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Neue Solidarität
Nr. 47, 23. November 2023

Ibn-Sina-Konferenz in Kabul ebnet den Weg
für ein „Wirtschaftswunder“ in Afghanistan

Das Ibn-Sina-Forschungs- und Entwicklungszentrum (Ibn Sina Research and Development Center) veranstaltete vom 6.-8. November in Kabul eine außergewöhnliche Konferenz für die rasche wirtschaftliche Entwicklung des Landes (Abbildung 1). Mehr als 600 Personen nahmen daran teil, darunter Beamte aus den Ministerien des Islamischen Emirats Afghanistan (IEA) und ein breites Spektrum afghanischer und internationaler Experten (davon 90 Frauen). Am 7. November gab es sieben eintägige Workshops, die sich mit acht grundlegenden Bereichen befaßten: Landwirtschaft und Wasser, Gesundheit, Energie, Verkehr, Bildung, Kultur sowie die Kombination Industrie und Arbeit/Kredit und Nationales Bankwesen.

© Jawad Niksad
Abb. 1: Eröffnungsplenum der Konferenz „Operation Ibn Sina: Das kommende afghanische Wirtschaftswunder“, an der vom 6. bis 8. November mehr als 600 Männer und Frauen im Intercontinental Hotel in Kabul teilnahmen.

Die Konferenz in Kabul fand statt inmitten von Fortschritten bei einigen wichtigen, transformativen Infrastruktur- und verwandten Entwicklungsprojekten, die von der IEA-Regierung in den letzten beiden Jahren initiiert wurden, trotz des akuten Mangels an Ressourcen und der Sank­tionen der entwicklungsfeindlichen westlichen Nationen, die u.a. 9 Mrd.$ afghanisches Nationalbankvermögen beschlagnahmten.

Drei herausragende Beispiele für Entwicklungsinitiativen:

  1. Vom Kusch-Tepa-Kanal zur Bewässerung von 550.000 ha Land in Nordafghanistan wurde inzwischen ein Drittel gebaut. Nach der Fertigstellung, vielleicht 2027, wird das Land in der Lage sein, sich selbst mit Getreide zu versorgen.

  2. Der Fernstraße durch den Wakan-Korridor im äußersten Nordosten bis zur chinesischen Grenze ist im Bau, eine tückische, unbefestigte Strecke wird durch eine moderne Fahrbahn ersetzt.

  3. Der Schlafmohnanbau im Land ist in der Erntesaison 2022-23 um 95% zurückgegangen.

Die bemerkenswerte Diskussion auf der Konferenz verstärkt somit den Fokus und die Dynamik der Entwicklungsorientierung der Regierungsinitiativen. Dieser Prozeß gilt zu Recht als ein mögliches kommendes „Wirtschaftswunder“. Auch ohne offizielle Ankündigung kann man sagen, daß Afghanistan heute an der Spitze des Entwicklungsimpulses steht, den die Globale Mehrheit auf internationaler Ebene zum Ausdruck bringt, und daß es in vielerlei Hinsicht sogar ein Modell darstellt.

Der Moderator der dreitägigen Konferenz, Fatah Raufi, ist Gründungsmitglied und Co-Leiter des Ibn Sina Research and Development Center, das die Konferenz in Kabul veranstaltete. Er und seine afghanischen Emigrantenkollegen Daud Azimi und Mirwais Popal hatten schon kurz nach dem August 2021 eine aktive Diskussion und Unterstützung für ihr Heimatland angestoßen, um die wirtschaftliche Entwicklung auf jede erdenkliche Weise zu fördern. Sie arbeiten unermüdlich an diesem gemeinsamen Ziel.

Zu ihren wichtigsten Partnern gehört das Schiller-Institut, dessen Gründerin und Leiterin Helga Zepp-LaRouche bereits im Oktober 2021 zu einer internationalen „Operation Ibn Sina“ aufgerufen hatte, um die medizinische Notversorgung, Nahrungsmittel und Maßnahmen zur Linderung der akuten Not zu unterstützen und die afghanische Wirtschaft aufzubauen.

