
Wenige Wochen später stellte der wissenschaftliche Dienst des US-Kongresses öffentlich klar, daß zur Verhinderung regionaler Hegemonie in Eurasien viele militärische Operationen der USA im Ersten und Zweiten Weltkrieg sowie zahlreiche militärische Kriegseinsätze und alltägliche Operationen der USA seit dem Zweiten Weltkrieg durchgeführt wurden.
Im April 1949 wurde die NATO gegründet. Im Bündnisvertrag wird die Einsicht verlangt, daß wirtschaftlicher Wiederaufbau und wirtschaftliche Stabilität wichtige Elemente der Sicherheit sind. In diesem Zusammenhang muß auch der Marshallplan gesehen werden. Im Dezember 1949 wurde der US-Kriegsplan Dropshot verabschiedet, dessen Grundannahme lautet: „Am oder um den 1. Januar 1957 ist den Vereinigten Staaten durch einen Aggressionsakt der UdSSR ein Krieg aufgezwungen worden.“3 1957 hätte die deutsche Remilitarisierung abgeschlossen sein sollen. Dieser Angriffsplan wurde durch den sowjetischen Satelliten Sputnik verhindert.
Der Wille zur Zerstörung Rußlands ist jedoch ungebrochen. Mitte Dezember 2021 hat die Russische Föderation in Briefen an die USA und die NATO um eine Sicherheitsgarantie gebeten,4 die beinhaltet, keine zusätzliche Militärs und Waffen außerhalb der Länder einzusetzen, in denen sie sich im Mai 1997 befanden, außer in Ausnahmefällen mit Zustimmung Rußlands und der NATO-Mitglieder, sowie keine bedrohlichen Bedingungen zu schaffen.
Die Verhandlungen zogen sich hin und blieben ergebnislos. Derweil ging die massive Aufrüstung der Ukraine weiter, bis zur jetzigen, dynamischen Eskalationsspirale. Alles gemäß Drehbuch „Win in a Complex World 2020-2040“. Es geht um den Sieg der unipolaren Weltordnung, kurz: um die Weltherrschaft.
In einem dritten Weltkrieg wird Europa das Schlachtfeld sein. Wir brauchen eine Friedenspolitik, die ohne irrwitzige Aufrüstung und ohne Sanktionen auskommt. Der Globus darf nicht länger Spielball einer verantwortungslosen Finanzoligarchie sein, die den Boden für eine rücksichtslose Ausbeutung vorbereitet. Die vielschichtigen Konfrontationen im Kampf um die unipolare Weltherrschaft haben bereits zu verheerenden Verwüstungen in anderen Ländern geführt, u.a in Jugoslawien, Sudan, Irak, Afghanistan, Libyen und Syrien und Jemen. Die bestehenden Auseinandersetzungen in der Ukraine seit 2014 sind Teil dieser weltweiten Entwicklung.
Inmitten des Kalten Krieges war die Kubakrise ein Weckruf. Damals suchten die beiden Großmächte ein Entgegenkommen im beiderseitigen Interesse. So wurden u.a. die Verträge über die Abwehr ballistischer Raketen und die Verträge über nukleare Mittelstreckenraketen, die inzwischen verworfen wurden, ausgehandelt. Der Arzt Amir Mortasawi und ich haben kürzlich einen Offenen Brief an Biden5 veröffentlicht, in dem wir ihn daran erinnert haben, daß er an der Entwicklung der gegenwärtigen Misere in exponierter Stellung mitgewirkt hat, und ihn aufforderten, einen drohenden Atomkrieg noch abzuwenden.
Beim Staatsstreich in der Ukraine im Februar 2014 und der folgenden Entwicklung zum Bürgerkrieg war Biden als US-Vizepräsident unter Obama zusammen mit Frau Victoria Nuland maßgeblich beteiligt. Während seiner Präsidentschaft hat Biden die Ziele von „Win in a Complex World“ noch einmal bekräftigt, und sogar den Ausschluß jedes Verzichts auf einen nuklearen Erstschlag manifestiert, und damit zur Umsetzung der Prioritäten im Aufbau eines dauerhaften Vorteils für die USA gefordert.
Das ist der Weg in die Vernichtung. Die USA müssen sich mit der Welt – außen wie innen – versöhnen, und das Streben nach der unipolaren Weltherrschaft aufgeben. In einer multipolaren Weltordnung werden die USA als Partner dringend gebraucht. Vielen Dank.
Anmerkungen
1. https://apps.dtic.mil/sti/pdfs/ADA402580.pdf
2. https://api.army.mil/e2/c/downloads/367967.pdf