Nr. 22, 30. Mai 2024
Die Legalisierung von Cannabis: Chronik einer Katastrophe mit Ansage
Ein Interview mit Prof. Jean Costentin
Seit 1. April 2024 ist der Besitz von Cannabis zum Eigenkonsum bis zu einer
Menge von 25 Gramm, in den eigenen vier Wänden sogar bis zu 50 Gramm, in
Deutschland erlaubt. Aus diesem Anlaß veröffentlichen wir hier das folgende
Interview zur Problematik der Cannabislegalisierung und ihren Folgen, das
Agnès Farkas von Sodidarité et Progrès am 1.2. 2022 mit Prof. Jean Constentin,
geführt hat. Dieser befürchtet eine „Kretinisierung“ der Bevölkerung, die
Zunahme des Konsums anderer Drogen und toxische Auswirkungen auf den Körper
und auf die geistige Gesundheit.
Prof. Jean Costentin ist Mitglied der französischen Akademien für
Medizin und Pharmazie, Professor für Pharmakologie an der Fakultät Rouen und
leitet eine Forschungseinheit für Neuropsychopharmakologie, die mit dem
Forschungszentrum CNRS verbunden ist. Er ist Vorsitzender des Centre national
de prévention, d'études et de recherches en toxicomanie (Nationales Zentrum
für Prävention, Studium und Erforschung des Drogenmißbrauchs) und hat 2006 das
Buch
Halte au cannabis! („Stoppt das Cannabis!“) für die breite
Öffentlichkeit verfaßt. Das Interview wurde aus dem Französischen übersetzt,
den Originaltext finden Sie
hier.
Agnès Farkas: Ähnlich wie seine europäischen Nachbarn ist
auch Frankreich auf dem Weg zur Legalisierung von Cannabis und würde damit das
Gesetz von 1970, das Cannabis verbietet, außer Kraft setzen. Welche
Auswirkungen hätte eine Legalisierung auf die Bevölkerung, Ihrer Meinung
nach?
Prof. Jean Costentin: Da es nicht immer zum Schlimmsten
kommt, hoffe ich, daß unser Land nicht die schlimmsten Fehler einiger unserer
Nachbarn nachmacht. Vielleicht bleibt uns genug Zeit, damit sich die Vernunft
durchsetzen kann. Es ist ein Wettlauf zwischen der Ungeduld der einen, das
Unwiderrufliche zu tun, und der Anhäufung von Daten, die alle gegen eine
Legalisierung von Cannabis sprechen.
Um die schwerwiegendsten Folgen zusammenzufassen, die bei einer
Legalisierung von Cannabis zu befürchten sind, möchte ich mich auf eine kurze
Aufzählung beschränken:
- Seine starke Suchtwirkung ist so groß, daß mindestens 20% derjenigen,
die damit experimentiert haben, davon abhängig werden. Eine Legalisierung
würde unweigerlich zu einem Anstieg der Zahl der Konsumenten führen - es sei
daran erinnert, daß 13 Millionen Franzosen von Tabak abhängig sind (75.000
Todesfälle pro Jahr) und 4,5 Millionen von Alkohol (41.000 Todesfälle pro
Jahr). Zudem sollten wir uns nicht darauf verlassen, daß die Tabakhändler den
Verkauf an Minderjährige verweigern würden, da 70% von ihnen das Verbot des
Verkaufs von Tabak an Minderjährige nicht beachten.
- Cannabis ist ein starker Faktor für den Umstieg auf andere Drogen, wie
es bei Alkohol, Kokain und Morphinen gezeigt wurde (die neurobiologischen
Mechanismen sind mittlerweile geklärt). Es führt zu den
Polytoxikomanie-Formen, die wir bereits anwachsen sehen (gleichzeitiger Konsum
psychotrop wirkender Substanzen über einen längeren Zeitraum, d.Red.).
- Diese „Kretinisierungs-“Droge beginnt unsere Kinder bereits in der
Mittelstufe zu befallen, ab der siebten Klasse und selbstverständlich auch
später. Sie ist ein großer Störfaktor für die Kognition (Wahrnehmung). Ihr
Eindringen, ja ihre Invasion in das Schulwesen (sie ergreift auch Lehrer)
erklärt zu einem guten Teil den sehr erbärmlichen Rang (27.), den wir in der
internationalen PISA-Rangliste der Bildungsleistungen einnehmen, obwohl
Frankreich zu den Nationen gehört, die die meisten Mittel für die Bildung
ihrer Kinder aufwenden.
