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Neue Solidarität
Nr. 25, 20. Juni 2024

Die größte Bedrohung für unser Überleben
ist die Nuklearpolitik der USA

Von Scott Ritter

Vielen Dank für die Einführung. Es ist mir eine Ehre und ein Privileg, heute hier zu sein und mit Ihnen über ein Thema zu sprechen, das leider ignoriert wird. Nehmen Sie die Morgenzeitung, nehmen Sie die Nachmittagszeitung, nehmen Sie irgendeine Zeitung, und ich bezweifle, daß Sie eine Schlagzeile „Amerika in unmittelbarer Gefahr eines nuklearen Armageddon“ sehen werden. Aber das sollte die Schlagzeile jeder Zeitung sein; das sollte der Aufmacher jeder Nachrichtensendung sein.

Nicht, weil das Ziel darin besteht, den Menschen Angst zu machen. Viele Leute haben mir Angstmacherei vorgeworfen und gesagt: „Es ist unverantwortlich, was Sie tun, Angst zu schüren.“ Ich sage: Es ist unverantwortlich, wenn die amerikanische Öffentlichkeit, die amerikanischen Bürger es zulassen, daß die Regierung, die für sie arbeitet, eine Politik betreibt, die zum Ende allen menschlichen Lebens auf dem Planeten Erde, wie wir ihn kennen, führen wird. Das ist hier nämlich das Endergebnis.

Wir sprechen hier über mehrere Dinge. Man kann heute von einem Versagen der Diplomatie sprechen. Ich habe gesagt, daß wir uns in einer Zeit in der Geschichte unseres Landes befinden, die weitaus gefährlicher ist als die Kubakrise, und viele Leute nehmen Anstoß daran – vor allem Leute, die während der Kubakrise nicht gelebt haben und keine Vorstellung davon haben, was die Kubakrise war. Aber die Kubakrise, der Oktober 1962, gilt als der Zeitpunkt, an dem die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion einem Atomkrieg am nächsten kamen.

In gewisser Weise ist das richtig, aber lassen Sie mich über einige Unterschiede zu dieser Zeit sprechen. Während die Sowjets Schiffe mit Raketen nach Kuba schickten und die Gefahr bestand, daß sie auf eine Blockade stoßen würden, die zu einem direkten militärischen Konflikt führen würde, der sich zu einem Atomkonflikt ausweiten könnte, sprach ein Mann namens John McCloy mit einem Mann namens Valerian Zorin. Die Diplomatie fand statt. Wir, die Vereinigten Staaten, verhandelten aktiv mit den sowjetischen Partnern, um eben diesen Krieg, vor dem alle Angst hatten, zu verhindern! Der Grund, warum es keinen Krieg gab, ist der, daß es Diplomatie gab: Weil die Staatsführungen miteinander sprachen, wenn auch nicht direkt, so doch indirekt. Wenn nicht auf offiziellem Weg, dann auf inoffiziellem Weg. Die Diplomatie war lebendig und gut.

Heute, meine Damen und Herren, befindet sich gleich die Straße hinunter in der Wisconsin Avenue eine Botschaft – die russische Botschaft. In dieser Botschaft sitzt ein Diplomat namens Anatoli Antonow, einer der angesehensten Amerika-Experten im russischen Auswärtigen Dienst: der Chefunterhändler für den letzten verbliebenen Waffenkontrollvertrag zwischen Rußland und den Vereinigten Staaten. Er sitzt dort seit mehreren Jahren, und sein Telefon klingelt nicht! Wir rufen ihn nicht an! Wir sprechen nicht mit ihm! Heute gibt es keine Diplomatie – obwohl unsere beiden Länder auf einem Kollisionskurs sind, der sehr wohl zu einem Atomkonflikt führen könnte.

Und wenn ich von einem Atomkonflikt spreche, dann lassen Sie mich eines klarstellen. Wir sprechen jetzt über die Doktrin: Es gab eine Zeit, in der Atomwaffen dazu dienten, einen nuklearen Angriff abzuschrecken. Das ist eine kranke Sache, dieses Konzept der Abschreckung. Mutually Assured Destruction („gegenseitig zugesicherte Vernichtung“, MAD) ist eine Art Irrsinn, der sich in ein paar Worten zusammenfassen läßt, aber das ist die Realität: Die Vereinigten Staaten hatten Atomwaffen, die Sowjetunion hatte Atomwaffen. Wir mußten sicherstellen, daß niemand sich kompetent genug fühlte, diese Waffen präventiv einzusetzen, um sich einen strategischen Vorteil zu verschaffen. Das Endergebnis war die „Mutually Assured Destruction“, die nukleare Abschreckung. Und das hat bis zum Ende der Sowjetunion funktioniert.

Es funktionierte so gut, daß ich sagen muß, daß eine meiner ersten Aufgaben als Erwachsener darin bestand, als Offizier des Marine Corps Rüstungskontrollverträge in der ehemaligen Sowjetunion umzusetzen, die Teil des INF-Vertrags waren, mit dem wir ganze Kategorien von Kernwaffen abschafften. Es war das erste Mal, daß wir nicht nur ihre Zunahme begrenzten, sondern die Arsenale tatsächlich reduzierten.

Das hätte zu einer noch größeren Reduzierung der Kernwaffenarsenale führen können – aber nein, nicht bei den Vereinigten Staaten! Als sich die Sowjetunion auflöste, beschlossen wir, daß wir einen nuklearen Vorteil gegenüber den Sowjets aufrechterhalten mußten, und wir haben das Konzept der Rüstungskontrolle korrumpiert. Wir zogen uns aus Rüstungskontrollverträgen wie dem Vertrag über die Raketenabwehr (ABM-Vertrag) zurück, der der gegenseitigen Zerstörungssicherheit die Zähne verlieh.

