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Neue Solidarität
Nr. 30, 27. Juli 2023

Weckruf!
Wir verlieren Deutschland!
Wir brauchen eine andere Politik!

Von Helga Zepp-LaRouche

Wenn es den Bundesbürgern vollkommen klar wäre, was mit Deutschland seit einiger Zeit passiert, wären sie zu Millionen auf der Straße und würden eine sofortige Änderung der Politik fordern. Die Deindustrialisierung ist im vollen Gange, und damit wird nicht nur unser Wohlstand, sondern auch alle unsere Sozialsysteme – Gesundheit, Bildung, Renten etc. – werden demoliert. Uns droht eine Zukunft mit dem Lebensstandard eines gescheiterten Staates. Wir werden voll in eine „regelbasierte“ Außenpolitik eingebunden, die die Feindschaft mit Rußland zementieren und das Verhältnis zu China ruinieren soll. Dabei wird die gesamte Politik stromlinienförmig den Interessen des US-Militärisch-Industriellen-Komplexes angepaßt, was uns wirtschaftlich ruiniert und die Gefahr einer Eskalation zum Dritten Weltkrieg mit sich bringt.

Die Alarmglocken läuten: Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) berichtet, daß im vergangenen Jahr 125 Milliarden Euro mehr an Direktinvestitionen abflossen, als aus dem Ausland in Deutschland investiert worden sind, das sind die „höchsten Netto-Abflüsse, die jemals in Deutschland verzeichnet wurden“. Ausländische Unternehmen investierten hier nur noch 10,5 Milliarden Euro direkt (die Tesla-Ansiedlung bei Berlin wurde hierbei noch nicht berücksichtigt). Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) geht von einem Verkaufsrückgang von 14-16% in diesem Jahr aus. VCI-Vizepräsident Markus Steilemann warnt: „Das Haus brennt!“

Die Deindustrialisierung ist laut Clemens Fuest, Chef des IFO-Instituts, bereits im vollen Gang, die Schlüsselbereiche Automobil- und Chemiebranche sind längst eingebrochen, die Produktion in der Automobilindustrie liegt heute nur noch bei zwei Dritteln von 2018, Tendenz rückläufig. Der BDI vermeldet, daß 16% der mittelständischen Betriebe bereits dabei sind, die Produktion ins Ausland zu verlagern, weitere 30% denken konkret darüber nach.

Der Grund dafür liegt darin, daß sich die Standortbedingungen in Deutschland dramatisch verschlechtert haben, zuallererst durch die massiv angestiegenen Energiepreise. Diese sind das Resultat der Auswirkungen der primär von den USA erzwungenen Sanktionen gegen Rußland, die lange vor dem Ukraine-Krieg begonnen hatten. Die Sabotage der Nord-Stream-Pipelines, für das der amerikanische Enthüllungs-Journalist Seymour Hersh die Biden- Administration verantwortlich macht, hat unter den gegenwärtigen Umständen die Möglichkeit zerschlagen, durch eine Wiederöffnung der Pipelines und der damit verbundenen Zufuhr von kostengünstigem russischen Naturgas die Energiekosten wieder zu senken. Stattdessen ist Deutschland nun energieabhängiger als je zuvor – nur diesmal von den USA und dem um viele Milliarden teureren US LNG.

Mit dem Inflation Reduction Act und den damit verbundenen Subventionen für Investitionen in den USA lockt die Biden-Administration nun die Industrien, denen in Deutschland wegen der hohen Energiepreise die Luft ausgeht, zur Umsiedlung in die USA. Dabei wird rücksichtslos nach dem Prinzip „America First“ vorgegangen, da nützt es dem Bundeskanzler Scholz auch nichts, wenn er ständig brav wiederholt, daß wir im transatlantischen Bündnis „alles gemeinsam“ machen.

