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Neue Solidarität
Nr. 28, 13. Juli 2023

Saporoschje: Soll ein inszenierter Zwischenfall
die NATO in den Krieg gegen Rußland treiben?

Von Alexander Hartmann

Fast immer, wenn die Entwicklungen auf dem Kriegsschauplatz in der Ukraine eine Wende nahmen, die nicht den Wünschen und Plänen der westlichen Kriegspartei insbesondere in Großbritannien und in den Vereinigten Staaten entsprach, kam es zu verdächtigen Zwischenfällen, die dann dem Westen als Vorwand für weitere Eskalationen dienten. Die Tatsache, daß diese Ereignisse aus der Sicht der russischen Seite stets zur Unzeit erfolgten, läßt es sehr fraglich erscheinen, daß die russische Regierung für diese Zwischenfälle verantwortlich war, auch wenn die westliche Propaganda dies behauptet. Im Gegenteil: die Vergangenheit – vom Zwischenfall im Golf von Tonkin bis zu den Schauermärchen über irakische Soldaten, die angeblich in Kuwait Babys aus Brutkästen rissen – lehrt uns, daß gerade die westlichen Geheimdienste nicht davor zurückschrecken, derartige Vorfälle zu inszenieren, um politische Entscheidungen in ihrem Sinne durchzusetzen.

Und so stellten sich informierte Beobachter nach dem schnellen Scheitern der Prigoschin-Meuterei und dem Stocken der ukrainischen „Großoffensive“ die Frage: Was kommt als Nächstes? Was wird die nächste Provokation sein, um die NATO noch tiefer in eine direkte Konfrontation mit Rußland hineinzutreiben? Dann befände sich die NATO direkt im Krieg mit Rußland - und die Welt wäre nur noch eine Haaresbreite von einem großen thermonuklearen Schlagabtausch entfernt.

Vieles deutet daraufhin, daß nun ein nuklearer Zwischenfall am Kernkraftwerk Saporoschje den Vorwand für die nächste Stufe der Eskalation liefern soll. Wenn dieser Artikel im Druck erscheint, wird klar sein, ob tatsächlich ein solcher Zwischenfall noch vor dem Beginn des NATO-Gipfels am 11. Juli inszeniert wird.

Schon vor mehr als zwei Monaten hat das Royal United Services Institute (RUSI), die älteste britische militärische Denkfabrik, ein entsprechendes Szenario entworfen. In der am 28. April veröffentlichten Studie „Gefährliche Ziele: Zivile nukleare Infrastruktur und der Krieg in der Ukraine“ wird darüber spekuliert, daß Rußland unter dem Eindruck einer starken ukrainischen Gegenoffensive einen radioaktiven Zwischenfall im Kernkraftwerk Saporoschje inszeniert.1 Das RUSI-Szenario geht dann davon aus, daß radioaktive Strahlung NATO-Länder erreicht und die NATO darauf mit nuklearen Drohungen antwortet – und RUSI ist überzeugt, daß die Russen klein beigeben werden, um einen Atomkrieg abzuwenden.

Dieses Szenario wurde dann von der ukrainischen Regierung aufgegriffen. Offenbar haben die Ukrainer das RUSI-Szenario als Botschaft aufgefaßt, daß sie, wenn sie die nächste Stufe der westlichen Intervention wollen, einen scheinbaren oder tatsächlichen Strahlungsvorfall inszenieren müssen.

Kiew schürt Hysterie über russischen „Nuklearterrorismus“

Schon nach der Zerstörung des Kachowka-Damms, wodurch die Kapazität des Reservoirs, aus dem das KKW sein Kühlwasser bezieht, beeinträchtigt wurde, machten Kiew und die westlichen Medien Rußland für diese Zerstörung verantwortlich, ohne Beweise dafür zu haben und obwohl diese Zerstörung sehr nachteilige Folgen für die Strom- und Wasserversorgung der Krim hatte.

Am 20. Juni, etwa zwei Wochen nach Beginn der ukrainischen Offensive, behauptete dann der Leiter des ukrainischen Militärgeheimdienstes GUR, Kyrylo Budanow, Rußland habe den Kühlteich des KKW Saporoschje vermint. Zwei Tage später gab Präsident Wolodymyr Selenskyj den Startschuß für die Kampagne „Rußland plant Terrorismus im KKW“.

Als der Leiter der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO), Rafael Grossi, umgehend erklärte, er und sein Team hätten den Kühlteich untersucht und keinen Sprengstoff gefunden, war dies für Budanow nur der Anlaß, seine nächste „Entdeckung“ zu verkünden: Rußland habe auf drei in der Nähe der Reaktoren abgestellten Lastwagen Sprengstoff deponiert. Am 30. Juni postete Budanows GUR auf Telegram, wie von Ukrinform berichtet, Rußland ziehe das wichtige Personal bis zum 5. Juli aus dem KKW ab, was darauf schließen lasse, daß der Terrorangriff nur noch eine Woche entfernt sei: „Nach neuesten Angaben verläßt das Besatzungskontingent nach und nach das Gelände des Kernkraftwerks Saporoschje. Drei Rosatom-Mitarbeiter, die die Aktivitäten der Russen leiten, gehörten zu den ersten, die das Kraftwerk verlassen haben.“ Auch den ukrainischen Mitarbeitern, die mit Rosatom zusammenarbeiten, sei geraten worden, das Kraftwerk bis zum 5. Juli zu evakuieren, so der GUR. All dies wurde von einem Rosatom-Sprecher dementiert und als „Lüge“ zurückgewiesen. Der Sekretär des ukrainischen Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates, Oleksii Danilow, erklärte, die Ukraine bereite sich auf „jedes Szenario“ rund um das KKW Saporoschje vor.