Ibn Sina, der Namensgeber aus dem 11. Jahrhundert, ist ein weltweit geschätzter Arzt und Denker, dessen Familie aus dem Norden Afghanistans stammte. Diese große islamische Persönlichkeit weckt Hoffnung in einer Zeit tiefen Leids nach 40 Jahren schrecklicher, unrechtmäßiger Kriege und Besatzung in Afghanistan.

Im November 2022 hatten die Mitarbeiter der Operation Ibn Sina in Zusammenarbeit mit dem Schiller-Institut einen 90seitigen Bericht über die wirtschaftliche Entwicklung Afghanistans erstellt, der als Diskussionsgrundlage im Vorfeld der Konferenz an Freunde Afghanistans im In- und Ausland verbreitet wurde. In den darauffolgenden Monaten wurde das Ibn Sina Forschungs- und Entwicklungszentrum gegründet. Der Zweck des Zentrums wird in der Einladung zur Konferenz ausführlich erläutert, wo vom „wirtschaftlichen Wiederaufbau des ganzen Landes“ die Rede ist.

Auf eigenen Füßen stehen

© Jawad Niksad
Abb. 2: Sher Mohammad Abbas Stanekzai, Afghanistans amtierender stellvertretender Außenminister für politische Angelegenheiten: „Wir sind der Eigenständigkeit verpflichtet und offen für die Zusammenarbeit mit allen benachbarten Nationen und Völkern.“

Der amtierende stellvertretende Außenminister für politische Angelegenheiten Afghanistans, Sher Mohammad Abbas Stanekzai, sprach auf der Eröffnungs­plenarsitzung am 6. November über die Selbstversorgung des Landes, ein Thema, das sich durch die gesamte Konferenz zog (Abbildung 2). Nach 40 Jahren von außen aufgezwungenen Kriegen und Zerstörung seien die Afghanen nun entschlossen, ihr Land Afghanistan aufzubauen, sagte Minister Stanekzai.
„Wir sind zur Eigenständigkeit verpflichtet und offen für die Zusammenarbeit mit allen benachbarten Nationen und Völkern.“

Stanekzai rief die im Ausland lebenden Afghanen auf, „nach Hause zurückzukehren und mit ihren Ressourcen und ihrer Bildung ihr Land wieder aufzubauen“. Er sprach in bewegenden Worten davon, daß „die Türen für alle offen sind“, offen für „alle Brüder und Schwestern“.

Vertreter vieler anderer Ministerien wiederholten diesen Aufruf und sprachen auf den Plenarsitzungen am ersten und dritten Tag über die nationale Selbstversorgung, wobei sie Einzelheiten aus ihren verschiedenen Zuständigkeitsbereichen anführten, von Energie über Gesundheitsversorgung bis hin zu Stadtplanung und anderen Themen. So berichtete Shukrullah Wasiri vom Ministerium für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht auf der Plenarsitzung am 8. November über den Aufbau des Viehbestands, die Fleischversorgung und die Logistik.

Breites Spektrum an Teilnehmern

Das Spektrum der Plenarredner und Workshop-Teilnehmer war breit gefächert, neben zahlreichen Experten aus verschiedenen Ministerien. Fachleute kamen von der Universität Kabul, der Akademie der Wissenschaften, der afghanischen Eisenbahnbehörde, der Industriekammer, der Handelskammer, den Gemeinderäten der Provinzen, Diplomaten der ausländischen Botschaften in Kabul, Schulen und Hochschulen, Krankenhäusern, Archäologieprogrammen, Projekten zur Ausbildung von Frauen in der Milchwirtschaft und Textilindustrie sowie aus vielen anderen öffentlichen und privaten Bereichen. Fachleute hielten Vorträge zum islamischen Bankwesen, zur Berufsausbildung und zu anderen Themen. Es sprachen Vertreter von Unternehmen, die Dienstleistungen für Wirtschaftsprojekte anbieten, z.B. die Kartierung von Serpentinen und Wegstrecken für den Bau von Autobahnen.