Sehen Sie, ohne die Abwehr ballistischer Raketen würden die Raketen ihr Ziel treffen – das heißt, wenn Sie einen Krieg führen, würden Ihre Raketen das Ziel treffen, auf das sie gerichtet sind, aber die Raketen, die auf Sie gerichtet sind, würden die Ziele auch treffen. Unter George W. Bush haben wir beschlossen, daß wir nicht wollen, daß irgendwelche Raketen Amerika treffen. Angeblich ein vernünftiger Gedanke – aber gleichzeitig wollten wir die nukleare Vorherrschaft über die Russen erlangen, so daß unsere Raketen Rußland treffen würden! Das schafft ein Ungleichgewicht.

Nach dem 11. September [2001] gingen wir noch weiter. Wir erlebten einen Übergang von der Doktrin der nuklearen Abschreckung zu einer Doktrin der nuklearen Kriegsführung, die besagt, daß wir Atomwaffen präventiv gegen eine nichtnukleare Bedrohung einsetzen können.

Unser derzeitiger Präsident der Vereinigten Staaten, der Oberbefehlshaber Joe Biden, ist mit dem Versprechen in den Wahlkampf gezogen, Amerika zur Vernunft der „Sole-Use-Doktrin“ [d.h. kein Erstschlag] zurückzubringen, was bedeutet, daß der einzige Zweck des amerikanischen Atomwaffenarsenals darin besteht, andere von einem Angriff auf uns abzuhalten. Er hat es nicht getan. Und warum? Vor ein paar Jahren nahm ich an einem Treffen von Inspektoren und Unterhändlern der Intermediate Nuclear Forces teil, und wir stellten diese Frage einem hochrangigen Rüstungskontrollbeamten der Regierung Biden. Die Antwort? „Der Behördenapparat [„Inter-Agency“] ist noch nicht bereit dafür.“

Nun, ich lebe in einem Land, das angeblich die größte Demokratie der Welt ist. Ich weiß, daß ich wählen gehe. Ich weiß, daß ich mir die Namen auf dem Stimmzettel angeschaut habe. Ich habe nie „Inter-Agency“ auf dem Stimmzettel gesehen. Ich weiß nicht, wovon sie reden, wenn es um Demokratie geht: Der Präsident ist der Oberbefehlshaber. Er ist die Exekutive. Wenn er eine politische Richtung will, gibt er sie vor. Und der Behördenapparat muß klug vorgehen und versuchen, sie umzusetzen. Aber man sagt uns, der Behördenapparat sei nicht dazu bereit. Das bedeutet, daß das Establishment nicht bereit ist. Das bedeutet, daß das Establishment etwas anderes anstrebt – und das ist natürlich die amerikanische nukleare Vorherrschaft.

Wir leben in einer Welt, in der andere Länder das nicht mehr dulden werden. Rußland ist eines davon. Und Rußland ist heute ein Land, auf das die Spitze des amerikanischen Nuklearspeeres gerichtet ist. Sie sehen, wie die Vereinigten Staaten eine Politik verfolgen, die die amerikanischen militärischen Fähigkeiten bis an die Grenzen Rußlands heranführt, ja sogar die Grenzen Rußlands überschreitet. Sie bedrohen Rußlands strategische Nuklearkräfte – Frühwarnradare, Kommando- und Kontrolleinrichtungen, sogar Atomwaffendepots und nukleare Abschußsysteme. Wir haben einen Angriff auf den Luftwaffenstützpunkt Engels ermöglicht, wo russische strategische Atombomber stationiert sind – „wir“, das heißt die Vereinigten Staaten. Nach russischer Doktrin rechtfertigt dies allein schon eine nukleare Antwort. Wir haben den russischen Atombären schon lange gekitzelt, und nur dank der Geduld und Weisheit der russischen Führung wurde ein Atomkrieg vermieden.

Als Amerikaner nehme ich Anstoß daran. Ich möchte nicht von der Gnade irgendeines ausländischen Staatschefs abhängig sein. Mir wäre es lieber, wenn die amerikanische Führung einen vernünftigen Schritt in Richtung Konfliktentschärfung machen würde. Wenn ich von einer Regierung abhänge, die ich an der Wahlurne zur Rechenschaft ziehen kann – einer Regierung „des Volkes, durch das Volk, für das Volk“ [Zitat v. Abraham Lincoln]. Eine Verfassung, die mit „Wir, das Volk der Vereinigten Staaten von Amerika“ beginnt, und das ist der letzte Gedanke, den ich in den Raum stellen möchte.

Wir haben die Pflicht und die Verantwortung, als Bürger aufzuwachen und die Bedrohungen zu erkennen, denen wir als Nation, als Volk gemeinsam ausgesetzt sind. Und die größte Bedrohung für das weitere Überleben der Vereinigten Staaten von Amerika ist heute die amerikanische Atompolitik, die amerikanischen Atomwaffen. Diese Waffen schützen uns nicht, meine Damen und Herren. Diese Waffen sind buchstäblich eine geladene Waffe an unserem Kopf, mit dem Finger eines Wahnsinnigen am Abzug.

Wir müssen uns zusammentun, wir müssen das stoppen. Wir haben im November eine Wahl: Lassen Sie uns alle unsere Aufgabe als Bürger wahrnehmen und für jemanden stimmen, der das Überleben Amerikas über alles andere stellt, was bedeutet, daß er die Nichtverbreitung von Kernwaffen, die nukleare Abrüstung und die Rüstungskontrolle über alles andere stellt.

Ich danke Ihnen vielmals.