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Neue Solidarität
Nr. 27, 4. Juli 2024

„Das Hauptproblem der Europäer ist:
Wir sind in eine Falle getappt“

Von Caroline Galactéros

Caroline Galactéros ist Politikwissenschaftlerin und Oberst der Reserve in Frankreich. Im ersten Abschnitt der Internetkonferenz des Schiller-Instituts am 15. Juni sagte sie folgendes. (Übersetzung aus dem Französischen.)

Guten Abend, meine Damen und Herren, ich freue mich sehr, zu Ihnen sprechen zu können, und bedaure, daß ich dies aus der Ferne tun muß. Ich möchte dem Schiller-Institut dafür danken, daß es mich eingeladen hat, einige Fragen zu beantworten.

Der Einfachheit halber werde ich die Fragen, die mir gestellt wurden, wiederholen.

Die erste Frage lautete: Was können Sie über die Kriegspropaganda sagen, sowohl aus europäischer als auch vor allem aus französischer Sicht?

Ich werde mich auf den russisch-ukrainischen Konflikt beschränken, oder besser gesagt auf den Konflikt zwischen Rußland und der NATO. Es ist offensichtlich, daß die Propaganda in den letzten zweieinhalb Jahren total, massiv, permanent, dramatisch in ihren Auswirkungen und Folgen war, sowohl in Bezug auf die Dynamik des Konflikts selbst – denn sie bringt uns dazu, Positionen einzunehmen, die auf einem Narrativ basieren, das nicht mit der Realität übereinstimmt – als auch in Bezug auf die Dynamik und die Folgen, die sie haben kann, einschließlich der Entwicklung der öffentlichen Meinung, mit ziemlich direkten politischen Folgen. Ich glaube, wir erleben das gerade jetzt in Frankreich mit der gestrigen Ankündigung der Auflösung der Nationalversammlung durch unseren Staatspräsidenten.

In diesem Konflikt wird die Propaganda zunehmend durch die von den politischen Mächten in Europa und insbesondere in Frankreich wahrgenommene Notwendigkeit angetrieben, die kriegstreiberische Haltung zu nähren. Je schlimmer die Lage auf dem Schlachtfeld wird, desto mehr Propaganda kommt hinzu und erreicht jeden Tag neue Höhen der Absurdität.

Der jüngste Höhepunkt ist natürlich die Erklärung des französischen Präsidenten, in der gesagt wird, daß Frankreich auf der Seite des Friedens steht, was sehr schwer zu verstehen ist, wenn man sich die Absichtserklärungen ansieht, die wir in Bezug auf Waffenlieferungen abgeben, wenn man sich eine ganze Reihe von Entscheidungen ansieht, die in Bezug auf eingefrorene russische Guthaben getroffen wurden, in Bezug auf unsere Unterstützung über das bilaterale Sicherheitsabkommen zwischen der Ukraine und Frankreich usw. usw. Wir stehen auf der Seite des Friedens, aber in Wirklichkeit nähren wir den Krieg.

Und es fällt mir schwer zu glauben, daß wir uns der Konsequenzen unserer Positionen nicht bewußt sind. Eine weitere aktuelle Haltung, die unserer Glaubwürdigkeit ebenfalls extrem schadet, ist natürlich die Erklärung des Präsidenten, der erklärte, daß wir, wenn wir Rußlands Einschüchterungspolitik gegenüber dem Westen nachgegeben hätten, nicht all die Waffen geliefert hätten, die wir an die Ukraine geliefert haben, und daß die Ukraine deshalb nicht in der Lage wäre, in der sie sich heute befindet... Ich würde sagen, das ist der letzte Strohhalm, denn ich stimme Ihnen vollkommen zu! Wären wir vorsichtig und gemäßigt genug gewesen, der Versuchung nicht nachzugeben, diese Lieferungen zu tätigen und den Konflikt anzuheizen, wäre die Ukraine nicht in der Lage, in der sie sich heute befindet, d.h. in einer militärisch und menschlich äußerst bedenklichen Lage, die ihren Interessen als Land extrem schadet.

Ein Friedensabkommen war nach einigen Tagen, einigen Wochen des Konflikts nach dem Beginn der russischen militärischen Sonderoperation ausgehandelt worden, und es war ein Abkommen, das zerstört wurde – obwohl Präsident Selenskyj dazu bereit war. Es wurde von uns und insbesondere von den Briten zerstört, durch Boris Johnson, der kam, um der Ukraine zu erklären, daß sie dazu da sei, Krieg zu führen und nicht Frieden zu schließen.

