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Von Donald Ramotar
Donald Ramotar ist ehemaliger Staatspräsident von Guyana. Im zweiten Abschnitt der Internetkonferenz des Schiller-Instituts am 15.-16.6. sagte er folgendes (Übersetzung aus dem Englischen, Zwischenüberschriften wurden hinzugefügt.)
Vielen Dank, daß Sie mich eingeladen haben. Zunächst einmal möchte ich sagen, wie sehr ich unsere erste Konferenzsitzung geschätzt habe. Sie war sehr informativ und, wie ich glaube, sehr nützlich.
Wir treffen uns zu einem äußerst wichtigen und ich würde sagen, äußerst gefährlichen Zeitpunkt für unsere Welt. Zwei große Kriege sind im Gange: der Krieg in Gaza, der aus humanitärer Sicht eine der schlimmsten Katastrophen ist, die wir je erlebt haben. Und der zweite ist der Ukraine-Konflikt, der insofern am gefährlichsten ist, als er einen Atomkrieg auslösen kann, der das Ende des Lebens, wie wir es auf der Erde kennen, bedeuten kann. Deshalb ist es äußerst wichtig, daß wir unser Bestes tun, um all diesen Konflikten ein Ende zu setzen.
Aber es gibt noch andere Konflikte, überall in der Dritten Welt – Sudan, um nur einen zu nennen. Im Mittelpunkt vieler dieser Konflikte steht die ganze Frage der Armut, der Unterentwicklung, der fehlenden wirtschaftlichen Entwicklung. Viele Sozialwissenschaftler haben bereits nachgewiesen, daß es einen Zusammenhang zwischen sozioökonomischer Entwicklung und Frieden gibt. Je mehr wir die wirtschaftliche Entwicklung vorantreiben und bestimmte soziale Fragen lösen können, desto mehr können wir einige der verschiedenen Probleme mildern und abschwächen.
Die Entwicklungsländer des Südens sind mit Konflikten aller Art konfrontiert, sowohl interne Konflikte als auch, nicht selten, Probleme untereinander. Das ist eine direkte Folge der ungleichen und ungerechten internationalen Beziehungen, die in unserer Welt herrschen. Auch wenn der Kolonialismus weitgehend beendet ist, gibt es hier und da immer noch Gebiete, die davon betroffen sind. Bei uns in der Karibik zum Beispiel gibt es noch einige davon. Der Kolonialismus wurde zwar Mitte der 1970er Jahre weitgehend beendet, aber viele der Verbindungen sind noch nicht wirklich abgebrochen.
Das gilt insbesondere für die wirtschaftliche Entwicklung. Die Ausbeutung der Dritten Welt geht unvermindert weiter, das hat sich nicht geändert. In einigen Fällen – insbesondere durch die Entwicklung von Wissenschaft und Technik – hat sie sich sogar noch verstärkt und ist wahrscheinlich sogar intensiver als während der Kolonialzeit. Die Ausbeutung unserer Ressourcen zugunsten der entwickelten Welt ist nach wie vor ein Hauptmerkmal der heutigen internationalen Beziehungen.
Das zeigt sich daran, daß die Nettokapitalströme immer noch sehr stark vom Süden in den Norden fließen, von den Entwicklungsländern in die entwickelte Welt. Das mag nicht so erscheinen, wenn man sieht, daß die Konzernmedien ständig berichten, daß die Länder der Dritten Welt gerettet werden müssen oder daß sie Spenden oder Beiträge brauchen. In den Nachrichten wird der Eindruck erweckt, daß mehr Geld aus dem Norden in den Süden fließt. Doch tatsächlich wird geschätzt, daß der Netto-Ressourcenfluß von den Entwicklungsländern in die Industrieländer seit 1960 etwa 62 Billionen Dollar beträgt. In heutigem Geld sind das 152 Billionen US-Dollar. Es handelt sich also nicht um Mittel, die aus dem Norden in den Süden kommen, sondern um Mittel, die aus dem Süden in den Norden fließen.
Diese Ausbeutung nimmt viele Formen an, und das betrifft die Ausbeutung unserer Rohstoffe. Nicht viele Länder der Dritten Welt im Süden sind so industrialisiert, daß sie Fertigprodukte herstellen können. Daher sind wir immer noch weitgehend Rohstoffexporteure. Und dadurch hat sich die Handelsbilanz dramatisch verändert, weil die Preise für Industriegüter weiter stark ansteigen, während die Preise für Rohstoffe viel langsamer steigen. Daher müssen wir in der Dritten Welt fast jedes Jahr mehr Mittel aufwenden, um die gleichen Waren zu kaufen wie in den Vorjahren. Ein größerer Teil unserer Ressourcen wird für den Kauf von Waren verwendet.