- Die Legalisierung würde die Zahl der Unfälle im Straßenverkehr (wie in
Kanada bereits festgestellt wurde) und am Arbeitsplatz erhöhen, wobei es schon
schwierig genug ist, die Probleme des Alkohols in den Griff zu bekommen. Das
Zusammenwirken von Tabak und Alkohol erhöht das Risiko tödlicher
Verkehrsunfälle um das 27-fache (laut jüngsten Statistiken). Unsere
Gesellschaft, die sich dem Alkohol hingibt, kann nicht auch noch Cannabis
verkraften.
Costentin: Eine Legalisierung von Cannabis würde zu einer
explosionsartigen Zunahme psychiatrischer Erkrankungen führen, während unsere
psychiatrischen Krankenhäuser bereits überlastet sind.
- THC führt zu Angstzuständen, Depressionen und psychotischen
Entgleisungen;
- es führt zu de novo Mutationen für die Entwicklung von
Schizophrenien;
- es verschlimmert diese Erkrankung, wenn sie ausbricht, und erzeugt eine
Resistenz gegen Behandlungen, die ihre Symptome lindern sollten. Diese
unheilbare Krankheit betrifft 1% der Bevölkerung. Ohne Cannabis gäbe es in
unserem Land fast 15.000 Schizophrene weniger.
- Cannabis ist die Droge der Abstumpfung, der Demotivation, der
Enthemmung, sie macht aggressiv oder gefährlich. Bei seinen Konsumenten führt
sie zu häufigen und anhaltenden Perioden von Arbeitslosigkeit.
Costentin: Noch schlimmer ist, daß bei denjenigen, die sich
THC aussetzen, durch eine „Markierung“ des Chromatins bestimmter Gene (ein
spezieller Komplex aus DNA und Proteinen, aus dem die Chromosomen bestehen,
d.Red.) diese [Gene] sich über einen sehr langen Zeitraum verändern. Durch die
Exposition der Geschlechtszellen (Spermien oder Eizellen) werden diese
Veränderungen bestimmter Gene auf später gezeugte Kinder übertragen.
Es wurde festgestellt, daß dieser Mechanismus die Anfälligkeit der
Nachkommen für Drogenmißbrauch im Jugendalter, für bestimmte psychiatrische
Erkrankungen (Autismus, Schizophrenie, Depressionen) stärkt, und daß er die
Reaktionen auf Streß, die kognitiven Fähigkeiten und die Immunabwehr
beeinträchtigt. In Abwandlung einer Formulierung aus dem Buch Hesekiel (Altes Testament, Hesekiel 18 – d.Red.]: „Die Eltern rauchten grünen
Cannabis und ihre Kinder bekamen davon gereizte Neuronen.“
- Cannabis führt zu einer verkürzten Schwangerschaft, die Säuglinge sind
kleiner und leichter als normal, haben eine verlangsamte psychomotorische
Entwicklung und ein erhöhtes Risiko für plötzlichen Kindstod oder
Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS).
- Cannabis ist giftiger als Tabak, da bei seiner Verbrennung 6-8mal mehr
Kohlenmonoxid und krebserregendes Teer entsteht. Er wirkt schwächend auf das
Immunsystem. Seine Herz-Kreislauf-Toxizität macht ihn zur dritthäufigsten
Ursache für die Auslösung von Herzinfarkten. Bei jungen Menschen kann er zu
Schlaganfällen oder Arterienentzündungen führen.
- Wenn all diese verheerenden Folgen bekannt wären, wären unsere Bürger
fähig, gegen die Legalisierung zu kämpfen, aber es wird alles getan, um
Aufklärung zu verhindern, und wenn etwas aufkommt, wird sofort
widersprochen.
Agnès Farkas: Welche Interessen haben die politischen
Entscheidungsträger (nicht nur in Frankreich) an der Legalisierung von Drogen?
Ist ein internationales Vorgehen gegen die Drogenproduktion denkbar, und wenn
ja, gibt es internationale Organisationen, die direkt am Ort der Produktion
eingreifen können?
Costentin: Diese Frage liegt außerhalb meines Fachgebiets,
deshalb muß ich mich darauf beschränken, Hypothesen zu äußern.
- Die Forderung nach Legalisierung kam von Umweltschützern, die einen
wirtschaftlichen Rückschritt fordern. THC, das zu Abstumpfung, Entsagung,
Faulheit, fehlendem Ehrgeiz und Zufriedenheit mit wenig führt, paßt gut zu
ihren Plänen.
- Die Forderung geht von Politikern aus, die davon träumen, durch die
Verbreitung dieser Droge rebellierende Bürger in resignierte Bürger zu
verwandeln.
