Produktive Kreditschöpfung 
  Neues Bretton Woods
  Glass-Steagall
  Physische Wirtschaft
  Kernenergie
  Eurasische Landbrücke
  Transrapid
  Inflation
  Terror - Cui bono?
  Südwestasienkrise
  11. September und danach
  Letzte Woche
  Aktuelle Ausgabe
  Ausgabe Nr. ...
  Heureka!
  Das Beste von Eulenspiegel
  Erziehungs-Reihe
  PC-Spiele & Gewalt 
  Diskussionsforum
  Wirtschaftsgrafiken
  Animierte Grafiken
[an error occurred while processing this directive]
Folgen Sie uns auf
acebook
Neue Solidarität
Nr. 19, 9. Mai 2024

Kriegspartei reagiert auf Campus-Proteste
mit Angriff auf die Meinungsfreiheit

Von Harley Schlanger

Eine Woche, nachdem der US-Kongreß mit überwältigender Mehrheit Präsident Bidens 95 Milliarden Dollar schweren Nachtrags-Kriegshaushalt mit Militär- und Finanzhilfe für die Ukraine, Israel und Taiwan verabschiedet hatte, brach an Amerikas Hochschulen eine Welle des Widerspruchs aus. Innerhalb kurzer Zeit weiteten sich die Proteste auf mehr als 60 Universitäten im ganzen Land aus.

Die ganz überwiegend gewaltfreien Proteste richten sich besonders gegen den Anteil des Pakets für Israel über 25 Milliarden Dollar. Demonstranten errichteten Zeltlager auf öffentlichen Plätzen und forderten einen sofortigen Waffenstillstand im Gazastreifen sowie humanitäre Hilfe für die Palästinenser, die aufgrund der israelischen Unterbrechung von Lebensmittellieferungen hungern und wegen der Blockade von Medikamentenlieferungen und der Zerstörung von Krankenhäusern sterben. Sie fordern auch mit neuem Nachdruck, daß die Universitäten Gelder abziehen, die sie in Rüstungskonzerne und in Firmen investiert haben, die mit Israel Geschäfte machen – u.a. Raytheon, Lockheed, Google, Amazon, Microsoft und BlackRock. Und sie fordern die Anerkennung Palästinas als unabhängiger Staat, die seit der Verabschiedung der UN-Resolution 242 im Jahr 1967 geltendes internationales Recht ist; kürzlich hatten 12 von 15 Ländern im UN-Sicherheitsrat Palästinas UN-Vollmitgliedschaft unterstützt, aber die USA dies durch ein Veto blockiert.

Als die Demonstrationen landesweit zunahmen, platzte Israels Premierminister Benjamin Netanjahu der Kragen und er warf den Teilnehmern Antisemitismus vor. In einem weitverbreiteten Video vom 24. April bezeichnete er die Ereignisse als „ähnlich dem, was in den 1930er Jahren an deutschen Universitäten geschah. Das ist unverzeihlich. Das muß gestoppt werden. Es muß verurteilt werden, und zwar unmißverständlich.“

Er geißelte die Universitäten dafür, daß sie nicht gegen die Proteste vorgingen, und behauptete: „Antisemitische Mobs haben die führenden Universitäten übernommen. Sie rufen zur Vernichtung Israels auf, sie greifen jüdische Studenten an, sie greifen jüdische Lehrkräfte an.“ Dabei ignorierte er einfach die für ihn peinliche Tatsache, daß viele Teilnehmer der Proteste selbst Juden sind. Ein Mitglied von Jewish Voices for Peace an der Columbia University brachte die Meinung der meisten Demonstranten zum Ausdruck und antwortete auf Netanjahus Vorwurf: „Wir sind weder antisemitisch noch pro-Hamas, sondern gegen Völkermord.“

Parallel zur dieser Einmischung in den USA kündigte Netanjahu an, er würde den Angriff auf Rafah fortsetzen, selbst wenn ein Waffenstillstandsabkommen zustande kommt.