Es ist für uns nicht überraschend, aber für viele Menschen in anderen Teilen der Welt mag es das sein, weil die Dritte Welt größtenteils aus Agrarländern besteht: Aber es wird immer noch eine enorme Menge an Nahrungsmitteln in die Länder der Dritten Welt importiert, in der Landwirtschaft selbst. In die Karibik zum Beispiel werden jährlich Lebensmittel im Wert von über 4 Milliarden Dollar importiert, obwohl wir als eher landwirtschaftlich geprägt gelten.
Das liegt vor allem daran, daß zwar viele der von uns produzierten Erzeugnisse, wie Zuckerrohr, Zucker, Reis usw., exportiert werden, wir aber viele andere pflanzliche Nahrungsmittel in unser Land importieren. Dieser Bereich wurde nicht richtig entwickelt, es wurden nicht genügend Ressourcen in andere Bereiche der Nahrungsmittelproduktion investiert. In unserer Region wird dies immer deutlicher, und in der CARICOM [der Karibischen Gemeinschaft] ist die Rede davon, die Lebensmitteleinfuhren zu reduzieren, weil wir die Möglichkeit dazu haben. Es wird nicht viel in diesen Bereich investiert, und es gibt keine Ermutigung vor Ort, mehr zu produzieren.
Dann ist da noch die Handelsbilanz. Die Stimme des Globalen Südens, der Dritten Welt, ist in wichtigen Institutionen wie dem IWF, der Weltbank, der Welthandelsorganisation usw. nicht sehr gut vertreten und nicht sehr stark. Diese Organisationen sind nach wie vor unter der Kontrolle der mächtigeren Länder der Welt, insbesondere den Vereinigten Staaten. Und sie werden in ihrem Interesse geführt.
Deshalb sind wir ständig verschuldet. In den 1980er Jahren hörte man sehr oft von den Schulden, und auch jetzt hört man von den Schulden. Die Schulden sind einer der Mechanismen, die unsere finanziellen Ressourcen ausbluten lassen und zum Nettofluß von Ressourcen aus dem Süden in den Norden beitragen. Früher haben wir viele IWF-Programme als „Schuldenfallen“ bezeichnet. Es gibt also einen Geldabfluß durch Schulden – über diese internationalen Institutionen, durch staatliche Kredite, durch viele private Kredite von Banken in der entwickelten Welt – und auch aus bestimmten Investitionen in Öl und Gas, Gold und andere Ressourcen. Sie werfen sehr schnell Gewinn ab, und so werden wir sehr schnell zum Nettoexporteur von Kapital.
Kaum etwas von diesen Ressourcen wird hier verarbeitet. Das ganze Gold, das wir in Guyana fördern, wird zum Beispiel in Kanada raffiniert. Ähnlich ist es mit jedem Tropfen Öl, der jetzt gefördert wird, denn in den letzten 4-5 Jahren sind wir zwar ein Ölproduzent geworden, aber es gibt hier keine Raffinerie, die etwas raffiniert, so daß wir kaum etwas von unseren Produkten bekommen. Das ist ein Merkmal vieler Länder der Dritten Welt, die weiterhin nur als Rohstoffproduzenten auftreten. Das führt zu großen Handelsungleichgewichten, und wir zahlen immer höhere Preise für Fertigwaren, die wir brauchen und die wir hier nicht haben.
Obwohl der Kolonialismus abgeschafft wurde, gibt es also eine Art kollektiven Kolonialismus, der sich im Laufe der Jahre entwickelt hat. Die entwickelten Länder des Nordens, vor allem die NATO-Länder, sind also diejenigen, die die Länder der Dritten Welt weiterhin ausbeuten.
Der Hauptgrund für all das ist, wie ich schon sagte, daß die internationalen Institutionen nicht zu unseren Gunsten eingerichtet sind, auch wenn man zum Beispiel aus politischer Sicht und aus Sicht der Justiz sieht, daß der Internationale Strafgerichtshof ein internationales Gremium ist; im allgemeinen will er eher Staatsführer aus der Dritten Welt vor Gericht stellen.
