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Neue Solidarität
Nr. 29, 18. Juli 2024

Deutschland muß seine eigenen Interessen verfolgen

Folker Hellmeyer Chefvolkswirt der Netfonds AG (Deutschland), gab Helga Zepp-LaRouche das folgende Interview als Beitrag zur Internetkonferenz des Schiller-Instituts am 15. und 16. Juni. Es wurde aus dem Englischen übersetzt.

Folker Hellmeyer: Ja, zunächst einmal vielen Dank, daß ich hier sprechen kann, und ich wünsche Ihnen alles Gute, um in dieser Welt etwas zu verändern, denn das ist dringend nötig.

Es gibt drei Themen, die Deutschland betreffen. Das erste Thema ist Energie. Unsere Energiepreise sind im internationalen Vergleich nicht wettbewerbsfähig. Deshalb haben wir hier einen Standortnachteil. Die Versorgungsprobleme im Energiebereich sind langfristig nicht gelöst, und diese beiden Probleme spielen eine große Rolle bei den Kapitalinvestitionen. Nur mit ständigen Kapitalinvestitionen können Volkswirtschaften florieren.

Das nächste Problem ist, daß die Sanktionspolitik, die nicht im Einklang mit dem WTO-Recht steht – Sanktionen, bei denen wir den Vereinigten Staaten, dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union folgen –, unser Geschäftsmodell in hohem Maße einschränkt, da wir wichtige Importmärkte und auch Exportmärkte verlieren. Das untergräbt unser Geschäftsmodell hier in Deutschland und in Europa.

Der dritte Punkt betrifft das Vertrauen. Die deutsche Wirtschaft hat das Vertrauen in unsere Politiker verloren. Wenn man kein Vertrauen hat, investiert man nicht. Daher erodiert der Kapitalstock hierzulande, und das ist es, was wir sehen. Deutschland ist in der Weltrangliste für Wettbewerbsfähigkeit von 2014 bis 2023 von Platz 5 auf Platz 22 zurückgefallen. Das ist eine Aufforderung an die deutschen Politiker und auch an die Politiker der Europäischen Union, in vielen Fragen eine Kehrtwende zu vollziehen – sei es in der Außenpolitik oder bei den Kapitalinvestitionen, und daß wir unsere eigenen Interessen und nicht die Interessen Dritter verfolgen.

Hellmeyer: Die Antwort ist ganz einfach. Natürlich kann man das sehen, und einige Ökonomen wie ich haben das schon sehr früh gesehen, und wir waren schon lange in Kontakt. Wir haben darüber gesprochen – die Seidenstraße, die BRICS, all diese Themen hängen zusammen. Tatsache ist, daß die westliche Welt ihre Machtposition in der Welt nicht verlieren will. Im Jahr 1980 hatte die westliche Welt einen Anteil von 80 Prozent am weltweiten BIP, bei vergleichbarer Machtparität. Heute sind wir auf etwa 30 Prozent gefallen. Der Globale Süden ist also von 20% auf jetzt 70% gestiegen, aber er wächst jedes Jahr um 100-150% stärker als die westliche Welt. Sie werden also in absehbarer Zeit 75% bis 80% erreichen. Das ist eine wirtschaftliche und finanzielle Machtverschiebung, die bereits stattgefunden hat.

Bisher waren alle diese Länder des Südens auf sich allein gestellt. Sie hatten keinen Einfluß auf die Weltpolitik. Jetzt, wo sich die BRICS formieren und erweitern – ich glaube, es gibt 40 weitere Länder, die beitreten wollen –, werden sie zu einem wichtigen Akteur. Deutschland handelt nicht im eigenen Interesse, indem es auf den Globalen Süden und die BRICS-Länder zuginge, sondern folgt den Vorgaben aus New York und Washington und auch aus London. Das ist ein großer Fehler, denn am Ende gewinnen wir vielleicht eine Schlacht, aber wir verlieren den Krieg. Durch den Einsatz von Mitteln, die außerhalb des Rahmens des legalen Geschäfts in der Welt liegen – zum Beispiel der WTO, der Welthandelsorganisation – verlieren wir jeden Tag das Ansehen des Globalen Südens. Wir schaden uns also selbst, wenn wir dabei nicht mitmachen, und ich weiß das, weil ich mich sehr bemüht habe, uns auf den Weg der BRICS zu bringen, auf den Weg der Chancen. Das hat nicht sehr gut funktioniert, um es sehr diplomatisch auszudrücken.

Hellmeyer: Um etwas in die Diskussion zu bringen, braucht man die Medien. Die Medien verweigern sich den Diskussionen, die von Berlin gerade in Hinsicht der internationalen Politik unerwünscht sind. Ich habe diesbezüglich meine persönlichen Erfahrungen.