Kongreß fordert eine Gedankenpolizei

Netanjahus Verleumdungen wurden im Kongreß von Politikern beider Parteien aufgegriffen, die Bidens Kriegspaket abgesegnet hatten. Der republikanische Senator Tom Cotton aus Arkansas verleumdete die Proteste als „aufkeimende Pogrome“, der texanische Republikaner Ted Cruz behauptete, sie seien von „Haß gegen jüdische Schüler“ getrieben, und man solle die Teilnehmer verhaften und aus den Schulen herauswerfen. Die ehemalige demokratische Kongreßsprecherin Nancy Pelosi versteifte sich darauf, daß die Demonstranten vom russischen Präsidenten Putin gesteuert seien, weil die Forderung nach einem Waffenstillstand „Putins Botschaft“ sei. Andere sahen „die Hand Chinas“ dahinter.

Auf der Grundlage der unbegründeten Antisemitismusvorwürfe verabschiedete das Repräsentantenhaus am 1. Mai mit 320:91 Stimmen ein Gesetz, das die Definition von Antisemitismus auf „Angriffe auf den Staat Israel“ ausweitet. Kritiker halten dagegen, der Gesetzesentwurf sei eine verfassungswidrige Einschränkung der Meinungsfreiheit für Studenten, indem Kritik an Handlungen der israelischen Regierung mit Antisemitismus gleichgesetzt wird. Der Entwurf sieht u.a. vor, daß Bildungseinrichtungen, die „Antisemitismus nicht überwachen“, die Bundesmittel gesperrt werden. Der demokratische Senatschef Schumer erklärte umgehend, er wolle den Gesetzentwurf auch im Senat durchbringen.

Eine weitere Gesetzesvorlage würde noch weiter gehen, indem sie „Antisemitismus-Beobachter“ an den Hochschulen vorschreibt, die Studenten ausspionieren sollen, um Spuren von Antisemitismus zu finden. Der demokratische Abgeordnete Ritchie Torres und der republikanische Abgeordnete Mike Lawler (beide aus New York) gaben dem Entwurf die Bezeichnung „Columbia Act“, in Anspielung auf die Proteste an der New Yorker Columbia University, wo am 1. Mai 300 Studenten verhaftet wurden, nachdem die Polizei ein von ihnen besetztes Gebäude gestürmt hatte.

Es ist keine Überraschung, wenn eine große Mehrheit der Kongreßabgeordneten Gesetze verabschiedet, die das verfassungsmäßige Recht auf Redefreiheit angreifen. Das Paket zur Finanzierung von Bidens endlosen Kriegen umfaßte auch eine Verlängerung der verfassungswidrigen Befugnisse der geheimen FISA-Gerichte (gegen „Auslandsspionage“), mit einer Befugnis zum Abhören und Bespitzeln amerikanischer Bürger ohne richterlichen Beschluß. Ein Änderungsantrag, der diese Praxis verbieten sollte, endete mit einem Unentschieden von 212:212 Stimmen, und der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses Mike Johnson verhinderte ihn, indem er mit seiner ausschlaggebenden Stimme dagegen votierte.

Nachdem Johnson zum großen Ärger vieler Parteikollegen Bidens Kriegspaket durchgesetzt hatte, sprach er am 24. April persönlich an der Columbia University in der Nähe des Zeltlagers der Studenten. Er forderte die Universitätspräsidentin auf, „Ordnung in dieses Chaos zu bringen“, und schimpfte über die landesweiten Campus-Demonstrationen – und damit implizit auch über den ersten Zusatzartikel der Verfassung, der die freie Meinungsäußerung garantiert. „Das ist abscheulich“, sagte er. „Weil die Columbia-Universität diesen gesetzlosen Agitatoren und Radikalen erlaubt hat, die Macht zu übernehmen, hat sich der Virus des Antisemitismus auf andere Universitäten ausgebreitet. Anti-Israel-Lager tauchen an Universitäten im ganzen Land auf. Dieser Wahnsinn muß aufhören.“

Am 2. Mai kündigten vier republikanische Ausschußvorsitzende Anhörungen an, um zu untersuchen, was „hinter den Demonstrationen steckt“. Johnson bezeichnete es als „Untersuchung des Antisemitismus in den USA“.