Eine besondere Botschaft kam von Jean-Marc Deplaix aus Frankreich, der seit sieben Jahren Binnenschiffahrtsexperte der UN-Wirtschafts- und Sozialkommission für Asien und den Pazifik (ESCAP) ist. Er beglückwünschte Afghanistan zum Kusch-Tepa-Kanalprojekt, „für die wunderbare Leistung, diesen 108 km langen ersten Abschnitt in kaum anderthalb Jahren fertig zu stellen. Satellitenfotos sind ein klarer Beweis für diese Leistung.“ Darüber hinaus übermittelte Deplaix Empfehlungen zu einer möglichen Logistik für die Befahrbarkeit des Kanals.

© Jawad Niksad
Abb. 3: Frauen sitzen bei der Eröffnungsplenarsitzung. Rund 90 Frauen nahmen an den drei Konferenztagen teil.

Bezeichnenderweise waren etwa 90 Frauen anwesend und nahmen an den Workshops teil. Ihre Fachgebiete reichten von Medizin über Viehzucht, Berufsausbildung, traditionelle Kleidung und Kunsthandwerk bis hin zu bürgerschaftlichem Engagement und anderen Tätigkeiten und Fähigkeiten (Abbildung 3).

Die Vorsitzende des Schiller-Instituts Helga Zepp-LaRouche übermittelte einen vorab aufgezeichneten Videovortrag zum Thema „Ein neues Kapitel in der Geschichte Afghanistans“, aus dem am Eröffnungstag Auszüge vorgespielt wurden und der nach der Konferenz in voller Länge zur Verfügung stehen wird. Sie stellte das notwendige grundlegende Programm für die wirtschaftliche Entwicklung Afghanistans in den Kontext der Geschichte und der geographischen Lage des Landes: daß das Land zum Opfer der Politik des Britischen Empire mit seinem „Großen Spiel“ wurde und daß es heute ein wichtiger Knotenpunkt für die Gürtel- und Straßen-Initiative ist. Sie betonte, die gegenwärtigen Greueltaten im Gazastreifen unterstrichen, wie notwendig ein wirtschaftliches Entwicklungsprogramm für ganz Südwestasien ist, so wie es ihr verstorbener Ehemann, der Wirtschaftswissenschaftler und Staatsmann Lyndon LaRouche, bereits 1975 in seinem „Oasenplan“ entworfen hatte.

© EIRNS/Robert Baker
Abb. 4: Fareed Ahmed Alokozay, ein prominenter afghanischer Wirtschaftsführer, appelliert auf der Abschlußplenarsitzung nachdrücklich an die „Mission“ des Aufbaus des Landes.

Die Mission der Entwicklung

Der prominente afghanische Wirtschaftsführer Fareed Ahmed Alokozay hielt am Abschlußtag einen eindrucksvollen Vortrag, in dem er von der „Mission“ im Land sprach (Abbildung 4). Er bezog sich auf den Bericht der Operation Ibn Sina und des Schiller Instituts aus dem letzten Jahr und auf die vielen Punkte, die von den Ministerien in ihren Präsentationen genannt wurden: Das sei erst der Anfang. Er rief alle auf, „den Plan voranzutreiben und an dem Plan zu arbeiten“. Er erwähnte insbesondere den Kusch-Tepa-Kanal und betonte: „Nach 40 Jahren haben wir jetzt die Möglichkeit, uns selbst zu versorgen.“ Er sprach mit der Autorität seiner umfangreichen geschäftlichen Tätigkeit. Das Land müsse in der Lage sein, zu importieren und exportieren, was es wolle. Man solle dem Emirat Zeit zu geben, um die vorrangigen Projekte des Landes abzuschließen. Gemeinsam müsse es gelingen, diese Projekte zu vollenden.

