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Neue Solidarität
Nr. 4, 25. Januar 2024

Treibt uns das Schüren der Kriegshysterie
in einen Krieg gegen Rußland?

Von Alexander Hartmann

Im „Westen“ scheint es sich langsam herumzusprechen: Wenn die vielgepriesene ukrainische Gegenoffensive gescheitert ist, wenn Rußland doch nicht zusammenbricht und sich nicht in Luft auflöst, wenn unsere Landwirtschaft und Industrie doch nicht mehr so gut läuft, wenn wir aus Kohle, Erdgas und Kernkraft aussteigen, und wenn China sich vom Bau weitsichtiger, wissenschaftsgetriebener Projekte nicht abbringen läßt – dann wird es höchste Zeit, in die Kristallkugel zu schauen, den Panikknopf zu drücken und jedem in Hörweite zu verkünden, daß ein großer Krieg zwischen den Nuklearmächten sehr bald bevorsteht. Wie bald, das kann man sich noch aussuchen: in zwei Jahren, in fünf Jahren, was auch immer.

Offenbar meinen die Regierungen von Deutschland, Großbritannien, Schweden usw., daß sie für ihre wirtschaftspolitischen und strategischen Fehler nicht gerade stehen müssen, wenn es ihnen gelingt, genug Hysterie zu schüren. Ganz nach dem Rat der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, die verkündet hatte, um die nötige Aufrüstung durchzusetzen, sei eine „völlige Mentalitätsänderung“ erforderlich (wir berichteten, siehe Neue Solidarität 48/2023), wird die Bevölkerung nun aus allen Propagandarohren mit der Linie beschossen, die NATO-Länder müßten „kriegstauglich“ werden. Deutsche, finnische, schwedische und NATO-Stellen erklären der Bevölkerung, ihre Länder müßten sich in den nächsten Jahren auf einen europäischen Krieg mit Rußland vorbereiten.

Die Bevölkerung soll einfach den Mund halten, und „die da oben” sollen alle Mittel in den militärisch-finanziellen Komplex stecken, um die Dinge noch ein wenig länger am Laufen halten zu können.

So erklärte der niederländische Admiral Rob Bauer, Vorsitzender des NATO-Militärausschusses, dem höchsten Gremium des Bündnisses, bei einem Treffen der Generalstabschefs in Brüssel, wenn die NATO-Staaten nicht mehr Geld für Verteidigung ausgäben, gefährde das ihre Fähigkeit zur Verteidigung und zur Abschreckung von Angriffen. Die NATO-Staaten müßten in Alarmbereitschaft für einen möglichen Krieg sein und „das Unerwartete erwarten“.

Bauer argumentierte: „Um auch in Zukunft voll handlungsfähig zu sein, brauchen wir eine kriegswirtschaftliche Transformation der NATO. Wir brauchen öffentliche und private Akteure, die ihre Denkweise von einer Ära, in der alles planbar, vorhersehbar, kontrollierbar und auf Effizienz ausgerichtet war, auf eine Ära umstellen, in der jederzeit alles passieren kann. Ein Zeitalter, in dem wir mit dem Unerwarteten rechnen müssen“. Der Krieg in der Ukraine sei ein entscheidender Konflikt, der „das Schicksal der Welt bestimmen“ wird. „Die tektonischen Platten der Macht verschieben sich. Und als Folge stehen wir vor der gefährlichsten Welt seit Jahrzehnten.“

Was passieren würde, wenn der Frieden ausbricht, ließ Bauer offen.

Generalleutnant a.D. Ben Hodges, der von 2014 bis 2018 Befehlshaber der US-Armee in Europa war, warnte in einem Interview mit der britischen Daily Mail, Rußland respektiere nur Stärke. Der Dritte Weltkrieg mit Rußland könne schon in 18 Monaten beginnen, wenn die westliche Allianz sich nicht darauf vorbereite. Er lobte Großbritannien und Deutschland: „Großbritannien war sich der Bedrohung durch Rußland immer bewußt, aber jetzt erkennt auch Deutschland, daß sich die Situation nur verschlimmern wird, wenn es nicht darauf vorbereitet ist. Vorbereitung – mit der richtigen Ausrüstung und den richtigen Fähigkeiten – ist also genau das, was Nationen tun sollten. Und Deutschland tut das.“ Hodges fügte hinzu: „Wenn die Zivilbehörden nicht glauben, daß es eine Bedrohung gibt, können sie nicht schnell genug handeln. Unsere Regierenden sollten wie Erwachsene mit uns reden. Es geht nicht darum, Angst zu machen, sondern Vorkehrungen zu treffen, und genau das sollten wir tun.“

Massenpanik in Schweden

Den Vogel abgeschossen hat jedoch der schwedische Zivilschutzminister Carl-Oskar Bohlin. In seiner Rede auf der Sicherheitskonferenz „Volk und Verteidigung“ sagte Bohlin am 7. Januar, Schwedens friedlicher Status der letzten 210 Jahre gehe zu Ende. „Es könnte Krieg in Schweden geben… Die Welt steht vor einer Sicherheitssituation mit größeren Risiken als je zuvor seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs“, zitierte ihn die Daily Mail.