In dem ganzen Geschrei geht das Offensichtliche verloren: Damit niemand sich mit Israels mutmaßlichem Völkermord gegen die Zivilbevölkerung im Gazastreifen befaßt (bekanntlich nennt auch der Internationale Gerichtshof den Vorwurf „plausibel“), wollen die Republikaner daraus einen parteipolitischen Streit konstruieren, indem sie selbst zu den eifrigsten Verfechtern von Einschränkungen der Meinungsfreiheit werden – die berüchtigte „cancel culture“ –, die sie bis vor kurzem noch scharf verurteilt hatten.

Trump und Biden stimmen in den Chor ein

Auch Ex-Präsident Donald Trump hat sich in die Diskussion eingeschaltet, nicht zuletzt, um von den Strafverfahren abzulenken, die u.a. in New York gegen ihn laufen. Er behauptete, daß „radikale Extremisten und linksradikale Hetzer die Universitäten terrorisieren“, die „rasende Verrückte“ seien, und warf Biden vor, der habe „nichts dazu gesagt“. In Großbuchstaben twitterte Trump: „Stoppt die Proteste jetzt“.

Daraufhin verurteilte Biden seinerseits die „antisemitischen Proteste“ und sagte, die Demonstranten „verstehen nicht, was mit den Palästinensern los ist... Gewaltsamer Protest ist nicht erlaubt.“ Biden verteidigte die harte Niederschlagung der Proteste mit landesweit mehr als 2000 Festnahmen bis zum 2. Mai und gewaltsamen Übergriffen der Polizei auf Demonstranten. Er meinte: „Wir sind kein autoritäres Land, in dem wir Menschen zum Schweigen bringen oder abweichende Meinungen unterdrücken können. Aber wir sind auch kein gesetzloses Land.“

Die tausenden gewaltlosen Demonstranten – darunter solche, die von „pro-israelischen“ Schlägern an der Universität von Kalifornien in Los Angeles gewaltsam angegriffen wurden, während die Polizei drei Stunden lang zusah – würden dem jedoch keineswegs zustimmen. Das gleiche gilt für die unzähligen Menschen auf der Welt, die mit ansehen, wie Amerika als selbsternannter Beschützer einer „regelbasierten Ordnung“ im eigenen Land die Rede- und Versammlungsfreiheit unterdrückt, während es endlose Kriege in aller Welt fördert.

Die Gründerin des Schiller-Instituts, Helga Zepp-LaRouche, sprach diese eklatante Heuchelei in ihrem wöchentlichen Internetforum am 1. Mai an. Sie sagte, die Versuche des transatlantischen Establishments, diese kritischen Stimmen zu unterdrücken, würden die Polarisierung und die Weltkriegsgefahr nur verstärken. Das Schüren der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten und die Kampagne zur Ausweitung der Globalen NATO, „das sind alles Bemühungen, die bestehende Ordnung aufrechtzuerhalten und sogar zu verstärken, aber das wird nicht gelingen“, betonte Zepp-LaRouche. „Nichts in diesem Universum kann es ermöglichen, zu einem Status quo zurückzukehren, in dem die USA der Weltpolizist und die europäischen Verbündeten ihre unterwürfigen Sklaven sind – eine Welt auf der Grundlage einer selbsterklärten, eingebildeten moralischen Überlegenheit des Westens. Das ist völlig ausgeschlossen!“

Die Länder des Globalen Südens beobachteten sehr genau, ob der Westen jegliche Moral verloren habe, oder ob es noch Hoffnung auf eine Abkehr von der unipolaren Weltordnung mit Wirtschaftskollaps und geopolitischen Kriegen gibt, sagte sie, sie beobachteten, ob „es einige Leute im ,Establishment‘ gibt, die den Mut haben, die Studenten zu unterstützen – einige haben es getan, aber es müssen mehr werden“.

Diejenigen, die lautstark fordern, den Studenten ihre Verfassungsrechte zu verweigern und zu untersuchen, welche „finsteren Mächte“ hinter den wachsenden Protesten stecken, sollten vielleicht einen Blick auf eine aktuelle CNN-Umfrage werfen, wonach 70% aller befragten US-Bürger Bidens Politik zur Unterstützung Israels ablehnen, und unter den jungen Menschen zwischen 18 und 34 Jahren sogar 81%.