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Neue Solidarität
Nr. 28, 11. Juli 2024

Nach Joe Bidens Debatten-Fiasko:
Wer regiert die „einzige Supermacht“?

Von Harley Schlanger

Als ein oft inkohärenter Präsident Joe Biden am 27. Juni durch die Debatte mit seinem Gegenspieler, Ex-Präsident Donald Trump, stolperte – mal mit leerem Blick vor sich hin starrend, mal verwirrt erscheinend –, da hätte die richtige Frage nicht lauten sollen, „Kann er trotzdem seinen Wahlkampf fortsetzen und im November gewinnen?“, sondern: „Wenn der Oberbefehlshaber der ,einzigen Supermacht‘ körperlich und geistig so überfordert ist, wer regiert dann eigentlich das Land?“ Bidens schwache Leistung löste bei den Mainstream-Medien und seinen Verbündeten in der Demokratischen Partei einen Schock aus – nicht, weil sie seine Gebrechen nicht kannten, sondern weil sie davon ausgegangen waren, daß seine Assistenten es schaffen würden, seine mangelnde Eignung für das Präsidentenamt zu vertuschen.

Im Laufe des anderthalbstündigen Debakels bestätigten Bidens ratlose Miene und gemurmelten Antworten, was viele Wähler bereits vermutet hatten: daß er „zu alt“ ist, um den Anforderungen des Präsidentenamtes gerecht zu werden, und vielleicht sogar an Demenz leidet. Eine Umfrage des Siena College und der New York Times nach der Debatte ergab wenig überraschend, daß 72% der Befragten ihn dem Präsidentenamt geistig und körperlich für nicht mehr gewachsen halten, und daß Trump in den Tagen nach der Debatte seinen Vorsprung vor Biden auf 6% ausgebaut hat. Der Kommentator Matt Bai fragte in einem Gastbeitrag in der Washington Post, bezogen auf Bidens inneren Kreis von Beratern, die versuchen, seinen Zustand zu verbergen: „Die wissen, daß wir Joe Biden sehen können, oder?“

Bidens Team bot allerlei Ausreden an: daß er eine Erkältung hatte; daß er von der Vorbereitung auf die Debatte müde war; daß er unter dem Jetlag von Auslandsbesuchen und Schlafmangel wegen der Arbeit litt. Sie verspotteten seine Kritiker in der Partei als „Bettnässer“. Der ehemalige Präsident Obama sprang ihm bei und spielte die Bedeutung des Ereignisses herunter: „Schlechte Debattenabende kommen vor.“ Und laut Augenzeugen soll ein trotziger Biden seinem Wahlkampfteam erklärt haben: „Ich kandidiere. Ich bin der Kandidat der Demokratischen Partei. Keiner drängt mich raus. Ich werde nicht gehen. Ich bleibe bis zum Ende im Rennen.“

In der folgenden Flut von Mainstream-Artikeln wurde Bidens offensichtliche Überforderung als ein reines Wahlkampfthema hingestellt: Kann er sich von diesem schwachen Auftritt erholen und Trump noch schlagen? Sollte er zurücktreten, um „die Demokratie vor Donald Trump zu retten“? Gibt es einen anderen Demokraten, der die Wahl gewinnen könnte? Es häuften sich Berichte über wichtige Geldgeber, die das sinkende Schiff verlassen, und über Kongreßabgeordnete, die verzweifelt nachrechnen, ob die Demokraten ihre Mehrheit im Senat halten können, wenn Biden der Kandidat bleibt. Hastig wurde eine Versammlung von etwa 20 Gouverneuren der Demokratischen Partei einberufen, um den Biden-Anhängern zu versichern, daß noch Zeit bleibt, sich von der Schlappe zu erholen. Der Gouverneur von Minnesota, Tim Walz, sagte nach dem Mittagessen: „Der Weg zum Sieg im November ist die oberste Priorität des Präsidenten.“

Kein einziger Journalist fragte, ob es nicht eine Priorität sein sollte, einen Atomkrieg mit Rußland um die Ukraine zu verhindern.

Die Medien und die hybride Kriegsführung

Wie vorherzusehen war, lenkten die Konzernmedien die Aufmerksamkeit vom wahren Problem für die Amerikaner und die Welt ab – nämlich den Auswirkungen des bevorstehenden Endes der „unipolaren Ordnung“, die sich durch den Mißbrauch des Dollars als Waffe sowie militärische Operationen von USA und NATO retten will, und dem Entstehen einer neuen, multipolaren Welt. Stattdessen stellten sie die Krise der Präsidentschaft in einer Zeit globaler Veränderungen und Verwerfungen als eine Wahlkampf-Seifenoper dar.

Die New York Times ist ein Beispiel für den Schwenk. Lange Zeit ein führender Parteigänger Bidens, veröffentlichte die NYTimes innerhalb von zwei Tagen nach der Debatte einen Leitartikel mit der Schlagzeile „Um sein Land zu retten, sollte Präsident Biden aus dem Rennen aussteigen“, und dazu mindestens fünf weitere Kommentare von Kolumnisten mit derselben Stoßrichtung. Bei allen waren die Formulierungen gleichlautend: Biden ist ein guter Mann, er hat einen tollen Job gemacht, er hat das Land vor einem weiteren Verfall bewahrt, indem er Trump 2020 besiegte – aber sein katastrophaler Auftritt bei der Debatte zeigt, daß er im November wahrscheinlich gegen Trump verlieren wird, und deshalb brauchen die Demokraten einen anderen Kandidaten.