Schauen Sie sich an, wie lange es dauert: Seit acht Monaten, seit Israels Morden anfing, bis heute gibt es klare Anzeichen für einen Völkermord. Ich habe die Nachrichten gehört, sie sind jetzt dabei, die Häuser der Menschen zu zerstören, mit Dynamit zu sprengen. Die eigentliche Absicht ist, Gaza unbewohnbar zu machen; die Absicht ist ethnische Säuberung. Das geht weiter, und der Internationale Gerichtshof hat sich zu vielen dieser Dinge immer noch nicht geäußert.
Wir wissen, wie schnell er über Rußland und Präsident Putin geurteilt hat, obwohl sie nur angeklagt wurden, weil sie Kinder aus dem Kriegsgebiet in Sicherheit brachten. Aber bei Netanjahu ist erst seit kurzem die Rede davon, ihn anzuklagen, weil er so viel Einfluß hat.
Aus diesem Grund ist der Aufstieg der Alternativen für uns so wichtig. Das zeigt sich daran, daß viele Länder jetzt Schlange stehen und sich der BRICS-Gruppe anschließen wollen. Die BRICS-Gruppe bietet eine gewisse Hoffnung, ein besseres Gleichgewicht und ein besseres Verhältnis zu den Ländern der Dritten Welt zu schaffen. Deshalb gibt es in den Entwicklungsländern viel Enthusiasmus für die BRICS und den Wunsch, den BRICS beizutreten, in der Hoffnung auf bessere Beziehungen zu den BRICS. Sie hoffen, daß ihre Beziehungen zu den BRICS anders sein werden als die mit dem IWF, der Weltbank und anderen internationalen Organisationen, die aus der Bretton-Woods-Ära stammen.
Ein weiterer wichtiger Bereich ist die von China ins Leben gerufene Gürtel- und Straßen-Initiative. Sie ist führend beim Ausbau der Infrastruktur in der Dritten Welt, deren Mangel die Entwicklung unserer Volkswirtschaften in Bereichen wie dem Verkehr behindert hat. Dadurch werden viele unserer Strukturen an verschiedenen Orten miteinander verbunden, um sicherzustellen, daß wir eine bessere Chance für eine produktivere Entwicklung haben und mehr unserer Waren verarbeiten und zu besseren Preisen verkaufen können, usw. Ich glaube, das ist einer der Gründe für die Feindseligkeit gegenüber Rußland und China im Besonderen. Die Verleumdung dieser Länder zum Beispiel: Dieselbe Kritik, die wir über die Jahre am IWF geübt haben, daß er Schuldenfallen schafft, wird jetzt von den Konzernmedien umgedreht, sie sagen, Chinas Gürtel- und Straßen-Initiative würde Schuldenfallen schaffen.
Tatsächlich deutet alles darauf hin, daß das nicht stimmt, sondern daß viele Länder der Dritten Welt zum ersten Mal die Möglichkeit haben, die Art von Infrastruktur zu entwickeln, die sie brauchen, um mehr Ressourcen aufzubauen.
Daher würde ich sagen, daß dies wahrscheinlich einer der Gründe [für die Konflikte] ist, auch wenn es nicht so offenkundig ist wie das, was jetzt in der Ukraine passiert, wo ein Stellvertreterkrieg gegen Rußland geführt wird, um die Vorherrschaft des Westens zu erhalten. Aber es gibt sie, weil sie sehen, daß diese neuartigen Beziehungen der Dritten Welt die Möglichkeit geben, widerstandsfähiger zu sein und dem Druck standzuhalten, dem wir ständig von internationalen Institutionen und westlichen Regierungen ausgesetzt sind, und statt dessen ein Programm für uns selbst zu entwickeln.
Das ist einer der Gründe, warum wir weiterhin gegen die Vorgänge in der Ukraine kämpfen müssen. Frieden! Die Dritte Welt braucht Frieden. Viele Kämpfe in der Dritten Welt werden von außen angezettelt, und manchmal sind sie das Überbleibsel von Grenzproblemen usw., die durch den Kolonialismus verursacht wurden. Wir brauchen Frieden; wir brauchen einen Mechanismus in der Welt für den Frieden. Wir sehen erst die Anfänge davon, daß sich das mit den neuartigen Vereinbarungen mit den BRICS und der Gürtel- und Straßen-Initiative entwickelt.
Ich denke, ich habe genug gesagt, und ich möchte Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit danken.