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Neue Solidarität
Nr. 19, 9. Mai 2024

Unsere Mission in Südwestasien

Von Dr. Connie Rahakundini Bakrie

Dr. Connie Rahakundini Bakrie ist strategische Analystin und Dozentin aus Indonesien. In der Internetkonferenz zum Oasenplan am 13. April sagte sie folgendes. (Übersetzung aus dem Englischen, Zwischenüberschiften wurden hinzugefügt.)

Zunächst möchte ich mich bei Frau LaRouche für die Einladung und die inspirierende Eröffnungsrede bedanken, und ich möchte dem Schiller-Institut meine tiefe Dankbarkeit dafür aussprechen, daß es mich hierher eingeladen hat. Und dann möchte ich über das wichtigste Thema sprechen, über das wir heute abend diskutieren: über die Mission in Südwestasien und über die gemeinsamen Merkmale, denn das ist das vorrangige Thema.

Ich denke, im Nahen Osten gibt es mehrere gemeinsame Merkmale, darunter historische und kulturelle Bindungen. Philip Carl Salzman, Professor für Anthropologie an der McGill University, konstatiert, Frieden im Nahen Osten sei nicht möglich, weil den Menschen im Nahen Osten andere Werte und Ziele wichtiger seien als Frieden. Dies betrifft die Loyalität gegenüber der Verwandtschaft, der Klasse und der Kultur sowie die Ehre, die man sich mit dieser Loyalität erwirbt.

Beziehungen zwischen Gruppen verschiedener Abstammung waren im Prinzip immer gegensätzlich, weil sich Stämme als Ganzes in Opposition zu anderen Stämmen sehen. Die stärkste politische Norm unter Stammesangehörigen war Loyalität. Man mußte immer die näheren Verwandten gegen die entfernteren unterstützen. Loyalität wurde mit Ehre belohnt. Seine Verwandten nicht zu unterstützen, war unehrenhaft. Und deshalb schrieb Mamoun Fandy: „Wir sind das Volk der Blutsverwandten und der Familienbande oder ,Schalal‘...“ Seine These ist, daß die islamische Geschichte als eine intellektuelle Revolution beginnt, die dann aber irgendwie in einen Stammesstaat überführt wurde. Deshalb „haben wir jetzt eine Geschichte der Stämme statt einer Geschichte der Ideen“.

Das scheint mir der Grund zu sein, warum Sultan Suleiman der Prächtige des Osmanischen Reiches nie versucht hat, solche Gruppen durch eine Demarkationslinie zu teilen. Und Jerusalem genoß während der Zeit der islamischen Herrschaft aufgrund seiner religiösen Bedeutung einen Sonderstatus; so wurde es 400 Jahre lang (1516-1917) von den Osmanen regiert.

Das Osmanische Reich wurde 1923 offiziell aufgelöst. In der Zwischenzeit gab die britische Regierung die bereits erwähnte Balfour-Deklaration heraus (1917), um die jüdische Meinung, insbesondere in den Vereinigten Staaten, im Ersten Weltkrieg auf die Seite der Alliierten gegen die Mittelmächte zu ziehen.

US-Präsident Harry Truman sympathisierte mit dem Zionismus und befürwortete 1947 den UN-Teilungsplan für Palästina, der die Schaffung eines arabischen und eines jüdischen Staates vorsah. Gegen Widerstände innerhalb seiner Regierung hat diese am 14. Mai 1948 den Staat Israel anerkannt.

Spulen wir vor in der Zeit: Es folgten viele traurige Episoden. Türken, Araber und Iraner unternahmen militärische Kampagnen zur Unterdrückung der Kurden. Christen, Jesiden, Baha'i und Juden werden weiterhin ethnisch gesäubert. Und Araber und Perser, Sunniten und Schiiten versuchen in einem Konkurrenzkampf die Macht über den jeweils anderen zu erlangen, einer der Hauptgründe für die Kriege in Südwestasien.

Was also ist zu tun, wo soll man anfangen?

Wenn es um diese Frage geht, wo man anfangen soll, dann sollten wir vielleicht über die Vereinigten Staaten sprechen – Truman hatte ich gerade schon erwähnt.

Präsident Clinton führte zur direkten Unterstützung des Friedensprozesses im Nahen Osten mehr als 175 Telefongespräche mit Staatsoberhäuptern und stattete der Region sechs Besuche ab. Außerdem war er Gastgeber einer Reihe von Treffen und Gipfeltreffen in den Vereinigten Staaten, um den Prozeß voranzubringen, zum Beispiel die israelisch-syrischen Gespräche in Shepherdstown 1999, die Treffen in Wye River 1998, das Gipfeltreffen in Washington 1995, die Unterzeichnung der Washingtoner Erklärung durch Israel und Jordanien 1994 – die von großer Bedeutung ist, weil sie den Krieg beendete - sowie die Unterzeichnung der Grundsatzerklärung 1993 mit dem historischen Händedruck zwischen Ministerpräsident Jitzhak Rabin und dem Vorsitzenden Jassir Arafat.

Später ist in Ländern, in denen es keine Monarchien oder starken politischen Institutionen gab, ISIS zur Macht aufgestiegen und mißbrauchte seine Macht im Irak, in Syrien und in Libyen, um schwere Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu begehen.

Präsident Trumps große Errungenschaft mit dem Abraham-Abkommen und der Normalisierung ging mit einer größeren Vision für soziale und wirtschaftliche Reformen einher. Doch die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain und Marokko verfolgten das Friedensabkommen als Teil einer breiteren regionalen Bemühung, der Mobilisierung der Extremisten entgegenzuwirken und die Region zu stabilisieren, nachdem sie mit den schwierigen Herausforderungen des Arabischen Frühlings konfrontiert waren.