Da haben wir es also. Und dann gerieten wir leider in die schreckliche Spirale, in der wir uns heute befinden. Wir hätten also viel schneller und mit viel weniger Toten Frieden haben können, mit Hunderttausenden von Toten und Verwundeten weniger.

Wir befinden uns also in einer Art Schizophrenie: ist es taktisch oder ist es real? Begeben wir uns in eine zum Scheitern verurteilte, sich selbst erfüllende Prophezeiung? Ist dies die Strategie des Schlimmsten? Es fällt mir schwer, das zu glauben. Natürlich gibt es Arroganz, natürlich gibt es Ignoranz, aber vor allem fehlt es an Verständnis für die militärische Realität und die tatsächliche Lage des Kräfteverhältnisses.

Mir wurden dann noch zwei weitere Fragen gestellt. Die zweite lautete: Was könnte Frankreich zu einer positiven Lösung beitragen, aus rein nationaler Sicht oder darüber hinaus?

Und die dritte Frage: De Gaulle hat sich mehrfach über die französische Tendenz geärgert, schon vor dem Kampf aufzugeben. Was können wir Ihrer Meinung nach heute nach den Ergebnissen der Europawahlen tun?

Meine Botschaft kommt zum richtigen Zeitpunkt, nach den Ergebnissen der Europawahlen und nach der Entscheidung des Präsidenten der Republik, unsere Nationalversammlung aufzulösen.

Nun, ich denke, daß dies, wie alle Krisen, eine Chance ist, und so sollten wir es auch sehen. Aber was auch immer die Gründe für diese Auflösung sind, sie sind nicht unbedingt... sie können sehr taktisch sein. Aber nichtsdestotrotz befinden wir uns in dieser Situation, und ich denke, es ist eine Gelegenheit für Frankreich, einen klaren Kurswechsel vorzunehmen. Und das erfordert natürlich Mut. Aber vielleicht kann eine Kohabitation diese Kehrtwende ermöglichen.

Paradoxerweise müssen wir diese Kohabitation nutzen und eine ziemlich radikale Wende in unserer Herangehensweise an den Konflikt vollziehen und versuchen, uns nützlich zu machen. Und wir machen uns vor allem dann nützlich, wenn wir eine Macht wie Frankreich sind, eine Atommacht natürlich, aber vor allem eine, die auf eine große Geschichte zurückblicken kann.

Wir müssen, um uns De Gaulle anzuschließen, eine große Außenpolitik wiederentdecken. Und um in diesem Konflikt nützlich zu sein, müssen wir uns natürlich nicht mit Rußland oder irgend jemand anderem verbünden, sondern uns vielleicht in einer Allianz der Umstände zusammenschließen, die dem Weltfrieden und der Wiederherstellung der europäischen Sicherheit dienen würde.

Und dabei denke ich an China, denn mit China könnten wir vielleicht versuchen, einen Weg der Beschwichtigung zu fördern, nicht indem wir China erklären, daß es sich von Rußland trennen muß – das wird wahrscheinlich nicht passieren.

Andererseits, um die Bedingungen eines Abkommens über die Einstellung der Feindseligkeiten und die Stabilisierung der Sicherheit in Europa zu definieren, was ja das Hauptproblem der Europäer ist: Wir sind sicherlich in eine Falle getappt, eine doppelte Falle, und Europa ist eindeutig ein amerikanischer Stellvertreter in diesem Konflikt, ebenso wie die Ukraine.

Nicht wie die Ukraine, die unglückliche Ukraine; aber wir sind direkt dahinter, und das ist das Dramatischste. Wir müssen aus dieser Abwärtsspirale herauskommen, die auch extrem gefährlich wird, weil wir die russischen Positionen nicht abschätzen oder verstehen.

Und auf dieses Verständnis müssen wir uns zubewegen.

Es gibt eine Reihe von Punkten, die heute bereits von großen Diplomaten angesprochen und aufgelistet wurden, von Menschen, die durchaus in der Lage sind zu verstehen, wie die Bedingungen für ein realistisches Abkommen aussehen würden, das die Einstellung der Feindseligkeiten in der Ukraine ermöglicht und das schützt, was von der Ukraine und ihrer Bevölkerung heute noch übrig ist.

Das ist alles, was ich sagen wollte. Ich bedauere nochmals, daß ich nicht an den Debatten und den verschiedenen Fragen teilnehmen kann, aber das wird sicherlich ein anderes Mal der Fall sein, wenn ich hoffentlich die Gelegenheit habe, persönlich anwesend zu sein. Vielen Dank, und ich wünsche Ihnen eine sehr gute Konferenz.