- In der französischen Nationalversammlung ist die Speerspitze der
Cannabislegalisierung der Abgeordnete und Sprecher von LREM (La République en
Marche, die Partei von Präsident Emmanuel Macron), J.-B. Moreau, ein Landwirt
im Bezirk Creuse. Er möchte seinen Bezirk in ein grünes Eldorado für Cannabis
verwandeln.
Farkas: Kann man angesichts der Liberalisierung des
Cannabiskonsums von einer politischen Herausforderung sprechen?
Costentin: In einem durch die Globalisierung verschärften
internationalen Wettbewerb werden konkurrierende Nationen davon profitieren,
daß unser Land einen hohen Anteil an verdummten, passiven, unmotivierten,
bildungsunwilligen und asthenischen Subjekten aufweist, wodurch wir leichter
zu schlagen sind. In dem sich abzeichnenden Zivilisationskonflikt wird
derjenige gewinnen, der es versteht, sein Volk davon abzuhalten, sich mit
Drogen selbst zu zerstören.
- Die Demagogie mancher Politiker besteht darin, die Stimmen ihrer Wähler
zu kaufen, wobei sie ihre niederen Instinkte bedienen, darunter ist die
Drogensucht ein wichtiger Teilaspekt.
- Ein gesetzloser Kapitalismus, der aus allen Rohren feuert, hat massiv
in diesen Sektor investiert. Er unterwandert die Medien, die Politik und die
Öffentlichkeit, um hohe Renditen zu erzielen.
- Das Phänomen ist international. Sehr mächtige Finanzgruppen sind am
Werk. (Der amerikanische Milliardär) George Soros und (der Kanadier) Edgar
Bronfman haben beträchtliche Summen (eine Million Dollar) ausgegeben, damit
Kalifornien 2010 nach zwei negativen Abstimmungen für die Legalisierung von
Cannabis stimmte.
Farkas: Kann man überhaupt die Bevölkerung über die Folgen
des Konsums von Cannabis und Cannabinoiden in ihren verschiedenen Formen
aufklären?
Costentin: Dieses sehr ernste Problem, das sowohl
gesundheitlicher als auch sozialer und gesellschaftlicher Natur ist, kann man
in erster Linie durch Bildung lösen. Frankreich ist nicht nur der größte
Cannabiskonsument in Europa, sondern auch die Nation, in der nichts
unternommen wird, um die Kinder in diesem Bereich aufzuklären. Die Europäische
Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EBDD) hat uns wegen unseres
Versagens bezüglich der Aufklärung und Pädagogik die Rote Karte gezeigt.
Auch die Justiz hat bei der Strafverfolgung von Konsumenten und Dealern
völlig versagt. Das jüngste Beispiel für ihre Entmündigung ist die Verhängung
einer Geldstrafe von lediglich 200 € als Ausgleich für alle Kosten, die durch
den Täter entstanden sind. Da es keine Speicherung gibt, kann das Vergehen
unzählige Male zum gleichen Preis wiederholt werden, ohne daß die Strafe
unbedingt bezahlt werden muß...
Es gibt keine Händler und kein Dealen, wenn es keine Konsumenten gibt, wenn
das Taschengeld nicht in Strömen fließt und wenn sich die Eltern nicht ihrer
Verantwortung entziehen. Auch sie müssen für die Irrungen und Wirrungen ihrer
minderjährigen Kinder zur Kasse gebeten werden können, und zwar aus dem
Kindergeld, das ihnen für die Erziehung ihrer Kinder gezahlt wird. Letztere
sollten „die Rechnung begleichen“ indem sie unter sorgfältiger Aufsicht
gemeinnützige Arbeit leisten.
Costentin: „Wo ein Wille ist, ist auch einen Weg.“ Wo jedoch
Gleichgültigkeit, Nachlässigkeit, bewußte Unkenntnis, Betrug, Demagogie,
Ideologie, niederträchtige dem Humanismus widersprechende Interessen
vorherrschen, und wo man sich nicht um das Schicksal unserer Gesellschaft, der
Familien, der nationalen Gemeinschaft und unserer Zivilisation kümmert, sind
Drogen eine tödliche Waffe für Desperados aller Art.
Es ist die Aufgabe derjenigen, die noch nicht von den zerstörerischen
Auswirkungen der Droge betroffen sind, sich wirklich zusammenzuschließen, um
unsere Mitbürger zu schützen, indem wir mit aller Kraft gegen ihre
Legalisierung kämpfen. Das ist für unsere Gesellschaft „die Mutter aller
Schlachten“.
Anmerkung
Einschlägige Publikationen von Prof. Costentin zu dieser
Thematik finden Sie hier:
https://www.researchgate.net/scientific-contributions/Jean-Costentin-2120481991
https://atlantico.fr/author/jean-costentin-1504982