Die Verantwortung von Briten und Franzosen

Die Frage ist jetzt: Soll das Gewicht der Welt auf einer oder auf zwei Schultern ruhen? Frieden muß bedeuten: legitime Rechte für die Palästinenser und echte Sicherheit für Israel.

Dabei muß man mit etwas noch Grundlegenderem beginnen: Die Briten haben alles angestoßen, also muß Großbritannien die volle Verantwortung übernehmen. Die Balfour-Erklärung gilt weithin als Vorläufer der palästinensischen Nakba von 1948, als zionistische bewaffnete Gruppen von den Briten ausgebildet wurden.

Frankreich seinerseits war, wie hier auch schon erwähnt wurde, am Sykes-Picot-Abkommen beteiligt und kündigte seine Unterstützung noch vor der Veröffentlichung der Balfour-Deklaration an. Im Mai 1917 brachte ein Brief des französischen Diplomaten Jules Cambon an den polnischen Zionisten Nahum Sokolow die wohlwollende Haltung der französischen Regierung gegenüber der „jüdischen Kolonisation in Palästina“ zum Ausdruck. Der Brief galt als Vorläufer der Balfour-Erklärung.

Das Balfour-Dokument ist sehr umstritten, denn erstens wurde es, wie der palästinensisch-amerikanische Akademiker Edward Said feststellte: „von einer europäischen Macht... über ein außereuropäisches Gebiet gemacht..., unter Mißachtung sowohl der Anwesenheit als auch der Wünsche der in diesem Gebiet lebenden einheimischen Mehrheit“.

Zweitens war die Deklaration eines von drei widersprüchlichen Kriegsversprechen der Briten. Als sie veröffentlicht wurde, hatte Großbritannien den Arabern bereits 1915 die Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich versprochen. Außerdem hatten die Briten den Franzosen im Sykes-Picot-Abkommen von 1916 separat versprochen, daß der größte Teil Palästinas unter internationaler Verwaltung stehen würde und die beiden Kolonialmächte sich den Rest der Region nach dem Krieg aufteilen würden. Die Deklaration bedeutete jedoch, daß Palästina unter britischer Besatzung stehen würde und daß die dort lebenden palästinensischen Araber nie die Unabhängigkeit erlangen würden.

Drittens wurde in der Deklaration ein Begriff eingeführt, den es im Völkerrecht so noch nie gegeben hatte: die „nationale Heimstatt“. Die Verwendung des vagen Begriffs „nationale Heimstatt“ für das jüdische Volk, im Gegensatz zu „Staat“, ließ die Bedeutung für jede Interpretation offen.

Indonesiens Haltung zu Palästina

Nun müssen wir noch erfahren, wie Indonesien dazu steht.

Indonesiens Verteidigung Palästinas gegen den israelischen Kolonialismus ist eigentlich einzigartig in der Welt: Sie ist in der Präambel unserer Verfassung von 1945 verankert. Im wesentlichen verurteilt sie alle Formen des Kolonialismus und setzt sich für den Frieden und die Fortsetzung der festen Haltung von Präsident Sukarno ein.

Daher muß Indonesien bereit sein – politisch, militärisch, diplomatisch und finanziell. Zugegeben, Indonesien ist nicht in der Lage, seine militärische Macht so weit in dieses Gebiet zu projizieren; ganz zu schweigen davon, daß wir waffentechnisch peinlich unterlegen sind.

Ich denke, die führenden islamischen Mächte wollten in der wichtigen Frage Palästina den Anschein einer Einheitsfront erwecken, aber faktisch hat es die bestehenden Spaltungen nur noch verstärkt. Wichtig ist, daß in der gemeinsamen Erklärung zwar die „zentrale Bedeutung der palästinensischen Sache“ als Voraussetzung für Frieden und Stabilität in der Region hervorgehoben wird, die Aktionen der einzelnen Länder jedoch ihre nationalen und geostrategischen Interessen offenbaren – und nicht die palästinensische Sache.

Letztendlich macht der Charakter den Unterschied aus. Wir haben in der gesamten Menschheitsgeschichte gesehen, daß Nationen aufsteigen, sich entwickeln, gedeihen, an Stärke gewinnen und große Herausforderungen letztlich durch die Stärke ihres Charakters überwinden, nicht unbedingt durch ihre materiellen Ressourcen.

Leider werden, wie Al Jazeera einmal feststellte, die meisten muslimischen Länder von korrupten, autokratischen, despotischen, nichtsnutzigen Herrschern regiert. In der Hoffnung, daß Indonesien etwas „Bedeutendes“ tut, weil wir eines der größten muslimischen Länder der Welt sind, denke ich, daß wir innenpolitisch einen langen und steilen Weg vor uns haben.

Was Indonesien meiner Meinung nach tun kann, ist als erstes, die UNO zu ermutigen, das ganze Problem beim Ursprung anzupacken: Wie man England und Frankreich dazu bringt, sich zusammenzusetzen und ernsthaft über eine Lösung nachzudenken, denn schließlich sind sie die beiden Länder, die alles angefangen haben. Es geht also nicht um die islamischen Länder und die südwestasiatischen Länder vor Ort, sondern um die beiden ehemaligen Kolonialherren und die größten Ursachen dieses Krieges.

Ich denke deshalb, die größte Hausaufgabe für eine vertrauensbildende Strategie der UNO ist es, die Nervosität in der Frage zu überwinden, wie man Franzosen und Briten zur Verantwortung zieht. Das ist mein Punkt. Ich danke Ihnen.