Typisch war der Artikel eines ihrer berühmtesten Kolumnisten, Thomas Friedman, mit der Überschrift „Joe Biden ist ein guter Mann und ein guter Präsident – er muß sich aus dem Rennen zurückziehen“. Friedman schrieb melodramatisch, als er die Fernsehdebatte verfolgte, habe er geweint.

Solche Kommentare reduzieren die akute Krise auf ein trügerisches Narrativ: Das große Problem, um das es jetzt gehe, sei die „Bedrohung der Demokratie durch Donald Trump“. Deshalb müsse man etwas gegen den Problemfall Biden unternehmen. Innerhalb einer Woche bildete sich ein Konsens heraus, daß Biden sich zurückziehen müsse, um das Land vor Trump zu retten, aber auf eine Art und Weise, die ihn nicht demütigt. Dazu müsse man ihn einem Test unterziehen. In der Washington Post hieß es, Biden müsse bei Wahlveranstaltungen und Interviews „schnell seine Eignung für das Amt unter Beweis stellen“, sonst müsse er „mit erheblichen Anstrengungen rechnen, ihn zum Rücktritt zu zwingen“.

Man sucht vergeblich nach einem Eingeständnis der Medien, daß sie Biden bis zuletzt unterstützt und seine Schwächen vertuscht haben. Noch wichtiger ist, daß kaum erwähnt wird, wie die Welt durch den NATO-Stellvertreterkrieg gegen Rußland in der Ukraine – den die transatlantischen Mächte unter Führung der Biden-Regierung verlieren – auf einen Atomkrieg zusteuert. Biden und sein Sprecher lehnen nicht nur Verhandlungen zur Beendigung des Krieges ab, sie weigern sich standhaft, überhaupt mit den Russen zu sprechen. Darüber hinaus haben sich die USA durch die uneingeschränkte politische, finanzielle und militärische Unterstützung Israels in seinem Krieg gegen die Palästinenser in Gaza international zunehmend isoliert. Bei beiden Konflikten besteht die Gefahr, daß „rote Linien“ überschritten werden und die US-NATO-Streitkräfte in einen umfassenden Krieg mit Rußland hineingezogen werden, der mit einem Atomkrieg enden kann.

Das wahre Problem ist offensichtlich: Wenn Biden in einer Zeit vielfältiger strategischer Krisen geistig überfordert ist, wer hat dann das Kommando über das US-Militär und insbesondere über die nukleare Komponente?

Einen Kontrast zum organisierten Gruppendenken der Mainstream-Medien bildet eine Kolumne der australischen Aktivistin Caitlin Johnstone mit dem Titel „Denken Sie gründlich darüber nach, was es bedeutet, daß der amerikanische Präsident dement ist“. Johnstone schreibt:

Nun treffen andere in der Regierung – wer? – die Überlebensentscheidungen für das Land: Was sagt das über die amerikanische „Demokratie“ aus? Was nützt eine Wahl, wenn der Wahlgewinner gar nicht die Politik bestimmt, sondern die Entscheidungen in den Händen einer permanenten Bürokratie liegen, hinter der die Geldgeber-Milliardäre stehen, die bewiesen haben, daß sie bereit sind, einen Atomkrieg zu riskieren, um ihre privaten Interessen und Privilegien zu verteidigen?

Der kommende NATO-Gipfel

Die Biden-Frage spitzt sich in einem entscheidenden Moment für die NATO zu. Da Biden bisher zu keinerlei Verhandlungen mit Präsident Putin über dessen Friedensplan zur Beendigung des Ukraine-Krieges bereit ist, Bidens Zukunft ungewiß und Trumps abschätzige Haltung zur NATO bekannt ist, ist es kein Wunder, daß „die NATO kollektiv die Luft anhält“, wie der CIA-nahe David Ignatius in der Washington Post vom 4. Juli sagt. Ignatius schreibt, die NATO-Führung sei aus Angst vor einem Sieg Trumps nervös, und das zu einem Zeitpunkt, an dem die USA und Rußland „die Eskalationsleiter in der Ukraine hochgeklettert sind“. Der NATO-Gipfel beginnt am 9. Juli in Washington.

Diese Situation erfordert eine Führung mit Weisheit und Einsicht sowie die Bereitschaft, das Prinzip des Westfälischen Friedens anzuwenden, daß die Nationen im Interesse des anderen handeln sollen. Es ist an der Zeit, Putins Angebot anzunehmen, über ein Ende des Ukraine-Krieges zu verhandeln, und der Unterordnung der Nationen unter die Forderungen der Milliardärsklasse ein Ende zu setzen. Lassen wir ihre unipolare Ordnung friedlich sterben. Die Globale Mehrheit geht in diese Richtung. Können die Wähler in den USA einen Weg finden, sich dieser Mehrheit anzuschließen?