Werfen wir einen Blick auf das St. Petersburger Wirtschaftsforum. Es ist ein großer Erfolg. Und ich behaupte ganz klar, daß der Westen seit 1944, als der IWF und die Weltbank in Bretton Woods gegründet wurden, noch nie so isoliert war. Im Grunde ist jedes einzelne Ziel, das der Westen nach dem 24. Februar 2022 verfolgte, nach hinten losgegangen. Insbesondere haben wir Rußland wirtschaftlich nicht in die Knie gezwungen; statt dessen blüht seine Wirtschaft. Unsere Wirtschaft in Europa leidet.

Zweitens, es gibt keine internationale Isolation Rußlands. Es gibt aber eine Isolation zwischen dem Westen und dem Globalen Süden, die sich latent verschärft. Wenn Sie sich die Handelsströme zwischen dem Globalen Süden und Rußland ansehen, haben sie zugenommen. Die von Europa sind zurückgegangen.

Wenn Sie all diese Dinge zusammen betrachten, werden wir diese Märkte für einen sehr langen Zeitraum verlieren. Und es gibt noch ein weiteres Problem. Die Globalisierung hat die Armut in der Welt verringert, doch heute de-globalisieren wir im Grunde genommen; wir spalten den Westen vom Globalen Süden durch die von den USA gesteuerte Politik, die von der Europäischen Union übernommen wurde. Wir entfernen uns von der Globalisierung und verlieren damit potentielles Wachstum. Der Globale Süden mit den BRICS, der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit und der RCEP [Regional Comprehensive Economic Partnership] hingegen globalisiert weiter. Daher haben sie in Zukunft höhere potentielle Wachstumsraten. Sie sind klug, und für mich ist das Forum in St. Petersburg eine Bestätigung dafür. 130 Länder sind dort vertreten; und es gibt 193 Länder in den Vereinten Nationen. Das spricht für sich.

Hellmeyer: Ja. Wenn Sie sich die Anteile am Welt-BIP anschauen, habe ich erwähnt, daß der Globale Süden bei 70 Prozent liegt. Wenn man sich die Qualität der statistischen Daten anschaut, dann hatte der Westen in der Vergangenheit – in den 50er, 60er, 70er, 80er, 90er und 2000er Jahren – immer bessere Strukturdaten. Es gab die lateinamerikanische Krise, die Fernostkrise usw. und der Globale Süden hatte schwache Strukturdaten. Auch das hat sich geändert. Es ist also eine Veränderung in der Quantität und in der Qualität.

Jetzt bauen sie Strukturen auf, um ihre wirtschaftliche Macht und ihre Qualität in Modelle einzubringen, die es erlauben, auf ausgewogene Art und Weise miteinander umzugehen. Das westliche System mit dem IWF und der Weltbank war immer ein Mittel, um westliche Interessen durchzusetzen. Und es ist bekannt, daß für eine Entscheidung des IWF oder der Weltbank eine Zustimmung von 85 Prozent erforderlich ist. Die USA haben eine Sperrminorität, also können sie alles stoppen, was sie wollen. Mit der Neuen Entwicklungsbank und all diesen Themen haben wir jetzt die Chance, neue Strukturen zu schaffen. Es wird Zeit brauchen, und ich empfehle dem Süden, sich Zeit zu nehmen, harte und gute Arbeit zu leisten und nicht zu schnell zu sein. Schauen Sie sich den Euro an, das war ein schneller Weg, nicht der beste, sondern ein schneller Weg.

Hellmeyer: Ich sehe diese Gefahr, weil sich die Mentalität in Europa geändert hat – die Mentalität der Politiker. Die Lehren aus dem letzten Jahrhundert werden nicht mehr gezogen, nein. Was wir in der Ukraine-Krise sehen, ist eine ständige Eskalation durch den Westen. Wir erreichen nicht die Ziele, die wir erreichen wollen, und sobald wir das sehen, eskalieren wir einfach. Das erinnert mich an Christopher Clarks Buch über den Ersten Weltkrieg, wie die Länder in den Ersten Weltkrieg gezogen sind. Wir sind genau auf dem gleichen Weg. In dieser Hinsicht stimme ich voll und ganz mit Scott Ritter, Jeffrey Sachs, John Mearsheimer und einigen anderen überein. Das ist meine größte Sorge für die Zukunft.

Die Wirtschaft ist das eine. Sollen wir die Welt wegen der Ukraine zerstören? Und es ist ja nicht wegen der Ukraine. Die Ukraine ist ein Opfer der Politik des Westens, der nach der Weltmacht greift, während seine Grundlage für die Weltmacht im Bereich der Wirtschaft und der Finanzen schwindet. Das ist das Hauptproblem. Es geht um Macht; mit Menschlichkeit hat das nichts zu tun, nicht mit der Moral, die wir verbal an den Tag legen. Unsere wahren Farben sind andere.

Hellmeyer: In der Tat, und ich wünsche Ihnen das Allerbeste. Ich möchte Ihnen für all Ihre Bemühungen danken, die Sie in den letzten Jahrzehnten unternommen haben, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Ich danke Ihnen.