Ein weiterer Grund für die Republik-Flucht der Mittelständler liegt in der bürokratischen Flut von EU- und hausgemachten Regeln und Bestimmungen, die fast ausschließlich dem „Green Deal“ von Ursula von der Leyen und der Politik der Grünen zu verdanken sind, und einem massiven Fachkräftemangel, der wiederum das Ergebnis einer jahrzehntelangen falschen Politik ist. Toralf Haag, Chef des 1825 gegründeten Familienbetriebes Voith, betonte gegenüber der Welt, daß er in den letzten beiden Jahren wegen der Reglementierungsflut 30 neue Verwaltungsangestellte habe einstellen müssen, und daß die deutsche Industrie aufgrund der Verhältnisse nicht nur in Gefahr sei, „ihre DNA zu verlieren“, sondern auch jegliches Potential für die Zukunft.

Ideologiebasierte Inkompetenz

Neben den geostrategischen Gründen für die Deindustrialierung Deutschlands gibt es die ideologiebasierte Inkompetenz der grünen Wirtschaftspolitik, die nun für jedermann sichtbar die Produktivität der Wirtschaft unterhöhlt. So zeigt sich jetzt, daß die ganzen Offshore-Windparks aufgrund der höheren Inflation und Kapitalkosten unwirtschaftlich sind und wahrscheinlich nicht mehr gebaut werden können. Schlecht durchdacht war auch die Tatsache, daß die meisten Stromleitungen, die den Strom in die südlichen Bundesländern hätten transportieren sollen, für die riesigen Mengen an Wind- und Solarstrom gar nicht ausgelegt sind, und viele Anlagen gar nicht ans Netz gehen können.

Aber auch bei den geplanten Gebäude-Sanierungen sowie dem Absatz von Wärmeschutzprodukten und Wärmepumpen ist ein massiver Einbruch zu verzeichnen. In einem Offenen Brief an die Bundesregierung haben sich am 19. Juli fünfzehn Branchen-, Verbraucher-, Umwelt- und Klimaschutzverbände angesichts des drohenden Einbruchs bei der Gebäudesanierungsrate alarmiert zu Wort gemeldet. „Im Fachkräftebereich drohen Entlassungswellen. Unternehmen, die aufgrund politischer Signale Kapazitäten aufgebaut haben, können diese bei fehlender Nachfrage nicht aufrecht erhalten”, schreiben diese Verbände.

Noch schlechter als in der Industrie und im Energiesektor ist die Lage in der Bauwirtschaft, wo die Wohnungsbaunachfrage trotz des katastrophalen Mangels an bezahlbaren Wohnungen massiv eingebrochen ist. Dieser massive Rückgang wird sich in der Bauproduktion erst noch verschärft niederschlagen, wenn das noch bestehende Auftragspolster abgearbeitet ist.

Diese Liste ließe sich noch erheblich verlängern.

All dies wird sich noch dramatisch verschlechtern, weil die Zentralbanken zwischen der Skylla der durch Liquiditätsschöpfung zur Bankrettung und Energieverteuerung ausgelösten Inflation und der Charybdis der Erhöhung der Zinsen keinen Ausweg finden können. Das neoliberale Finanzsystem ist hoffnungslos mit in die Billiarden gehenden ausstehenden Derivatkontrakten verschuldet.

Fazit: Murks am Bau, und zwar auf der ganzen Linie!

Wer angesichts dieser Gesamtlage auf die „Selbstheilungskräfte des Marktes“ zählt und an der Schuldenbremse festhalten will, wie FDP-Chef Lindner, versteht ebensowenig, was die reale Lage der deutschen Wirtschaft ist, wie der Kinderbuchautor Habeck – bei dem man nur nicht so genau weiß, ob er im Wirtschaftsministerium mit Sandförmchen hantiert, ohne zu wissen, was er tut, oder ob er sich nicht heimlich freut, daß seine grüne Politik das erwünschte Resultat hat.

Die alles entscheidende Frage ist, ob sich angesichts dieser existentiellen Gefahr für Deutschland genügend Industrievertreter, Mittelständler, Betriebsräte oder überhaupt Menschen finden, die bereit sind, mit dieser skizzierten selbstdestruktiven Außen- und Wirtschaftspolitik zu brechen, und für eine Politik im souveränen Interesse Deutschlands einzustehen. Das politische Establishment tut es jedenfalls nicht, sondern richtet sich offensichtlich darauf ein, sein Vermögen den Schachzügen der Wall Street und der City of London anzuvertrauen – egal was die Konsequenzen für den Industrie-Standort Deutschland und damit den Lebensstandard der lohnabhängigen Menschen sind und egal, ob wir durch diese totale Unterwerfung unter die Politik der NATO unsere physische Existenz riskieren.