Er sprach in bewegenden Worten über die Mittel, die dem Land zur Verfügung stehen, um erfolgreich zu sein – seine Jugend, seine Unternehmen und mehr. Vor allem müsse man die Steuereinnahmen klug und gezielt einsetzen, um den größtmöglichen Nutzen für das Land zu erzielen. Zusammenfassend sagte Alokozay: „Die Konferenz endet heute, aber morgen ist ein Tag zum Handeln.“

© UNODC
Abb. 5: Seit der Machtübernahme der Taliban wurden der Anbau und die Verarbeitung von Schlafmohn in Afghanistan um 95% reduziert.

Opiummohnanbau um 95% reduziert

Pino Arlacchi, ehemaliger Exekutivdirektor des UN-Büros für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC, 1997-2002), sprach ebenfalls am Schlußtag der Konferenz und lobte die von der IEA für 2022-23 bewerkstelligte Verringe­rung des Schlafmohnanbaus um 95% als „ein gewaltiges Ergebnis – nicht nur für Afghanistan, sondern auch für den Rest der Welt“ (Abbildung 5).

Arlacchi schilderte seine persönlichen Erfahrungen aus den Jahren 1999 bis 2001, als er als Leiter des UNODC in Afghanistan mit der neuen Regierung – „der ersten Generation der Taliban“ – zusammenarbeitete, um den Mohnanbau auszurotten, was bis 2001 auch eindrucksvoll gelang. Nach der US/NATO-Invasion im Herbst jenes Jahres kehrte der Mohnanbau jedoch bald wieder zurück, weil die Besatzungsführung dies förderte. Nach zwei Jahren war die Opiumproduktion in Afghanistan größer als vor 2001.

2010 reiste Arlacchi erneut nach Afghanistan, „als Freund“, wie er den Zuhörern berichtete, um bei der Ausrottung des Schlafmohns zu helfen, aber die Bedingungen der NATO-Besatzung machten dies unmöglich. Zu dieser Zeit war Arlacchi Mitglied des Europäischen Parlaments aus Italien.

Auf der Konferenz in Kabul forderte Arlacchi internationale Unterstützung, um die Regierung in Kabul und die Nachbarländer in die Lage zu versetzen, „ihr außergewöhnliches Ergebnis zu konsolidieren“. Er nannte einige Elemente des Plans, die Landwirte, die früher Mohn anbauten, zu unterstützen, damit sie statt dessen Nahrungsmittel anbauen, und sagte, daß Schritte unternommen werden sollten, um den Opiummohnanbau „für immer abzuschaffen“. Er sagte, man könne eine Gruppe von „Geberländern zur Verteidigung Afghanistans“ organisieren, um Mittel zur Verfügung zu stellen, angefangen mit einigen arabischen Ländern, aber auch China und Rußland.

Arlacchi, Professor für Soziologie an der Universität von Sassari in seiner Heimat Italien, sprach darüber, wieviel Geld man jährlich über einen Zeitraum von fünf Jahren benötigt, um den Erfolg der Ausrottung dauerhaft zu machen – keine großen Summen. Er erinnerte daran, daß es heute allein in Europa eine Million Drogenabhängige gibt. Die internationale Gemeinschaft müsse sich engagieren und dazu beitragen, daß die Ausrottung dieser Plage dauerhaft gelingt.

Workshops nach der SMART-Methode

© Jawad Niksad
Abb. 6: Die Arbeitsgruppe Landwirtschaft und Wasser bei einem von sieben parallel durchgeführten, ganztägigen Workshops.

