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Neue Solidarität
Nr. 41, 10. Oktober 2024

Eine Fallstudie: Narrativ contra Realität

Glenn Diesen analysiert die Entwicklung des Nord-Stream-Narrativs

Der bekannte norwegische Rußland-Analyst Glenn Diesen veröffentlichte anläßlich des zweiten Jahrestags der Sabotage der Nord-Stream-Pipeline eine Fallstudie darüber, wie der Westen seine offensichtlichen Lügen gegen jede normale Untersuchung verteidigt.1 Der Titel lautet „Die Verteidigung des Narrativs gegen die Realität: Der Nord Stream-Jahrestag und Europas Stockholm-Syndrom“.

Diesen weist zunächst auf ein Element des aktuellen Narrativs vom „eigenmächtigen ukrainischen Angriff“ auf Nord Stream hin, das aus dem Wall Street Journal stammt – die Behauptung, „die CIA habe Selenskyjs Büro gewarnt, er solle die Operation stoppen“. Aber anfänglich, im September-Oktober 2022, sei die Darstellung noch gewesen, daß nur Rußland eine so heimtückische Tat begehen würde. Das bedeute, daß die USA und die NATO 2022 „ihre Öffentlichkeit und die ganze Welt belogen haben, als sie Rußland für den Angriff verantwortlich machten, und diese Lüge dann nutzten, um den Krieg in der Ukraine zu eskalieren, die Ostsee zu militarisieren und auf eine weitere NATO-Expansion zu drängen“.

Weiter schreibt Diesen: „Unser mangelndes Wissen darüber, was mit den Nord-Stream-Gaspipelines passiert ist, ist das Ergebnis der Verteidigung des Narrativs gegen die Realität. Selige Unwissenheit wurde zur Grundlage für die Einheit der NATO, und deshalb werden Fakten als unser großer Feind behandelt.“ Das sei ein „Stockholm-Syndrom“. Anschließend erläutert er in seiner Fallstudie, wie „die Nord-Stream-Erzählung ... gegen die Realität verteidigt wurde“. Seine Argumentation beginnt:

Er zitiert einige der ausführenden Politiker. 2020 verkündete US-Außenminister Mike Pompeo: „Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um sicherzustellen, daß diese Pipeline Europa nicht bedroht.“ US-Senator Tom Cotton forderte im Mai 2021: „Noch ist Zeit, sie zu stoppen... Macht Nord Stream 2 jetzt kaputt und laßt sie unter den Wellen der Ostsee verrosten.“ Der Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan sagte am 14.01.2022: „Wir haben den Russen klargemacht, daß die Pipeline gefährdet ist, wenn sie weiter in die Ukraine vordringen.“ Und Senator Ted Cruz: „Diese Pipeline muß gestoppt werden, und die einzige Möglichkeit, ihre Fertigstellung zu verhindern, besteht darin, alle dafür verfügbaren Mittel einzusetzen.“

Am 7.2.2022 stand Präsident Joe Biden „bei einer Pressekonferenz neben Bundeskanzler Scholz und warnte, wenn Rußland in die Ukraine einmarschiert, ,wird es Nord Stream 2 nicht mehr geben. Wir werden dem ein Ende setzen.‘ Auf die Frage einer Journalistin, wie er ein Projekt beenden würde, das unter deutscher Kontrolle ist, antwortete Biden: ,Ich verspreche Ihnen, wir werden das schaffen.‘“ Victoria Nuland erklärte: „Wenn Rußland auf die eine oder andere Weise in die Ukraine einfällt, wird Nord Stream 2 nicht weitergehen.“

Nach der Sabotage am 26. September 2022 twitterte der frühere (und heutige) polnische Außenminister Sikorski ein Bild der zerstörten Pipeline mit den Worten „Danke, USA“. Am nächsten Tag fand in Polen eine Eröffnungszeremonie für die neue Norwegen-Polen-Ostsee-Pipeline statt, an der führende Persönlichkeiten aus Polen, Norwegen und Dänemark teilnahmen. Die Neokonservative Victoria Nuland mischte sich ein: „Ich bin, und ich denke, die Regierung ist sehr erfreut zu wissen, daß Nord Stream 2 jetzt, wie man so schön sagt, ein Stück Metall auf dem Meeresgrund ist.“ Dann wurde die erste Darstellung verbreitet: das komme „direkt aus dem russischen Drehbuch“.

Eine Wende brachte der ausführliche Bericht des Starjournalisten Seymour Hersh, der ein Taucherteam der US-Marine für die Tat verantwortlich machte. Dies beschleunigte Diesen zufolge den Versuch, die Schuld auf die Ukraine zu schieben. Im Juni 2023 veröffentlichte die Washington Post durchgesickerte CIA-Dokumente, wonach die USA mindestens drei Monate vorher von einem ukrainischen Komplott wußten. „Das ukrainische Militär hatte einen verdeckten Angriff auf das Unterwassernetz geplant, bei dem ein kleines Team von Tauchern eingesetzt werden sollte, die direkt dem Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte unterstellt waren.“ Diese Darstellung sollte von den Vorwürfen gegen die USA ablenken, aber auch die Regierung in Kiew freisprechen, indem man „abtrünnige Elemente im ukrainischen Militär“ beschuldigte.

Diesen beschreibt die aktuelle Krise des Narrativs: „Ohne einen russischen Täter als Grundlage für Solidarität haben die Europäer begonnen, sich gegeneinander zu wenden.“ Die Kontrolle über das Narrativ sei schwierig geworden. So beschuldigt Berlin Warschau, die Untersuchung des Tauchers „Wolodymyr S.“ zu blockieren. „Der ehemalige Chef des deutschen Bundesnachrichtendienstes, August Hanning, beschuldigte sowohl Polen als auch die Ukraine, an dem Angriff beteiligt gewesen zu sein...“ Hanning stelle auch die Geschichte mit dem Segelboot in Frage, Operationen dieser Größenordnung seien ohne die Zustimmung der politischen Führung der beteiligten Länder undenkbar. Polens Ministerpräsident Donald Tusk antwortete den Deutschen: “An alle Initiatoren und Förderer von Nord Stream 1 und 2: Das einzige, was Sie heute tun sollten, ist, sich zu entschuldigen und den Mund zu halten.“

Diesen kommt zu dem Schluß: „Das Phänomen des Stockholm-Syndroms sollte jedoch nicht unterschätzt werden, da die Europäer diese unbequemen Fakten verdrängen und weiterhin nationale Interessen ignorieren werden. Es wird bald ein neues Drehbuch geben, dem gewissenhaft gefolgt werden muß, mit einer raschen Rückkehr zu der einfachen und bequemen Weltanschauung von Gut gegen Böse, in der liberale Demokratien unter der wohlwollenden Führung der USA vereint gegen die bösen Russen stehen.“


Anmerkung

1. The Nord Stream Anniversary & Europe's Stockholm Syndrome,
    https://glenndiesen.substack.com/p/the-nord-stream-anniversary-and-europes/