Wir brauchen einen fundamentalen Wandel in Richtung einer Politik, die wieder die ureigensten Interessen Deutschlands als Industrie- und Exportnation repräsentiert. Dazu müssen wir das gesamte neoliberale, grüne Paradigma, in das wir seit Anfang der 70er Jahre und der malthusianischen Irrlehre von den angeblichen „Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome Schritt für Schritt hineinmanövriert worden sind, in die Mottenkiste packen. Wir müssen uns an unsere Identität als das Volk der Dichter, Denker und Erfinder erinnern, und an unsere Kapazität, durch wissenschaftliche Entdeckungen universeller physikalischer Prinzipien den Wirkungsgrad unserer Effizienz im Universum zu erhöhen. Wachstum heißt nämlich nicht quantitative Vermehrung, wie die Grünen uns weismachen wollen, sondern es bedeutet die systematische qualitative Höherentwicklung der Menschheit, die zunehmende Dominanz der Noosphäre über die Biosphäre im Sinne von Cusanus, Kepler, Leibniz, Einstein und Wernadskij.

Unser souveränes Interesse ist es auch, mit der globalen Mehrheit der Menschheit zusammenzuarbeiten, d.h. den Nationen der Blockfreien Bewegung, die jetzt zusammen mit den BRICS-PLUS-Staaten dabei sind, ein neues Wirtschaftssystem aufzubauen, bei dem das Gemeinwohl aller die Grundlage der Zusammenarbeit ist. Das heißt, daß wir uns nicht die Politik des sogenannten „de-risking“ von China aufzwingen lassen dürfen, was ohnehin nur eine semantische Verschleierung der Abkopplung als Teil einer Konfrontation bedeutet, die nur im Dritten Weltkrieg enden kann.

Und anstatt uns auf selbstzerstörerische Weise der Konfrontationspolitik der NATO zu unterwerfen, bei der das Gemeinwohl der Bürger in unserem Land der Militarisierung unserer Wirtschaft geopfert wird, muß sich Deutschland für die Wiederherstellung des Friedens einsetzen, und sein Gewicht hinter die Initiativen von Papst Franziskus, Präsident Xi Jinping, Präsident Lula und der Gruppe von afrikanischen Staaten einbringen, die sich alle für eine diplomatische Lösung des Ukraine-Kriegs einsetzen.

Angesichts der vollständigen Demontage Deutschlands, die sich vor unser aller Augen vollzieht, ist es unfaßbar, wie paralysiert sich unsere Gesellschaft verhält. Begreifen wir wirklich nicht, daß alles, was Generationen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs aus Trümmern wieder aufgebaut haben, dabei ist, verloren zu gehen? Daß alles, was Deutschland an großer Kultur, an klassischer Musik und Dichtung hervorgebracht hat, mit einer abscheulichen Gegenkultur ausgelöscht zu werden droht, die unsere Menschlichkeit vernichtet?

Wenn man Angst hat, dabei gehört zu werden, daß man eine von den Mainstream-Medien abweichende Meinung äußert, und sich deshalb lieber anpaßt, weil man die sozialen Konsequenzen fürchtet, sollte man sich klarmachen, daß die Konsequenzen der gegenwärtigen Politik noch viel mehr zu fürchten sind.

Die Entstehung einer neuen Weltwirtschaftsordnung, bei der die Nationen Afrikas, Asiens und Lateinamerikas den Kolonialismus der letzten 600 Jahre endgültig überwinden wollen, ist nicht mehr aufzuhalten, es sei denn durch einen Weltkrieg. Wir müssen dafür sorgen, daß Deutschland sich auf die richtige Seite der Geschichte stellt.

zepp-larouche@eir.de