Ein bemerkenswerter Teil der Konferenz war die Durchführung von sieben paral­lelen Workshops zu bestimmten Themen am zweiten Tag, in denen sich 350 Per­so­nen je nach Interesse und Fach­kennt­nis­sen in Gruppen aufteilten, um intensiv an spezifischen Entwicklungsfragen zu arbei­ten (Abbildung 6). Die Themen der Work­shops waren: Landwirtschaft und Wasser, Gesundheit, Energie, Verkehr, Bildung, Kultur sowie die Kombination Industrie und Arbeit/Kredit und Nationales Bank­wesen. Abgesehen von der Mittagspause für Gebet und Mittagessen wurden die Gruppendiskussionen den ganzen Tag über fortgesetzt und endeten mit einer Zusammenstellung der wichtigsten Ziele und Probleme in jedem Bereich.

Da die Teilnehmer des Schiller-Instituts bereits im vergangenen Jahr Gelegenheit hatten, sich mit afghanischen Experten, auch aus vielen Ministerien, auszutauschen, gaben sie bei jedem Workshop einen Überblick, ebenso wie andere Teilnehmer und afghanische Experten. Nach einer sehr lebhaften Diskussion wurden dann Zusammenfassungen erstellt. Insgesamt nahmen elf Freiwillige des Schiller-Instituts aus Deutschland, Frankreich und den Vereinigten Staaten teil – sieben von ihnen persönlich, die anderen per Videoaufzeichnung.

Die Teilnehmerzahl und das Format der einzelnen Workshops waren unterschiedlich, aber die intensive Konzentration war durchweg beeindruckend. Bei zwei der Sitzungen – über Bildung, und über Industrie-Arbeit/Kredit-Nationalbank - war die Teilnehmerzahl sehr hoch, jeweils weit über 80 Personen, was die große Sorge um die Schaffung von Arbeitsplätzen und die finanziellen und anderen Zwänge für die Wirtschaft widerspiegelt. Etwa 80% der afghanischen Bevölkerung sind in der Landwirtschaft beschäftigt. Die derzeitige reale Arbeitslosigkeit – einschließlich der Fehl- und Unterbeschäftigung, auch im „informellen“ Sektor – liegt bei etwa 57%.

In allen Sitzungen wurde auf Wunsch und unter Leitung des Konferenzmoderators Fatah Raufi die „SMART-Methode“ angewandt, um die Ergebnisse der Expertendiskussion zu strukturieren. SMART steht kurz für: Specific, Measurable, Achievable, Relevant, Time-bound, zu deutsch: spezifisch, meßbar, erreichbar, relevant und zeitgebunden.

Raufi erklärte in seinen Ausführungen zur Eröffnung der Konferenz, er habe 27 Jahre lang als Automobilingenieur gearbeitet und die SMART-Methode als effizient kennengelernt. Die Abkürzung steht für Ziele, zu denen Fragen gestellt werden, um die nötigen Informationen aus jedem Bereich wirtschaftlicher Belange auf das Endergebnis – in diesem Fall einen umfassenden Wirtschaftsplan – zu konzentrieren.

Um ein konkretes Verständnis dieser Methode zu erhalten, kann man sich die SMART-Methode in Bezug auf das nationale Ziel Afghanistans durchdenken, die Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln zu erreichen. Ein wichtiges Ziel ist die Steigerung der inländischen Produktion von Weizen, dem Grundnahrungsmittel des Landes. Gegenwärtig liegt die Weizenerzeugung bei etwa 5 Millionen Tonnen, so wenig, daß Weizenimporte (kommerziell oder gespendet) von mindestens 2 Mio.t erforderlich sind.

Das Zwischenziel von 7 Mio.t, d.h. die Ernte der Mindestmenge im eigenen Land, dürfte in den nächsten Jahren erreicht werden, wenn viele der verfallenen Bewässerungssysteme kurzfristig saniert sowie besseres Saatgut und andere Betriebsmittel bereitgestellt werden. Mit der Fertigstellung des Kusch-Tepa-Kanals, vielleicht bis 2027 oder kurz danach, läßt sich die Selbstversorgung mit Weizen erreichen, und dann kann sich das Land weitere Ziele zur Verbesserung der Ernährungslage setzen.