Bohlin forderte eine kulturelle Vorbereitung auf den Krieg, ging die verschiedenen Positionen in der Gesellschaft durch und gab Anweisungen, wie sich jeder auf den offenbar bevorstehenden Krieg mit Rußland vorbereiten sollte:

Für die Verantwortlichen in den Organisationen der Notfallvorsorge: „Haben Sie Ihre Kriegsvorbereitung aufgebaut und festgelegt, welche Aktivitäten aufrechterhalten werden müssen und welche nicht? Haben Sie die Einhaltung von Schutzmaßnahmen und den notwendigen Zugang zu alternativen Kommandostandorten sichergestellt?“

Für Kommunalbeamte: „Haben Sie die Kriegsorganisation, die Schutzräume, den Wassernotfallplan und die redundante Versorgung mit Lebensmitteln, Heizung und Strom für das Gesundheits- und Sozialwesen sichergestellt?“

Bohlins Empfehlung für alle Normalbürger lautete: „Haben Sie die Verantwortung für Ihre häusliche Vorsorge übernommen? Haben Sie überlegt, ob Sie Zeit haben, einer freiwilligen Verteidigungsorganisation beizutreten?“

Für jeden einzelnen schloß er mit dem Refrain: „Kommen Sie in Bewegung!“

Welche Folgen es haben kann, wenn in dieser Weise Panik geschürt wird, zeigte sich sofort. Die Warnungen von Bohlin und Regierungschef Kristersson wurden von vielen Bürgern beherzigt, sie begannen in Panik, lebenswichtige Güter aus den Regalen der Geschäfte zu räumen. Wie die schwedische Zeitung Expressen berichtete, stiegen die Verkäufe von tragbaren Radios um mehrere tausend Prozent und die Nachfrage nach Taschenlampen und Wasserkanistern um 800 Prozent. Inzwischen mußte der Premierminister zurückrudern und zugeben, daß die Stimmung „außer Kontrolle“ geraten war. Im schwedischen Rundfunk sagte er: „Das Risiko ist gestiegen, aber es gibt keine Anzeichen dafür, daß der Krieg bereits an unsere Tür klopft.“

General a.D. Kujat warnt

Tatsächlich geht die Gefahr eines Krieges nicht von Moskau, sondern von der NATO selbst aus, und zwar gerade von ihrem Bestreben, immer stärkere Geschütze gegenüber Rußland ins Feld zu führen, um „Stärke zu zeigen“. Schweden etwa hat dank seiner Neutralität zwei Jahrhunderte lang im Frieden gelebt – aber jetzt, da es sich in das NATO-Bündnis eingliedert und seine Militärstützpunkte für die US-Truppen öffnet, ist das Land schon nach wenigen Monaten mit der Aussicht konfrontiert, genau dadurch in einen militärischen Konflikt hineingezogen zu werden!

Dieselbe Gefahr droht auch Deutschland, insbesondere, wenn es die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine beschließt. Vor dieser Gefahr hat General Harald Kujat, der einst wie Bauer heute Vorsitzender des Militärausschusses der NATO gewesen ist, wiederholt gewarnt, zuletzt in einem Interview in der schweizerischen Weltwoche.1

Kujat kritisiert namentlich Ex-Bundespräsident Joachim Gauck, den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder und den CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz, dessen Partei sogar einen Bundestagsbeschluß für die Lieferung der Taurus-Raketen beantragt hatte. Kujat zitiert die Warnung des früheren russischen Präsidenten und heutigen Vizevorsitzenden des russischen Sicherheitsrates, Dmitri Medwedjew: „Sie sagen, es stehe im Einklang mit dem Völkerrecht, daß das Kiewer Regime damit russisches Territorium angreifen und die Versorgung unserer Armee schwächen kann. Nun, in diesem Fall würden Angriffe auf deutsche Fabriken, in denen diese Raketen hergestellt werden, völlig im Einklang mit dem Völkerrecht stehen.“

Der Antrag der CDU scheiterte bei der Abstimmung im Bundestag, er wurde mit den Stimmen der drei Regierungsparteien sowie der Oppositionsparteien Linke und AfD mit 485 zu 176 Stimmen abgelehnt. Dabei handelte es sich jedoch nicht um eine grundsätzliche Ablehnung, denn Abgeordnete der Grünen und Liberalen betonten, daß sie eine solche Lieferung durchaus befürworten, nur nicht unter den derzeitigen Bedingungen.

Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), spielte die Bedeutung der Abstimmung herunter. Sie argumentierte, die Christdemokraten hätten die Abstimmung nur aus parteitaktischem Kalkül anberaumt. Der Tagesspiegel hält ihr vor: „Weil es der Union als Opposition nur um ein Wahlkampfmanöver gehe und ohne Zustimmung des Kanzlers ohnehin nichts geliefert werde, ist die laue Begründung.”

Der ukrainische stellvertretende Verteidigungsminister Iwan Hawryliuk geht allerdings davon aus, daß Deutschland trotz der Ablehnung im Bundestag der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern zustimmen wird. Diese werde beim Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe der NATO-Partner am 23. Januar beschlossen werden, sagte er dem Tagesspiegel. „Trotz des negativen Votums des Bundestages erwarte ich, daß wir alle Unterstützung bekommen, die wir brauchen – auch die Taurus“, sagte Hawryliuk. Für eine Lieferung sei es „nie zu spät“.

Tatsache ist aber, wie Kujat betont: „Die strategische Lage zugunsten der Ukraine wenden könnte Taurus nicht, und der Marschflugkörper ist auch nicht geeignet, Drohnen- und Raketenangriffe abzuwehren.“ Mit einer Reichweite von 500 km könnten die Taurus-Marschflugkörper aber tief in russisches Gebiet hineinreichen und dort Basen der russischen Atomstreitkräfte angreifen – und so das nukleare Gleichgewicht destabilisieren und die Atomkriegsgefahr weiter vergrößern.

Anstatt darüber zu debattieren, wie sich die Bürger in einem Krieg gegen Rußland schützen können (was in einem Atomkrieg sowieso ziemlich sinnlos wäre), sollten wir also überlegen, was die Bürger tun können, um ihre Regierungen von diesem unsinnigen und gefährlichen Kurs abzubringen.


Anmerkung

1. https://weltwoche.ch/daily/russlands-rote-linie/