Am 28. Juni stimmten dann 274 Abgeordnete des ukrainischen Parlaments, der Werchowna Rada, für einen Resolutionsentwurf, in dem an die UNO, die Internationale Atomenergiebehörde, die EU, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, die NATO, den Europarat und verschiedene parlamentarische Versammlungen appelliert wird, „eine nukleare Katastrophe im Kraftwerk zu verhindern und der nuklearen Erpressung Rußlands entgegenzuwirken“. Dann stimmten 279 Abgeordnete für die Annahme eines Appells an den bevorstehenden NATO-Gipfel in Vilnius, in dem die NATO-Mitgliedstaaten aufgefordert werden, sich zu verpflichten, Garantien für die Vollmitgliedschaft der Ukraine in der Allianz zu geben und einen Mechanismus für ihre Aufnahme in die NATO zu beschließen.

Am 4. Juli erneuerte Selenskyj seine Warnungen in noch schrillerem Tonfall: Rußland sei im Begriff, das Kernkraftwerk Saporoschje anzugreifen, um absichtlich einen nuklearen Zwischenfall zu verursachen: „Jetzt muß die ganze Welt erkennen, daß die einzige Gefahrenquelle für das Kernkraftwerk Saporoschje Rußland selbst ist und niemand sonst.“ Er forderte die NATO-Kräfte auf, direkt einzugreifen: „Es ist die Pflicht aller Menschen auf der Welt, das zu verhindern.“

Beschuldigungen sind nicht plausibel

Alle diese Beschuldigungen wurden von den westlichen Medien sofort aufgegriffen und weithin verbreitet, in der Regel, ohne sie auf ihre Plausibilität zu hinterfragen.

Die ist allerdings äußerst fraglich. Tatsache ist nämlich, daß das Kernkraftwerk Saporoschje in der von den russischen Truppen kontrollierten Zone und inmitten einer größtenteils von russischsprechenden Menschen bewohnten Region liegt. Wieso sollte Rußland gerade dort einen nuklearen Zwischenfall organisieren wollen, der in erster Linie die eigenen Truppen träfe, und Gebiete, die Rußland seit den Volksabstimmungen in der Region über den Beitritt zur Russischen Föderation als sein Hoheitsgebiet betrachtet? Und warum sollte Rußland jetzt zu einem solchen Verzweiflungsschritt greifen, angesichts der Tatsache, daß die ukrainische „Großoffensive“ nach Einschätzung vieler Militärexperten im Sande verläuft, bevor sie richtig begonnen hat?

Und warum sollte Rußland einen solchen Zwischenfall ausgerechnet unmittelbar vor dem NATO-Gipfel in Vilnius am 11. und 12. Juli organisieren? Die transatlantischen Mächte wollen auf dem Gipfel in Litauen den Krieg gegen Rußland eskalieren und gleichzeitig das „Nordatlantik“-Bündnis nach Asien ausdehnen. Obwohl das Scheitern der vielgepriesenen ukrainischen „Gegenoffensive“ gegen Rußlands solide Verteidigungslinien absehbar war und nun allgemein anerkannt wird, unternehmen diese Mächte weiterhin nichts, um das Blutvergießen durch Verhandlungen zu beenden.

Gleichzeitig werden Staats- und Regierungschefs von Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland an dem Gipfel teilnehmen, um darüber zu diskutieren, wie man durch den Aufbau einer Globalen NATO in der indopazifischen Region Chinas Aufstieg bremsen kann.

Statt dessen könnte ein Anschlag auf das Kernkraftwerk Saporoschje unter falscher Flagge inszeniert werden, um mit der „Angst vor Verstrahlung“ eine direkte Beteiligung der NATO zu rechtfertigen. Käme es in den Tagen davor zu einem Zwischenfall am Kernkraftwerk Saporoschje, stünden die Teilnehmer des Gipfeltreffens unter enormem politischem Druck, „darauf zu antworten“ und ihr Engagement zu verstärken. Deshalb macht es aus russischer Sicht überhaupt keinen Sinn, gerade zu diesem Zeitpunkt einen solchen Zwischenfall herbeizuführen.

Aus der Sicht der Kriegspartei im Westen und der Ukraine stellt sich dies natürlich völlig anders dar: Angesichts des wenig erfolgreichen Verlaufs der ukrainischen Offensive und der Tatsache, daß schon ein erheblicher Teil der von den NATO-Partnern gelieferten schweren Waffen zerstört wurde, wachsen bei vielen die Vorbehalte gegen eine weitere Verstärkung des militärischen Engagements. Und da käme ein Zwischenfall in Saporoschje vor dem NATO-Gipfel sehr gelegen, um diesen Widerstand zu brechen.

In ihrem Internetforum am 3. Juli warnte deshalb die Vorsitzende des Schiller-Instituts, Helga Zepp-LaRouche: „Etwa eine Woche vor dem NATO-Gipfel in Vilnius am 11.-12. Juli ist es ganz klar, daß wir trotz Urlaubsstimmung in höchster Alarmbereitschaft sein sollten, denn es mehren sich die Anzeichen, daß es zu einer Provokation rund um das Kernkraftwerk Saporoschje kommen könnte.“


Anmerkung

1. „Dangerous Targets: Dangerous Goals: Civilian Nuclear Infrastructure and the War in Ukraine“,
https://static.rusi.org/398-SR-Dangerous-Targets-web-final.pdf