Wie Raufi berichtete, sollen die umfangreichen Konferenzergebnisse zu allen wirtschaftlichen Bereichen in naher Zukunft in einem umfassenden Plan zusammengefaßt werden.

Modell für ein Wunder

In Afghanistan leben derzeit 39,8 Millionen Menschen, wie der Sprecher des Gesundheitsministeriums in seinem Bericht über die Ziele im Bereich der medizinischen Versorgung und des Gesundheitswesens auf der Abschlußplenarsitzung berichtete. Die Regierung macht das Unmögliche möglich: Sie ergreift parallel kurzfristige und langfristige Maßnahmen für ihre Bevölkerung, obwohl das Land dafür keine Geldmittel hat, sondern sich nur auf das Engagement der Menschen verlassen kann. Kurzfristig ergreift die Regierung der IEA Sofortmaßnahmen in den Bereichen Nahrungsmittel, Gesundheit, Transport, Katastrophenhilfe und anderen lebensnotwendigen Bereichen; gleichzeitig leitet sie Projekte zur Umgestaltung der Wirtschaft ein. All dies geschieht trotz der enormen Zerstörungen, die 40 Jahre Krieg und Besatzung angerichtet haben, und trotz des gravierenden Mangels an Ressourcen aufgrund des anhaltenden Wirtschaftskriegs, den der Westen gegen das Land führt.

In diesem Sinne zeigen die Überlegungen und Berichte der Kabuler Konferenz, daß wir Zeugen eines neuen Wirtschaftsmodells für ein kommendes Wirtschaftswunder sind. Sicher gibt es auch Lehren aus Wirtschaftsmodellen an anderen Orten und zu anderen Zeiten, die für Afghanistan von Nutzen sein können. Viele davon wurden auf den Workshops angesprochen, zum Beispiel, wie in den 1960er Jahren die Weizenrevolution im Punjab in Indien bewerkstelligt wurde; oder wie sich Bolivien in jüngster Zeit zu einem Land der Nuklearmedizin entwickelt hat.

Aber Afghanistan betritt Neuland. Bemerkenswert ist auch, daß in derselben Woche Vertreter der afghanischen Regierung und Wirtschaft im Iran und in China waren, um über Handel und Infrastruktur zu verhandeln. Der Erste Stellvertretende Ministerpräsident für Wirtschaft, Abdul Ghani Baradar, leitete eine Delegation von mindestens 30 Taliban-Vertretern zu Gesprächen nach Teheran, unter anderem im Rahmen des Gemischten Wirtschaftsausschusses Iran-Afghanistan.

In Shanghai schloß die afghanische Wirtschaftsdelegation auf der China International Import Expo (CIIE), Handelsvereinbarungen über die Lieferung weiterer bekannter afghanischer Produkte, insbesondere Trockenfrüchte, Pinienkerne, Granatäpfel und Teppiche.

Hinsichtlich der Aussichten für multinationale Entwicklungskorridore führen afghanische Vertreter Gespräche von Taschkent über Moskau bis nach Peking über verschiedene Schlüsselprojekte wie die Transafghanische Eisenbahn und die Bahn durch den Norden des Landes (Nordwest/Nord/Nordost-Korridor). Auf die Delegation der IEA, die unter der Leitung des amtierenden Handelsministers Haji Nooruddin Azizi am 3. Gürtel- und Straßen-Forum im Oktober in Peking teilnahm, folgt demnächst ein Expertenteam der Regierung aus Kabul, das wieder zu Gesprächen über eine aktive Beteiligung an der Gürtel- und Straßen-Initiative nach China reisen wird.

Alle diese Entwicklungen sind Teil der auf nationale Selbstversorgung ausgerichteten Zukunftsvision des Islamischen Emirats Afghanistan. Nach all den herausragenden Beiträgen kann man sagen, daß die Konferenz in Kabul den Absichten und der Liebe zum Land ihrer Veranstalter gerecht wurde. Sie wird Realität, die „Operation Ibn Sina: das kommende afghanische Wirtschaftswunder“.